Abaddons Tor

James Corey

“Abaddons Tor” ist der inzwischen dritte Roman der über den Rahmen der ursprünglich geplanten Trilogie hinausgehenden „Expanse“ Serie. Hinter dem Psuedonym James Corey verbergen sich mit Daniel Abraham und Ty Frank zwei Medienprofis, die sich insbesondere mit lang laufenden Serien auskennen. Die Variationen des Tempos, die Vielzahl der allerdings gut voneinander unterscheidbaren Charaktere und schließlich das Hinsteuern auf einen Höhepunkt und Cliffhangar zu gleich sind minutiös geplant. Vielleicht sogar ein wenig zu minutiös, zu berechnend. Daniel Abraham hat in den USA zwei weitere Serien laufen. Einmal die epische Fantasyserie „The Dagger and the Coin“ und unter dem Pseudonym M.L.N. Hanover noch „Unclean Spirits“, eine urbane Fantasy. 

Auch wenn es sich nicht empfiehlt, mit dem vorliegenden dritten voluminösen Epos in die Science Fiction Serie einzusteigen, finden sich für Unverdrossene ausreichend Hinweise über den Text verstreut, aus denen man den Hintergrund der Geschichte ablesen kann. Am Ende von „Calibans Krieg“ hat die fremde Maschinenintelligenz (?) ihre Umbauarbeiten auf der Venus beendet und einen Ring, ein Sternentor im Orbit um den Uranus erschaffen. Militärische Kräfte sichern das Sternentor, aber wie der dynamische Prolog zeigt, ist es das Ziel von Abenteuern. Beim Versuch, in das Sternentor mit seiner anscheinend sternenlosen Dunkelheit in der Mitte einzudringen, wird ein kleiner Sportraumgleiter vernichtet und löst anscheinend indirekt eine vorprogrammierte, noch nicht absehbare Kettenreaktion aus. Die Menschheit versucht aus unterschiedlichen Interessen und vor allem mit unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen dieses Phänomen zu untersuchen. Wie bei einer klassischen Quest bewegen sich die unterschiedlichen Gruppen auf ein gemeinsames Ziel zu, wobei der Leser/ Zuschauer weiß, dass spätestens am Zielpunkt ihre so differenzierten Interessen Konflikte auslösen werden.

Das Autorenteam James Corey hat der Serie immer eine starke Charakterseite hinzugefügt, die aber teilweise im vorliegenden dritten Roman zerbröckelt und frustriert. Während auf der plottechnischen Seite nicht selten Klischees des Genres ausgebaut und extrapoliert worden sind, handelt es sich bei „the Expanse“ um eine der wenigen Serien, die in der Tradition Iain Banks vor einem futuristischen, aber niemals zu fremden Hintergrund über eingehende, sympathische oder unsympathische, aber auf jeden Fall identifizierbare Charaktere verfügt. Im vorliegenden dritten Band gelingt sogar die Balance, die vertrauten Figuren weiter zu entwickeln und neue, sehr unterschiedliche Protagonisten dem Kosmos hinzuzufügen.

Zu den neuen Charakteren gehören ohne Frage mit Anna und Bull zwei Kontrastpunkte. Anna ist eine Predigerin einer eher obskuren Religionsgemeinschaft, die ihre Partnerin und das gemeinsame Kind verlässt, um an Bord eines der offiziell ausgesandten Raumschiffe den Ring zu erkunden. Im Gegensatz zu vielen anderen Religionsvertretern agiert sie unwahrscheinlich bodenständig. Sie findet zwar schnell eine Gemeinde an Bord des bislang eher atheistischen Raumschiffes, sie differenziert aber zwischen ihrem Glauben und der gigantischen künstlichen Schöpfung, die sie dort draußen erwartet. Im Vergleich zu anderen religiösen Werken – siehe „The Sparrow“ oder der Perelandra Trilogie – versuchen die Autoren nicht, einen speziellen Glauben in den Vordergrund zu stellen, sondern sehen Annas Perspektive als Teilaspekt der menschlichen Vielfalt. Bull dagegen ist eher ein dynamischer Charakter, dessen Vorstellungskraft durch die gigantische wie fremde Schöpfung einer harten Prüfung unterzogen wird. Ob die Autoren ihn als eine Art Anti Jim Holden zu etablieren suchen, ist im vorliegenden Roman noch nicht zu erkennen, aber zumindest wirkt er dreidimensionaler als die Gegner, mit denen es Jim Holden als Getriebener insbesondere im Auftaktroman „Leviathan erwacht“ zu tun hatte.  Als Schreibtischtäter und Chef der Sicherheit sollte seine Vorgehensweise eine andere sein. Das ist nur bedingt der Fall, da Corey ihn in entscheidenden Augenblicken ähnlich hilflos zurücklässt.

Jim Holden ist neben seiner „Freundin“ der einzige Charakter, der in allen drei Romanen auftritt. Am Ende von „Calibans Krieg“ zumindest kurzzeitig mit Reichtum überschüttet, der es ihm ermöglicht, seine gestohlene marsianische Korvette „Rosinante“ – eine Anspielung auf zumindest ein Vorbild der Serie – mit modernsten Waffen auszurüsten und trotzdem Geld übrig zu behalten, wird wieder zum Spielball von Menschen/ Frauen, die sich an ihm rächen wollen. Holden als Spielball wirkt überfordert und seine reaktiven Handlungen nicht Ziel fördernd. Das er zum Beispiel den Ring für sich deklariert, obwohl die Botschaft geschickt aus dem eigenen Raumschiff heraus gefälscht worden ist, zeigt, wie sehr Corey Spannung aufzubauen sucht, die sich aber nicht plottechnisch fördernd erweist, sondern kurzweilig wie in einer Miniserie einen Nebenkriegsschauplatz beleuchtet, der relativ schnell wieder aufgelöst wird. Mit Naomi an seiner Seite verfügt der Roman über eine der Frauenfiguren, die sich degenerativ entwickeln. Anfänglich eine brillante einfallsreiche Ingenieurin, welche das alte Raumschiff mit Ideen und Klebstoff zusammenhielt, war sie immer in Holdens Schatten seine Freundin, Lebensabschnittbegleiterin und im vorliegenden Roman auch Verdächtige, die teilweise sogar in einer engen Zelle eingeschlossen worden ist. Sie tritt niemals aus dem zu kurzen Schatten Holdens und wirkt insbesondere im Vergleich zu Anna erschreckend eindimensional. 

 Handlungstechnisch steht noch stärker als in „Calibans Krieg“ im Fokus, aus der urpsrünglich geplanten Trilogie eine Serie zu machen. Also wird der grundlegende Plot noch frustrierender als im zweiten Buch nicht weiter vorangetrieben. Handelt es sich bei dem Ring um eine ultimative Waffe oder doch nur – wie suggeriert wird – um einen Weg zu den Sternen. Das die Erschaffer, die Fremden in keinem der bisherigen Bücher aufgetreten sind, ist eher positiv zu werden. Warum die Menschheit aus dem bisherigen Vorgehen der Fremden eine Einschränkung ihrer zukünftigen Bewegungsfreiheit ableiten, ist an keiner Stelle wirklich ersichtlich. Es gibt auch nur wenige Reaktionen des Rings auf das Eindringen von fremden Raumschiffen, die beginnend beim Prolog über fast sechshundert Seiten relativiert werden. Der Fokus fällt immer wieder auf die Menschen zurück, die sich verständlich als der eigene schlimmste Feind erweisen.  Schon „Leviathan erwacht“ und „Calibans Krieg“ haben sich auf einem schmalen Grad bewegt. Die Handlung so wenig wie möglich in der Breite voran schieben und Spannung fast ausschließlich auf den zahlreichen, allerdings zufrieden stellend strukturierten Nebenhandlungsebenen zu erzeugen. In „Abaddons Gate“ erreicht diese Vorgehensweise einen vorläufigen Tiefpunkt, denn zu wenig passiert im Überbau. Hier sollte und müsste im nächsten Roman eine Initialzündung erfolgen, damit die Serie nicht gänzlich langweilig wird.

Auch muss die angedeutete Verbindung zwischen menschlicher Unbedeutsamkeit – selbst als Sendbote aller irdischen Religionen – im Vergleich zu außerirdischer Schöpfung entweder konsequenter untersucht oder als Handlungsaspekt fallen gelassen werden. es wirkt frustrierend, wenn diese Nebenideen in jedem neuen Roman der Serie eingeführt und dann phasenweise ignoriert werden.

Auf der anderen Seite muss allerdings auch positiv etwas gesagt werden. In der Space Opera Science Fiction scheint ein sehr konträrer Prozess abzulaufen. Während die Comichelden die Leinwände erobert haben und dieser Erfolg sich wieder in den Roman widerspiegelt, verläuft die Entwicklung in der Science Fiction anders herum. „The Expanse“ ist zusammen mit „In die Dunkelheit“ aus der Feder Evan Currie und David S. Goyers/ Michael Cassutts „Himmels“ Trilogie die dritte sehr auffällige Serie, welche Mechanismen des amerikanischen Blockbusterkinos eins zu eins in eine Science Fiction Serie übertragen. Diese Vorgehensweise kann positiv oder negativ bewertet werden. Alle drei Serien verfügen über „gigantische“ Szenarien, größer als das Leben Ideen und überdimensionale Charaktere, welche sich den Herausforderungen zu stellen haben. Der Versuch, die Figuren allerdings mehr dimensional darzustellen, wird unterschiedlich gehandhabt, wobei das Autorengespann James Corey insbesondere Goyer/ Cassutt überlegen ist, während qualitativ Evan Currie den Schlusspunkt dieser Serien bildet. In allen drei fortlaufenden Science Fiction Epen werden bislang keine neuen Ideen generiert, sondern altbekannte Aspekte des Genres ins Überdimensionale gesteigert einer neuen Lesergeneration wie bei einem Remake als beliebten Klassikers – in diesen Fällen reicht der Bogen der Vorlagen aus der Pulpära bis mit „Ringwelt“ in die siebziger Jahre – auf nicht unbedingt neuartige, aber zumindest cineastisch kurzweilig goutierbare Art und Weise präsentiert. Wer mit dieser Einstellung an „Abaddons Tor“ herantritt, wird ohne Frage trotz der vielen kleinen Schwächen und den insbesondere in der zweiten Hälfte sehr mechanischen Actionszenen solide, aber an keiner Stelle herausfordernd inspiriert unterhalten. Es sind diese Serien, welche mehr Leser dem Genre zuführen und dafür sorgen, dass auch andere Science Fiction in deutlich kleineren Auflagen und bei anderen Häusern publiziert werden kann. In dieser Hinsicht sollte man auch dankbar auch. Es ist nur schade, dass insbesondere nach dem dynamischen „Leviathan erwacht“ Coreys Serie zu zerfransen scheint. Der Plot hätte bislang auf der Hälfte der Seite gut strukturiert erzählt werden können. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest im nächsten Band das Tempo angezogen und der mehrfach implizierte außerirdische „Sense of Wonder“ forciert wird. 

 .

.

 

Originaltitel: The Expanse Series - Abaddon's Gate Book 3
Originalverlag: Orbit
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski

Deutsche Erstausgabe

Paperback, Broschur, 624 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-52930-4