Vergangene Zukunft

Rainer Schorm & Jörg Weigand

Rainer Schorm und Jörg Weigand haben zum achtzigsten Geburtstag Thomas R.P. Mielkes einen bunten Strauß von Grüßen zusammengestellt. Das grundlegende Format hat sich im Laufe der letzten Jahre sowohl für Jubiläen, also auch leider Gedenkbände etabliert.

 Man nehme einen bunten Gruß von persönlichen Glückwünschen, dazu einige Sachartikel über Leben und Werk entweder gezielt oder gesamt sowie einige Kurzgeschichten, die entweder vom Jubilar inspiriert worden sind oder fiktive Personen seines Werkes weiterleben lassen.

 Thomas R. P. Mielke ist neben Hanns Kneifel der einzige Autor, der jahrelang sowohl zu Beginn Leihbücher als auch Heftromane geschrieben hat. In den achtziger Jahren etablierte er sich im Heyne Verlag als ambitionierter und vor allem auch ideenreicher Science Fiction Autor, bevor er über den visionären Politthriller – „Der Tag, an dem die Mauer fiel“ -  schließlich zu den historischen Romanen gekommen ist. Auch wenn Thomas R. P. Mielke ein wenig despektierlich über seine Heftromanzeit sich in verschiedenen Interviews geäußert hat, legte er diese Seite des Schriftstellers ebenfalls genau wie Hanns Kneifel niemals wirklich ab oder leugnete.

Herausgeber Jörg Weigand führt perfekt und pointiert durch Thomas R.P. Mielkes vielschichtige Karriere. Im Laufe des Bandes wird er noch dessen Spionagebücher als Auftakt einer Reihe von sachlichen und persönlichen Werkbetrachtungen eingehen.

Frank Schröpft eröffnet zwar den Reigen mit seinen für ihn so typischen Rezensionen, in denen er gerne aus dem Werk umfangreich zitiert, aber seinem Artikel fehlt das kritische Fazit.

 Professor Dr. Walter Gödden und Jörg Weigand gehen in ihren Beiträgen auf die literarischen Anfänge ein. Ein wenig unglücklich erscheint, dass Walter Gödden das „Gerücht“ mit dem Tannenzweig und Weihnachtspapier in seinem Essay aufgreift, während Jörg Weigand das anfänglich zu relativieren sucht. Die Aussagen Thomas Mielkes bestätigen aber zumindest eine Variation dieser Geschichte. Jörg Weigand will auf die vier Spionage Leihbücher eingehen, die Mielke unter dem Pseudonym Roy Marcus verfasst hat. Wie bei Franz Schröpf bleibt es frustrierend oberflächlich, auf zwei der Bücher wird gar nicht weiter eingegangen.  Auch Jürgen vom Scheidt reiht sich mit seiner Betrachtung des visionären Romans „Der Tag, an dem die Mauer brach“ ist die Reihe von Würdigungen ein, die eher auf einer freundschaftlichen Ebene ablaufen. Wer die fast rudimentär vorgestellten Bücher nicht kennt, findet nur bedingt den Punkt, um sie in erster Linie antiquarisch zu erwerben. Und das ist angesichts der Qualität eher schade.

 Die persönliche Ebene eröffnet einen Blick hinter die Kulissen des erfolgreichen Autoren, der gerne über „Menschen“ geschrieben hat, wie er Astrid Ann Jabusch in einer ersten kurzen Nachricht auf ihre Frage nach Katzenbüchern mitteilte. Auf nur wenigen Seiten fasst sie eine ganze Reihe von Reisen an die exotischen und doch auch gastfreundlichen Plätze dieses Planeten an der Seite ihres Lebensgefährten zusammen. Karl- Ulrich Burgdorf schließt sich mit wenigen Anmerkungen zu Mielkes Einfluss auf die „Terranauten“ an, obwohl Thomas R.P. Mielke nur mit für das Konzept verantwortlich gewesen ist, ohne eine Roman zur Heftroman- und Taschenbuchreihe beizusteuern.

Überwiegend Hans- Dieter Furrer spricht in „Zwei Eidgenossen im Sakriversum“ von drei Begegnungen mit Thomas R.P. Mielke auf verschiedenen Cons. Dabei kommt angesichts der Gäste fast Wehmut auf. Zeitgleich mit der Publikation seiner Bücher im Heyne erlebte auch das Fandom noch einmal eine Blütezeit.

 Klaus N. Frick schreibt über ein Interview, das er vor vielen Jahren mit Mielke in Berlin geführt hat, während Rainer Schorm den Reigen von Beiträgen eröffnet, in denen heute Schriftsteller über die direkte oder indirekte Inspiration vor allem „Der Terranauten“ schreiben. Gustav Gaisbauer ist einer der wenigen Autoren, die sich in Form einer Preisverleihung auch ein wenig mit dem Werbetexter Thomas R.P. Mielke auseinandergesetzt hat. Die kurze Laudatio wird mit einer Auflistung seiner Zauberkreis Heftromane abgerundet, so dass Jäger und Sammler auf die Pirsch gehen können. Hinzu kommt Marianne Labisch, die Thomas Mielkes Mitarbeit an der Entwicklung des Kinderüberraschungseis auf eine humorvolle Art und Weise präsentiert.

 Es finden sich auch einige Kurzgeschichten in diesem Jubiläumsband. Sabine Frambach eröffnet mit „Herr Lauffers Stunde“ den literarischen Teil. Ein Sanduhrmacher wird von unterschiedlichen Parteien mit sehr differenzierten Interessen gefragt, die Menge an Sand in seinen Uhren zu verändern. Entweder um die Zeit schneller fließen zu lassen oder den Menschen mehr Zeit zu schenken oder zu geben. Stilistisch ansprechend mit einigen pointierten Seitenhieben auf Teile dieser vorindustriellen Gesellschaft, die sich auch in die Gegenwart übertragen lassen.  

 „Hunger“ von Rainer Schorm ist eine Hommage an Mielkes historische Geschichten wie auch die Faszination kirchlicher Bauwerke. Die Protagonisten kommen Ungereimtheiten auf die Spur, wobei die Erklärung phantastisch ist. Die Idee der mächtigen Kathedralen und ihren Bau für die Ewigkeit nimmt Sabine Frambach in ihrer zweiten Geschichte „Die Geschichte des Lehms“ wieder auf. Die Ambitionen sind größer als die Form, so dass der Gedanke an die Ewigkeit in mehrfacher Hinsicht zwar angesprochen, aber nicht gänzlich zufrieden stellend abgehandelt worden ist. Eine Novelle wäre für diese Idee ein perfekter Rahmen gewesen. 

 Monika Niehaus scheint sich eher an Thomas R P. Mielkes kriminalistischer Kurzgeschichte zu orientieren, für die er den ersten Deutschen Science Fiction Preis erhalten hat. Als Spezialistin für Miniaturen präsentiert sie auf nicht einmal vier Seiten einen Mord und dessen Aufklärung.  In ihrer zweiten Arbeit trifft Gilgamesh in „Der Himmelstier“ auf hilfsbereite Geister in Donnas Kaschemme. Die Geschichte ist länger als die üblichen Miniaturen der phantastischen Bibliothek aus Wetzlar, was der Handlung und der Zeichnung der Protagonisten sehr gut tut. 

 Frank G. Gerigks „Frohlocken“ passt nicht direkt zu Mielkes Werk. Ab die Satire mit einer emotionalen Haushaltstechnik und einer fast perfekt futuristischen Mittelstandsfamilie liest sich ausgesprochen kurzweilig.

 „Ein Gleichnis mit mehreren Bekannten“ wird von Gisbert Haefs präsentiert. Pointiert und zynisch rechnet er mit verschiedenen sozialen Gruppen in der Bundesrepublik ab, die an einem schwer verletzten Abgeordneten vorbeiziehen. Jeder achtet auf die eigenen Scheuklappen.

 Udo Weinbörner baut in „Alte Meister“ Thomas R.P. Mielke von seinem achtzigsten Geburtstag an selbst in die Handlung ein. Er soll zusammen mit anderen Künstlern die Welt der Kultur retten und wird zu einem besonderen Project ins Silicon Valley eingeladen. Der Autor nutzt eine bekannte Idee auf eine originelle Art und Weise. Mit seiner Altersweisheit und trotzdem einer beständigen Neugier neuem gegenüber ist Mielke die dominierende Figur dieser kurzweiligen Geschichte, wobei dessen Lösung für das Problem – Grass statt Shakespeare – mindestens ein Augenzwinkern zum Leser verdient hat. 

 Kai Riedemanns „Tod zwischen den Sternen“ setzt sich aus Thomas R. P. Mielkes Romantiteln zusammen. Diese sind gut in den Handlungsbogen integriert. Auch Kai Fockes „Friede- seit 2062“ nimmt Motive aus Mielkes „Grand Orientale“ als Ausgangsbasis. Der Autor fügt eine persönliche Note seiner Kurzgeschichte hinzu.

 Helmut Ehls „Am Set von „Der Schatz im Silberkanal““ ist im Grunde eher eine Parodie auf den eitlen Karl May, der in den sechziger Jahren an der Verwirklichung seiner eigenen Werke auf der großen Leinwand mitwirkt. Der Bogen reicht von leicht zu erkennenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens über Anspielungen auf die junge Marion „Darkover“ Zimmer Autorin bis zu einem furiosen Finale mit einer außerordentlichen Handlung für die so beliebten Prequels.

 Zu den schwächeren Texten gehört Hans Jürgen Kuglers „Aussterben“. Ein Schriftsteller wird von seiner Frau verlassen und freundet sich mit neuen Haustieren an. Selbst in der Tagebuchform ist die nicht unbedingt originelle Pointe viel zu früh zu erkennen.

 Karla Weigand präsentiert mit „Brautfahrt ins Ungewisse“ eine historische Geschichte. Ein junges Mädchen wird zu dem ihr unbekannten Bräutigam nach Versailes quasi per Kutsche verschifft. Die Details dieser stringenten Geschichte sind überzeugend herausgearbeitet, wobei der Funke der Sympathie zu der Protagonistin nur schwer überspringt.   

 Auch Achim Wickenhäuers „Lokis Rat“ ist eine historische Geschichte. Sie spielt in der Wikingerzeit. Kompakt ohne großartige Dialoge versucht der Autor die damalige Stimmung und Stimmungen, den Mut und die Tapferkeit, aber auch den Glauben und Aberglauben in wirklich geballter und deswegen nicht immer leicht zu lesender Form wiederzugeben.

 Werner Zillig beendet nicht nur diesen Gratulationsreigen, sondern auch den literarischen Bereich mit „Der späte Ruhm“. Die Protagonistin hat nicht nur mit siebzig Jahren erst angefangen, Science Fiction zu schreiben, anlässlich ihres Ehrentages soll ihr in nächster Zeit ein besonderer Preis verliehen werden. Gute Dialoge, kurzweilig geschrieben und mit einem Augenzwinkern hat Werner Zillig ein gutes Schlusswort verfasst.   

 Herausgeber Michael Haitel erinnert sich an drei mittelbare Begegnungen mit Thomas Mielke und seinem Werk, wobei er im Grunde den Faden aufnimmt, den der Jubilar mit seiner überkritischen Rezension bei Amazon angesichts der Veröffentlichung von „Die Stille nach dem Ton“ hinterlassen hat. Jörg Weigand hat ja zu Beginn impliziert, dass der Bruch zwischen Wolfgang Jeschke und Thomas R.P. Mielke in erster Linie vom Herausgeber der Heyne Science Fiction ausgegangen ist. Michael Haitels Beitrag könnte auch das Sprichwort unterstreichen, das man sich immer eher in der Mitte trifft.

 Dietmar Kugler und Karla Weigand sprechen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber einem gemeinsamen inhaltlichen Tenor ein schwieriges Thema an. Wie authentisches bzw. wie literarische frei(zügig) darf ein historischer Roman sein. Es ist schade, dass keiner der beiden Autoren auf die Besonderheiten in Thomas Mielkes historischem Werk eingeht. Dietmar Kugler beschreibt an einem negativen Beispiel, wie sinnfrei Autoren manchmal die rudimentären Fakten mit ihrem eigenen Unwissen anreichern, während Karla Weigand zwar auf die Notwendigkeit der Recherche eingeht, aber auch irgendwie aufzeigt, dass sie wie andere Autoren in ihren Romanen auch eine Reihe von Klischees gemäß der Erwartungshaltung der vor allem anscheinend weiblichen Lesern zu befriedigen suchen. Bitter ist, dass Karla Weigand ausgerechnet zu Karl, dem Großen ein Negativbeispiel von falscher Geschichtsschreibung aufführt, aber eben nicht auf Thomas Mielkes Karl, der Große Epos eingeht.

 „Vergangene Zukunft“ ist eine solide Hommage/ Würdigung Thomas R.P. Mielkes. Sein umfangreiches Werk wird dabei erstaunlich oberflächlich betrachtet. Anscheinend wenden sich die Autoren an Gleichgesinnte, die viele der kurz vorgestellten Romane mindestens flüchtig kennen. Wer mit dem Autoren bislang wenig Berührung gehabt hat, wird nicht unbedingt motiviert, tiefer in die Materie einzusteigen. Die persönlich respektvollen Anekdoten lesen sich in dieser Hinsicht sehr viel besser. Die Stärke sind die vielen humorvollen Kurzgeschichten, in denen eine thematische Bandbreite präsentiert wird. Ohne immer direkt auf den Jubilar Bezug zu nehmen, findet sich in dieser Hinsicht für jeden Geschmack ein passender Hut.

 Schade ist, dass es so gut wie keine Fotos gibt. Einige Bilder aus den fünfziger oder sechziger Jahren mit einem Thomas Mielke Science Fiction Fan oder vielleicht einige Bilder von seinen Reisen um die Erde hätten das Buch optisch aufgelockert und den Menschen Mielke dem Leser näher gebracht.   

  

VERGANGENE ZUKUNFT: Thomas R. P. Mielke zum achtzigsten Geburtstag

  • Taschenbuch: 216 Seiten
  • Verlag: p.machinery (11. März 2020)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3957651859
  • ISBN-13: 978-3957651853
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