Sex im 21. Jahrhundert

Milton Subotzky & Michel Perry

Der Apex Verlag legt die in den achtziger Jahren bei Goldman veröffentlichte und von Michel Parry sowie Milton Subotsky zusammengestellte Anthologie „Sex im 21. Jahrhundert“ eben für dieses Jahrhundert neu auf. Der aus elf Kurzgeschichten von neun Autoren bestehende Band bildete ist Teil einer kleinen Reihe von Anthologien mit erotischen Gesichten. Thomas Landfinger machte schon in den siebziger Jahre dank „Liebe 2002“ den Auftakt. Die Anthologie ist sowohl in der kurzlebigen Fischer Orbit Reihe wie auch als „Sex im All“ unvollständig im Goldmann Verlag nachgedruckt worden. Es folgten Thomas le Blancs „Eros“ im Rahmen seiner Sternenanthologien oder noch Michael Kubiaks „Höhenflüge“.

 Die beiden Herausgeber fassen in ihrem kurzen Vorwort den Inhalt der meisten Texte aus den fünfziger bis siebziger Jahren zusammen, ohne auf die Autoren einzugehen. Im Anschluss findet sich eine Reihe von erotischen Kleinanzeigen, die aber nur bedingt originell sind.

 Robert Silverberg und Robert Sheckley sind mit jeweils zwei Kurzgeschichten vertreten.

Der Erstere eröffnet die Anthologie mit „Einer mehr in der Herde“. Ein pubertierender Teenager scheint über telekinetische Kräfte zu verfügen. In seinen erotischen Träumen malt er sich spektakulären Sex aus, während er seine Gabe verfeinert. Allerdings sieht er sich mehr als Poltergeist. Als seine Traummitschülerin auf ihn aufmerksam wird, verändert sich alles. Der Autor impliziert schon die Auflösung der kurzweilig zu lesenden Geschichte, wobei insbesondere sein fast besessener Charakter die Fallstricke auch ahnen müsste. John Novotny wird in seiner Geschichte „Seine besondere Gabe“ die Idee einer übernatürlichen Fähigkeit weiter verfeinern.

 Mit ihren jeweils zweiten Geschichten setzen sich sowohl Robert Silverberg als auch Robert Sheckley mit dem Thema Liebe auseinander. Silverberg präsentiert mit „In der Gruppe“ eine moderne Lebensordnung. Die Reichen können sich nicht nur innerhalb von Sekunden an jeden Ort der Erde bewegen, sie bilden Gruppensexlebensgemeinschaften, bei denen zwei Menschen Sex miteinander haben und das Erlebnis mittels virtueller Realität teilen. Schwierig wird es nur, wenn sich ein Mitglied der Gruppe unsterblich in seiner Partnerin verliebt und sie so für sich alleine haben möchte.

 In Robert Sheckleys Geschichte „Blind vor Begierde“ – der Originaltitel „Love, Incorporated“ ist deutlich passender – sucht ein naiver Kolonist die Erde auf, um wahre Liebe zu finden. Sie wird ihm in einer perfekt simulierten Form angeboten. Silverberg zeichnet seine Protagonisten deutlich dreidimensionaler und versucht die innere Unruhe des fast vor Liebe blinden Mannes eindrucksvoll darzustellen, während um ihn herum die Welt ihrem Vergnügen frönt. Höhepunkt scheint eine Art Schocktherapie zu sein. Sheckley ist der Satiriker, der nicht selten mit kleinen spitzen Bemerkungen in Nebensätzen die damalige wie gegenwärtige Kommerzialisierung auf eine absurde Spitze treibt und damit deutlich macht, das alles nur eine Frage des Geldes und weniger der Emotionen ist.

 In Kombination mit seiner zweiten Kurzgeschichte „Spüren Sie etwas, wenn ich dies mache“ zeigt der Amerikaner ein zynisches Weltbild. Eine Frau erhält einen Multifunktionsstaubsauger als Geschenk, der im Grunde auch der perfekte Diener sein könnte. Während in „Blind vor Begierde“ der Mann als leichtgläubiger Trottel der Reklame erliegt, ist die Frau im anderen Text mit ihrer unterkühlten Art nicht nur in der Lage, das Spiel zu durchschauen, sondern auch profan wie effektiv zu durchkreuzen.

 „Seine besondere Gabe“ von John Novotny ist einer dieser typischen Geschichten, welche „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ dominierten. Der Plot impliziert, dass jeder Mensch eine besondere Gabe hat, die er entweder nützlich oder sinnfrei einsetzen kann. Humorvoll pointiert zeigt der Autor die unterschiedlichen Gaben, auf, um während des Finals natürlich die Männlichkeit in Frage zu stellen. Einige der unfreiwilligen Aktionen würde heute als sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz wahrscheinlich eher juristisch verfolgt werden.  

 Charles Beaumonts „Nicht normal“ ist die dunkelste Story der Sammlung. In einer nicht näher bestimmten Zukunft darf es nur noch homosexuelle Partnerschaften geben. Die Heterosexuellen werden als pervers abgestempelt, im Untergrund gejagt und umerzogen. Der Protagonist trifft sich mit seiner als Mann verkleideten Liebe in einem Club. Der Pessimist Beaumont entlarvt die Propaganda der Medien; die Rassenvorurteile und eine fatalistische als zynische Fassade, um die Bevölkerung gänzlich unter Kontrolle zu bringen. Intensiv, packend und vor allem auch kompakt originell.

 Isaac Asimovs „Liebe- was ist das?“ wurde schon in Thomas Landfingers „Liebe 2002“ das erste Mal veröffentlicht. Mit viel Sinn für Humor parodiert der Amerikaner die Klischee aus Pulpmagazine. Nur aus der Perspektive der schleimigen pflanzenartigen Monstren, welche verzweifelt versuchen, den Menschen zu verstehen. Isaac Asimov legt die Finger in die Wunden der billigen Unterhaltungsliteratur und zeigt auf, wie schwer es für Außerirdische wirklich ist, die Menschen zu verstehen. Im Umkehrschluss hält der Autor natürlich auch seinen Lesern eine Art Eulenspiegel ins Gesicht.  Der Playboy hat laut Thomas Landfinger diese Satire auf das Pulpgenre bestellt, während einige andere Geschichten dieser Anthologie wie zum Beispiel Robert Sheckleys Arbeiten an angekauft worden sind.

 Miriam Allan deFords „Der Ausweg“ beschreibt auch das schwierige Verhältnis zwischen den Menschen und schleimigen mit Tentakeln ausgestatteten Außerirdischen. Dieses Mal aus der Sicht eines Botschafters auf der Erde, der nicht nur mit der Lebensweise der Menschen nicht zurecht kommt, sondern schließlich aus lauter Verzweifelung kriminell wird, um wieder nach Hause zu kommen. Die Autorin steigert konsequent das Tempo, die Szenen werden immer absurder und die finale Verzweifelungstat ist eine wunderbare Hommage eben an die Pulpära und stellt Isaac Asimovs Geschichte positiv gesprochen auf den Kopf.

 Das schwierige Verhältnis zwischen Mann und Frau bietet eine umfangreiche Spielwiese für die Autoren. Fritz Leibers „Spiele im Liebesnest“ ist eine subversive Story, die sich nach und nach zu einem Psychothriller entwickelt. Der Protagonist nimmt eine sehr attraktive verheiratete Frau mit ins Hotelzimmer. Nur stellt sich heraus, dass sie erstens tatsächlich kein Mensch ist und zweitens von ihrem eifersüchtigen Ehemann mit einem besonders explosiven Geschenk ausgestattet worden ist. Die Spannungskurve ist überzeugend ausbalanciert und Fritz Leiber ist ein vor allem subtil vorgehender Autoren, der mit überdurchschnittlich gezeichneten Figuren in alltäglich erscheinenden, aber sich dann fast explosiv in eine andere Richtung entwickelnden Situationen ausgezeichnet unterhält.

 Wie in Robert Sheckleys „Spüren Sie etwas, wenn ich das mache?“ ist auch die Frau in R.J. McGregors „Ein perfekter Gentlemen“ nicht einfach. Eine Lehrerin auf einer Vergnügungstour im All, welcher der Erste Offizier des Raumschiffs einen Schritt zu weit geht. Mit einem Rettungsboot flieht sie zu einem paradiesischen Planeten und kann sich quasi ihren neuen Mann dank der Bordrationen selbst züchten. Vor allem die Idee, das sich die Frau während der Wachstumsphase ihren Mann frei gestalten kann, ragt aus dieser kurzweilig zu lesenden Story heraus.

 Alain Doremieuxs Story „Die Vana“ erschien ebenfalls schon in „Liebe 2002“. Die Menschen entdecken auf einem fremden Planeten eine tierähnliche Spezis, die wie gut gebaute menschliche Frauen aussehen. Auf der Erde müssen die Männer bis zu ihrem 30. Lebensjahr im Zölibat leben, so dass diese „Tiere“ begeistert aufgenommen werden. Sie sind genügsam bis devot, stellen keine Ansprüche und können in der Theorie auch jederzeit abgelegt werden. Der Plot setzt sich mit der Frage auseinander, was mit einem emotional unterentwickelten Menschen passieren kann, der sich in seine Vana verliebt. Eine gut geschriebene emotional überzeugende Geschichte mit nicht nur realistischen Protagonisten, sondern vor allem keiner abschließenden moralischen Botschaft.

 Zusammengefasst ist „Sex im 21. Jahrhundert“ weniger eine pornographische Sammlung von Geschichten – das Titelbild der Goldmannausgabe überspannt vielleicht sogar den Bogen-, sondern eine Ansammlung erotisch angehauchter, niemals explizierter Texte, bei denen es vor allem auch um das Zwischenmenschliche geht. Die Neuauflage dieser spät im Goldmann Science Fiction Programm publizierten Anthologie öffnet auch den Blick auf eine Reihe von guten bis überdurchschnittlichen Autoren, die im 21. Jahrhundert fast keine Veröffentlichungsplattform für ihre überdurchschnittlichen Werke gefunden h

SEX IM 21. JAHRHUNDERT - Erotische Science-Fiction-Erzählungen - Milton Subotzky, Michel Parry

Sprache: Deutsch

ISBN: 9783750240520

Format: Taschenbuch

Verlag: Apex

Seiten: 240