Clarkesworld 169

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke trauert um einen Verwandten und Freund, der ihn zur Science Fiction gebracht hat. Es sind eindringliche, aber nicht zu emotionale Worte, welche die Bedeutung von Menschen im eigenen Leben in das richtige Licht rücken.  Es ist gleichzeitig der 14. Geburtstag des Magazins. Eine beeindruckende Leistung von Neil Clarke und seinem Team.

Die Interviews haben es in sich. Für Rebecca Roanhorse ist es gar nicht so einfach, ihr bisheriges Werk und ihre Ideen zur Geltung zu bringen, weil Arley Sorg in der gleichen Ausgabe mit Kim Stanley Robinson einen Giganten des Genres interviewt, der mit seinen ökologischen Thrillern immer wieder für provokante, von der Wirklichkeit eingeholte Warnungen gesorgt hat. Kim Stanley Robinson kann über seine mannigfaltigen Erfahrungen genauso berichten wie über seinen neuen Roman. Dabei sieht er sich als durchschnittlicher Amerikaner, der mit viel Recherche seine Lesern aufklären, aber nicht belehren will.

Insgesamt sieben Geschichten ohne einen einzigen Nachdruck bilden aber den Kern der Oktober „Clarkesworld“ Ausgabe.

Die Ausgabe wird von „Callme and Mink“ aus der Feder Brenda Coopers eröffnet. Maria trainiert in einer Welt, die eher an die Zeit nach einer unbestimmten Katastrophe erinnert, Hunde. Sie hat selbst noch zwei Hunde über. Im Laufe des Plots stellt sich heraus, dass Maria ein Roboter ist. Trotzdem sucht sie für die jungen Hunde ein Heim, das ihnen auch Sicherheit verspricht.

Science Fiction Geschichten über Hunde sind nicht unbedingt selten. Gute Storys mit dieser Thematik sind selten.  Brenda Cooper verzichtet auf einen ausführlichen Hintergrund. Alle Informationen sind spärlich. Hinzu kommt, dass bis auf Maria die meisten menschlichen Charakter rudimentär entwickelt worden sind.

Dafür ist die Atmosphäre allerdings abhängig von dem fragilen Hintergrund stimmig. Die Autorin versucht die einzelnen Aspekte überzeugend herauszuarbeiten. Menschen brauchen „Freunde“, Begleiter und/ oder Helfer. Ihre Hunden schenken das alles. Aber Maria ist so menschlich, dass sie die Tiere nicht abgeben kann oder will. Die Suche ist der Kern dieser Story.  Ihr grenzenloser Optimismus macht aus dieser Story eine bedingte Variation von David Brins nicht unumstrittenen Roman „The Postman“, wobei Brenda Copper zusätzlich ein Thema aufgreift, das auch momentan allgegenwärtig ist.  Tierschutz.

Natalia Theodoridou hat immer wunderschöne lange Titel für ihre Geschichten. „To Set at Twillight In a Land of Reeds“ beschreibt die Reise Doras in eine ländliche Umgebung, in welcher Roboter leben.  Sie soll die Dorfvorsteherin reparieren. Dazu sind die Roboter nicht in der Lage.

Wie die Auftaktgeschichte konzentriert sich die Autorin vor allem auf Stimmungen.  Dora hat ihre Geliebte verloren und versucht diesen Verlust mit Arbeit zu kompensieren.  Der Kontrast zwischen dem Landleben und der Stadt wird exemplarisch, aber auch ein wenig verklärt dargestellt.

Beide Geschichte verbindet, dass es kaum einen Unterschied zwischen Mensch und Maschine gibt. Beide Autorinnen verzichten auf wissenschaftliche Extrapolationen oder gar moralische Standpunkte. Sie stellen einfache alltägliche Dinge gegeneinander. Dadurch leiden die in beiden Fällen eher marginal entwickelten Hintergründe. Auf der anderen Seite wirken die gut geschriebenen Texte aber dadurch auch zeitloser und ambivalenter zugleich.

Auf der emotionalen Seite ist es ein schmaler Grat zwischen Kitsch und wahren Gefühlen. Die Autorinnen gehen mit ihren Texten auch ins Risiko. Die utopischen Elemente sind wie bei den besten Clifford D. Simak Storys unwichtig und austauschbar. Es sind allgemein gültige, erstaunlich positive Botschaften selbst vor der ultimativen Katastrophe, welche die Storys lesenswert machen.  

Gregory Feeleys „Wandering Rocks“ ist die erste Geschichte dieser Ausgabe, die klassische Science Fiction Motive verwendet. Koishi ist ein Student an Bord des Raumschiffs CENTAUR, das mindestens die meisten Menschen an Bord, die einmal in der Neptunnähe gesiedelt haben. Möglicherweise auch alle Reste der Menschheit.  In diesem Punkt bleibt der Autor genauso ambivalent wie alle anderen beiden Autorinnen.  Vor drei Jahren hat eine kleine Gruppe von Menschen allerdings das Raumschiff verlassen und lebt „woanders“.  Zusammen mit einer künstlichen Intelligenz – ENTITY genannt – soll Koishi nach den Menschen suchen.

Die Geschichte wirkt wie der Auftakt zu einer Novelle oder einem Roman. Auf wenn auf den ersten Blick alle Fakten und Hintergründe offenbart werden, wirkt der Abschluss abrupt. In diesem Fall funktioniert aber die Kurzgeschichte nur mit einem umfangreicheren Hintergrund. So ist Koishis Suche zweigeteilt, ohne zu viel vom Plot zu verraten.

Koishis Handlungen haben im vorliegenden Text keinen Einfluss. Im Grunde brauchen sie auch nicht stattzufinden. Der Hintergrund der Mission ist derartig vage, dass es frustrierend erscheint.  Auf jede Herausforderung und jedes Problem wird keine Antwort oder Lösung gesucht, sondern quasi von oben ein Ausweg über die Handlungen des Protagonisten gestülpt.

Alleine Koishi als natürlich Zweifler sowie die rudimentär entwickelten Hintergründe haben den Text ein wenig qualitativ an. Wahrscheinlich könnte die Geschichte als Roman abschließend durchdacht besser funktionieren und mit der guten Ausgangssituation den Leser eher begeistern.   

Herausragend ist Greg Egans „You and Whose Army?“ Vier Brüder erhalten illegal Implantate in ihrem Gehirn. Sie können quasi ihre Erinnerungen austauschen. Einer der Brüder geht plötzlich offline  und taucht unter. Die drei verzweifelten Brüder versuchen ihn zu finden.

Greg Egan ist einer der besten Science Fiction Autoren, wenn es um die Verbindung von nahe in der Zukunft liegender Technik und menschlichen Komponenten geht. Dabei konzentriert er sich auf die emotionalen Aspekte seiner nicht selten vom Leben gezeichneten Figuren und baut daraus ein vielschichtiges wie realistisches Szenario. Die Detektivgeschichte dient dabei als Mittler zu den normalen Lesererwartungen. Sie dient als eine Art roter Faden. Die Protagonisten sind alle ausgezeichnet charakterisiert worden. Greg Egan belässt es bei einer ambivalenten Haltung gegenüber den Figuren. Er gibt keine Antworten, seine vier Brüder haben Recht und Unrecht zugleich. Hinzu kommt, dass der Autor eine wirklich zufriedenstellende Auflösung anbietet.

Xiu Xinyus „All Living Creation“ ist eine Übersetzung aus dem Chinesischen von Elizabeth Hanlon. Die Menschen tragen Schutzanzüge, damit ihre genetischen Informationen nicht gestohlen werden können. Die Schwester der Erzählerin will diese Isolation nicht mehr hinnehmen und beginnt sich zu wehren. Das löst eine Kettenreaktion aus, an  deren Ende es zu einer Revolution kommt. Das wirkt allerdings überzogen. Der Autor springt zwischen den einzelnen Handlungsebenen hin und her. Die Struktur ist schwer zu greifen, auch wenn die Ausgangsbasis der Geschichte ausgesprochen interessant ist.

Das größte Problem ist die Ambivalenz der Erzählerin. Sie hat anscheinend zusätzliche Motive, um den Status Quo zu erhalten, könnte aber diese frei Verteilung genetischer Informationen für sich ausnutzen. Aus diesem Aspekt macht der Autor abschließend zu wenig.

D.A. Xiaolin Spiries passt sich dem grundlegenden Thema dieser Ausgabe – die Suche nach einem Hort des Friedens in einer aus den Fugen geratenen Welt – sehr gut aus. Nach dem Tod ihrer Mutter trägt die Erzählerin die Asche quasi an ihrem Körper, versteckt unter einer künstlichen Haut. Sie will die Asche zu ihrer Begräbnisstätte bringen. Allerdings ist die Urne mehr als ein Behältnis und zeigt Erinnerungen. Die Oberfläche enthält ein herausforderndes Puzzle, das die Mutter vor ihrem Tod konzipiert hat.

Das Rätsel ist wahrscheinlich der schwächste Aspekt des ganzen Buches. Es wird durch einen Zufall gelöst. Aber die Reise inklusiv der intensiven Beschreibungen gleichen diese Schwäche überzeugend wieder aus.

Adrastos Omissi schließt die Ausgabe mit seiner Geschichte „Ashes Under Uricon“. Kriegsmaschinen beherrschen die Erde und töten die restlichen Menschen. Kein originelles Ausgangsszenario. Die Protagonistin flüchtet auf der einen Seite vor den Maschinen, auf der anderen Seite scheint sie eher wie eine Reisende sich zu verhalten.  Sie findet einen wunderschönen Garten hinter den Ruinenfassaden eines Hauses, der von einem stoisch arbeitenden Roboter erhalten wird.

Die Pointe ist nicht nachhaltig genug, um erfahrene Leser zu überraschen. Dadurch verliert der Plot an Effektivität. Aber die Reise beinhaltet eine Reihe von eindrucksvollen Beschreibungen und visuellen Beschreibungen, welche diese Schwäche ausgleichen.

„Clarkesworld“ 169 ist vielleicht unabsichtlich eine sehr melancholische Ausgabe geworden. Die längeren Beiträge mit Greg Egan als herausragende Spitze überzeugen sehr gut. Viele der Kurzgeschichten vertrauen auch mehr auf stimmige Atmosphäre als einen durchgehenden Plot. Sie verfügen im Gegenzug allerdings über sehr gute Charaktere. Im Vergleich zu den letzten Ausgaben ist diese Geburtstagnummer aber deutlich überzeugender und zeigt auf, dass Neil Clarke seine kleine Schwächephase vielleicht endgültig überwunden hat.     

Clarkesworld Issue 169

E Book, 112 Seiten

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