Das Geheimnis des Lamassu

Jacqueline Montemurri

„Das Geheimnis des Lamassu“ ist nicht nur Jacqueline Montemurris zweiter alleinstehender Roman innerhalb des magischen Karl May Orients, sondern auch inzwischen der neunte Band der Serie.

In „Der Herrscher der Tiefe“ spielte Kapitän Nemo und seine Nautilus eine wichtige Rolle. In „Das Geheimnis des Lamassu“  hat der populäre Jules Verne Charakter eine Art Cameo Auftritt. Stattdessen greift Jacqueline Montemurri mit Arthur Conan Doyle und seiner Inspiration Joseph Bell. 1877 arbeitete der junge Arzt Doyle als dessen Assistent und war fasziniert von dessen Kombinationsgabe. Dabei griff er lose auf Bell als Sherlock Holmes Vorbild zurück.  Hier kommt die abschließende Inspiration, Geschichten um einen Detektiv und einen Arzt zu schreiben von natürlich Kara Ben Nemsi.

Im ersten Drittel des Buches fügt die Autorin noch eine weitere, leider den Lesefluss auch ein wenig hemmende Anekdote hinzu. Im Schloss gibt es natürlich ein entsprechendes Gespenst, das nur Halef sehen kann. Es steckt hinter dessen Spuk eine tragische Geschichte und den Helden gelingt es, dessen Seele abschließend Frieden zu schließen. Auch wenn Karl Mays magischer Orient immer wieder mit übernatürlichen Phänomenen und mystischen Kreaturen auseinandersetzt, wirkt diese fast wie eine Kindergeschichte wirkende Episode unpassend.

Deutlich besser sind die Rückblenden in David Lindsays Jugend in Persien. Karl May hat den reisenden Briten ja immer wieder zu einer Witzfigur gemacht, die durch Walter Gillers überzogene Darstellung in den zahlreichen Filmadaptionen noch verstärkt worden ist. Viel Geld, ein großes Herz, aber im Grunde eine erschreckende Naivität bis an die Grenze der Dummheit. Mit diesen Einschüben gelingt es Jacqueline Montemurri der Figur mehr Tiefe zu verleihen. Im weiteren Verlauf des Buches handelt der Engländer zwar noch zweimal schnelle als er denken kann, aber den Szenen fehlt die Skurrilität der Originale und die Aktionen aus dem Affekt heraus sind auch besser durch den Hintergrund der Geschichte begründet.    

Der eigentliche Auftakt des Buches spielt wie schon eingeführt nicht im Nahen Osten, sondern in Schottland. Kara Ben Nemsi muss noch an die Hinterbliebenen eines in „Der Herrscher der Tiefe“ gefallenen britischen Soldaten Briefe übergeben. Dabei wollen sie das Schloss Sir David Lindsays Vater besuchen, da ihr Freund noch zu Ausgrabungen auf Kreta weilt.

Sie kommen aber zu spät. Sir David Lindsays Vater ist unter mysteriösen Umständen ermordet worden. Auf den ersten Blick schaut es so aus, als wenn er einen Herzinfarkt erlitten hat. Aber der herbeieilende Freund der Familie Arthur Conan Doyle vermutet schnell ein Gift dahinter.

Kurz nach der Beerdigung wird das Schloss von geheimnisvollen Attentätern überfallen und Davids Ziehschwester Anahita entführt. Ihre Herkunft steht mit Sir David Lindsays Jugend in Persien und der Aufgabe seines Vaters als britischer Botschafter in Persien in einem engen Zusammenhang.

Natürlich nehmen die Freunde die Verfolgung auf und eilen an Bord von Lindsays Schiff nach Persien, um seine Ziehschwester auf den Händen der Entführer zu befreien.

Nach dem viktorianisch gruseligen Auftakt in Schottland zieht die Autorin das Tempo konsequent bis in die Mitte des Buches an. Verfolgung von Schurken ist ja ein gerade zu klassisches Motiv nicht nur bei Karl May und wer den Roman auf das Handlungsgerüst reduziert, tut dem vielschichtigen, aber nicht immer effektiven Plot teilweise Unrecht. Vieles funktioniert ausgesprochen gut und trotz einer Reihe von aktiv benutzten Klischees und bekannten Versatzstücken wird der Leser ausgesprochen kurzweilig unterhalten. Andere Dinge ragen aber entweder negativ oder unerklärt aus dem Buch auch heraus. So gibt es gemeinschaftliche Alpträume, die abschließend nicht zufriedenstellend erläutert worden sind.  Auch die verbalen Ausflüge in die Vergangenheit endet quasi mit den McFlys, richtig fliegenden Teppichen. Da werden Helden zu Kindern. Aber der Name reißt trotz des originellen Wortspiels den Leser aus der stimmungsvollen Geschichte, in dem er unvermittelt an die „Zurück in die Zukunft“ Filme denken könnte.   

Die grundlegende Handlung ist wie erwähnt sehr stringent und im Grunde vorhersehbar. Die Entführung der jungen Frau aus England, die Motive sind bald erkennbar und es gibt im Kern nur schwarz und weiß. Das muss aber nicht grundlegend ein Nachteil sein, auch wenn sich Kara Ben Nemsi mehrfach eher naiv verhält und sogar von den Frauen gerettet werden muss. 

Es sind eine Reihe von Exkursionen und politischen Diskussionen sowie die einzelnen magischen Begegnungen. Beginnend mit Sir David Lindsays Steckenpferd führt die Autorin sehr viele magische Kreaturen ein. Dabei ist der böse Zauberer mit dem Wunsch nach Unsterblichkeit noch am Zugänglichsten. Der gutherzige Attentäter mit der Fähigkeit, Flammen abzuhalten oder sich wie ein Schatten durch die Nacht zu bewegen ist der Gegenentwurf. Dann wird auf gigantischen Kreaturen geflogen oder die magische Leuchte führt die Gefährten auf den richtigen Weg. Diese übernatürlichen „Werkzeuge“ werden effektiv bis zum Finale quasi unter einem magischen Abwehrschirm eingesetzt und bereichern die Handlung nicht um ihrer selbst willen.

Im Gegensatz zum absolut skeptischen Kara Ben Nemsi der Alexander Roeder Tetralogie hat dieser Reiseschriftsteller inzwischen akzeptiert, dass die Märchen aus „1001 und einer Nacht“ doch auf Tatsachen und nicht nur Legenden beruhen. Und die Sagen haben sehr lange historische Beine. Hier schöpft Jacqueline Montemurri noch mehr als in ihrem ersten Band der Serie aus dem Vollen. Da gibt es Zauberer und Götter; potentiell Unsterbliche und magische Gegenstände. Die Autorin bemüht sich, diese nicht um ihrer selbst willen einzusetzen, sondern nutzt sie zielführend im übertragenen Sinne Karl Mays.

Interessant ist auch der Zwiespalt des persischen Herrschers zwischen Tradition und Moderne. Dabei bedeutet Tradition auch, drakonische Strafen auszusprechen und umzusetzen, damit er das Gesicht nicht vor der Öffentlichkeit verliert. Auch wenn er vom bösen Zauberer entsprechend manipuliert wird. Die Autorin versucht dabei ein ambivalentes, vielleicht auch soziologisch verklärtes Bild des Orients zu zeichnen. Das macht sie vor allem an der Figur des Schah fest der am Ende in einen mehrfachen Gewissenskonflikt einbezogen wird, aber gesichtswahrend auf jeden Vorschlag Kara Ben Nemsis und Sir David Lindays eingeht. Irgendwo scheint er auch aufgrund seiner selbst gemachten Erfahrungen zu ahnen, dass ihm ein Königsweg angeboten wird.

Das aber auch die orientalische Machowelt vor ihrem Ende steht, impliziert der wieder in London spielende Epilog von Nina Blazon, in dem die Autoren ein weiteres Mal auf Arthur Conan Doyle und die bevorstehende Erschaffung Sherlock Holmes inklusiv dessen möglichen fiktiven Tod eingeht. 

Die Autorin  die Gefahren auch in einem fast obligatorischen Opfertod gipfeln. Auch wenn neben den Hauptfiguren noch eine Handvoll differenziert charakterisierter Protagonisten mehrfach in Lebensgefahr geraten, bevorzugt sie die Situation, dass man als tot gilt, aber nicht gestorben ist. Das ausgerechnet einer der interessantesten Nebenfiguren sterben muss, ist fast tragisch zu nennen. Auf der anderen Seite hat Jacqueline Montemurri natürlich auch die Schwierigkeit, nicht den letzten Schritt in dieser Alternativwelt Fantasy zu gehen und zum Beispiel Arthur Conan Doyle sterben zu lassen, bevor er sich mit Sherlock Holmes unsterblich gemacht hat.

„Das Geheimnis des Lamassu“ ist schließlich das letzte Rätsel des Buches über den Titel hinaus. Es fasst die vielen positiven Aspekte dieses trotz des bekannten Gerüsts kurzweilig zu lesenden Buches sehr gut zusammen. Im mittleren Abschnitt gibt  es trotzdem vor allem im Palast des Schahs einige Längen.  Die Standardlänge von ca. 480 Seiten hilft nicht immer und den Autoren sollte in dieser Hinsicht zukünftig mehr Flexibilität zugestanden werden. Trotzdem haben die Abenteuer in Karl Mays magischem Orient auch durch die Verbindung mit anderen fiktiven oder realen Figuren eine überzeugende Eigenständigkeit von den Vorlagen auf einem gehobenen Unterhaltungsniveau vor allem nach dem zu umfangreichen Vierteiler zu Beginn in den Einzelabenteuern erreicht.  

 

Das Geheimnis des Lamassu: Karl Mays Magischer Orient, Band 9

  • Herausgeber : Karl-May-Verlag Lothar Schmid GmbH (7. September 2020)
  • Sprache : Deutsch
  • Taschenbuch : 480 Seiten
  • ISBN-10 : 3780225093
  • ISBN-13 : 978-3780225092
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