Das Alien tanzt Walzer

Ellen Norten (Hrsg.)

Zum dritten Mal präsentiert Ellen Norton Geschichten aus einem heiteren Universum. Wie die Herausgeberin in ihrem Vorwort klarstellt, ist das musikalische Thema eher ein roter Faden. Stammautoren kehren aus den ersten beiden Bänden zurück, neue Schriftsteller reihen sich zur Musik ein.

Kai Focke eröffnet aber die Anthologie nicht musikalisch, sondern mit „Gastropoda galactiva“ eher botanisch. Eine riesige Schnecke befindet sich auf dem Kurs Richtung Erde. Anscheinend sehr durstig, denn ihren Hunger stillt sie unter anderem mit dem Verschlingen von Teilen des Asteroidengürtels. Überfordert suchen die Wissenschaftler Rat in einer Kleingartensiedlung. Passend illustriert liest sich Kai Fockes Garn kurzweilig  unterhaltsam, wobei der Leser nicht zum letzten Mal in den hier gesammelten Geschichten die eigentliche Pointe bei nicht einmal aufmerksamen lesen schnell erahnen kann.

Gard Spirlin präsentiert mit „Alles Walzer“ kein neues Thema, aber im Mittelpunkt steht die Komposition von insbesondere auch für Science Fiction Fans elementarer Musik. Ein Alien fängt einzigartige Musik aus „2001“ im All auf. Da es reich und unabhängig ist, macht es sich auf den Weg erst zur Erde und schließlich in die Vergangenheit. Das Ende lässt sich erahnen. Trotzdem besticht die Geschichte vor allem ebenfalls wie einige andere Texte dieser Sammlung durch die pointierten Dialoge, wenn auch die Technik ausgesprochen opportunistisch eingesetzt worden ist.

„Die Gabe“ von Stephanie Lammers spurtet auch relativ schnell auf die Pointe zu. Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Die Protagonistin arbeitet in einer Buchhandlung und liebt ihren Job. Aus der Kundentoilette kommen immer wieder leicht über dem Boden schwebende Menschen, die fremdartig und neugierig zu gleich sind. Zwischen den Angestellten gibt es eine Wette, wer einem der Besucher das richtige Buch „andrehen“ kann. Nicht immer eine leichte Aufgabe.  Als stimmungsvolle Miniatur überzeugt der Text durch die Liebe der Autorin und ihrer Protagonistin zum geschriebenen Wort, als Kurzgeschichte hätte eine weitere Ausarbeitung des Hintergrunds überzeugender gewirkt.

„Der achte Kontinent“ von Regine Bott ist eine der Geschichten, die während der Lektüre unterhalten und ausreichend anarchistisch sind, aber nach dem Finale nicht funktionieren können. Das muss auch den beiden Protagonisten klar sein, die gemeinsam zum Mond auswandern und als erste in die neuen Wohnungen ziehen wollen. Nur macht ein Immobilienmakler ihnen klar, dass nicht überall die Tinte trocken ist.  Das kindische Verhalten des Ehemanns mit seiner besonderen Unterhose und den Beruhigungstabletten schwankt zwischen peinlich und nicht nur für die Ehefrau peinsam. Da ist einiges an Slapstick dabei. Auch die Achterbahn der Gefühle ihrem Mann gegenüber erfordert vom Leser sehr viel Einfühlsamkeit und überschreitet die Grenze der Glaubwürdigkeit.  Positiv ist, dass der Leser sich irgendwie in die Zeit der Zucker Brüder und ihren Komödien wie „Airplane“ & Co. Erinnert fühlt.

Es ist nicht die einzige derartig überdrehte Geschichte der Anthologie, die den Bogen zu weit spannt, um noch glaubwürdig zu sein. Nikolaj Kohlers „Das Geheimnis der Unterhosen“ wirkt wie eine verdrehte Parodie auf die Monty Python Sketche. Die Unterhosen ihrer Majestät sind weg, der Geheimdienst schickt keinen Doppel Null Agenten oder wie man im Volksmund spricht, keinen Killer, sondern den besten Mann/ die beste Amöbe im Dienste ihrer Majestät. Der Anfang ist unterhaltsam, aber wie eingangs erwähnt überspannt der Autor irgendwann den Bogen und die Aufdeckung der Unterhosenverschwörung macht nur in einer Slapstick Komödie wirklich Sinn.

Auch wenn der Plot jeder Logik widerspricht, hebt sich Johnny Wallmanns „Die Nacht der Supernova“ positiv aus der Masse der Geschichten heraus. Ein Handleser, eine Kellnerin, ein verzweifelter Blumenverkäufer und ein fehlender Stern bilden das Korsett dieser seltsamen Geschichte. Die Charaktere sind mit viel Liebe zum Detail gezeichnet worden, einige der Situationen ausreichend humorvoll und das Finale im wahrsten Sinne des Wortes strahlend, ohne Antworten liefern zu können oder auch nur zu wollen.

Ellen Nortens „Der Klimagott“ enthält zwar eine warnende Botschaft eines der drei Götter an die Menschheit, aber die Autorin kann sich in der Kürze der Geschichte nicht richtig entscheiden, ob sie wie zu Beginn humorvoll bleibt, in dem sie die „Rollen“ der drei Götter definiert oder die Warnung vor der klimatischen Katastrophe in Form des Verzichts auf den Gottstatus in der Vordergrund stellt. Uwe Voehl treibt die auch von Ellen Norten angerissene Grundidee erzürnter Gottheiten mit dem die Sammlung abschließenden  „Der letzte Walzer“ auf eine perfekte zynische Höhe. Eine lustige Pointe, davor ein kurzer prägnanter Text und ein typisches Element für die österreichische Hauptstadt. Tanzen bis zum Ende.

„Wikinger vs. Indianer“ ist ein cooler Titel. Alisha Pilenkos Text leidet aber auch wie die Comicverfilmung „Cowboys vs. Alien“ unter dem zu statischen Ende. Bis dahin streift die Autorin positiv gesprochen eine Reihe von Klischees, die mehr oder minder lustig sind. Zu den besseren Abschnitten gehört die Idee, das es sich bei dem jetzt als Frachter genutzten ehemaligen Therapieschiff um eine gestandene K.I. handelt, die gerne an Freud erinnert. Die Kommandantin ist nicht nur chronisch pleite, sondern im Grunde chaotisch. Die Fracht ist ein seltenes Stück aus der markanten Wikingergeschichte, das gleichzeitig zu einem Familientreffen an Bord führt. Und die Indianer haben auch ihre Ansprüche. Die Dialoge sind überdreht und teilweise lustig, der Plot anfänglich rasant, aber dann geht der Autorin wirklich die Puste aus und sie versucht ein halbseidenes Happy End zu entwickeln.

 Wie „Wikinger vs. Indianer“ spielt Monika Niehaus Geschichte Alienwalzer“ nicht nur in Donnas Kaschemme, sondern auch an Bord eines heruntergekommenen Raumschiffs, das eine blinde Passagierin an Bord findet. Natürlich kommt es nicht nur wegen ihrer Verwandtschaft zu Problemen, an deren Ende die junge Göre nicht nur moralische Siegerin, sondern Initiatorin einer neuen Tradition ist. „Alienwalzer“ ist eine der schwächeren Geschichten um Donnas Kaschemme. Der Plot wirkt eher mechanisch, das Ende pragmatisch. Es fehlt der wirklich originelle Funke, der die Stimmung in der bekanntesten Kaschemme diesseits des literarischen Universums explodieren lässt.   

 Achim Stößers „Pater Anselems Marsmission“ spielt in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Der unorthodoxe Pater mit Afrikaerfahrung soll an Bord eines von Leonardo da Vinci gebauten Raumschiffs ins All vorstoßen. Nicht umsonst gibt es einen Hinweis auf STAR TREK und neue Schäfchen für Gott sammeln. Auf dem Mars stößt er bei den Marsianern auf intellektuelle Schwierigkeiten, wobei die Bewohner des roten Planeten relativ friedlich sind. Immerhin kommt von der Erde nicht der Ramsch wie von anderen Außerirdischen. Die Dialoge sind pointiert und das Universum, das Achim Stößer entwickelt, vielschichtig. Immer wieder finden sich kleine Hinweise wie auch Seitenhiebe auf bekannte Ereignisse. Die Idee der Massai Bekehrung zu Beginn der Geschichte ist die Lektüre wert.  Vor allem weil Achim Stößer keine perfekte Lösung präsentieren will und damit sowohl die Marsianer als auch der Pater ihr Gesicht wahren können. Am Ende wünscht sich der Leser, diesen stoischen Pater auf seiner nächsten Mission nach Phobos begleiten zu können.

Ins alte Rom eher durch eine Panne schickt Claudia Aristov ihre „Omega Inter Alia“. Der Plot ist nicht neu, das Ende auch nicht sonderlich überraschend, aber zumindest unterhält die Story kurzweilig hinsichtlich des vorauseilenden Wissens der Leser gegenüber den in der Zeit der Gladiatorenkämpfe feststeckenden Außerirdischen. Sprachlich fällt auf, dass die Autorin auf den Slang der Gegenwart zurückgreift, was die Leser aus der eher rudimentär entwickelten Atmosphäre zusätzlich herausreißt.

Deutlich interessanter ist Marcel Michaelsen „Erfindung des Klonkenes“. Ein Alien ist auf der Erde notgelandet und repariert auf einem Schrottplatz sein Raumschiff. In der kleinen Gemeinde ist er sympathisch angekommen. Die Jugendlichen bitten ihn, ihnen das Tanzen für den Winterball beizubringen. Er hat einen besonderen Tanzstil.  Lustig sind die Zitate aus dem Chatroom, als aus Versehen ein Video natürlich nicht in die Gruppe, sondern an alle Kontakte geschickt wird. Am Ende schließt der Autor seinen Plot zu schnell ab und vermeidet eine mögliche Konfrontation mit den Ordnungshütern.

Kornelia Schmids „KLA-4“  beginnt wie eine Parodie auf „Adel verpflichtet“ mit den schnell versterbenden Anwärtern auf den Thron. Allerdings verfliegt diese Dynamik im Laufe der Geschichte, wenn sich der Herrscher quasi getarnt unter das „Volk“ begibt. Die Autorin kann der Handlung bis auf einige gute Beschreibungen wenig Originelles abgewinnen.

Außerirdische Besucher spielen auch in Marianna Labisch „Brauchtum“ eine Rolle. Wie die staunenden Aliens in der Tanzschule ist die Begegnung mit einem Ruhrpottler eher ein Schock für sie. Neben dem breiten Akzent natürlich der obligatorische Besuch in der Kneipe. Auch wenn die Handlung nur wenig Neues präsentiert, bleibt der mit dem breiten Pinsel gemalte Ruhrpottler mit seinen Ansichten im Gedächtnis.    

Stoks „Echt tierisch“ spielt gekonnt mit den alltäglichen Ausdrücken, die einem Außerirdischen die blanke Angst auf die Stirn treiben könnten. Kurzweilig zu lesen, solide abgeschlossen, vielleicht nicht unbedingt von der Grundausrichtung her gänzlich originell, aber das spielt angesichts der Wortspiele eine absolut untergeordnete Rolle.

Nur wenige Autoren gehen wirklich auf den Titel der Anthologiereihe ein. Miklos Muhi stellt in „Das Sozialverhalten der Menschen“ klar, was Tanz im Allgemeinen und Tanzschulen im Besonderen sind. Natürlich aus der Perspektive eines forschenden Aliens. Einige seiner Beobachtungen sind zutreffend und entlarven nicht nur das Balzverhalten der Menschen, sondern die Angst der Jungs vor dem ersten Mal... auf dem Parkett. Da der Autor seine Geschichte als Studie geschrieben hat, entgeht er dem Verhängnis, den Plot nicht zu Ende führen zu können. Ein wenig sarkastisch, ein wenig belustigend wird der besondere Kosmos hinter den Tanzsaaltüren mit einem Augenzwinkern auf die obligatorische Schippe genommen. 

„Der Krisengipfel“ von Jasmine Mrugowski wirkt am Anfang wie eine brillante Satire auf die Gegenwart. Ein Außerirdischer erpresst den amerikanischen Präsidenten. Das weckt natürlich das Misstrauen einer Reihe von anderen Regierungschef, insbesondere Russland und Nord Korea. Die Pointe ist leider schwach und selbst Stephen King hat bei „Under the Dome“ feststellen müssen, dass sie im Grunde nicht mehr funktioniert. Es ist schade, dass die Autorin das Potential der ersten Seiten nicht wirklich heben kann.

Auch Nob Shepherds „Der Ekhsen- Prozess“ spielt vor einem intergalaktischen Gerichtshof, wo eine Expedition zur Erde für verschiedene dem Leser wohl vertraute Prozesse verantwortlich ist. Die Gerichtsverhandlung zeigt die wenigen Stärken, aber meisten Schwächen einer solchen Begegnung. Die daraus folgenden Abläufe negativer Art wirken anfänglich originell, aber am Ende ein wenig konstruiert. Der monetäre Sieger steht von Beginn an fest. Auch Georg Jansens „Eine galaktische Überraschung“ kann vom Plotablauf her wenig überzeugen. Auf der einen Seite wird ein Raumschiff für eine Expedition mit einem neuartigen Antrieb ausgestattet, auf der anderen Seite wollen drei Verbrecher das Raumschiff stehlen und verhökern. Eine Art Dumme-Jungen-Streich verhindert schließlich die Tat, wobei der Katalysator dieses Streichs nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ist. Der Leser kann auch bei dieser Story leider die Pointe viel zu schnell erahnen. Ein Manko, unter welchem eine Reihe der hier gesammelten Storys leiden.    

Drei Geschichten setzen sich mit Schriftstellern auseinander. Wolfgang Mörths „Kusters Kreischen“ versucht sich an ein wenig Surrealismus mit dem besonderen Buch, endet aber zu vage und stilistisch experimentell eher nichtssagend. Tobias Bachmann dagegen kann der Idee der Unsichtbarkeit eine neue Facette abgewinnen. Sein Schriftsteller mit einem Faible für „Die Nahtanznummer“ ist ausreichend unsympathisch, das man seinen Exkursen gerne folgt, ohne sich mit ihm zu identifizieren. Zumindest hat Tobias Bachmann eine ironisch konsequente Lösung bereit, wobei erstaunlich ist, wie gelassen die Welt auf die Unsichtbarkeitssprize im Allgemeinen reagiert, da deren Nebenwirkungen immer bekannter werden.  

Klara Weigands „Je später der Abend“ ist auch im Jubiläumsband ihres Mannes erschienen. Es ist einer der Storys  die vergnüglich zu lesen sind, aber außerhalb Jubiläumsbandes einfach zu wenig originell erscheinen. Am Abend seines neunzigsten Geburtstags erhält ein Schriftsteller einen besonderen Besuch und muss einen entsprechenden Pakt abschließen.  Aus dessen Vorgehensweise lässt sich das Ende schnell erkennen.  Leider reiht sich die Geschichte in die Phalanx von eher durchschnittlichen Geschichten dieser Anthologie ein.

„Das Alien tanzt Walzer“ ist der bislang schwächste Band dieser Anthologiereihe. Das Titelbild ist zwar ausdrucksstark, die Innenillustrationen optisch sehr ansprechend, aber es ist schade, dass viele Geschichten entweder zu bekannte Plots leicht abgewandelt präsentieren oder zu direkt auf die erkennbaren Pointen zusteuern. Es fehlt in diesem heiteren Universum das Besondere, der humorvolle Funke, welcher nur in wenigen, dann allerdings auch sehr überzeugenden Storys scheint. Kurzweilige Unterhaltung für den literarischen Quickie zwischendurch stellen die nicht immer tanzenden Aliens trotz da.  

 

DAS ALIEN TANZT WALZER: Schwungvolle SF und Fantastik aus einem heiteren Universum (AndroSF: Die SF-Reihe für den Science ...

  • Herausgeber : p.machinery; 1. Edition (12. Oktober 2020)
  • Sprache : Deutsch
  • Taschenbuch : 280 Seiten
  • ISBN-10 : 3957652138
  • ISBN-13 : 978-3957652133
  • Abmessungen : 12.7 x 1.68 x 20.29 cm