Der vierte Mond

Kathleen Weise

Kathleen Weises „Der vierte Mond“ ist nach einer Reihe von Jugendbüchern mit phantastischen Inhalten oder Krimis für jüngere Leser ist ihre Exkursion in den Bereich der reinen Science Fiction. 

Mit kurzen Kapiteln, vielen Perspektivwechseln und vor allem auch verschiedenen Handlungsorten hält die Autorin grundlegend das Tempo ihrer Geschichte sehr hoch. Allerdings werden erfahrene Science Fiction Leser auch nur wenige wirklich neue Ideen in diesem eher für ein Mainstreampublikum verfassten Roman finden.

Die Geschichte spielt im Jahre 2104. Dabei ist es unerheblich, ob die Menschheit mit dem gegenwärtigen Tempo wirklich so viel Technik und Entschlossenheit aufbringt, um vor allem das Jupitersystem mit seinen wertstoffhaltigen Monden so weit zu erkunden und ein kommerzielles Mining zu entwickeln, das es in diesem Berufsstand schon „Rentner“ gibt.  Die Geschichte mehrere hundert Jahre später anzusiedeln, ohne die sozialen Ordnungen als Basis für den irdischen Handlungsbogen komplett durcheinanderzubringen, wäre möglich ist. Aber die Jahresbezeichnung hat im Gegensatz zu manchen anderen Geschichten kein e besondere Bedeutung.  

  Zum Jupitermond Kallisto ist zu Beginn des Buches eine vierte Erkundungsmission ausgeschickt worden. Der Orbiter Eurybia stürzt über dem Mond ab. Die Überlebenden sind gestrandet. Neben der schwierigen Situation auf dem unwirtlichen Mond ist auf der festen Basis auf dem Jupitermond ein seltsames Fieber ausgebrochen. 

Auch wenn es sich um Raumpiloten der ESA handelt, ist ein wichtiger Teil des Unternehmens privat finanziert. Das Unternehmen Space Rocks betreibt seit einigen Jahren oder besser Jahrzehnten die Ausbeutung im All. Romain Clavier ist Chef des Unternehmens und versucht eine Bergungsmission zu initiieren. Wie es sich in einem derartigen Szenario allerdings gehört, ist er als Unternehmer intern unter Druck, da viele die Expansion in die Jupiterregion als Geldverschwendung empfinden.

Uche ist einer der inzwischen pensionierten Space Worker. Inzwischen arbeitet er als Freelancer. Drei seiner Klienten finden auf eine seltsame Art und Weise den Tod. Sie standen alle in einer Verbindung mit Antonie Roussel, der an der dritten Kallisto Mission teilgenommen hat.

Kathleen Weise teilt die Hintergründe auf. Nur gut ein Drittel der Handlung mit einem Schwerpunkt gegen Ende des Buches spielt im Jupitersystem. Der Rest auf der Erde.

Die Autorin spricht in ihrem Nachwort davon, dass sie sich zwar bemüht, das Science in Science Fiction zu erhalten, aber auch nicht mehr alles bis in die Details zu extrapolieren. Diese Vorgehensweise könnte heute nur noch im Jugendbuch funktionieren. Viele phantastische Jugendbücher sind von der Qualität eines Lester del Reys oder eines Robert A. Heinleins weit entfernt, die sich neben packenden Plots auch um einen zufriedenstellenden wissenschaftlichen Hintergrund bemüht haben. Dabei ist es notwendig, auch im Jugendbuch sorgfältig zu arbeiten und einer neuen Lesegenration die Faszination in diesem Fall des Weltalls nahezubringen. Und das sollte auf einer gut recherchierten Basis geschehen.

Kathleen Weise ignoriert einzelne Aspekte.  Das beginnt bei der Position des Jupitersystems relativ zur Erde und endet schließlich beim fragwürdigen Aspekt des Schmuggels. Natürlich lassen sich vielleicht Kleinigkeiten an Bord einer der bislang drei erfolgreichen Expeditionen zurück zur Erde bringen und möglichst teuer zu verkaufen, aber in der Breite funktioniert das nicht. Bedenkt man zusätzlich, dass Rohstoffe aus dem All inzwischen alltäglich auf die Reise geschickt werden, ist ein Stein vom Jupitermond nur noch relativ wertvoll, weil über kurz oder lang mehr Ware aus dieser Region kommt.

Schlimm ist auch, dass eine zweite Kernidee des Buches – Evolution –  so absurd entwickelt ist, dass man es nicht mehr mit literarischer Freiheit entschuldigen kann. Science Fiction ist nicht nur wie im vorliegenden Fall eine Abenteuerliteratur mit Exkursen, sondern sollte erst einmal auf jeglicher wissenschaftlicher Basis ein Bemühen zeigen, dass man seinen Plot den Grundlagen und nicht die Grundlagen an den eigenen Handlungsbogen anpasst. Damit werden die durchaus vorhandenen guten Ansätze ad absurdum geführt.

Inhaltlich möchte die Autorin verschiedene Genres verbinden. Ignoriert man die Idee eines Jugendbuches für die Leser ab sechzehn Jahren finden sich Ansätze des Krimis und des Wirtschaftsthrillers. Diese neben in dem als Ganzes schlecht strukturierten Roman einen zu breiten Raum ein. Das Verhältnis ist zwei zu eins gegen die im All spielende Handlung, die allerdings Klapptexttechnisch im Vordergrund stehen soll. Aber dieses werbetechnische Missverhältnis könnte der Leser noch akzeptieren, wenn die Autorin beim Wirtschaftskrimi neue Wege gegangen wäre. Aber in diesem Teil des Buches wärmt sie nur alte Ideen noch einmal neu auf.      

Bei den Gestrandeten auf dem Jupitermond Kallisto- zu Beginn geht man von nur einem Überlebenden aus – versucht die Autorin auf einem bekannten und sehr gut bestellten Terrain Spannung zu erzeugen. „Der Marsianer“ mit seinem lesenswerten Schreibstil, den wissenschaftlich solide entwickelten Ideen und vor allem der intensiven emotionalen Beschreibung des Gestrandeten wird aber bei weitem nicht erreicht. Und hier liegt ein weiteres Problem dieses Buches. Die Autorin versucht das Schicksal der Männer und Frauen eindringlich zu beschreiben, ihr Buch springt aber zwischen den verschiedenen Handlungs-, aber auch teilweise durch die notwendigen Rückblicke Zeitebenen hin und her. Diese Hektik tut dem schon spärlichen Fluss der Handlung nicht gut. Es wäre sinnvoller gewesen, die zugrundeliegende Handlung zu konzentrieren und viel fokussierter zu erzählen anstatt auf zu vielen Hochzeiten tanzen zu wollen.

In einem Armenviertel auf der Erde wird von Kathleen Weise als eine Art Gegenentwurf das Schicksal eines jungen Kinde beschrieben. Auch das langweilige alltägliche Leben eines ehemaligen Space Rockers, der nach einem Bergbauunfall auf die Erde „verbannt“ ist und sich trotzdem in der Nähe der Startbahnen aufhält, bis seine Klienten auf die angesprochene mysteriöse Art und Weise sterben, ist interessant und bürgt sowohl stilistisch wie auch inhaltlich eine ganze Menge Potential.

 Die ganzen Schwächen, welche die Autorin draußen im All literarisch gezeigt hat, lösen sich bei diesen beiden Handlungsebenen auf. Sie unterstreichen, dass Kathleen Weise schreiben kann. Den ganzen Roman betrachtet ist das allerdings noch zu wenig.

Generell haben deutsche Autoren  einen Nachteil. Sie können nicht einem Übersetzungssklaven für den Stil verantwortlich machen. Auch wenn die Autorin ihrer Lektorin dank, ist der Roman stilistisch uneinheitlich. Manchmal neigt Kathleen Weise zur Kompaktheit und versucht in einer distanzierten Art des Erzählens zu viele Information auf zu wenig Raum zu präsentieren. Dann wiederholt sie sich stilistisch zu sehr. Dann finden sich wieder einige ausgesprochen gute dreidimensionale Beschreibungen.   

„Der vierte Mond“ ist leider schlecht recherchierte Science Fiction für Neueinsteiger. Keine der Ideen ist wirklich neu. Sie werden zumindest kompakt und teilweise hektisch oberflächlich unterhaltsam, aber wissenschaftlich enttäuschend absurd präsentiert.  Das Titelbild ist dagegen ein Augenfänger und vielleicht verleidet die Geschichte wirklich Science Fiction Amateure dazu, gute (Jugend-) Literatur des Genres zu lesen. Dann hätte „der vierte Mond“ seinen Zweck positiv erfüllt. Schade ist, dass der auch von der Autorin abgesegnete Klappentext an keiner Stelle erfüllt wird. 

Der vierte Mond: Roman

  • Herausgeber : Heyne Verlag; Originalausgabe Edition (8. Februar 2021)
  • Sprache : Deutsch
  • Taschenbuch : 448 Seiten
  • ISBN-10 : 3453320824
  • ISBN-13 : 978-3453320826