The Magazine of Fantasy & Science Fiction March/ April 2021

Sheree Renee Thomas

Ein doppeltes Novum bringt das Frühjahr 2021. Mit Sheree Renee Thomas übernimmt zum ersten Mal in der zweiundsiebzigjährigen Geschichte eine Frau die Kontrolle über eines der großen drei phantastischen Magazine. Und eine Farbige. Thomas hat mit ihren „Dark Matter“ Anthologien bewiesen, dass sie ein Gespür für ungewöhnliche Kurzgeschichten hat.

 Zusätzlich übernimmt der von seinen „Clarkesworld“ Interviews bekannte Arley Sorg eine neue Kolumne. Mit Zahlen versucht er verschiedene Themen zu präsentieren. Dieses Mal die Wahrscheinlichkeit eines neuen Autors, in einem der großen Magazine zu publizieren. Zusätzlich finden sich neben den Buchvorstellungen von Charles de Lint und Michelle West und den Kuriositäten am Ende noch eine Filmkolumne, in welcher zwei Miniserien basierend auf Henry James und H.P. Lovecraft präsentiert werden. Der Sekundärliteraturteil wird mit dem obligatorischen wissenschaftlichen Artikel abgeschlossen.

Der Storyteil bestehend aber noch aus Material teilweise von C.C. Finlay ausgesucht ist thematisch breit von der modernen Science Fiction bis zum latenten Horror.

Cat Rambo eröffnet die Ausgabe mit „Crazy Beautiful“. Eine künstliche Intelligenz animiert Kunst. Mehr Menschen sollen animiert werden, die wandelnden Bilder oder Skulpturen zu begutachten und Kunst wieder mit anderen Augen zu sehen. Auch wenn die Ausgangsidee wirklich gut ist, unterminiert Cat Rambo die Stärken ihrer Geschichte nicht nur mit einem uneinheitlichen Ton, sondern einer fragmentierten Struktur.   Die Idee, dass die künstliche Intelligenz eigentlich Kunst erschaffen und nicht aus der kommerziellen Welt des Handels befreien sollte, wird nur anfänglich angerissen, aber nicht konsequent genug zu Ende gedacht.

„The Music of the Siphorophenes“ von C. L. Polk ist über weite Strecken sehr viel besser. Eine nicht gerade reiche Raumpilotin mit einem eigenen Raumschiff übernimmt schließlich einen Auftrag, den sie eigentlich nicht akzeptieren möchte. Eine reiche Sängerin will eine ungewöhnliche legendäre Lebensform im äußeren, von Piraten beherrschten Bereich des Sonnensystems aufsuchen und beobachten.  Der eigentliche Handlungsverlauf ist leider vorhersehbar, aber die Charaktere sind genau wie die außerirdische Kreatur sehr dreidimensional gezeichnet worden. Dabei vermeidet C.L. Polk kitschige Momente und einwickelt eine Art Abenteuergeschichte, die auch in der Vergangenheit vor einem Fantasy Hintergrund hätte spielen können.

Marie Brennans „Speak to the Moon” ist eine phantastische Parallelweltgeschichte, basierend auf japanischer Mythologie. Die Japaner landen auf dem Mond. Einer der Astronauten verlässt das Raumschiff und beginnt eine Art eigene Suche. Die Legende „The Tale oft he Bamboo Cutter“ spielt dabei eine wichtige Rolle. Auch wenn die Autorin die Zusammenhänge zwischen der tatsächlichen Landung und dem Schicksal der Prinzessin in der Legende eher bemüht zusammenbringt, überzeugt der Text durch die solide Zeichnung der Protagonisten und vor allem eine realistische Extrapolation japanischer Technik.

 

 Es finden sich einige mystisch phantastische Geschichten in der Sammlung. So hat die Protagonistin in Madeleine E. Robins „Mannikin“ ihren Mann, ihren Vater und auch ihre Brüder in verschiedenen Kriegen verloren. Sie beschließt, dass ihr Sohn nicht auf dem Schlachtfeld sterben soll und verwandelt ihn dann eines passenden Zauberspruchs in ein Mädchen. Natürlich bleibt es solcher Zauber nicht endlos bestehen, aber die Autorin arbeitet sehr überzeugend und ohne emotionalen Kitsch die Motivation der Protagonistin genauso gut heraus wie sie aufzeigt, welche Wunden die Kriege in glückliche Familien reißen. Damit handelt es sich um eine zeitlose Geschichte, die keine heilende Wirkung verspricht, aber zumindest einen ungewöhnlichen, in der Vergangenheit auch ohne Zauber mehrfach angewandten Weg aufzeigt.

Nick Wolven überspannt den Bogen in „Our Peaceful Morning“.  Aus dem Nichts wird zwar nicht Hirn, aber Intelligenz Tieren zugestanden. Dabei reicht das Spektrum von Hunden und Katzen bis zu Moskitos. Im Grunde eine gute Idee, aus welcher Nick Wolven in dieser erzähltechnisch oberflächlichen Geschichte nichts macht. Alleine die Folgen von Intelligenz für Nutztiere und die möglichen sozialen Veränderungen hätten wir einen Roman ausgereicht.

 In den Bereich des Horrors gehört  Rebecca Campbells „The Bletted Woman“. Eine sterbenskranke Frau erhält die Chance eines zweiten Lebens. Die Pointe ist kraftvoll und überraschend. Bei einer zweiten Lektüre sind die versteckten Hinweise wahrscheinlich klarer zu erkennen. Trotz der Kürze sind die Protagonisten dreidimensional, das Schicksal der Frau spricht den Leser ohne Kitsch an.   

Auch wenn H.P. Lovecraft in Molly Tanzers „In the Garden of Ibn Ghazi“ indirekt mitspielt, handelt es sich abschließend nicht um eine klassische Horrorgeschichte, sondern eine literarische „Farce“.   Eine Frau erinnert sich an eine Kurzgeschichte, deren Titel sie nicht mehr weiß. Ein alltäglicher Vorgang. Sie findet keinen Beweis, dass es sich wirklich um eine niedergeschriebene Geschichte handelt, bis sie aufgrund eines Interviews in einem Lovecraft Magazin einen Brief von einem Mann bekommt, der sie auf ein Theaterstück mit dieser Handlung hinweist. Was eine klassische Suche zu sein scheint, wird abschließend ein wenig mehr. So wird die Protagonistin nicht nur Bestandteil des Theaterstücks, sondern die Grenzen zwischen Realität und Phantasie beginnen zu verschwimmen, wie es sich für eine Lovecraft Geschichte gehört.

Lustiger ist B. Morris Allen „Minstrel Boy Howling at the Moon” . Ein Indianer gefangen in einer typischen amerikanischern Frontierstadt findet heraus, dass sein Spiel auf einer Mundharmonika die Geister seiner Vorfahren heraufbeschwört. Aber in dieser engstirnigen wie überschaubaren Gesellschaft muss er selbst einmal schauen, was man mit dieser eher passiven Fähigkeit anfangen kann. Leider kann der Autor auch nur sehr wenig mit der Ausgangsprämisse anfangen und der Plot verläuft im Sande.  

Weird Fiction ist durch Robin Furths „Jack-in-the-Box“ vertreten. Eine Reporterin sucht die Villa eines berühmten Arztes auf. Ein Junge führt sie durch das Haus und schließlich in sein Spielzimmer. Dabei erzählt er ihr eine Reihe von makabren Familiengeschichten. Neben der dunklen Atmosphäre sind es die Inzestverbindungen innerhalb der Familie, welche dem Leser im Gedächtnis bleiben. Allerdings weigert sich der Autor auch, weitere „Fragen“ zu beantworten und schließt die Geschichte auf einer sehr offenen Note.    

Auch Harry Turtledove zeigt sich in „Character“ von einer eher unbekannten Seite. Die Geschichte wird aus der Perspektive eben eines Charakters erzählt, wie sie Millionen von Autoren alltäglich auf Papier bannen. Wunderbar ist dessen Bitte um Kontinuität und vor allem einen logischen Handlungsstrom. Natürlich spricht der Charakter direkt zu den Lesern und weniger seinem Schöpfer, über den er im humorvoll sarkastischen Ton ordentlich herzieht.

Auch „The Pizza Boy“ von Meg Ellison könnte auf den ersten Blick eine humorvolle Parodie auf bekannte Science Fiction Klischees sein. Ein Pizzajunge liefert im All seine Pizza aus. Im Grunde stellt er sie in seinem Raumschiff frisch her und ist eine Art Raumschiff Food Wagon. Er hat die Schwierigkeit, immer frische Zutaten wie zum Beispiel Pilze zu bekommen. Im All findet ein militärischer Konflikt statt. So klagt er einer der Gruppen sein Leid als freier Unternehmer. Interessant, aber wenig überraschend ist die Tatsache, dass der Pizza Junge mehr als ein Food Truck Unternehmer ist. Humorvoll und kurzweilig geschrieben, aber mit einem zu oberflächlich entwickelten Hintergrund versehen.

Bis auf das ein wenig stilistische Titelbild präsentiert sich die erste von Sheree Renee Thomas offiziell zusammengestellte Ausgabe auf einem hohen, thematisch vielschichtigen Niveau. Im Gegensatz zur ersten Nummer des Jahres 2021 lässt sich eine deutliche Steigerung feststellen, die hoffentlich mit ihren nächsten Magazinen anhält.  

 

The Magazine of Fantasy and Science Fiction – March/April 2021 cover - click to view full size

Taschenbuch, 256 Seiten

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