Nijha- der Attentäter

Karl- Ulrich Burgdorf

1974 veröffentlichte Karl- Ulrich Burgdorf seinen ersten Heftroman, gleichzeitig die erste professionelle Veröffentlichung. In der Neuauflage des Buches im Apex Verlag schreibt der Autor, dass er das Script als sechzehn Jahre alter Junge geschrieben und einfach an den verlag geschickt hat. Es dauerte zwar einige Zeit bis zur Veröffentlichung im Rahmen der Zauberkreis SF, aber der Text erschien fast unverändert als Zauberkreis 148 unter seinem richtigen Namen, während Karl Ulrich Burgdorf für seine weiteren Heftromanveröffentlichungen Pseudonyme wählte.   Es folgten nur eine Handvoll serienunabhängiger Arbeiten zusätzlich zu seiner Mitarbeit unter anderem an den TERRANAUTEN. 

Fast fünfzig Jahre später hat der Autor den Text vorsichtig überarbeitet, den Plot in einzelne Kapitel unterteilt, aber den Inhalt grundlegend unverändert gehalten. 

 Für einen Erstling setzt Karl- Ulrich Burgdorf auf eine vielschichtige Handlung, die sich wie bei Philip K. Dick unter anderem in seiner zweimal verfilmten Kurzgeschichte „We remember it for you Wholesale“ nicht nur aus überschriebenen oder gelöschten Erinnerungen zusammensetzt, sondern auch die Thematik anreißt, was ist das menschliche Original oder wo beginnt die Kopie?

 Der Roman wird lange Zeit ausschließlich aus der Perspektive des Attentäters Nijha erzählt, der für seine Mission erweckt wird. Ohne Erinnerungen nur mit den Daten seines Auftrags soll er einen populären Politiker während dessen Wahlkampfreise ermorden, damit die Machenschaften der bisher regierenden Partei nicht nach der Definition der Auftraggeber durch radikalere Kräfte unterminiert werden.

 Auf dem Planeten begegnet Nijha einer Sängerin, die ihn anscheinend kennt und mit der er vor seiner Gedächtnislöschung anscheinend zusammen gewesen ist. Seine Mission inklusiv einer Anonymität beginnt auseinanderzufallen, da Nijha natürlich sehr interessiert ist, mehr über  sich selbst zu erfahren.  Das führt nicht nur zum Hinterfragen der Mission, die er aber trotzdem stoisch vorantreibt, sondern später auch zur Frage, was ihm eigentlich grundsätzlich erlaubt ist und was nicht. Da Nijha von Beginn an als distanzierter Protagonist eingeführt worden ist, kommt es nicht zu einer explosiven emotionalen Wandlung, sondern alleine die Implikation, dass er etwas „fühlen“ könnte, beginnt ihn zwar zu verwirren. In diesem Punkt kann Karl Ulrich Burgdorf während des Epilogs nur  bedingt Antworten anbieten, aber alleine der Versuch, die Charakterisierung seines Protagonisten auch auf den letzten Seite zu erweitern, hebt den Roman aus der Masse heraus. 

 Der Auftakt des Romans kommt dem Leser immer ein wenig bekannt vor, auch wenn Karl Ulrich Burgdorf den Hintergrund ausführlich entwickelt und versucht, Nijha im Grunde gedächtnisslose Ambivalenz, aber auch seine Entschlossenheit, den Politiker trotz aller Hindernisse zu töten ausführlich beschreibt.

 Ab der Mitte des Plots nimmt der Roman nicht nur zusätzliches Tempo auf, das Spektrum scheint sich mit jedem Schritt der eigenen überschriebenen Vergangenheit nähernd zu erweitern. Ab diesem Moment fügt Karl Ulrich Burgdorf auch einige Doppelungen hinzu. Einige Charaktere sind nicht das, als was sie erscheinen. Dabei reicht das Spektrum tatsächlich von Nijha über sein politisches Opfer bis zum Beispiel dem perfekten Buchhändler, der jedes Buch innerhalb von vierundzwanzig Stunden aus anscheinend jedem Winkel der bekannten Galaxis besorgen kann. 

 Im Gegensatz zu Philip K. Dick ist Karl Ulrich Burgdorf noch nicht so weit, paranoide Situationen so intensiv zu beschreiben, das der Leser wie die Protagonisten des Romans nicht mehr zwischen „Wirklichkeit“ und möglicherweise virtuellen Realität unterscheiden kann. Die Erklärungen folgen abschließend fast wie ein Stakkato und zeigen, dass hinter jedem Plan noch ein weiterer Plan steht. Einige der Fakten wirken stark konstruiert und der gegangene Weg ist erstaunlich umständlich, um schließlich in einem im direkten Vergleich fast zu simpel gestalteten Finale dann wieder in der Kommando Mission Manier der Perry Rhodan Serie zu enden.

 Viel interessanter ist nicht nur die Zeichnung der Protagonisten, beginnend mit dem verstörten Nijha, der fest davon überzeugt ist, keine Emotionen zeigen zu können, weil sie nicht einem verlängerten bewaffneten Arm seiner Auftraggeber  entsprechen. Abschließend hat Karl Ulrich Burgdorf auch für diese Ausgangsthese eine interessante Antwort, die er mit der Symbiose von Mensch/ Maschine auf eine originelle Art und Weise noch erweitert. Es sind diese kleinen Ideen gegen Ende des Buches, welche das wie angesprochen zu hektische Finale wieder ausgleichen.

 Ungewöhnlich ist für einen Heftroman der siebziger Jahre, dass Karl Ulrich Burgdorf vor allem das Attentat bis zu seinem erfolgreichen „Ende“ durchzieht und Nijha auf dem Weg dahin stellenweise auch wenig Rücksicht nimmt, um Erfolg zu haben. Die späteren hintergründlichen Erklärungen negieren zwar die in dieser Hinsicht dynamische und minutiös gestaltete erste Hälfte des Heftromans, ohne Nijha im Grunde als inhaltsleere Schablone charakterlich zu minimieren. Es ist ein doppelter Weg zur Erkenntnis, den Nijha nicht gehen muss, sondern gehen will.

 Die Nebenfiguren sind interessant gestaltet, auch wenn Karl Ulrich Burgdorf hier abschließend einige Kompromisse eingehen muss, um den Plot im zur Verfügung gestellten Heftromanumfang abzuschließen. Selbst die einzige im Roman auftretende Frau bekommt die Möglichkeit, ein wenig aktiv das Geschehen zu gestalten und sich als eigenständige Persönlichkeit und nicht nur ein reines Versatzstück zu präsentieren.

 Dabei negiert Karl Ulrich Burgdorf vor allem auf der anfänglich komplex entwickelten, auf den letzten Seiten fast ein wenig zu kompliziert werdenden politischen Ebene einige der Thesen, die Nijha quasi auf seine Mission mitgegeben werden. Ungewöhnlich ist, dass technisch Karl Ulrich Burgdorf einzelne Abschnitte – in denen Nijha zu erwachen scheint – genauso in Sperrschrift publizieren ließ, wie die Namen der Parteien. Diese Hervorhebung lenkt ein wenig vom Plot ab, da der Leser immer wieder weitere Erklärungen sucht, die der Autor dann nicht mehr liefert. 

 Im Gegensatz zu einigen anderen Zauberkreis Romanen der siebziger Jahre ist der Roman in Ehren gealtert. Technisch weiterhin durch die Nutzung von Telekommunikations und Transmittertechnik auf einem auch im 21. Jahrhundert verwendbaren Niveau wirkt der Ablauf des Attentats wie eine Kopie des Mordes an JFK. Alleine die Tatsache, dass ordentlich geraucht wird, zeigt auf den ersten Blick die Wurzeln der Entstehung in einer aus heutigen Sicht ganz anderen sozialen Zeit.

 Auch wenn der Roman distanziert und vor allem sehr sachlich ambitioniert geschrieben worden ist, kann sich der Autor einige humorige Szenen nicht verkneifen, die selbst Freud auf die analysierende Palme gebracht hätte. Hier sei das besondere Taxi mehrfach erwähnt, das einen eigenen, im Epilog erklärten Kopf hat. 

 „Nijha, der Attentäter“ ist  vor allem für die Zauberkreis Science Fiction Reihe ein gelungenes Debüt  eines jungen ambitionierten Autoren, welche auf Ideen amerikanischer Autoren wie Philip K. Dick positiv zurückgegriffen hat, um sie in die festen Strukturen des Heftromns zu integrieren.   

 Die Zauberkreis Science Fiction bot vielen Autoren wie anfänglich Marianne Sydow, Andreas Brandhorst oder auch Thomas R. P. Mielke oder der Science Fiction von Dan Shocker  sowie H.J. Müggenburg die ideale Spielwiese, sich als Autoren zu etablieren oder einfach Ideen zu präsentieren, für die im Pabel Verlag (noch) kein Platz gewesen ist. Und dieser im Grunde unbewussten Bestimmung wird „Nijha, der Attentäter“ voll und ganz gerecht.

Der Apex Verlag veröffentlicht den Roman neu in drei Formen: als Paperback und Hardcover, aber auch zum ersten Mal als E-Book. Er wird sicherlich neue Leserschaften finden, aber wie alle von Karl- Ulrich Burgdorf im Apex Verlag publizierten Neuausgaben und teilweise auch neue Romane ist die Geschichte rasant und lesenswert. Auch nach mehr als fünfzig Jahren. 

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Neuausgabe im März 2023
im Apex-Verlag, München

Hardcover, 156 Seiten
ISBN: 978-3-7575-2712-9
€ 18,99

Paperback, 168 Seiten
ISBN: 978-3-7575-2707-5
€ 10,99

E-Book, 158 Seiten
ISBN: 978-3-7554-3522-8
€ 5,99