Forever Magazine 79

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke hat in seinem kurzen Vorwort wenig zu sagen. Es schließt sich die obligatorische Zusammenstellung aus einer Novelle und zwei längeren Kurzgeschichten an.

 „Requiem“ von Vandana Singh ist ursprünglich ein Originalbeitrag zu ihrer ersten eigenen Kurzgeschichtensammlung gewesen. Im „Year´s Best“ Band 2019 hat Neil Clarke die kraftvolle Novelle das erste Mal nachgedruckt. Dabei streift die Autorin im Grunde alle wichtigen Themen der Gegenwart. Vor dem Hintergrund der immer weiter sich ausbreitenden ökologischen Katastrophe sind es die Nachkommen der Indianer, aber auch der Eskimos, die sich mit den Folgen vor dem Hintergrund der schmelzenden Einsflächen in der Arktis auseinandersetzen müssen. Alleine die Zeichnung und die Auswahl der Protagonisten ermöglicht es der Autoren, ohne den warnenden Zeigefinger zu senken, die Folgen durch diejenigen beschreiben zu lassen, die direkt ihren Lebensraum, aber auch ihre Identität und vor allem die Geschichte ihrer Vorfahren zu verlieren drohen.

 Eine junge Frau möchte die Hinterlassenschaft ihrer verstorbenen Tante bergen. Kindheitserinnerungen spielen eine Rolle, aber in erster Linie vertritt sie auf den ersten Blick das typische gegenwärtige Amerika mit ihrer rücksichtslosen Politik. Es ist schwer, einen derartigen Handlungsbogen ohne Rückgriff auf Klischees zu entwickeln. Daher ist es ein schmaler wie schwieriger Grad, als die junge Frau mit den Folgen einer rücksichtslosen Wirtschaftspolitik konfrontiert wird und durch ihre Erfahrungen ein faires Zusammenleben mit einer allerdings mehr und mehr zusammenbrechenden Ökosphäre lernen muss.

 Vandana Singh versucht die richtige Balance aus verschiedenen Themen zu finden. Auf der einen Seite muss die junge Frau mit dem persönlichen Verlust fertig werden. Auf der anderen Seite wird sie unter anderem nicht nur mit den Folgen der Jagd auf Wale und Delphine konfrontiert, sondern lernt stellvertretend für den Leser ohne einen belehrenden Grundton viel über die Spezies. Hinzu kommt, dass Vandana Singh ihren Lesern deutlich macht, dass viele Menschen einfach nur sprechen ohne auf Augenhöhe zu reden. Kommunikation ist in diesem aus drei „Völkern“ bestehenden Schmelztiegel der einzige Weg, um vielleicht eine nicht unbedingt positiv, aber zumindest akzeptable Zukunft zu finden.

 Starke Charaktere, ein guter dreidimensionaler Hintergrund und vor allem ein allgegenwärtiges Thema solide präsentiert haben „Requiem“ aus der Masse vergleichbarer ökologisch ausgerichteter, aber nicht immer konsequent zu Ende denkender Geschichten positiv heraus.    

 Ray Naylers „The Ocean between the Leaves“ ist wie „Requiem“ in der ebenfalls von Neil Clarke zusammengestellten „Year´s Best“ nachgedruckt worden. Nur ein Jahr später. Neil Clarke greift gerne, vielleicht manchmal ein wenig zu oft auf Geschichten aus dieser Anthologie zurück. Empfehlenswerter wäre es, die sehr guten Storys nachzudrucken, die es eben nicht abschließend in die wichtigen Auswahlbände geschafft haben.

  Positiv ist, das es eine thematische Überschneidung mit nicht nur ökologischen Themen, sondern den noch vorhandenen Schönheiten der nördlichen Erdkugel aus „Requiem“  gibt. Beide Geschichten handeln von Außenseitern, die ihre innere Unruhe durch Reisen/ Expeditionen/ Herausforderungen zu bekämpfen suchen.

 Hinsichtlich derr Gesamtzkonzeption ist Ray Naylers „The Ocean between the Leaves“  allerdings im Vergleich zu Sings Novelle deutlich schwächer. Ein junger Mann kümmert sich liebevoll um seine Schwester, die im Koma liegt. Der Hintergrund ist semifuturistisch, alleine die Androidenkörper bereit für die menschlichen Bewusstseins geben der Story einen Science Fiction Hintergrund. Die Pointe ist allerdings eine Überraschung und lässt den Leser die bisherige Handlung nicht nur komplett überdecken, sondern zwingt ihn, alles aus einer gänzlich anderen Perspektive zu sehen. Man sollte die Geduld aufbringen und den Plot bis zum Ende lesen, bevor man die anfänglichen Versatzstücke zu früh abschreibt.

 Die letzte Geschichte „Okay, Glory“ von Elizabeth Bear ist eine komödiantische Farce. Ein reicher Unternehmen wird in dem von ihm perfekt konstruierten intelligenten Haus Schachmatt gesetzt. Was als Interneterpressung beginnt endet in einer Art Psychoduell zwischen der künstlichen Intelligenz Glory und dem mehr und mehr verzweifelten Mann. Die Autorin hat diese von lustigen Dialogen angetriebene Farce nach den Tagen der Gefangenschaft geordnet. Interessant sind dabei vor allem Aktion und Reaktion zwischen Glory und dem Unternehmer. Seine inneren Monologen begleiten eine Reihe von aus seiner Sicht sinnfreien Aktionen der Umwelt. Am Ende stellt sich nicht mehr die Frage, ob die Erpressung wirklich stattgefunden hat oder nicht, sondern die verzweifelte Versuch, nicht den eigenen Verstand zu verlieren dominiert die Handlung. Kurzweilig zu lesen, auch wenn Elizabeth Bear mit dieser humorvollen, sich manchmal auch am Randes des kitschigen Klischees bewegenden Geschichte nicht unbedingt Neuland betreten hat.   

 Zusammengefasst präsentiert sich „Forever Magazine“ 79 vor allem durch die beiden Ökologiegeschichten als eine überzeugende Nachdruckausgabe und hebt sich positiv von der im August eher schwächlichen „Clarkesworld“ Ausgabe deutlich ab.

Forever Magazine Issue 79 cover - click to view full size

E Book, 112 Seiten