Schildmaid

Juidth C. Vogt und Christian Vogt

Mit „Schildmaid“ ziehen Judith und Christian Vogt in die graue, dunkle mystische Wikingerzeit ein. Bislang haben sie eine Alternativweltgeschichte Roms, aber auch einen Ausflug in eine an Mad Max erinnernde Zukunft oder einen Abstecher ins magische Berlin der zwanziger/ dreißiger Jahre verfasst.

 In den achtziger Jahren veröffentlichte der Bastei Verlag einige, aber nicht alle der von Poul Anderson neu interpretierten nordischen Mythen im Rahmen ihrer Fantasyreihe. Beim Ullstein Verlag kam noch ein dreigeteilter Band der Abenteuer eines echten Wikingers, eines Vorbild für Howards Conan hinzu. Einige der Romane sind nicht übersetzt worden. Poul Anderson ist ein brillanter Autor gewesen, der seine tragischen vom Schicksal getriebenen Gestalten/ Überhelden mit Ehrfurcht bis zum natürlich heroischen Tod behandelte. Alles wirkte wie aus einer Froschperspektive betrachtet überlebensgroß, eindrucksvoll und vor allem unabänderlich.

 Mit dieser Idee spielen Judith und Christian Vogt. Der Begriff des Schicksals, dieser erdrückend heroischen Aufgabe und schließlich verschiedener Interpretationsmöglichkeiten im Grunde am Ende der Reise im Land der Eisriesen durchzieht den Roman nicht wie ein roter Faden, wird aber während des in mehrfachen Hinsicht nicht nur blutigen, sondern auch aus Feuer und Eis bestehenden Finales wichtig. Die beiden Autoren sind mutig genug, an den etablierten Legenden zu rütteln und Ragnarök schließlich nicht als das all umfassende Weltende anzusehen, sondern als mögliches Ende, aber auch gleichzeitigen Anfang. Mit dieser relativ modernen, provozierenden Interpretation schließen die beiden Autoren ihren Roman auf einer interessanten, diskussionswürdigen Note ab, der das ohne Frage auch ambitioniert geschriebene, aber in einigen Punkten auch nicht gänzlich zufrieden stellende Ende vielschichtiger macht es als oberflächlich erscheint.

 Bei vielen nordischen Sagen ist der Heldentod das ultimative Ziel. Das Leben der Weg dahin. So weit wollen Judith und Christian Vogt nicht bei allen ihren Figuren gehen und wählen einen phantastischen Ausweg, der allerdings auch die Mühsal des Weges ein wenig unterminiert. Die Tragik dieser Sagen, die dunkle nihilistisch Stimmung zeichnet die Mythenwelt der Wikinger genauso aus wie die Legende um die gehörten Helme, aber auch ihre nautischen Fähigkeiten in den Langbooten und ihre Tyrannei vieler Länder.

 Eyvor hat ihren Mann vor mehr als sieben Jahren verloren. Er hat sie aber nicht als arme Frau zurückgelassen. Eyvor ist für ihre Segelmacherfähigkeiten bekannt. Sie will nicht noch einmal verheiratet werden. Also zieht sie sich in die einsamen Wälder zurück, um dort ein Langboot, ein Drachenboot zu bauen. Warum sie es baut, weiß sie nicht. Ob es jemals in See, geschweige denn das stille tiefe Wasser des Fjordes stechen wird, weiß sie ebenfalls nicht. Sie hat keine Erfahrung mit Bootsbau, sie kann nur Segelmachen.

 Nach und nach erreichen Frauen verschiedener sozialer Schichten ihr Lager und beteiligen sich am Bau des Boots. In einigen Fällen zeichnen Judith und Christian Vogt den bisherigen Lebensweg der Frauen ausführlicher, in anderen Fällen setzt sich ihr bisheriges Schicksal aus Fragmenten zusammen. Nur wenige haben Fähigkeiten und Erfahrungen, die direkt beim Bootsbau und später der Jungfernfahrt eingesetzt werden könnten. Aber sie arbeiten zusammen, auch wenn sie eine Frau mit ihren beiden Kindern nur im Schuppen nebenbei dulden. Vorurteile gibt es auch in dieser im Grunde Außenseiterkommune. Die Männer in den umliegenden Dörfern beachten die Frauen meistens nicht, sehen allerdings ihr Vorhaben auch der arroganten Perspektive mit Skepsis.

 Im ersten Viertel des Romans konzentrieren sich die Autoren auf den Bau des Schiffs und die Einführung der einzelnen Frauenfiguren. Zwar präsentieren sie unauffällig und im Handlungsverlauf umfangreiche Recherche und versuchen den Bau dieses besonderen Langboots bis hin zu seinem außergewöhnlichen Drachenkopf so authentisch wie möglich zu beschreiben, ab einigen Stellen fällt dem Leser allerdings die Phantasie, das insbesondere zu Beginn eine Frau alleine so weit bei einem Boot kommen kann. Auch wenn sie sieben lange Jahre alleine dort gearbeitet hat. Aber damit der Plot funktionieren kann, bedarf es auch eines gewissen Maßes an dichterische Freiheit.

 Die überstürzte Jungfernfahrt wirkt dann allerdings wie ein dramaturgisch notwendiges Klischees. Eine weitere Frau wird von einer Gruppe von Männern verfolgt. Sie sucht bei den Frauen Obhut, warnt sie. Sie ist Herdis, das Krähenkind. Verfolgt wird sie von Berserkern. Bislang erzählten die beiden Vogts eine realistische Geschichte. Durch Herdis Auftauchen und das Erwähnen der Beserker rutscht der Plot durchaus nachvollziehbar und für den weiteren Handlungsverlauf unabänderlich in den Bereich der mystischen Fantasy ab. 

 Das Boot wird zu Wasser gelassen, notdürftig bevorratet und flieht vor den Männern. Spannungstechnisch eine opportune Szene, aber im Grunde cineastisch perfekt konstruiert, leider nicht mit dem entsprechenden Herzen konzipiert.

 Die Männer folgen den noch nicht seeerfahrenen Frauen an den Ufern des Fjordes entlang. Erst mit dem Erreichen der hohen See können sie sich sicher fühlen. Mit dieser Schlusssequenz leiten die beiden Autoren über in den mittleren Teil. Dieser besteht zum Einen aus der gnadenlosen Verfolgung der Frauen durch die Beserker. Auf der anderen Seite sehen die Frauen nur in der Vollendung einer verzweifelten Mission eine Chance, der Vergangenheit zu entfliehen und gleichzeitig aus ihrer subjektiven, aber nicht unbedingt richtigen Sicht das angesprochene Weltenende zu verhindern.

 Im mittleren Abschnitt konzentrieren sich Judith und Christian Vogt wieder mehr auf ihre Frauencharaktere. Auch wenn die Dialoge modern sind und einige Bemerkungen aus der Zeit gefallen scheinen, zeichnen sie die verschiedenen Frauenschicksale detaillierter nach, in dem sie den einzelnen Protagonisten Momente der Aufmerksamkeit durch den Leser schenken. Dabei wollen sie kein Mitleid für ihre Figuren erhaschen, sondern versuchen zu zeigen, wie „schwach“ die Frauen aus der Perspektive der Männer sind, das sie aber viel schneller über sich hinauswachsen und vor allem das Scheuklappendenken der Männer überwinden und nicht selten die fehlende Kraft durch Geschicklichkeit und Intelligenz ausgleichen können.

 Den gesamten Umfang des Buches betrachtend wirkt der mittlere Abschnitt des Romans ein wenig zu gedehnt. Das erste Pulver ist mit dem Bau des Schiffes verschossen, der finale Showdown inklusiv des obligatorischen Verrats und dem Zusammenhalt der restlichen Frauen in einem Kampf, der den Spartaner durchaus zur Ehre reicht zieht sehr viel Kraft und vor allem auch notwendige Emotionalität aus diesem ruhigen mittleren Abschnitt. Aber ein wenig mehr Tempo hätte dem Buch in diesen mittleren Kapiteln gut getan. Die beiden Autoren neigen vor allem in einigen Abschnitten dazu, zu viel indirekt dem Leser an Wissen und Erkenntnissen vermitteln zu wollen, anstatt den Handlungsfaden einfach laufen zu lassen.

 „Schildmaid“ ist ohne Frage ein ungewöhnliches in der Wikingerzeit spielendes phantastisches Abenteuer. Der reine Begriff der Fantasy würde der Geschichte Unrecht tun. Wie die von magischem Realismus durchzogenen Geschichten kann „Schildmaid“ nur in einer überwiegend etablierten Welt funktionieren. Und damit ist nicht die reine, so weit geschichtlich untersuchte Wikingerzeit gemeint, sondern auch deren Mythen und Legenden von eben Walhalla bis zum Ragnarök, von den Beserkern bis zu den besonderen Bedeutungen der Krähen, der Skalden und schließlich auch der Grenzgänger, die noch auf der Erde leben, aber weitreichende Aufgaben haben. Im Gegensatz zu Autoren wie Neil Gaiman eben der Tradition eines Poul Anderson folgend modernisieren Judith und Christian Vogt diese Legenden nicht, sondern beten die Geschichten zweier Handvoll sehr unterschiedlicher Frauen emotional überzeugend und mit kleinen Abstrichen auch für den Leser jederzeit nachvollziehbar in diese Welt ein.

 Das macht den Reiz der „Schildmaid“ aus, auch wenn es vor allem anfänglich eher eine charakterlich getriebene und weniger heroische Abenteuergeschichte ist. Aber der Funke zwischen den zahlreichen, gut voneinander abgetrennten Frauenfiguren und den eher klischeehaft eindimensional gezeichneten wenigen Männern muss erst überspringen, bevor die beiden Autoren nicht nur der Erwartung der Frauen an ihre im Grunde aussichtslose Mission, sondern auch die vorgefertigten Interpretationen der Leser im Grunde den Schiffsboden unter den Füßen entziehen und das Finale um einhundertachtzig Grad drehen. Den Mut, so etwas zu tun, ist genauso zu bewundern wie die erste geschlagene Planke, die Eyvor einem Baum abringt.              

Schildmaid: Das Lied der Skaldin | Historische Fantasy zur Wikingerzeit – inspiriert von nordischen Sagen

  • Herausgeber ‏ : ‎ Piper; 1. Edition (24. Februar 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 448 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3492705987
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3492705981
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.6 x 3.65 x 20.5 cm
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