Dunkle Sonne

Gerd Frey

Vor knapp zwanzig Jahren erschien im Shayol Verlag mit “Dunkle Sonne” die erste sammlung von bislang von überwiegend im eingestellten Magazin “Alien Contact” veröffentlichten Kurzgeschichten Gerd Frey. Für diese Sammlung ist der Autor ein Jahr später mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet worden. P.Machinery legt die Sammlung um eine Reihe von bislang nicht gesammelten Storys erweitert nicht nur als Paperback, sondern zum ersten Mal als E Book neu auf.  

Der erste Abschnitt ist mit “Innenwelt” betitelt. “Begegnung” beschreibt in einer nach einem Anschlag auf einen Atommühltransport verstrahlten Zukunft die geplante Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau, die sich nicht mehr in der Virtualität treffen wollen. Sie zeigt ihm, wie er echten Sex haben kann, weil sie ein Baby möchte. Der harsche Hintergrund kumuliert in einer drastischen Pointe. Allerdings ist der beschriebene Sex auch distanziert, mechanisch, vielleicht absichtlich so geschrieben. 

In “Terminiert” probiert Rob ein weiteres Simulationsspiel seines Freundes Mark aus. Dieser hat sich bei den Monstren von Gieger inspirieren lassen. Relativ schnell fühlt sich Mark verfolgt und auch Rob kann nicht mehr unterscheiden, ob er inzwischen in eine Realität zurückgekehrt oder weitere in die Simulation eingedrungen ist. Zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung ist es schwer, dem stilistisch sehr kompakt geschriebenen Plot noch eine neue Facette abzugewinnen. 

Auch wenn die Reise in “Welt Gottes” nach außen, zu einem fernen Planeten geht, setzt sich Gerd Frey mit dem Verhältnis zwischen Gott/ dem Teufel und den Mitgliedern verschiedener Sekten auseinander. Ein Reporter wird für seinen ersten großen Bericht zu der abgeschieden gelegenen Welt ausgesandt. Wie bei einigen solcher Storys ist die Reise sehr viel interessanter als die Ankunft, auch wenn Gerd Frey ambivalent verschiedene Interpretationsmöglichkeiten dem Leser offen hält. 

Die Titelgeschichte “Dunkle Sonne” beschreibt die letzten Tage aller Menschen auf der Erde. Ein Asteroid befindet sich auf Kollisionskurs, natürlich bricht die Zivilisation zusammen und auf den Straßen herrscht Chaos. Aus einer Verzweiflungstat wird schließlich ein Moment der Zärtlichkeit. Die Geschichte ist im Grunde eine Mischung aus verschiedenen wahrscheinlich unbewussten Vorbildern wie Larry Nivens “Verhängnisvoller Mond” die die ARTE Serie mit Beiträgen von David Cronenberg. Die Charaktere sind allerdings zu wenig emotionale gezeichnet und Gerd Freys Stil ist viel zu gleichförmig, um aus der bekannten Idee etwas Interessantes zu gestalten. 

In “Sternenschwester” findet der Leser fast das Gegenteil. Viele Ideen auf sehr wenig Raum. Ein gestohlenes Forschungsschiff dringt in ein Sonnensystem ein, auf der Suche nach Abenteuern. Ein Teil der Crew sagt, die Sonne droht zu explodieren, andere lehnen das als Irrglaube ab. Dann gibt es einen der wenigen Menschen, der noch natürlich von seinen Eltern erzogen worden ist.  Die Protagonisten sind wie in einigen Texten Gerd Freys eher distanziert bis unsympathisch beschrieben worden. Die Handlung wirkt zu komprimiert, aber wie in einigen der Miniaturen funktioniert die Pointe ausgesprochen gut. 

Zu den schwächeren Miniaturen gehört “Wenn Träume Substanz verlieren”. Der Protagonist lebt aus seiner Sicht ein perfektes Leben mit entsprechender Freundin und deren Sohn. Es ist die Pointe, welche die Wahrheit aufdeckt und der Titel weist den entsprechenden Weg dahin. 

“Andere Stimmen” ist eine dieser Kurzgeschichten, die in den letzten zwanzig Jahren nicht in Ehren ergraut, sondern wirklich gealtert sind. Der Protagonist begibt sich ins Netz, um eine Freundin zu retten. Vieles bleibt offen und der Hintergrund  ist auf der einen Seite absichtlich vage gestaltet, auf der anderen Seite zu rudimentär entwickelt. 

“Umkehrung” beschreibt, wie anscheinend “Fremde” - das können Außerirdische genauso sein wie Mutanten - in die bürgerliche Gleichförmigkeit eindringen und über die Kinder sich assimilieren. Sehr zum Unwillen des Protagonisten, der mit Unverständnis und schließlich auch Gewalt reagiert. Die Grundidee hätte besser ausgebaut werden können, da der Leser sich während der Lektüre zu viele Fragen stellt. 

“Liebe, Sex und ?” ist die letzte Story des ersten Abschnitts. Der Humor wirkt allerdings bemüht, da gibt es in dieser Anthologie sehr viele bessere Beispiele. Der streit mit den Haushaltsgeräten ist uralt und die perfekte oder besser perfektionierte Partnervermittlung scheint in diesem Fall trotz mehr als fünfzig Seiten von Erwartungen zu scheitern, weil eines der beiden Menschen doch deutlich andere Interessen hat, welche nicht angegeben worden sind. Am Ende fällt die Geschichte allerdings auseinander und die eindimensionalen Protagonisten tragen auch nicht dazu bei, das der Leser bei der Stange bleibt. 

Der zweite große Abschnitt der Anthologie “Zwischenraum” umfasst thematisch ein breiteres Spektrum an Geschichten.  “Das Labyrinth” beschreibt die Reise eines Mannes zu einem entfernten Planeten. Das dort vorhandene, anscheinend von Außerirdischen errichtete Labyrinth gewährt jedem Zehnten Unsterblichkeit. Es gibt anscheinend nur eine Chance im Leben. Die Umgebung ist herausfordernd beschrieben. Gerd Frey orientiert sich an Algis Budrys Roman, wobei die offene, vielleicht ein wenig pragmatische Pointe eher überzeugt als der zu wenig entwickelte, ohne Frage ausbaufähige Hintergrund der Geschichte. 

“Tag vor der Einschulung” ist nicht wie der Untertitel impliziert ein Schulaufsatz. Im Mittelpunkt steht der Familienausflug in einen besonderen Freizeitpark. Der große Bruder hat am Tag vor seiner Einschulung das gleiche Geschenk bekommen. Der besondere Höhepunkt wird relativ früh in der Handlung angedeutet. In dieser Welt scheint alles aus einer Hand zu kommen. Einem Konglomerat von Firmen. Grundsätzlich handelt es sich bei “Tag vor der Einschulung” um die Art von deutscher Science Fiction, die in den achtziger Jahren mit dem mahnenden Zeigefinger und dem Hang zur Belehrung so populär gewesen ist. 

Zwei besondere Fantasy Geschichten finden sich in diesem Abschnitt. “Rovares von Modavna” ist eine direkte Hommage an die Geschichten um die “Sterbende Erde” von Jack Vance. Zwei Zauberer sind Konkurrenten, beide sammeln seltene Pflanzen. Gemeinsam versuchen sie einen seltsamen Ort zu erreichen, nur durch die Bündelung ihrer Kräfte ist das möglich. Allerdings hat einer der beiden perfide Hintergedanken. Das Ende ist typisch für Jack Vance Geschichten. Wie der Amerikaner steht Gerd Frey seinem Protagonisten nur einen Pyrrhussieg zu. Gut geschrieben mit einem überzeugenden exotischen Hintergrund und vor allem auch bizarren Protagonisten ragt diese Fantasygeschichte genau wie “Ikondras Versuchung” aus der Masse der Geschichten dieser Anthologie positiv heraus. Auch sie spielt auf einer sterbenden Erde, in welcher die Technik noch von den wenigen Magiern benutzt wird. Der Protagonist lockt Ikondras in eine Falle. Nicht unbedingt, weil er einen Kontrahenten los werden möchte, sondern er versucht mit der Essenz des Gegners die eigene Langeweile zu durchbrechen. Geradlinig mit einem interessanten Ausgangsplot und wieder einem überzeugenden Hintergrund bilden die beiden Fantasy Geschichten positiv das Herzstück dieser Anthologie. 

Selbst “Nachtgestalten” als Horrorgeschichte in der Tradition des frühen George R.R. Martin spielt mit dem bekannten Sujet des Vampirs. Ein Mann faselt in einer Kneipe von den Blutsaugern, welche sich in der modernen Gesellschaft mittels Arbeitsvermittlung, Krankenversicherungen und Ersatzblutstoffen assimilieren wollen. Sie sind an ihren Sonnenbrillen aber weiter zu erkennen. Die Pointe ist eher konsequent, aber die Monologe des Protagonisten heben die Geschichte aus der Masse hervor. 

Von den hier versammelten Miniaturen wirkt “Übergang” zu experimentell. Die Handlung wird zu Lasten stilistischer Variationen in den Hintergrund gedrängt. Auch “Grenzgänger” konzentriert sich auf das zu offene Ende und ist im Grunde eher das Mittelstücke einer längeren Arbeit. Der Protagonist setzt sich in Richtung Grenze in Bewegung und dann endet der Text viel zu offen. 

Der dritte und letzte Abschnitt “AUßenwelten” beginnt mit einer “Erstkontakt” Geschichte. So lautet auch der Titel. Ein Forscher begegnet bei einer Routine Mission auf einem fremden Planeten einem ihm unbekannten Wesen und reagiert entsprechend. Anschließend hinterfragt er nicht nur sein Handeln, sondern versucht schadlos aus der Situation herauszukommen. Die stringente Pointe stellt das Geschehen nicht unbedingt auf den Kopf, aber der Leser hat das unbestimmte Gefühl, als wenn Gerd Frey auf dem Weg dahin vieles absichtlich verfremdet hat, um die eher einfach gestrickte Handlung zu überdecken.   

Erstkontakt” ist auf der Auftakt einer ganzen Reihe von Kurzgeschichten, teilweise allerdings auch nur Miniaturen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Nicht selten spielen Mißverständnisse oder die militärische “Vorbildung” der Protagonisten wichtige Rollen. So wirkt “Tödliche Aussicht” wie eine entsprechende Mischung aus den Themen First Contact, militärisch verblendete Ansichten und schließlich einem eher mechanischen Ablauf. “Herz des Sonnenaufgang” versucht das Thema ein wenig zu erweitern. Es finden sich aber für die Kürze des Textes zu ausführliche Beschreibungen militärischer Aktionen, die eher an ein Videospiel als eine eigenständige Geschichte erinnern. Der eigentliche Handlungsaufbau wirkt entsprechend bemüht. Auch die letzte Geschichte dieser anthologie “Kontrollierter Einsatz” variiert das Thema zu wenig. Wieder sind es “ewige Soldaten” - damit ist weniger die Unsterblichkeit als ihr Einsatz in immer neuen Konflikten gemeint - , deren “Kontrollierter Einsatz” von der anderen Seite entsprechend gestört wird. Der Titel wirkt auch angesichts der Tötung einer Zivilistin eher ironisch. Am Ende führt Gerd Frey den Handlungsbogen zu einem eher mechanischen Ende. Alle drei Kurzgeschichten wirken deutlich früher entstanden als zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Stilistisch ausgesprochen bemüht und mit eindimensionalen Charakteren bevölkert. 

Ragten im zweiten Abschnitt des Buches die beiden Hommages an Jack Vance aus den hier gesammelten Kurzgeschichten positiv hervor, so überzeugt jetzt die Clifford D. Simak gewidmete Geschichte “Sternentraum”. Ein Raumschiff stürzt über den ländlichen USA ab. Ein Farmer nimmt einen Fremden auf. die Verständigung ist anfänglich schwierig, aber menschliche Hilfeleistung scheint universell zu sein. Als die Behörden auf das abgestürzte Raumschiff und möglicherweise einen Fremden im eigenen Land aufmerksam machen, setzt sich die amerikanische Dickköpfigkeit gegenüber der Willkür der Behörden durch. Auch stilistisch an die zumindest deutschen Übersetzungen von Simaks Geschichten angelehnt überzeugt “Sternentraum” auch durch den Mut des inzwischen einsamen Protagonisten, den nächsten Schritt zu wagen. 

“Zeitmaschinen nur gegen bar” ist eher eine Miniatur. Der Autor setzt sich wie David Gerrold in “Zeitmaschinen gehen anders” mit dem Thema Zeitparadoxon auseinander, ohne dem Plot wirklich neue Aspekte abgewinnen zu können. Die Kompaktheit des Textes und die nimmermüden Versuche des Erzählenden, etwas aus seinem Leben zu machen bleiben wahrscheinlich länger im Gedächtnis als das kurzzeitig überbevölkerte Appartement. 

“Dunkle Sonne” mit im Kern dem Nachdruck der im Shayol Verlag veröffentlichten Anthologie bietet solide Unterhaltung. Gerd Frey ist nicht immer ein Autor mit neuen Ideen. Natürlich lässt sich auch aus bekannten Prämissen etwas Neues, etwas Provokantes oder einfach nur etwas Anderes erschaffen. Aber dazu fehlt dem Autoren irgendwie der Mut. Nicht selten wie bei den militärischen First Contact Geschichten variiert er bekannte Themen  zu wenig und/ oder bleibt hinsichtlich der Enden seiner Geschichten viel zu vage und ambivalent. 

Der Funke will in vielen Texten einfach nicht (mehr) überspringen und auch die Gamer/ Cyberpunk Geschichten wirkten in dieser bodenständigen Anthologie schon bei der Erstveröffentlichung vor mehr als zwanzig Jahren in Ehren ergraut. Die Würdigungen an Jack Vance und Simak fallen positiv aus dem Rahmen  und sind heute noch lesenswert. 

Gerd Frey
DUNKLE SONNE
Fantastische Erzählungen
AndroSF 116
p.machinery, Winnert, Oktober 2021, 200 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 261 4 – EUR 13,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 836 4 – EUR 3,99 (DE)