Die beiden Herausgeber Sabine Frambach & Kai Focke präsentieren insgesamt 55 phantastische Kürzestgeschichten (auf Neudeutsch natürlich Miniaturen) aus den Phantastischen Miniaturen der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar. Mehr Phantasik geht nicht.
Thomas le Blanc hat 2015 ursprünglich als Oneshort für einen in der Phantastischen Bibliothek abgehaltenen Kongresse diese Reihe ins Leben gerufen. Schon bei seinen im Goldmann Verlag publizierten Anthologien hat Thomas le Blanc gerne ein Thema vorgegeben. Keith Laumer mit “Der Zwischenraum”, aber auch Roland Rosenbauer mit der vor vielen Jahren im Heyne Verlag publizierten Anthologie “Computerspiele” haben quasi den Vorreiter gespielt. Wie Jörg Weigand im Thomas le Blanc Geburtstagsbuch ausgeführt hat, überredete er Thomas le Blanc, daraus eine Reihe zu machen. Inzwischen sind über 60 der Hefte publiziert worden.
Aber nur ein Thema vorzugegeben wäre zu einfach. Im Anhang sind zwar alle bis dato veröffentlichten Miniaturen, aus denen ausführlich zitiert wird, aufgeführt, aber da ist nur ein Teil der “Wahrheit”. Manchmal sind es absurd erscheinende Sätze wie “Ihr Haar zersprang wie blaues Glas” - PM Nummer 1 -, welche die Phantasie der Autoren beflügeln sollen. In “Weiße Hölle” (PM 20) gibt Friedhelm Schneidewind einen kleinen Absatz vor. Es ist auch die einzige der Phantastischen Miniaturen, in denen wenige längere Texte präsentiert werden. Das Spektrum der Themen reicht von klassischen Science Fiction Sujets über Goethe bis zu phantastischen Kreaturen wie den Gnurks, die inzwischen auch bei anderen Themenanthologien ein Eigenleben entwickelt haben. In den letzten Jahren haben Autoren wie Sabine Frambach und Alexander Roeder begonnen, ein Haus zu bauen. Ihre jeweils aus nur ihren Miniaturen bestehenden Hefte bauen indirekt aufeinander auf. Und das Haus ist noch lange nicht fertig.
Thomas le Blanc scheut sich aber auch nicht, andere fiktive Universen zu besuchen. So gibt es einen Band, der direkt oder indirekt mit Jules Verne und seinen Helden zutun hat. Herausragend und wegweisend ist allerdings die vierte phantastische Miniatur. “Auf sehr fremden Pfaden”. Karl May Epigonen treffen auf Fantasy. Die Anthologie wurde später erweitert und war zusammen mit Alexander Roeders Tetralogie der Startschuss für Karl Mays magischen Orient.
Im Vorwort definieren die Autoren noch einmal die “Gesetzmäßigkeiten” einer Miniatur, wobei sie sich hinsichtlich der Wortanzahl auch selbst widersprechen. An einer anderen Stelle der kleinen, ein wenig kindisch geschriebenen Erläuterungen zu Thomas le Blanc und seiner Phantastischen Bibliothek findet sich eine andere Wortanzahl. Vielleicht ist auch nur Galdra verantwortlich, welche den mit dem Hintergrund der Miniaturen nicht vertrauten Lesern Informationen kompakt, aber auch wie erwähnt ein wenig oberflächlich darreicht.
Neben dem Überblick über die Fantastik als besonderes Genres setzt sich Galdra mit Thomas le Blanc, der phantastischen Bibliothek in Wetzlar, den Miniaturen, aber auch dem “Zukunft im Heute: “Die Sektion Future Life” auseinander.
Im Anhang findet sich nicht nur die Vita der beteiligten Autoren. Es wird auf die jeweilige Ausgabe hingewiesen, welcher dieser beispielhafte Text entnommen worden ist. Weiterhin werden alle bis dahin veröffentlichten Phantastischen Miniaturen aufgeführt.
Abschließend muss erwähnt werden, das die Herausgeber inklusiv des Verlegers Michal Haitel wie auch alle Autoren auf Honorare verzichtet haben. Die Erlöse fließen komplett der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar zu. Alleine ein simpler Grund, sich durch den Erwerb dieses Bandes das einzigartige Projekt zu unterstützen. Hinzu kommt, das “Staubkornfee trifft Ich- Maschine” eine fast perfekte Präsentation der bis dahin hinsichtlich der Veröffentlichungen längsten thematischen Anthologiereihe im deutschsprachigen Raum ist.
Thomas le Blanc ist gleich mit drei Miniaturen vertreten. “Niesstopfen” führt die Leser perfekt und an einem sehr warmen Händchen nach Wetzlar. Jeder Besucher ist willkommen. Wirklich jeder. Und die Mitarbeiter bemühen sich, auch sonderbaren Kreaturen den Zutritt zu ermöglichen. In “Familiengespräch beim Abendessen” geht es um die Blaufußtölpel, vielleicht die neben den auch in dieser Zusammenstellung präsenten Gnurks die am liebevollsten von den beteiligten Autoren präsentierte Figur der ganzen Serie. “Optimierung des Betriebsklimas” dagegen zeigt eine weitere rote Linie, die sich durch viele der Bände zieht. Die Verballhornung aus Sicht nicht nur der Autoren unsinniger behördlicher Vorschriften. Dabei wird vieles bis ins Absurde extrapoliert, damit die Leser wenigstens im direkten Vergleich zu den Betroffenen schmunzeln können.
Jan Osterloh trifft das Thema nicht nur dank des Titels “Bürokratie ändert sich nie” ebenfalls sehr gut. “Brandschutz” als beispielhaftes Thema erlaubt zwar sehr viele Variationen, aber der Amtsschimmel wird immer eine gewichtige Rolle spielen.
Manche Autoren lassen die Vielzahl ihrer Miniaturen im gleichen Universum spielen. Jörg Weigands “Das Lied des Wassers” ist eine Meister Li Miniatur. Allerdings ein wenig zu intellektuell verspielt und deswegen erstaunlich unrepräsentativ.
Alexander Roeders Bremer “Exception” Club mit seinen seltsamen Erfindern in einer Steampunk Umgebung “Moderner wohnen” sei hier genannt. Die Leser erkennen den Fortschritt und können die Reaktionen der in ihrem Scheuklappendenken erstarrten Männern der gehobenen Gesellschaft nur bedingt nachvollziehen. Die Absurdität zwischen ihren Vorstellungen und der “Realität” macht nicht nur den Reiz der hier vorliegenden Story aus.
Monika Niehaus ist ebenfalls mit zwei Miniaturen vertreten. “Schlechtes Timing” ist Programm. Die Miniaturen stammt aus dem Band mit den “Gnurks”, die in verschiedenen der hier gesammelten Geschichten direkt oder indirekt eine Rolle spielen. Schade ist allerdings, daß die beiden Herausgeber auf eine Miniaturen aus Donnas Kaschemme verzichtet haben. Viele der in dieser besonderen Kneipe spielenden Geschichten sind in dem entsprechenden Sammelband neu veröffentlicht worden. Auch in dem Geburtstagsbuch zu Ehren Monika Niehaus finden sich einige neu verfasste Miniaturen. Daher ist die Verbreitung dieser Texte besser als bei den meisten, nicht außerhalb der Erstveröffentlichung nach gedruckten Kürzestgeschichten. Auf der anderen Seite sind die in Donnas Kaschemme spielenden Episoden zahlentechnisch der umfangreichste Bestandteil dieser langlaufenden Serie und damit sollten sie ein Eckpfeiler in jedem Sammelband sein.
Die Autoren haben aus fast eintausend Miniaturen insgesamt fünfundfünfzig ausgesucht. Ohne Frage kein leichtes Unterfangen, da neben der durchgehend hohen Qualität der Texte ja auch andere Parameter eine Rolle spielene. So muss ein breites Spektrum von Satire über Fantasy, vielleicht mit den mehrfach vertretenen Hexe auch ein wenig Horror bis zu den auf den ersten Blick absurden Themen wie “Goethe” - der erste Doppelband angesichts des eingereichten Materials - vertreten sein. Dazu kommen klassische Science Fiction Stoffe wie “Roboter” und/ oder “Aliens”, aber auch schon die angesprochenen Single Miniaturen.
Kai Riedemann zeigt mit “Vorsicht vor dem Tonka- Virus” das markanteste Zeichen gut geschriebener Miniaturen. Eine stringente Handlungsführung und eine kraftvolle Pointe, die nicht isoliert vom restlichen Text stehen darf.
Sam Frambrachs “Linahans Ausstellung” zeigt den Blick von außen auf den Menschen per se. Der Wissensvorsprung der Lesers ist bei ihrer Miniatur signifikant für die Pointe.
Ester Geißlingers “Was bleibt” ist eine dieser emotionalen Miniaturen, welche den Kopf der Leser nicht verlassen. Die Ausgangsprämisse scheint auf den ersten Blick ein wenig absonderlich, aber ihre Botschaft ist zeitlos, traurig, melancholisch und gleichzeitig auch ein wenig optimistisch.
Die Interaktion mit dem Leser ist der Herausgeberin in “Aufstand der Drucklinge” wichtig. Die Pointe ist vielleicht im Vorwege erkennbar, aber humorvoll subversiv und vor allem ausgesprochen stringent ist die Geschichte.
Der Blick zurück findet sich immer wieder in einigen der Miniaturen. Stellvertretend ist “Herzblut” von Hans Dieter Furrer nachgedruckt worden. Ein Schuster wartet auf seinen Nachfolger. Schweren Herzens geht er in den Ruhestand. Was alltäglich erscheint wird nach und nach durch den Autoren Hintergrund technisch aufgehellt.
Ansgar Schwarzkopfs “Socialcoaching mit Kampfeinheit” lädt zum Lauten lachen ein. Wie bei Douglas Adams wird der Plot auf eine absurde Spitze getrieben. Die Dialoge sind ausgesprochen pointiert, teilweise doppeldeutig und die Hilflosigkeit der Kampfeinheiten erschütternd ehrlich.
“Die Leiden des jungen Goethe” (Tim Piepenburg) ist eine der Miniaturen, in denen der Leser die herauf dämmernde Katastrophe ahnt. Aber die Zusammenhänge zwischen Goethe, H.G. Wells und den Leiden des Erzählers entfalten sich erst gegen Ende der kleinen Geschichte mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit.
Mehrmals ist auch das Thema Märchen aufgenommen worden. Barbara Büchners “Wechselwirkungen” mit einer Variation zumindest eines Teils der Schneewitchen Geschichte ragt in dieser Hinsicht aus der Masse der Miniaturen heraus. Selbst ein Kinderlied wie “Lalelu” (Kasper Felix Käding) wird auf eine originelle Art und Weise verarbeitet.
Werner Zillig ist nur in wenigen Miniaturen vertreten. “Marylin” nimmt viele Aspekte aus seinen anderen Kurzgeschichten auf. Aus einer Wunschvorstellung wird schließlich ein Alptraum.
Qualitativ überzeugen alle hier zusammengestellten Miniaturen. Die beiden Herausgeber haben dabei eher Wert auf ein breites Spektrum gelegt und die individuelle Qualität einzelner Arbeiten sekundär betrachtet. Wer sich länger mit den inzwischen ja wie erwähnt fast sechzig Bänden dieser Anthologiereihe beschäftigt, wird feststellen, dass in einigen Themenbänden fast alle Miniaturen überdurchschnittlich gut sind, während bei anderen Vorgaben die Autoren ein wenig an den Grenzen ihrer kreativen Schöpfungskraft agierend erscheinen. In diesem Sammelband sind nicht alle Phantastischen Miniaturen vertreten, aber die hier gesammelten Storys geben einen sehr guten Überblick über diese grundlegend empfehlenswerte Reihe und laden zu einem ersten Spaziergang durch ein Aushängeschild der Phantastischen Bibliothek mehr als ein, bevor der Leser unbedingt in die Tiefe gehen sollte. Vom guten Zweck des Projekts ganz zu schweigen.
Sabine Frambach & Kai Focke (Hrsg.)
STAUBKORNFEE TRIFFT ICH-MASCHINE
55 fantastische Kürzestgeschichten aus der Phantastischen Bibliothek Wetzlar
AndroSF 122
p.machinery, Winnert, August 2021, 176 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 247 8 – EUR 13,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 851 7 – EUR 3,99 (DE)