Jules Vernes Kapitän Nemo Neue Abenteuer 8: Tödliches Hongkong

Thomas Tippner

Alfred Wallon hat mit den Bänden vier bis sieben den Staffelstab von Ned Land alias Thomas Ostwald übernommen. Allerdings hat Alfred Wallon keine Tetralogie geschrieben, sondern einen fortlaufenden Plot entwickelt. Thomas Tippner  übernimmt mit dem achten Abenteuer „ Tödliches Hongkong“ den Staffelstab und führt die Handlung direkt fort. Es ist vielleicht nicht dringend notwendig, aber auf jeden Fall empfehlenswert, wenn ein Neueinsteiger mindestens Alfred Wallons „Der Tiger von Batavia“ gelesen hat. Thomas Tippners Roman setzt direkt an.

Am Anfang von Alfred Wallons Roman ist der Tiger von Batavia besiegt worden. Er flieht nach Hongkong, wo er noch über ein entsprechendes Netzwerk verfügt. Die NAUTILUS mit Kapitän Nemo folgt ihm. Nemo  lässt das Unterseeboot mit einem Teil der Mannschaft zurück und macht sich direkt auf die Suche nach dem flüchtigen Chinesen.

Der Roman ist auf zwei Handlungsebenen aufgebaut. Der Leser verfolgt die Flucht des ehemaligen Tigers von Batavia durch Hongkong auf der Suche nach nicht nur seinen Helfern, sondern hinsichtlich der komplexen Organisation auch mächtigen Männern im Hintergrund, deren Interesse aber weniger am gefallenen Komplizen, sondern vor allem an der NAUTILUS besteht. Der Handlungsbogen ist flott erzählt, aber echte Spannung kommt nicht auf.

Ein wenig verblüffender ist der zweite Spannungsbogen um Kapitän Nemo. Beginnend mit Jules Vernes Romanen „20.000 Meilen unter den Meeren“ und „Die geheimnisvolle Insel“ hat sich im Leser ein bestimmtes Bild Kapitän Nemos etabliert. James Mason in der Walt Disney Verfilmung und Omar Sharif in der mehrteiligen Fernsehserie haben dieses im Leser entstandene Bild auf ihre jeweils persönliche Art und Weise entsprechend visualisiert.  Ned Land alias Thomas Ostwald hat diese charismatische Persönlichkeit so naturgetreu wie möglich in seinen Romanen verwandt. Alfred Wallon hat in seinen vier Büchern einen deutlich beweglicheren, jüngeren Kapitän Nemo impliziert. Bei Thomas Tippner geht diese Wandlung noch weiter. Vor  allem in der ersten Hälfte ist Kapitän Nemo schwer wieder zu erkennen. So blufft er sich mit einer inszenierten Wirtshausschlägerei in die geheimen Räume seiner Feinde und wird dort mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert. Nicht zum letzten Mal in diesem Roman. 

Kapitän Nemos Faszination bestand vor allem in seinem Hass auf die Menschheit, die ihm den liebsten Menschen genommen haben. Aus Angst, das seine Erfindungen von den Menschen zum Bösen gewandelt werden, hat er sich mit seiner Mannschaft zurückgezogen. Damit die neuen Abenteuer funktionieren, muss Nemo mit der Nautilus deutlich proaktiver werden und erinnert stellenweise an einen viktorianischen Helden, der das Recht in die eigene Hand nimmt, gleichzeitig aber auch von der britischen Krone in Person eines Offiziers verfolgt wird.

Die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit ist immer ein schmaler Grat, auf dem sich Kanonautoren bewegen.  Je weniger Kapitän Nemo über die eigene Vergangenheit angedeutet hat, desto charismatischer erschien die Persönlichkeit. Thomas Tippner geht in einzelnen Punkten vielleicht einen Schritt zu weit. Vieles wirkt jetzt weniger geheimnisvoll als die fast klassisch klischeehafte Vergangenheit eines typischen viktorianischen Helden.

Kapitän Nemo wird vom Jäger zum Gejagten. Er  muss sich gegen verschiedene Gegner durchsetzen, wird gefangen genommen und kann sich befreien. Zusätzlich muss er sich um die Tochter eines ehemaligen Freundes kümmern, den er schon lange tot geglaubt hat. Dieser lebt aber in Hongkong und Kapitän Nemo begegnet ihm bei der beschriebenen Kneipenkonfrontation. Thomas Tippner hält das Tempo der stringenten Geschichte sehr hoch. Die Actionszenen sind gut beschrieben und das unter britische Herrschaft stehende Hongkong ein idealer Hintergrund für eine stimmungsvolle Geschichte. Trotzdem fehlt die Faszination der Originalgeschichten. Auch an Thomas Ostwald minutiös entwickelte Hommage kommen weder Alfred Wallon noch Thomas Tippner heran. Vieles in diesem Buch läuft schematisch ab. Die großen Überraschungen bleiben aus und die NAUTILUS wird auf ein vor der  Küste liegendes Vehikel reduziert, das jeder will und dessen Position Kapitän Nemo natürlich nicht Preis gibt. Thomas Tippner bewegt sich bei einzelnen Szenen am Rande des Klischees. Von allen Hommage Serien im Blitz- Verlag beginnt sich Jules Vernes Kapitän Nemo am weitesten von den Originalen weg zu entfernen, was ohne Frage herausfordernd ist. Die Balance zwischen stimmungsvoller Würdigung und Actionstory wirkt ein wenig in die „falsche“ Richtung gedreht, so dass „Tödliches Hongkong“ seinem Titel zwar alle Ehre macht, aber das besondere Flair der Jules Verne Geschichten mehr und mehr schwindet.    

Band 08, Abenteuer-Roman

Blitz- Verlag
Exklusive Sammler-Ausgabe

www.blitz-verlag.de

Seiten: 168 Taschenbuch

Künstler: MtP-Art (Mario Heyer)
Künstler (Innenteil): MtP-Art (Mario Heyer)