Dieter von Reeken legt mit „Das Rätsel von Garden Hall“ einen kürzeren und mit „Novacasas Abenteuer“ einen umfangreichen Roman aus der Reihe „Gesammelte Reise- und Abenteuer-Romane“ der sechsten Serie „Die Augen der Sphinx“ mit allen Zeichnungen von Adolf Wald als Hardcover gesammelt auf.
„Die Rätsel von Garden Hall“ erschienen als zweiter Band im gleichen Jahr wie „Novacasas Abenteuer“ 1910. Einzeln sind die beiden Geschichten schon 1908 bzw. 1909 veröffentlicht worden.
Während Robert Kraft in vielen seiner Geschichten die Welt als Schauplatz hergenommen hat, verdichtet der Sachse in dieser durchaus britischen Gothic Story den Schauplatz auf ein hässliches britisches Landhaus, umgeben von einer im Volksmund „Millionen Mauer" genannten, fast unüberwindlichen Hürde. Es handelt sich um ein Kammerspiel mit wenigen wichtigen Personen, welche Robert Kraft dem Leser auf den ersten drei Seiten vorstellt. Anschließend entwickelt er die Handlung dieses kurzweiligen und im Vergleich zu anderen Romanen kurzen Buches chronologisch zurück, während der junge deutsche Arzt und Lehrer nach und nach hinter die Geheimnisse dieses Palastes wie auch seiner exzentrischen bis kindlich naiven Bewohner zu kommen sucht.
Max Werner ist ein junger Arzt aus Deutschland, der wenig Erfolg mit den eigenen Praxen hat. Ein Freund empfiehlt ihm, nach England zu gehen, da viele Lords einen Arzt und Lehrer ihrer Kinder, im Grunde ein männliches Mädchen für alles Gehobene im Haushalt suchen. Inklusive der Bespaßung der Ehefrauen, die sich auf dem Land langweilen könnten, während ihre Lordschaft in London unterwegs ist. Max Werner erhält eine Einladung und kann nicht ahnen, dass er keine achtundvierzig Stunden später mit einer knapp sechzehn Jahre alten jungen Frau mit einem kindlichen Gemüt, aber sehr attraktiven Aussehen in einem Haus verheiratet sein sollte, in dem es nur eine, schwer verbarrikadierte Tür gibt.
Max Werner wird von Lord Roger Norwood nach Garden Hall eingeladen. Der Mann sitzt nach einem Unfall – beide Beine mussten amputiert werden – in einem mechanischen Rollstuhl und passt auf seine Nichte auf. Sein Bruder hat sich nach dem Tod seiner Frau im Wochenbett das Leben genommen.
Die Bezahlung ist gut, aber es gibt – natürlich – eine Reihe von seltsamen Forderungen. So darf Max Werner für das Jahr seines Vertrages wie alle Diener das Grundstück mit der hohen Mauer nicht verlassen. Korrespondenz per Post muss durch Lord Norwood erfolgen. Max Werner soll das junge Mädchen unterrichten, auch nach dem Lord schauen. Im ganzen Haus gibt es bis auf einen Raum keine Türen. Angeblich hat Lord Norwood nach seinem schweren Unfall panische Angst, wieder von einer Tür zerquetscht zu werden.
Bei einem ersten Gespräch mit dem jungen Mädchen beginnen sich die beiden zu küssen. Der Onkel erwischt sie und sieht keinen Grund, nicht gleich eine Hochzeit zu arrangieren, da sich das Mädchen und Max Werner anscheinend lieben.
Hier kommt das erste von einigen Rätseln ans Tageslicht. Das junge Mädchen muss bis zu einem bestimmten Alter verheiratet sein, damit ein Teil der Erbschaft von einer Millionen Pfund in einer Staatsanleihe nicht verbrannt wird. Da die Diener nicht in Frage kommen, ist Max Werner als junger, intelligenter und aufgeschlossener Deutscher genau der richtige Partner. Max Werner fühlt sich zu dem unschuldigen, naiven Mädchen hingezogen, das bis dahin noch keinen Fuss vor die Mauern von Garden Hall gesetzt hat. Allerdings ist es ihm auch nicht wirklich klar, wie er so schnell förmlich überrollt werden konnte.
Die Exposition nimmt ungefähr die Hälfte des Buches ein. Wie Max Werner wird der Leser förmlich von Robert Kraft überfahren. Es gibt eine Vielzahl von Ungereimtheiten. So soll das Haus bei einem Feuer nicht gelöscht werden, auch nach der Hochzeit sollen alle Türen bis auf die Eine zu Lord Norwoods eigenen Räumen ausgehängt werden. Das gipfelt in einem handgeschriebenen Zettel vor den Badezimmern, auf dem ggfs. besetzt steht. Die Kommunikation mit der Außenwelt wird komplett durch Lord Werner bis zur Nutzung von ausschließlich für Briefe zur Verfügung gestellten Briefpapier kontrolliert.
Beim Leser schallen zahlreiche Alarmglocken auf. Max Werner stolpert eher überfordert und naiv durch die bisherige Handlung. Jedes neue, immer exzentrischer werdende Rätsel erhöht die Spannung der Geschichte und die Konzentration auf einen Handlungsort tut dem Plot erstaunlich gut. Bei zahlreichen anderen Romanen aus seiner Feder suchte Robert Kraft teilweise weitschweifige Erklärungen und fügte Hintergrundinformationen hinzu, um teilweise sehr auffällig an Seiten zu gewinnen und sein entsprechendes Pensum abzuliefern. Das ist bei dieser intimen Geschichte nicht möglich.
Überraschend gut ist Robert Kraft die Zeichnung seiner Figuren gelungen. Allen voran Lord Norwood, der auf sein wildes Leben am Rande der Enterbung in Australien zurückblickt, kurz über den eigenen Unfall spricht und sich für das Wohl seiner Nichte einsetzt. Geldgier ist es nicht, da die Klauseln des Testaments so aufgesetzt sind, dass alle Seiten von den einzelnen Schritten profitieren und ein Verstoß gegen das Testament den Verlust des Geldes für alle Parteien bedeutet. Exzentrisch, ein wenig bullig und dominant, aber in seinen sehr beweglichen kleinen Rollstuhl gefesselt, ist Lord Norwood eine ambivalente Figur, dessen Grautöne sehr stark die Spannungskurve unterstützen.
So müssen die Diener sich jeden Sonnabend betrinken, damit der Lord ihre lockeren Zungen hören und mögliche Gerüchte belauschen kann. Die eingehende wie ausgehende Post wird heimlich geöffnet und gelesen, bevor sie weitergeleitet oder verteilt wird. Am Ende der Geschichte präsentiert Robert Kraft für diese paranoide Vorgehensweise eine Reihe von rückblickend simplen Erklärungen, welche in der Tradition von Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes Geschichten stehen und eine weitere legendäre Figur – Thomas Ripley aus Patricia Highsmiths Feder – vorwegnehmen.
Auffällig ist, dass einer der Diener nach den Tagen hinter den verschlossenen Türen des einen Flügels auf den Jacken des Lords immer wieder Frauenhaare findet. Insgesamt fünf verschiedene Typen und sie stammen nicht von Perücken, sondern sind frisch abgeschnitten. Die einzige Frau, die offiziell nach dem Tod des ersten Lord Norwoods auf Garden Hall gelebt hat, hat der jetzt im Rollstuhl sitzende Bruder aus Australien mitgebracht. Sie ist aber verstorben.
Ein zufällig entdeckter Geheimgang ist der Wendepunkt der Geschichte. Der deutsche Arzt dringt in die Räumlichkeiten des verschlossenen Flügels ein, er sieht einen noch nassen Fussabdruck auf einem Badeläufer und findet eine seltsame Botschaft.
Die Ereignisse überschlagen sich, als der Lord ein zweites Mal das Anwesen verlässt, um endlich seine Hälfte des Erbschaft vom Rechtsanwalt in Empfang zu nehmen.
Werner hat berechtigte Angst, dass sowohl das Leben der kleinen Ruth wie auch das Leben aller Menschen in Garden Hall gefährdet ist. Robert Kraft zieht auf den letzten Seiten das Tempo deutlich an. Bei einigen seiner Geschichten wie „Das zweite Gesicht oder die Verfolgung rund um die Erde“ oder „Die Arbeiten des Herkules“ hat der Sachse das Interesse an den Geschichten verloren und wollte sie nur schnell beenden. Das Gegenteil ist hier das Fall. In der Tradition der viktorianischen dunklen Kriminalgeschichten - in einem Exkurs vergleicht Robert Kraft den Arzt mit einem bekannten, aber nicht fiktiven Welt Detektiv, der im Kampf gegen die global agierenden Anarchisten von allen Regierungen Geld bekommt, es dann den Armen gibt – offenbart sich das dunkle Geheimnis in doppelter Hinsicht. Es mag konstruiert wirken, dass es zwei „Brände“ in unmittelbarer Nähe gibt. Der eine Brand ist gelegt worden, um Verbrechen zu kaschieren, das andere Unglück mit vielen Toten und Schwerletzten könnte als Gottesurteil durchgehen.
Dem Deutschen werden die weit in die Vergangenheit reichenden Geheimnisse offenbart, wobei Robert Kraft einige dunkle, gruselige Aspekte fast nebenbei behandelt. Wie bei einigen Sherlock Holmes Geschichten liegen die Wurzeln der gegenwärtigen Ereignisse tief in der Vergangenheit und haben viel mit Arroganz und Narzissmus zu tun. Selbstverliebte Menschen werden aus Lebensgefahr gerettet, erweisen sich aufgrund eigener, ebenfalls verbrecherischer höherer Ziele als unwürdig. Die Strafe erfolgt nicht selten aus dem Affekt heraus, hat aber weitreichende Folgen. Es gibt bis auf die naive Ruth und den bodenständigen deutschen Arzt Max Werner in dieser Geschichte nur wichtige Charaktere, die betrügen, stehlen oder töten, während ihnen teilweise das gleiche Schicksal erfährt.
Das Ende der Geschichte ist – trotz einiger Ausflüge ins Pathetische – mehr als zufriedenstellend. Alle zu Beginn aufgeworfenen Fragen werden beantwortet; die Bösen sind entweder bestraft oder sehen ihrer gerechten Strafe entgegen und „Die Rätsel von Garden Hall“ sind nicht der Öffentlichkeit bekannt geworden, aber an der Seite Max Werners hat der Leser die ganze tragische, teilweise brutale Geschichte erfahren.
„Die Rätsel von Garden Hall“ ist vor allem eine Kriminalgeschichte, in deren Mittelpunkt ein Amateur steht, der zu einem Hobbyermittler wird. Wie mehrfach erwähnt ist der Hintergrund viktorianisch englisch. Der Plot spielt sich fast ausschließlich auf dem Gelände Garden Halls oder der mittelbaren Umgebung ab. Diese Konzentration auf einen Handlungsstrang und vor allem auch eine eng begrenzte Umgebung tut der Geschichte sehr gut und von Robert Krafts kürzeren Arbeiten gehört „Die Rätsel von Garden Hall“ zu den stärksten.
Als siebenter Band der „Gesammelten Reise- und Abenteuer – Romane“ erschien mit „Novacasas Abenteuer“ ein fast klassisch zu nennender Robert Kraft, dessen Schauplatz die ganze Welt ist. Wie eine Reihe seiner Kolportage Romane verfügt die Geschichte über einen starken, fast überirdisch starken Erzähler, der seinen Namen erst später verliehen bekommt.
Angeblich hat er schon als achtjähriger Karriere bei der Armee gemacht, mit zehn Jahren war er Hauptmann. Mit achtzehn Jahre war er Kapitän zur See einer Panzerfregatte. Sein eigentlicher Name gehört zu den ersten Adelsgeschlechtern Europas. Egal was er macht, es wird in übertriebenen Tönen über ihn berichtet, bis er schließlich aus dem bisherigen Leben ausbricht und sich als einfacher Wanderarbeiter durchschlagen will. Der namenlose Adlige kann als Alter Egos Robert Krafts gelten. Auch dieser ist - allerdings aus einem bürgerlichen Elternhaus - in die Welt geflohen und hat als Seemann sowohl Grönland als auch Ägypten besucht. In Konstantinopel endete seine Reise. Die türkische Stadt ist in doppelter Hinsicht auch für seinen jugendlichen Protagonisten dieses Lehr- und Wanderjahre Romans von Bedeutung. Während Robert Kraft in Ägypten eine Frau kennenlernte, hat der zu diesem Zeitpunkt der Handlung noch namenlose Protagonist von Frauen genug, nur eine Hündin- Rosamunde – erobert sein Herz.
Ihn zieht es aber wieder zur See und ohne Papiere kann er nicht anheuern. Da er sich aber aufgrund seiner Karriere auf das Seehandwerk versteht, übernimmt er die Identität eines Toten. Ein Kapitän schenkt ihm die zurückgeschickten Papiere Napoleon Bonaparte Novacasas. Die Beschreibung passt auf ihn.
Allerdings hat er auf dem Meer wenig Glück. Das Schiff erleidet Schiffbruch und er strandet auf der Insel Athos, die von erzkonservativen Mönchen bewohnt wird. Das er in Begleitung einer Hündin ist, wollen die Mönche das Tier töten. Er wehrt sich und landet im Gefängnis. Der Leiter des Klosters – eine weitere Überraschung – macht ihm einen interessanten Vorschlag. Die Mönche haben bislang reichlich Handel über Land getätigt, bei der Verschiffung über See werden sie regelmäßig förmlich ausgenommen. Die Mönche wollen ein eigenes Schiff bemannen und brauchen einen Ausbilder/ Kapitän. Da Novacasas in der Theorie schon über die entsprechenden Kenntnisse verfügt, soll er das Kapitänspatent erwerben und mit einer Crew voller Mönche den Seehandel des Klosters übernehmen.
Robert Kraft hat im Laufe seiner langen Karriere eine Reihe von exzentrischen Crews aufs Meer hinaus geschickt. Gleich in seinem ersten Roman „Die Vestalinnen“ (1895) handelt es sich um Frauen, die es den Männern zeigen. In „Wir Seezigeuner“ (1907) setzte sich die Besatzung aus allen Kontinenten zusammen. Ergänzt um einen seltsamen Klabautermann, einen wie Novacasa sehr frühreifen Zigeunerjungen mit schließlich eigenem Schiff oder in dem später geschriebenen Kolportageromane „Das Gauklerschiff. Die Irrfahrten der Argonauten“ (1912) eine Zirkustruppe, die von Hafen zu Hafen zog, um ihre Kunst aus wohltätigen Zwecken feilzubieten. Dazwischen eben eine Crew aus erzkonservativen Mönchen.
Später wird Robert Kraft kurz auf die Popularität seiner Schiffe/ Schiffsbesatzungen zurückkommen. Das Mönchsschiff ist genauso bekannt wie die “Argos” aus “Das Gauklerschiff” oder “Die Sturmbraut” aus “Wir Seezigeuner”. Während die beiden anderen Schiffe aber im Mittelpunkt eines jeweils umfangreichen Kolportage Romans stehen, verschwindet “Das Licht von Athos” vor allem ohne den charismatischen Ich- Erzähler im Laufe der Geschichte förmlich aus der Handlung, um erst gegen Ende der Geschichte wieder aufzutauchen. Die Mönch- Seeleute haben es ohne einen kraftschen Überhelden und Erzähler geschafft, zum Gesprächsstoff in den Häfen zu werden.
In Australien entlassen, wird Novacana später nach einigen Reisen auf eigenen Füßen wieder auf die Mönche stoßen und in die Kapitäns-Rolle zurückkehren. Aus Seetnot gerettet steht Novacana schnell eine weitere, im Grunde unmögliche Prüfung bevor. Ungläubige akzeptieren seine ausgebildeten Mönche vielleicht noch an Bord der “Licht von Athos”, aber Frauen? Ein Schelm, der bei mehreren Rettungsbooten ausschließlich mit Frauen an Bord, nicht an Robert Krafts schon angesprochene Vestalinnen denkt.
Die englischen Tänzerinnen werden zu einer Zerreißprobe. Novacana will sie nicht von Bord schicken, die Mönche in Person des Mönchs Cyriax will sie am Liebsten umgehend wieder auf dem Meer aussetzen.
Robert Kraft flechtet in dieser langen, zum Finale führenden Sequenz zwei klassische Themen ein. Auf der einen Seite die Robinsonade. Ein junger Mönch träumt von einem Leben auf einer einsamen, aber paradiesischen Insel. Auch in “Aus dem Reich der Phantasie” wird der kleine Junge zusammen mit zwei Freunden diesen Traum erleben.
Die zweite Idee ist der fliegende Holländer. Der inzwischen eingekerkerte Mönch Cyriax prophezeit Movacana, dass er fortan als fliegender Holländer auf den Weltmeeren leben wird und niemand das Schiff verlassen kann. Dieser dunkle Fluch scheint sich während der Robinsonade mit einer religiösen Vision zu erfüllen. Auch schleicht sich die Pest an Bord. Die Isolation auf dem Schiff durch die heimtückische Krankheit findet sich ebenfalls als kleinere Rand Episode schon bei Robert Kraft.
Neben den Seereisen - die erste führt mit einem folgenschweren Abstecher nach Konstantinopal wegen des noch abzulegenden Steuermann – und Kapitänspatent schließlich nach Australien – turnt per Pedes der Protagonist auch durch die neue Welt. So lernt er einen typischen Deutschen kennen. Der Schneidermeister Balduin Frettwurst könnte einem Karl May Roman entstiegen sein. Ein starker Akzent. Ein Lebenskünstler, der lange Zeit von der Musik gelebt hat. Inzwischen nutzt er den eigenen gewichtigen Bauch als Instrument und zieht durch die USA.
Dieser Abschnitt erinnert an seine seltsame Mischung aus Karl May und die von ihm erwähnten Friedrich Gerstäcker bzw. Balduin von Möllhausen, aus dessen Werk Robert Kraft ausgesprochen ausführlich und brav mit Quellenangabe zitiert.
Der Weg führt Novacasa mit zwischendurch zwei Gefährten von einem seltsamen Tierpark - ein Mister Giblon hat wilde Tiere auf einem sehr engen Raum zusammengepfercht, um sie im Gegensatz zu Hagenbecks Tierpark wissenschaftlich zu untersuchen - über San Francisco schließlich an die Küste. Hier finden sie ein Wrack voller Speck, weißen Bohnen und schließlich auch Hartkäse. Robert Kraft orientiert sich bei der Auseinandersetzung mit Strandräubern eher an Friedrich Gerstäcker als Karl May. Der Tonfall ist dunkler, brutaler und das Ende dieser Sequenz tragisch.
Neben der Hohen See und Indien hat es Robert Kraft der Wilde Westen angetan. Die Geschichte spielt Arizona. Novacana möchte ein echter Indianer werden, Riten und Rituale kennenlernen. Reiterspiele und kräftige Naturburschen, das sind seine Bilderbuchindianer. In “Das Reich der Phantasie” und “Das zweite Gesicht oder die Verfolgung rund um die Erde” gibt es vergleichbare Exkursionen. Novacana muss sich als Mann erweisen. Dabei ist er in den Augen der Alpakokes ein “Menschenfresser”, der sich an den Seelen ihrer Urahnen zu schaffen macht. Lustiger ist die Umkehrung der Gesetze der Weißen, die auf “Unwissenheit schützt nicht vor Strafe” basieren und Novacana soll der erste auf diese Art verurteilte Weiße werden. Wie in verschiedenen gefährlichen Situationen sind es Frauen, welche den Unterschied machen.
Getrieben durch die teilweise putzigen Dialoge mit Balduin Fretwurst zieht sich der Exkurs durch den Wilden Westen im Vergleich zum ganzen Roman stark hin. Es handelt sich bei “Novacanas Abenteuern” ja um keinen Kolportage Roman mit mehr als eintausendfünfhundert Seiten, sondern eine abgeschlossene Geschichte erzählt auf einem Viertel der Länge. Da wirken einzelne Sequenzen ein wenig hektisch, teilweise unentschlossen , während das Geschwätz der beiden Männer auf ihrem Weg durch den weiten Westen sich ermüdend liest. Alleinstehende Männer, die ihr Glück suchen, bevölkern zahlreiche Romane… nicht nur bei Robert Kraft, sondern vor allem auch in einem neo naturalistischen Stil Jack Londons. Novacana ist in dem Wild West Abschnitt des Buches ein klassischer Jack London-Held, der immer seinen Mitmenschen in extremen Situationen zu helfen sucht. Die Einzelgänger kommen sowohl bei Robert Kraft wie auch Jack London in der unwirtlichen Welt nicht nur des Yukons einsam ums Leben.
Dreimal wird Novacana in eine Kiste verpackt auf die Insel Athos zurückgeschickt. Während des Finales will sein Mönchswidersacher ihn schließlich brechen und sperrt ihn in eine Zelle, deren Boden mit Wasser bedeckt ist. Bis er sich entweder umbringt oder zum Mönchsorden bekennt, soll er nicht schlafen können. Novacana wettet dagegen, dass er sieben Tage ohne Schlaf auskommen kann.
Wie bei einigen anderen Episoden dieser Geschichte wird aus einer exzentrischen Ausgangssituation schließlich blutiger Ernst und es kommt zu einem wahren Showdown zwischen Cyriax und Novacana. Robert Kraft macht deutlich, dass seine Helden keine Heroen in der Karl May Tradition sind, sondern sich an anderen Vorbildern orientieren. Sie haben keine Skrupel, andere Menschen zu töten, um das eigene oder das Leben von Freunden zu retten. Der Überlebenskampf ist teilweise erbittert und rücksichtslos.
Neben der Auseinandersetzung mit den Strandräubern ragt der finale Kampf in einer perfide angelegten Folterzelle aus diesem flüssigen Abenteuerroman positiv heraus.
Aber Novacasa ist auch eine Art Don Juan. Angeblich wusste er schon mit acht Jahren, wie es geht. Mit vierzehn Jahren hatte er schon reichlich Erfahrung. Die erste Frau, welcher er aufgefallen ist, könnte die Heilige Joanna sein. Robert Kraft etabliert diese Figur als Variation zu den bekannten Geschichten, die ihrem Bruder aus Zwillingsliebe auf die Insel Athos gefolgt ist. Dieser ist aber weniger an dem Mönch Glauben, sondern an Macht interessiert. Zur Heiligen Joanna kehrt Novacana auf eher unmännliche Art und Weise mehrfach zurück. Robert Kraft etabliert dieses Szenario als eine Art Running Gag. Dieser Rückgriff auf humorvolle, teilweise an Klamauk erinnernde, sich stetig nur leicht variiert wiederholende kleinere Sequenzen findet sich ansonsten vor allem in seinen umfangreichen Kolportageromanen.
Auf die Heilige Joanna folgt die Dona Priviliga. Eine alte hässliche Frau, der Novacasa bei einer starken Seekrankheit geholfen hat. Jetzt will sie ihn unbedingt heiraten, ihm sein Vermögen vermachen. Ihr Ende ist – höflich gesprochen – zum Himmel stinkend.
Florentine Wittford bringt ihn mittellos in einem Zimmer über einer örtlichen Kneipe unter und beglückt ihn in der Nacht.
Die türkische Sultanadina erkennt ihn Novacana den Dieb eines ihrer Lieblingshunde – die Szene spielt sich relativ früh in der Geschichte ab- und will sich rächen. Allerdings rettet Novacana die beleibte Frau und sie schenkt ihm ein neues Leben in ihrem Harem, allerdings potentiell als Eunuch.
Novacasa hat ja die Identität eines Ertrunkenen angenommen. So ist er überrascht, als er in Australien seiner Frau begegnet, mit welcher er fünf Kinder hat. Das jüngste Kind ist wenige Monate alt. Schon nach kurzer Zeit versteht Novacasa, warum sein Alter Ego ertrunken ist.
Vor zwei Frauen wird dieser Don Juan „gerettet“- durch eine andere Frau. Der Leser mag nicht vom Regen in die Traufe sprechen.
In den USA rettet ihn eine noch hässlichere Frau als Dona Priviliga vom Marterpfahl. Robert Kraft variiert aber dieses Szenario, in dem die Schwester des Häuptlings nur eine Stellvertreterrolle übernimmt. Der Autor nimmt sich ausgiebig Zeit, die Leser über die seltsamen indianischen Hochzeitsriten unter dem Bärenfell zu informieren.
Drei „übernatürliche“ Elemente werden den Lesern aus anderen Kolportage Romanen bekannt vorkommen. So nutzen die Mönche von Athos die Techniken der Fakire, um lebendige Fracht um die Welt zu schiffen. Angeblich die einzige wahre Magie. Erinnerungen werden sowohl an den Klabautermann aus „Wir Seezigeuner“ wach, aber vor allem an „Der Graft von Saint Germain“, der am Ende seines wilden Lebens voller Tricks und Illusionen ebenfalls erkennen musste, das nur indische Fakire über echte Fähigkeiten verfügen.
Die Mönche von Athos können das Heilige Licht beschwören. Mit diesem Licht spüren sie jeden Menschen an jedem Ort der Erde auf. Sie beobachten alles. Auch das ist keine neue Idee, nur in der Form des Glaubens gekleidet. In „Atalanta“ nutzen die Protagonisten eine Art Fernseher, mit dem sie die Erde beobachten können. Diese Art des Fernsehens hat Paul Alfred Müller für seine beiden Heftromanserien „Sun Koh“ und „Rah Norton“ übernommen.
In „Das Gauklerschiff“ wies eine geheimnisvolle Kugel, ausgeschickt von einer namenlosen Organisation, den Seeleuten den Weg.
Und hilft alles nicht, dann muss Hypnotik herhalten. Auch diese alte, den Geist manipulierende Technik beherrschen die Mönche. Robert Kraft hat mehrmals auf diese Technik zurückgegriffen. Die längsten Exkurse finden sich in “Der Graf von Saint- Germaine”, wobei der Sachse in diesem Buch nach jeder Anwendung den verblüfften Lesern die Geheimnisse erläuterte. Friedrich Schillers “Der Geisterseher” hat Robert Kraft wahrscheinlich in dieser Hinsicht inspiriert.
Das Ende der Geschichte wirkt abrupt. Robert Kraft kehrt zum Anfang zurück. Ohne Namen zu nennen wird die wahre Identität Novacanas entdeckt. Von einem Duzfreund, der in der Marine weiterhin Dienst hat. Zwei Jahre des Lotterlebens sind zu Ende, Novacana hat die Welt aus einer Selfmade Man Perspektive kennengelernt. Es gibt einzelne rote Fäden wie das Verhältnis zur mehrmals in der Handlung auftauchenden Joanna, die nicht final geklärt werden, aber das Ende einer zweijährigen Odyssee als moderner Zigeuner stellt die Leser deutlich mehr zufrieden als einige andere Romane Robert Krafts.
Der Titel “Novacanas Abenteuer” fasst die Handlung ausgesprochen gut zusammen. Ein junger Mann mit viel Mut, adligen Blut und einer schnellen Auffassungsgabe erobert sich (im Grunde ein zweites Mal) die Welt und macht Erfahrungen, die er unter der abschirmenden metaphorischen Glaskugel seiner Familie niemals gemacht hätte. Novacana erreicht im gleichen Alter wie Robert Kraft - dieser stahl seinem Vater mit zwanzig Jahren Geld und bereiste einen deutlich kleineren Teil der Welt - literarisch idealisiert deutlich mehr als der Sachse, aber das Herz des Autoren befindet sich immer auf Augenhöhe seines sympathischen Protagonisten. “Novacanas Abenteuer” reiht sich auf der einen Seite in die große Tradition der Robert Kraft Kolportage Romane wie “Wir Seezigeuner” und “Das Gauklerschiff” ein, wirkt aber deutlich intimer und kompakter.