Irodis Stern

Gerd Frey

Unter dem Begriff der magischen Science Fiction erscheint mit „Irodis´Stern“ neben zwei Kurzgeschichtensammlungen der zweite Roman Gerd Freys in der p.machinery. Altdeutsch würde man diese in einer fernen Zukunft spielende Geschichte als Science Fantasy bezeichnen. Natürlich in der Tradition Jack Vances. Das ist nicht einmal bis auf die stilistische Ebene vermessen, denn Gerd Frey präsentiert eine Erde in der schon angesprochenen fernen Zukunft,  in welcher der technische Fortschritt und die brutalen Kriege zwischen den Menschen, aber auch zwischen Mensch und Maschine längst der Vergangenheit und damit bis auf einige Artefakte für die meisten Menschen auch der Vergessenheit angehören.

Es ist eine archaische Welt, auf der die Menschen meistens vom Handwerk und der Landwirtschaft leben. Es ist aber auch eine Welt, in welcher es noch bzw. natürlich wieder Magie gibt,  die in den Händen einiger Auserwählter auch die Naturgesetze bestimmen.

Irodis ist einer dieser mächtigen Natur Zauberer, der seine Eltern früh verloren hat. Sie sind zusammen mit anderen Wissenschaftlern bei der Suche nach verschütteten Artefakten unter der Erde ums Leben gekommen. Bei seinen Großeltern aufgewachsen bestimmte ein starker, manchmal ein wenig cholerischer Charakter seinen Weg. Die Ausbildung zum Magier ist hart. Alleine der Weg zur Ausbildungsstätte ist die erste Prüfung.

Gerd Frey präsentiert die meisten Informationen über Irodis in Form kurzer Rückblenden auf dem Weg. Die Grundgeschichte ist eine Quest zu einem legendären Ort, an dem Irodis die Mondpflanze aussäen und damit der Legende nach (die Leser erkennen die Hommage an die ursprüngliche Geschichte relativ schnell wieder) den Erdtrabanten erreichen kann. Irodis lebt in der Abgeschiedenheit mit seinem mechanischen Diener, aber eher Freund Slawek. Einem der wenigen verbliebenen und funktionierenden Roboter. Auslöser der Reise ist ein Himmelskörper, der Irodis entdeckt hat und welcher sich der Erde nähert. Hinzukommen die Alpträume, welche ihn  erst zu einem der verborgenen Fundorte des Mondpflanzensamens leitet und schließlich zu dem Punkt, an dem der Aufstieg beginnen soll. Dabei ist Irodis nicht klar, ob er die sterbende Erde der fernen Zukunft retten soll oder wird. Vielleicht handelt es sich auch nur um die Flucht zu einem fremden, besseren Ort, während die Erde untergeht.   

  Gerd Frey etabliert mit einem melancholischen Unterton aus der Perspektive des durchaus selbstkritischen Irodis schnell und pragmatisch dessen Welt. Wichtige Hilfsmittel wie einer der wenigen verbliebenen Zeppeline, mit denen die Reise in kürzester Zeit nach der entsprechenden Wartung durchgeführt werden könnte, werden aus dem Verkehr gezogen.  Damit muss die Reise entweder zu Fuß oder auf den örtlichen Reittieren bewerkstelligt werden. Einen zeitlichen Druck gibt es nicht, aber der Autor kann auf diese Art und Weise die unterschiedlichsten Orte und Herausforderungen präsentieren.

Das beginnt mit einem gigantischen Loch, das eine unheilvolle Präsenz hat. Oder der Sturz in den Vorratskeller eines alten, seit Äonen verlassenen Hauses. Oder mittels eines Führers durch einen herausfordernden Wald, nachdem sie aufgrund der Wetter Herausforderungen von dem Jäger in seine Höhle aufgenommen worden sind. Wie gefährlich diese Welt  ist, zeigt die einfache Geste des Jägers, dass er Blumenblüten ausstreut. Nicht aus gefällig, sondern damit die Weggefährten eine Chance haben, im Falle des Todes ihres Führers einen Weg zurückzufinden.

Im Laufe der Quest steigert Gerd Frey die einzelnen Herausforderungen und verzerrt die Landschaft der fernen Erde mehr und mehr.  Hinzu kommen die Erblasten der Technikzeit. Hier hat der Leser einen kleinen Vorteil, denn dank seines Wissens kann er zwischen den Zeilen lesen und einzelne, für die Menschen der fernen Zukunft, wunderliche Dinge besser einordnen. Gerd Frey ist nicht  der einzige Autor, der mit dieser schwierigen Balance zwischen Technik und Magie spielt.  Der Hinweis auf Clarkes Gesetz reicht in diesem Fall nur bedingt aus. Neben Jack Vance hat David Gerrold in seinem wunderbaren Roman „Die fliegenden Zauberer“ sich dieses augenscheinlichen Widerspruchs angenommen. Allerdings bietet Gerd Frey am Ende eine teilweise überraschende Auflösung und strebt nicht den Kompromiss an, der David Gerrolds zeitlosen Roman weniger archaischer als zu Beginn erscheinen ließ.      

Vielleicht hätte Gerd Frey diese sterbende Erde der Zukunft noch ein wenig besser ausmalen können. Nicht nur hinsichtlich der Magie, sondern des Hintergrunds hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wollten die Protagonisten nicht nur sich selbst, sondern vor allen den Lesern sehr viel mehr von dieser exotischen, vielleicht auch bizarren, aber noch erkennbaren Welt und ihren vielschichtigen Bewohnern von den Dörflern bis zu den meist aus der Dunkelheit heraus agierenden Monstern erzählen.  Immer wenn es so weit ist und die Charaktere bewacht von Slawek zur Ruhe kommen, passiert wieder etwas nicht immer Überraschendes und die Quest geht weiter.

In der zweiten Hälfte beginnen sie in einer fantasiereichen Wendung, die sterbende Erde zu verlassen und mittels der Mondpflanze ihrer Mission zu folgen. Neue Welten tun sich vor den Lesern auf, die allerdings eher pragmatisch beschrieben worden sind. Der Zauber der ersten Seiten  verfliegt bis zum – angesprochenen – überraschenden Ende ein wenig und Gerd Frey versucht auf wenigen Seiten Inhalt zu viele Melodien zu spielen. Der Plot wird nicht unübersichtlich, im Gegenteil. Der rote Faden ist stringent zu erkennen, die Ursprungsmission klar definiert und doch fehlt dem zweiten Abschnitt die innere Dynamik, visualisiert in Irodis Alpträumen.

 Neben dem retrofuturistischen Hintergrund lebt die Geschichte von den drei Antihelden auf einer verzweifelten Mission.

Im Mittelpunkt steht mit dem Titel Charakter Irodis eine Figur, die Gerd Frey trotz der Rückblenden am unscheinbarsten gestaltet. Seine Handlungen sind klar umrissen; die harte Ausbildung kennt der Leser und Irodis ist ein zurückhaltender, aber ausgesprochen treuer und auch geradliniger Charakter. Für Frauen hatte er keine Zeit. Allerdings gab es die Eine in seinem Leben, die sich für einen anderen Mann entschieden hat.  Der Roboter Slawek ist sein Freund, sein Gehilfe und sein Ziehsohn. Die Verbindung zwischen Mensch und Maschine ist ausgesprochen stark. Aber über diesen  Punkt hinaus entwickelt Gerd Frey die Titelfigur auch nicht weiter. Sie ist kein  Held, kein charismatischer Charakter. Sie ist der Mensch, der in einem Raum voll anderen Menschen am wenigsten auffällt, aber wahrscheinlich am meisten leistet.

Slawek hat den meisten Humor, auch wenn er ein Roboter ist. Natürlich ist er bereit, sein maschinelles Leben für Menschen zu opfern, die ihn und seine Art hassen. Er ist umsichtig, mutig und manchmal auch ein wenig linkisch. Aber zusammen mit Irodis bildet er ein ausgezeichnetes Gespann, wie es sich für diese Art von Abenteuergeschichten im Grunde auch gehört. Nur zusammen sind sie ein abgerundeter Charakter.

Plasweg ist der ewige Zauderer, der Lästerer. Er ist kein Grund auf böser Charakter. Aber das Leben hat ihn verbittert gemacht und in Irodis Mission sieht er nicht unbedingt einen Wendepunkt. Aber er ist als Forscher, als Wissenschaftler auch neugierig und will sich die Chance nicht entgehen lassen. Positiv ist, dass Gerd Frey dessen charakterliche Entwicklung bis zum Ende durchgespielt hat und dessen Ecken und Kanten auch erklärt. Allerdings hatte auch Irodis keine einfache Jugend und die Ausbildung war auch hart. Im Gegensatz zu Plasweg hat sich Irodis an die Regeln gehalten. Je nach Perspektive lassen sich die Ausreden bzgl. Plasweg pragmatischen (alle müssen sowieso bald sterben) Ansatz auch relativieren.   

Relativ spät tritt mit Miranda die Frau in der Handlung auf, in welche Irodis verliebt gewesen ist und immer noch ist. Miranda mit ihren Verbindungen zur Technikgruppe ist auch der Mittler. Sie verfügt über Taucheranzüge. Nur mit denen kann der Aufstieg bewerkstelligt werden. Sie hat auch mehr Wissen bzgl. der Mondpflanze als Irodis. Sie ist bei ihrer Beziehung der Partner, der die Initiative ergreift. Gerd Frey baut diese Position allerdings nicht aus. Gegen Ende der Geschichte reduziert er Miranda wieder auf die typische Frau, die - in Gefahr gebracht - gerettet werden muss. 

Um diese vier unterschiedlichen Charaktere auf ihrer Reise mit der Mondpflanze zum Himmel, aber nicht dem nicht mehr existierenden Mond, hat Gerd Frey eine Reihe von Nebenfiguren gestellt, die nicht selten nur pragmatisch wirken. Die Kompaktheit des Buches, die Stringenz der Handlung erlaubt es dem Autoren nicht, diese Nebenfiguren und Kreaturen ausreichend dreidimensional zu entwickeln. Das schadet dem Roman grundsätzlich nicht, aber wie die fehlenden ausführlichen Beschreibungen dieser Welt und ihrer Magie fehlt dem Leser in einigen wichtigen Passagen die emotionale Nähe den handlungstechnisch notwendigen Figuren.

Das Ende ist zufriedenstellend, auch wenn Gerd Frey dem Leser Fortsetzungen in Aussicht stellt. Wie die Reise mit der Mondpflanze ist die Pointe nicht vorhersehbar und gibt der Geschichte eine eher technische und weniger magische Wendung. Das Potential für den nächsten Abschnitt einer gewaltigen Reise ist vorhanden und der Leser fühlt sich ein wenig aus der Geschichte geworfen. 

Generell präsentiert Gerd Frey aber eine originelle Science Fantasy Geschichte mit einer zwar dunklen, aber auch nicht hoffnungslosen Prämisse. Der Text hebt sich von zahlreichen klischee beladenen Storys dieser Art positiv ab und Gerd Frey hat für „Irodis Stern“ seinen nicht seltenen distanziert sachlichen Stil ein wenig angepasst, um der Quest der drei mutigen Wanderer ein wenig mehr innere Wärme zu schenken.  

In einem zweiten Epilog findet sich eingeleitet durch ein Jack Vance Zitat die “Rekonstruktion der drei Erlebnisspeicher”. Diese Geschichten haben nichts mit der Romanhandlung zu tun. Gerd Frey beschreibt verschiedene Konflikte zwischen unterschiedlichen Protagonisten. Sie erweitern zwar auf der einen Seite das Bild auf die inzwischen wahrscheinlich untergegangene Welt und beim längsten Text folgt Gerd Frey auch der Jack Vance Tradition von Magiern, die sich gegenseitig reinlegen. Einzelne Aspekte dieser Geschichten wie den Verwandlungszauber nutzt der Autor auch für seinen Roman. Die drei Texte bringen das vorliegende Buch umfangtechnisch auf Romanlänge. Vielleicht wäre es aber sinnvoller gewesen, diese Episoden als interaktive Simulation gekürzt in die Handlung jenseits der Erde einzubauen. Das Potential wäre vorhanden und die einzelnen Protagonisten - für jeden ist unter Berücksichtigung eines Teams aus Irodis und Miranda - ja ein Erlebnisspeicher vorhanden. Das hätte den Abschluss des Buches flüssiger gemacht und der Leser wäre nicht mit einem so starken Bruch konfrontiert worden.       

 

Frey, Gerd, IRODIS' STERN – p.machinery –

Gerd Frey
IRODIS‘ STERN
Magische Science-Fiction
AndroSF 169
p.machinery, Winnert, März 2023, 236 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 325 3 – EUR 15,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 777 0 – EUR 5,49 (DE)