Helium

Ernst von Khoun

Ernst von Khouns 1949 veröffentlichter und ein Jahr später als Radiospiel ausgestrahlter Roman "Helium" gehört zu den dunkelsten Nachkriegsutopien und wird zusammen mit Paul Alfred Müllers "Die Erde brennt" nur nicht auf einer Stufe mit Helmuth Langes "Blumen wachsen im Himmel" genannt, weil es zumindest mit dem Einsatz der hundertfachen Jahresproduktion an Cadmium eine kleine Hoffnung für die Menschheit gibt. Der profilierte Rundfunk und Fernsehjournalist von Khoun hat seinen technokratisch dunklen Roman eher klassisch aufgebaut. Es gibt eine lange Exposition, in welcher die Nachkriegsordnung mit dem im Werden befindlichen Kalten Krieg für seine überwiegend fiktive Handlung nur wenig relativiert wird. Mit Professor Zweiholz - dem Vorbild Einsteins nachempfunden - verfügt der Roman über einen Mittler des nicht selten zu technischen Wissens. Als Dokumentarautor unterbricht von Khoun an nicht unbedingt opportunen Stellen den Handlungsfluss und versucht seinen Charakteren stellvertretend für den Leser die Idee einer neuen ultimativen Vernichtungswaffe - ein Vorgriff auf die Wasserstoffbombe - plausibel zu erläutern. Wie die amerikanische Atombombe ist dieses grundsätzlich militärische Projekt allerdings in den Händen der zivilen Wissenschaft. Czlensky und Nathan sind nicht unbedingt Oppenheimer oder Teller nachempfunden, aber um dem Roman die notwendige Dramaturgie zu geben, sind zwei sehr unterschiedliche Lager von Nöten. Von Beginn des Entwicklungsstadions und damit einhergehend zynisch dem Ausprobieren der beiden Atombomben über Japan geht es auch um den Konflikt, wann die theoretische Wissenschaft die Grenze zur Praxis überschreitet und ab welchem Moment die Forscher auch in die entsprechende Verantwortung zu nehmen sind. Vielleicht ist die philosophische Basis des Romans nicht gänzlich durchkonstruiert, aber die Meinungen der unterschiedlichen Lager werden vom Autoren sehr nuanciert und dialogtechnisch für einen fast ale sechzig Jahre alten Roman präsentiert. Bedenklich stimmt, mit welcher Eleganz die sich schließlich bewahrheiteten Bedenken einiger Forscher zur Seite gewischt werden.

Neben der experimentellen Forschung werden noch zwei andere Ebenen angesprochen. Da wäre die wirtschaftliche Basis. Da die ultimative Waffe nicht mehr mit herkömmlichen Bombern ins Ziel gebracht werden kann, entschließt man sich, sie an den Kopf einer Rakete zu bauen. Im Grunde der Beginn der Interkontinentalrakete und damit einhergehend eine weitere Zuspitzung im Rüstungswettlauf. Der Bau der Rakete erfolgt durch einen eher privaten Finanzier mit seiner überaus tüchtigen, eher "männlich" erscheinenden Tochter, die nicht nur über das Geld ihres Vaters wacht, sondern neben ihrem technischen Wissen auch interessante Ansichten über ihren zukünftigen Gatten hat. Sie erwartet eher einen reichen Mann, um mit ihm auf einer gleichberechtigten Ebene zu kommunizieren können. Diese auf den ersten Blick archaisch erscheinenden Ansichten werden durch den Autoren im Verlaufe des Romans leicht korrigiert, aber das nicht nur emotionale, sondern vor allem geschäftliche Vater- Tochter Verhältnis erinnert an zahlreiche ähnlich konzipierte Episoden in den "Freder van Holk" Leihbüchern. Den wahrscheinlich endgültigen Todesstoß für die Welt liefert allerdings die Politik. In einem schwachen, durch die Opposition abgelenkten Moment unterzeichnet der unentschlossene Präsident - nach dem Muster der amerikanischen Staaten gezeichnet - die Erlaubnis, die Bombe in einem "abgeschiedenen" Teil der Welt zu erproben. Auch wenn von Khoun seine Nationen nicht mit Namen nennt, ist klar erkennbar, dass es sich um die Amerikaner und ihre expliziert genannten Versuche im Bikini Atoll handelt. Die "namenlosen" Feinde probieren überraschend zur gleichen Zeit eine eher konventionelle Atombombe aus. Erst von Khoun unterliegt allerdings nicht der Versuchung, diese beiden Experimente miteinander zu kombinieren und daraus resultierend das Wettrüsten zum Schuldigen zu machen. Alleine der Wissenschaftler, die auch bei ihren Berechnungen aller Risiken wissentlich versagt haben, tragen die Verantwortung für die Katastrophe.

Während zweidrittel des Romans quasi interessante, aber auch intellektuelle, durch die Einschaltung der Presse wie bei Paul Alfred Müller auch eher mechanische Exposition sind, hat es das Ende des Romans in sich. Der Versuch gelingt und misslingt zu gleich. Die Zerstörungskraft dieser neuen Superbombe ist nicht nur verheerend, die beobachtenden Schiffe werden verstrahlt, das Meer verdampft und die Bombe holt sich quasi aus dem frei verfügbaren Wasserstoff neue Nahrung, so dass eine atomar strahlende "Feuerwand" nach und nach sich über die südliche Erdkugel frisst. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, bis die bewohnten Gegenden erreicht und die Menschheit ausgelöst wird. Die Gebrüder Strugatzki werden diese Idee wie auch Paul Alfred Müller in "Die Erde brennt" aufnehmen. Von Khoun lässt sein Ende offen. Ein sterbender Wissenschaftler kann der Menschheit über den Funk des verstrahlten und verlorenen Beobachterschiffs im theatralischen Ende zurufen, dass Cadmium in einer ungeheuren Menge den Brand ersticken kann. Auch bei Paul Alfred Müller rettet eine Art Gegenexplosion mit viel Sauerstoff die Menschheit. Nur bei den Strugatzkis gibt es keine Hoffnung mehr für die in erster Linie forschenden Bewohner der fremden Welt.

Unabhängig von der geringen Chance, die Katastrophe zu stoppen, sind die Beschreibungen der Folgen am Ende des vorliegenden Romans nicht nur intensiv und eindringlich, sie werden mit einer fast wissenschaftlichen Distanz dem Leser vermittelt. Diese fast an ein Sachbuch erinnernde Beschreibung wird schließlich durch das Schicksal von Einzelnen - siehe den Funker, der in letzter Sekunde mit den Regeln bricht und seiner Verlobten Abschiedsworte zu funkt - intensiviert und bleibt länger im Gedächtnis als zu sich über zu viele Seiten hinziehenden technischen Beschreibungen.

Zusammengefasst ist "Helium" vielleicht nicht so dramaturgisch zugänglich wie "Die Erde stirbt" geschrieben oder erreicht durch von Khuon eher durchschnittlich schriftstellerische Fähigkeiten nicht die Intensität von Langes unerreichten "Blumen wachsen im Himmel", gehört aber in einem Atemzug mit diesen beiden überdurchschnittlich vor einem blinden Wettrüsten warnenden Anti Utopien genannt.

    

 

Taschenbuch, 168 Seiten

Heyne Verlag

Originalausgabe, Erstveröffentlichung 1949