Stop Me!

Richard Jay Parker

1988 veröffentlichte Rex Miller mit “Frenzy” – “Im Blutrausch” – einen aufrüttelnden Roman, der sich mit dem Abstieg und schließlich auch der Ermordung einer jungen Frau im Pornomilieu beschäftigte. Der Klappentext von Richard Jay Parkers Debütroman „Stop me!“ erweckt den Eindruck, als könnte er zumindest an die Qualität den schwer verdaulichen, sicherlich provozierenden und doch auf leider wahren Ereignissen basierenden Thrillers heranreichen. Ein Massenmörder, ein sadistischer Killer, der das Internet nutzt, um seine Opfer entweder zu töten oder am Leben zu lassen. In der Mitte des Plots hat man das unbestimmte Gefühl, eine moderne Variante von „The Vanishing“ mit einem Führer durch die Abgründe des Internets vor sich zu haben, bevor die Geschichte auf den letzten Seiten nicht nur zusammenfällt, sondern Richard Jay Parker seinem Protagonisten Leo Sharpe sogar ein Happy End zugesteht. Auf dem Weg dahin müssen einige Ungereimtheiten und vor allem Zufälle beseitigt werden, zumal die Ausgangssituation rückblickend absichtlich verfremdet dargestellt worden ist. Nimmt der Leser das Szenario komplett ernst, erscheint es unwahrscheinlich, dass eine junge Frau ihrem Mann nicht kurz sagt, wenn sie das Date nicht auf dem Weg zur Toilette, sondern zu einer anderen, beiden vertrauten Stelle kurzzeitig verlässt. Zumal es nicht einmal einen entsprechenden Grund gegeben hat, denn sie wäre sowieso an den Ort zurück gekehrt. So wirkt die Auflösung ausgesprochen bemüht und die Verflechtungen insbesondere auf britischer Seite im Vergleich zu den sadistischen, psychopathischen und dadurch vielleicht auch ein wenig zu eindimensional gezeichneten potentiellen Entführern/ Mördern zu stark konstruiert. Bis aber die zu schnelle, zu abrupte und wirklich nicht gänzlich nachvollziehbare Auflösung erreicht wird, muss der Leser mit Leo Sharpe einer Reihe von mehr oder minder falschen Spuren folgen, in die sich einige „normale“, aber verdächtig verhaltende Personen aus Sharpes direktem Umfeld gesellen. Es ist schade, dass Richard Jay Parker nicht den Mut gehabt hat, diese einzelnen Verzweigungen bis zu bitteren Ende durchzuspielen und sie sich quasi von alleine in Luft auflösen.    

  Der Vacation Killer entführt seine Opfer und schickt dann eine E- Mail. Wenn diese an zehn Freunde weitergeleitet wird und jeder dieser Freunde sie ebenfalls an zehn Freunde weitergeleitet besteht aufgrund der Konstellation von Kettenbriefen die Möglichkeit, dass innerhalb von zehn Tagen eine Mail an den Täter zurückkommt. In diesem Fall wird dem Opfer nicht die Kehle durchgeschnitten. In bislang allen Fällen hat der psychopathische Mörder aber anscheinend keine Mail zurück erhalten und den gekochten Kieferknochen seiner Opfer an die Polizei geschickt. Mehr ist nicht von den Entführten gefunden worden. Leon selbst hat eine dieser Mails gelöscht. Als seine Freundin aus ihrer Bar entführt wird und er die Mail bekommt, setzt er anfänglich alles dran, dass diese Botschaft verteilt wird. Die Arbeitgeber seiner Freundin setzen eine Belohnung von 50.000 Pfund aus. Darauf hin wird ihr Junge entführt und ebenfalls ermordet. Aber von Leos Freundin taucht keine Spur mehr auf. Es besteht die Chance, dass die Mail zurück zum Täter gefunden hat. Nur bleibt sie verschwunden. Selbst 15 Monate später hat Leo die Suche gegen die Ratschläge seiner Bruders und seiner Schwägerin noch nicht aufgegeben. Auf einer Webseite wird er mit einem bislang unveröffentlichten Foto Lauras indirekt fündig. Nur hat sich der Betreiber der Webseite Bookwalter zu den Taten bekannt und wurde von der Polizei als Trittbrettfahrer entlassen, da er den Bundesstaat niemals verlassen hat und zumindest Taten in den Niederlanden, vermutlich Deutschland und durch Laura und den Sohn ihres Chefs auch Großbritannien zumindest in der Theorie nachgewiesen werden konnten.

Die Grundidee ist perfekt. Das Internet mit seiner Anonymität ermöglicht es Spinnern, Trittbrettfahrern und potentiellen Psychopathen, auf einer weltweiten Bühne ohne große Mühe die Aufmerksamkeit der dummen Massen auf sich zu lenken. Auch die ersten Seiten des Thrillers sind in dieser Hinsicht ambitioniert und sehr gut gestaltet. Eine Woche Zeit, um einen Menschen zu retten. Aber man hat keine Kontrolle über die Vorgehensweise. Angesichts der zahllosen E- Mail Anschriften und Servern erinnert eine erfolgreiche Rückkehr dieser E- Mail (es sei denn, der Täter befindet sich unter den Verwandten, Bekannten oder Freunden) an einen Millionengewinn im Lotto. Anstatt aber diese Idee auszubauen, den Plot zu straffen und vor allem seiner Geschichte ausreichend Dynamik zu verleihen, verliert Richard Jay Parker zu schnell den roten Faden aus den Augen.

15 Monate sind seit Lauras Verschwinden vergangen. Anscheinend hat der Täter auch nicht wieder zugeschlagen. Deswegen sitzt ein „Unschuldiger“ hinter Gittern und wird von einem Mithäftling umgebracht. Die einzige Verbindung ist zu einer ominösen Webseite. Der Betreiber lädt Leo sogar zu sich in die Staaten ein. Leo wird anscheinend auch überwacht. Ist er vielleicht doch der Täter? Die Kommunikation zwischen dem Betreiber der Webseite und der Besuch in den Staaten bringt den Plot fast zum Erliegen. Die Hinweise sind ambivalent gestaltet, tragen aber im Grunde nicht zur Lösung des Problems bei. Die anschließend geschlagenen Querverbindungen wirken bemüht. Parker kann bei seinen in dieser Hinsicht eher pragmatisch gezeichneten Figuren – wer ist der Trittbrettfahrer, wer der eigentliche Täter ? – keine inneren Spannungen erzeugen und Leo Sharpes Vorgehensweise ist eher phlegmatisch als dynamisch oder gar intensiv. Auch die Zeitspanne von fünfzehn Monaten erscheint die Spannung negierend. Mehr und mehr erinnert der Mittelteil an „The Vanishing“. Auch hier kommt der Suchende dem Täter ohne Hinweise auf das eigentliche Schicksal seiner Freundin auf die Spur. Im Gegensatz allerdings zum schockierenden Ende des niederländischen Originals „The Vanishing“ baut Richard Jay Parker mit der Ermordung einer Arztes in Großbritannien kurz bevor dieser wichtige Informationen Leo geben kann, einen spannungstechnischen Cliffhangar ein. Erst mit der Aufnahme dieser Spur führt der Plot direkt zu den einzigen, in Frage kommenden Verdächtigen. Anstatt allerdings die Polizei mitzunehmen – die Täter ahnen nichts von den Beweisen – geht er alleine vor und müsste jedem normal gestalteten Thriller folgend an dieser Aufgabe scheitern. Wie Parker letzt endlich diesen Handlungsstrang auflöst, ist eher enttäuschend und wirkt stark konstruiert. Selbst die emotionalen Situationen wirken distanziert beschrieben und von einem Tempowechsel in wichtigen Sequenzen hält der Autor leider wenig.

Der Weg dahin mit dem perversen Internetjunkie – natürlich ein fettleibiger abstoßender Typ mit einem nicht weniger übergewichtigen Sohn als Computernerd – und der ruhige „Nachbar“ mit der Möglichkeit, weltweit zu reisen – hätte spannender beschrieben werden können. Positiv zeigt er allerdings auch die weltweiten Möglichkeiten, die das eher unterentwickelt eingesetzte Internet dieser Art von Tätern ermöglicht. Vor allem machen die Handlungen aller Parteien wenig Sinn. Die eine Gruppe müsste längst um die Geschichte aufrechtzuerhalten, entsprechende Spuren verwischen. Die andere Gruppe bricht plötzlich angesichts der Verurteilung eines potentiellen Täters ohne echte überzeugende Beweise aufgrund eines Geständnisses ihre Handlungen ab und zieht sich zurück. Der Vacation Killer ist einer der Mörder, dem die niemals wirklich präsente Polizei anscheinend alles zutraut und nichts wirklich zuordnet. Angesichts der Tatsache, dass auf der einen Seite der Fall für internationalen Aufsehen gesorgt hat, auf der anderen Seite aber absichtlich miteinander verbundene Taten von der Öffentlichkeit und damit impliziert auch der Polizei akzeptiert werden, erscheint der Überbau des eigentlichen Kriminalplots sehr vage. Vor allem ist der Täterkreis interessant. Auch der Versuch, aufgrund einer Belohnung den verschwundenen Sohn von Lauras Chefin in den Fall einzubauen, ohne das sich irgendjemand hinsichtlich der Glaubwürdigkeit äußert, scheint eher bemüht als überzeugend. Leo Sharpes Ermittlungen gehen zu zielstrebig, zu schnell voran. Bedenkt man, dass er immerhin fünfzehn Monate für den Stein des Anstoßes gebraucht hat. Auch hier fehlt jegliche Erklärung. Der Versuch seiner Schwägerin, mit ihm eine Beziehung aufzubauen, wird zu schnell abgeblockt, obwohl hier potentielles Konfliktpotential beinhaltet wäre. Aber der schwächste Part dieses eher routinierten, ohne Frage ambitionierten, aber über die Fähigkeiten des Debütanten hinausgehenden Plots ist das Ausgangsszenario, das in dieser Form nicht hätte stattfinden können. Hier werden absichtlich zu viele, im Grunde unlogische Spuren gelegt, um einen Fall aufzubauen, der rückblickend ganz anders gelagert ist. Wenn alle Puzzleteile auf dem Tisch liegen, fühlt sich der Leser ein wenig von Richard Jay Parker getäuscht. Positiv ist, dass der Autor versucht hat, mit der Kombination aus Internet und Massenmörder einen neuen Weg zu gehen, was ihm anfänglich sogar teilweise gelungen ist.    

 

Auflage:Deutsche Erstausgabe     Festa Verlag
Buchseiten:288 Seiten
Ausführung:Paperback, Umschlag in Festa-Lederoptik
Format:20 x 12,5 cm
ISBN:978-3-86552-371-6
Originaltitel:Stop me
Übersetzung von:Patrick Baumann
Kategorie: