Titanic 1943

Titanic 1943, Malte Fiebing, Rezension
Malte Fiebing

Malte Fiebings reichhaltig bebilderte Studie zum 1943 entstandenen und lange Zeit als typischer Propagandafilm abgehandelten  “Titanic”  versucht zu eruieren, warum die Nazis im Allgemeinen von der „Titanic“ angetan gewesen sind und welchen Weg die Verfilmung insbesondere auch während des Krieges genommen hat. Dank verschiedener DVD Veröffentlichungen sowohl in Deutschland als auch in den USA ist das Original wieder verfügbar und sollte in einem zu kurzen Kapitel ein eher dunkles Licht auf James Cameron werfen, der nicht nur eine Idee aus der Vorlage überdeutlich kopiert hat. Es sind noch weitere Indizien wie das alte Ehepaar in einer sich mit Wasser füllenden Kabine oder die verschiedenen Schnitte, die zeigen, wie „eng“ sich Cameron in seiner Geschichte nicht an die Tatsachen, sondern an Regisseur Selpins Epos gehalten hat.

In seinem Vorwort geht Malte Fiebing auf die Tatsache ein, dass es erstens ein derartiges Buch bislang nicht gegeben hat. Immer wieder kann der an dem Kinofilm im Dritten Reich interessierte Leser bruchstückhafte Fakten in verschiedenen anderen Büchern nachlesen oder in der „Akte Selpin“ über den Freitod des Regisseurs in der Untersuchungshaft wegen Wehrkraftzersetzung blättern, aber ein Buch, das sich nur auf die Entstehung von „Titanic“ unter anderem am Scharmützelsee konzentriert, das hat es noch nicht gegeben. In dieser Form ist das vorliegende, ausgesprochen konzentrierte Manuskript vor allem in Kombination mit dem sehr reichhaltigen Bildmaterial von überzeugender Qualität einmalig.  Auf der anderen Seite hätte der Text nicht nur mehr Umfang verdient, sondern Malte Fiebing muss immer daran denken, dass sein Publikum sich mit dem Schicksal der „Titanic“ und einigen sich widersprechenden Aussagen, der unterschiedlichen Literatur und mit den Verfilmungen auskennt, ihm aber die Tiefe fehlt.  Wenn eine Reihe von markanten Schauspielern für die Verfilmung ausgewählt worden sind, dann wünscht sich der Leser, mehr über diese Männer und Frauen zu erfahren. In Zeiten des Internets ja eine Kleinigkeit, aber das erwartet man auch von der vorliegenden Ausgabe.  Neben dem Vorwort und einer kurzen Inhaltsangabe setzt sich Malte Fiebing mit der Definition des Propagandafilms im Allgemeinen und in Hinblick auf „Titanic“ im Besonderen auseinander.  Zum einen schränkt der Autor nach einem Exkurs in den Bereich der Definition das Spektrum der nationalsozialistischen Propagandafilme sehr stark ein. Nicht alles, was in dieser Zeit entstanden ist, erscheint auch propagandistisch.  Aber es gibt neben den offensichtlichen Beispielen natürlich auch die Schere im Hinterkopf. Ein typisches, vorauseilendes Beispiel für diese innere Zensur wäre Paul Alfred Müllers „Sun Koh“ Reihe, die lange vor dem direkten Eingreifen der Zensur entsprechend arisiert worden ist. Dem Buch fehlt aber in einem Punkt die Ausgewogenheit. Nicht nur die Nazis haben das Medium Film und einhergehend auch das Radio als Instrument zur Verbreitung ihrer rechten und volksfeindlichen Politik benutzt. Auch die Briten und Amerikaner haben insbesondere berühmte Mythen oder Figuren im Laufe des Krieges mobilisiert. Man denke nur an die Sherlock Holmes Streifen mit Basis Rathbone, in denen der berühmte Detektiv eine Reihe von Nazi Agenten auf amerikanischen Boden genauso dingfest machen  wie ihre Geheimwaffen auffinden konnten. Natürlich bietet  sich die Idee einer Tragödie aus reiner Profitgier geradezu an, um mit „Titanic“ gegen die Briten vorzugehen. Interessant wird es allerdings, wenn man das Spektrum erweitert.  Bernhard Kellermanns „Das blaue Band“ auch ohne die Nennung des Schiffes hätte genauso das Vorbild dieser Verfilmung sein können wie Robert Prechtl, der sich tatsächlich mit den gesellschaftlichen Problemen konzentriert auf kleinsten Raum an Bord des Schiffs in seinem „Titanensturz“ auseinandersetzte. Vorlage ist aber Josef Pelz von Felinaus „Titanic“. Es ist interessant, dass von deutschsprachigen Autoren innerhalb eines Jahres mit dem verstärkten Druck der nationalsozialistischen Machtübernahme gleich drei Romane veröffentlicht worden sind, die dieses Thema behandeln. Natürlich könnte vom  25. Jahrestag ausgehend ein Funke überspringen, aber seltsam wie gleichzeitig eine Einladung zu Untersuchung ist es auf jeden Fall.  Während die Autoren also den Verfall der moralischen Sitten und vielleicht prophetisch die Katastrophe des heraufdämmernden Zweiten Weltkriegs am Untergang dieses Schiffes manifestierten, sieht Fiebig auf der Seite der Nazis die antibritische Propaganda als wichtigsten Argument für einen derartigen aufwendigen Film. Schon mit der Verklärung der Burenkriege oder der Befreiung der Iren vom britischen Joch haben nach Goebbels Anweisungen die Studios antibritische und noch nicht antiamerikanische Filme gedreht. „Titanic“ sollte sich in diese Richtung bewegen, auch wenn ein Mann in der Verfilmung, aber nicht im Buch Amerikaner ist. Die Nationalität von Astor, der mit seinen Spekulationen die „White Star Line“ in Schwierigkeiten bringen wollte, wird niemals expliziert erwähnt, aber im Gegensatz zum feigen Ismay  wirkt Astors auffälliges und neureiches Gehabe genau wie seine wilden Börsenspekulationen wie ein Ausdruck der Neuen Welt, welche die Alte monetär zu kontrollieren sucht.  Es gibt aber vielleicht noch ein anderes, historisch sehr wenig belegtes Argument für eine „Titanic“ Verfilmung. Die Nazis litten immer noch unter der „Hindenburg“  Katastrophe. Was lag also näher, um ein Symbol der britischen Überlegenheit zumindest auf der Leinwand noch einmal zu vernichten?  Wenn sich Fiebig im letzten Teil seiner Studie mit dem Verbot des Films nach einer eher unauffälligen Uraufführung und langen Spielzeiten insbesondere in den besetzten Ländern auseinandersetzt, dann zeigt der Autor, wie nahe Ideologie und Realität liegen. Was Klassenkampf – obwohl ausgerechnet der deutsche Offizier an Bord der „Titanic“ die Menschen der dritten Klasse wissentlich oder naiv zum Tode verurteilt, indem er sie wieder unter Deck schickt – und Panik bedeutet, wird insbesondere hinsichtlich der Nachtangriffe der alliierten Bomber dem deutschen Zuschauer spätestens ab 1943 jeden Tag und jede Nacht vor Augen geführt. Der veränderte Kriegsverlauf hat in erster Linie dazu geführt, dass „Titanic“ nicht mehr opportun und leichte Unterhaltung wichtig gewesen ist. Wenn der Autor schon herausarbeitet, dass „Titanic“ als Propagandafilm nur bedingt nutzbar gewesen ist, sucht er mit diesem Abschlusskapitel aufzuzeigen, dass nicht nur das Verbot durch die Nazis eher pragmatisch gewesen ist, sondern die Aufführungen nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen nicht nur von der deutschen Presse der nationalsozialistische Stab gebrochen wird. Im Umkehrschluss arbeitet Malte Fiebig aber auch heraus, dass insbesondere die Deutschen in Hitler und Goebbels Ismay und Smith sehen könnten, die sehenden Auges ihr Land bzw. ihr Schiff in den Untergang steuern.

Um auf den Film und die Adaption zurück zu kommen. Fiebing arbeitet nicht nur in einem Vergleich die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Vorlage und dem ersten, erst jetzt in den Archiven gefundenen Drehbuch sowie letztendlich dem Film heraus, sondern geht auch ausführlich auf  die Dreharbeiten insbesondere an Bord der „Cap Arcona“ vor Gotenhafen ein. Während Selpin bis zu seiner unglücklichen verbalen Entgleisung und der Denunziation es schwer gehabt hat, seine lebensfrohe Crew inklusiv einiger Schauspieler unter Kontrolle zu haben, zeigt Fiebing die Unterschiede zwischen dem „Kraft durch Freude“ Luxusdampfer und der „Titanic“ auf.  Zusammen mit den Aussagen der Komparsin Garda Kinski sind es die lebhafteten Passagen des Buches, da Fiebing ausführlich zitieren kann. Der angesichts des Bildmaterials durchaus als Zuschauer zu bezeichnende Leser erhält nicht nur einen einmaligen Einblick in die Dreharbeiten, sondern angesichts der Fotos, Zeichnungen und Zitate auch einen Blick hinter die Kulissen der Trickeffekte. Vom Bau des Modells über die Rampe bis zum Untergang des auf unsichtbaren Schienen befestigten Schiffes ist es faszinierend zu lesen, wie viele Kosten entstanden sind und wie viel vor allem Mühe sich die Leute gegeben haben, während um sie herum die Welt im Allgemeinen und die deutschen Großstädte im Besonderen in Flammen aufgegangen sind.  So entsteht auf der technischen Seite ein umfassendes Bild der Produktion. Während sich Cameron inhaltlich bei „Titanic“ 1943 bedient hat, sind einige der Tricksequenzen auch in „A Night to Remember“  zu sehen.

Bei den eigentlichen Dreharbeiten und Schwierigkeiten mit den Schauspielern ist es überraschend, das vor allem auch in Kombination mit dem erzwungenen Regisseurwechsel aus „Titanic“ überhaupt ein heute noch sehenswerter, wenn auch distanzierter wie emotional in der ersten Hälfte behäbig steifer Film geworden ist. Fiebing konzentriert sich in seiner kritischen, aber auch ein wenig oberflächlichen Analyse auf drei Hauptfiguren. Sowohl Ismay als auch Astor an die Gegenpole in einer Börsenspekulation, die es in dieser Form genau wie die Jagd nach dem blauen Band niemals gegeben hat. Interessant ist, dass Ismay als der Reaktionär, als der Treiber deutlich eindimensionaler gezeichnet worden ist als der amerikanische Milliardär Astor nicht mit Ehefrau wie in der Realität, sondern seiner Geliebten an Bord, der im Hintergrund mit seiner feindlichen Übernahme Ismay immer wieder antreibt und ihn gleichzeitig am Gängelband des amerikanischen Kapitals behalten möchte. Zwischen diesen beiden Extremen steht mit dem deutschen Ersten Offizier Petersen nicht nur eine fiktive Figur, sondern wahrscheinlich auch die Idealisierung eines perfekten Hochstaplers, der in den dreißiger Jahren mit seinen Geschichten über den Untergang des Schiffs und die eigene Rolle durch das Deutsche Reich getingelt ist. Neben einer kurzen Vorstellung der Schauspieler versucht Fiebing aus Sicht der Nazis die elementaren positiven wie negativen, die notwendigen Charakterzüge heraus zu arbeiten.  In Kombination mit den subjektiven und manipulativen Pressetexten gelingt das sehr gut.

Aber Fieding vergleicht auch gerne. Sowohl den Film von 1943 mit „ A Night to Remember“ als bis zum Plagiat auch mit Camerons Meisterwerk, aber vor allem auch die Fehler der Verfilmung mit den bekannten Tatsachen. Neben der immer wieder aus Deutschland erwähnten Wettfahrt um das Blaue Band, das die „Titanic“ aufgrund mangelnder Maschinenleistung gewinnen konnte und deswegen schnell, aber nicht an der Belastungsgrenze gefahren ist, sind es die obligatorischen Fehler auch hinsichtlich des Untergangs, die aus einer Mischung aus suggestiver Propaganda wie auch Ignoranz historischer Fakten gegenüber nicht zum letzten Mal verwandt worden sind. Aber selbst das eingeholte Gutachten Schnabels, das Selpin wegen der fortgeschrittenen Dreharbeiten auf der einen Seite, den entwickelten fiktiven Charakteren auf der anderen Seite ignorieren musste, weist aus heutiger Sicht Unstimmigkeiten auf, die ein zu ruhiges Verhalten an Bord des verlorenen Schiffes implizieren.

Malte Fiebing hat die Studie in einem solide sachlichen, vielleicht manchmal ein wenig zu distanzierten Stil niedergeschrieben, so dass wichtige Aspekte dem Leser überdurchschnittlich gut vermittelt werden, ihm aber die emotionale und vor allem persönliche Bindung zum Autoren fehlt. Neben dem effektiv eingesetzten Bildmaterial wünscht man sich eine nachhaltigere Wertung des ganzen Films. Die neutrale Position als Sprungbrett ist nachvollziehbar, zumal man sich heute bei einer kritischen Betrachtung des Films mit vielleicht sogar Lob ohne Frage leicht die Finger verbrennen kann, aber alleine die Bedeutung des Films für die Nazis in Relation mit den heutigen kritischen Reflektionen überzeugend herauszuarbeiten ist die Stärke dieses kleinen, aber fein gemachten interessanten Bändchens.            

Paperback
140 Seiten
ISBN 978-3-8448-1512-2
Verlag: Books on Demand    

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