Bran

Matthias Falke

Mit „Bran“ legt der „Atlantis-Verlag“ eine serienunabhängige Arbeit des 1970 in Karlsruhe geborenen Matthias Falke als Paperback vor. Falke hat neben einer Reihe von Kurzgeschichten an der Serie „Star Voyager“ mitgearbeitet und verfasst die abschließend aus sieben Trilogien bestehende „Enthymesis“ Saga, von der die ersten drei Trilogien vorliegen.

„Bran“ ist ein ambivalenter Roman, der überwiegend erfolgreich auf verschiedenen Subgenres zu Tanzen sucht. Die Grundprämisse ist ein fast klassisch zu nennender Krimi. Der aggressive und erfolgreiche Politiker Richards verschwindet. Nicht nur in der Realität, sondern aus den Speichern sämtlicher Computer. Seine Existenz wurde förmlich ausgelöscht. Sein „Freund“ und politischer Antagonist Francis Brighton erinnert sich aber an Richards. Wie auch Straner, den Brighton mit unbegrenzten Mitteln ausstattet und zum Wüstenplaneten  Zhid schickt, wo Richards vor dreißig Jahren ein Handelsabkommen aushandeln sollte. Mit der Ankunft Straner auf einer von der Politik mehr oder minder absichtlich auf einem primitiven, fast kommunistisch archaisch zu nennenden Niveau gehaltenen Welt verschiebt sich der Plot von einer stringenten Detektivgeschichte zu einer Art proletarischem „Dune“ mit einer stringenten Hierarchie, einer attraktiven Prinzessin – die aber von einer Hure und einem Dahergelaufenen abstammen soll – und politischen Ränkespielen auf einem unwirtlichen, lebensfeindlichen Planeten. Straner erfährt, dass Richards perfektes Verschwinden kein einmaliger Vorgang ist, sondern dass sich vor dreißig Jahren beim ersten Eintreffen Richards auf Zhid etwas Vergleichbares abgespielt hat. Bis zur Mitte des Plots folgt Straner einer Reihe von mehr oder minder anscheinend ausgelegten Spuren, wobei er sich mit verschiedenen sehr attraktiven wie willigen Frauen fast gegen seinen Willen vergnügt. Obwohl Falkes Zukunft über Raumschiffe und einen interstellaren Handel verfügt, konzentriert sich der Autor innerhalb der Planetenatmosphären absichtlich auf eine Art Low Tech Entwurf, der einen starken Kontrast zu den Körper Veränderungen ausbildet. Eher durch einen Zufall stolpert Straner über einen „Bran“, einen Tunnel durch die Zeit, der die Vergangenheit über die Figur Brighton mit der Gegenwart verbindet. Ab diesem Augenblick verliert der eigentliche Kriminalfall vorerst deutlich an Bedeutung, da sich Matthias Falke auf eine an eine unnötig komplizierte Moebiusschleife erinnernde Zeitreisegeschichte konzentriert, für die er sich trotz aller Effektivität den Vorwurf gefallen lassen muss, ein wenig zu sehr nach einer Art „Deus Ex Machina“ Lösung zu greifen. Diese Vorgehensweise reicht bis zum cineastisch interessant dargestellten Showdown, in dem – wie es sich für einen Kriminalfall klassischer Tradition gehört – alle Verdächtigen und in Frage kommenden Täter teilweise in mehrfacher Ausführung aufeinander treffen und aus der Manipulation der Vergangenheit heraus die Zukunft zu formen suchen. Damit soll nicht ausgedrückt werden, da Straners improvisierte Auflösung des „Falls“ nicht originell oder gar langweilig ist. Sie ist ohne Frage angesichts der von Matthias Falke aufgestellten Prämissen sogar ausgesprochen überzeugend, zumal die klassische klischeehafte Idee der Auswirkungen einer Veränderung in der Vergangenheit, das Töten eines wichtigen Menschen in verschiedenen Variationen durchgespielt wird. Sie befriedigt nur angesichts des interessant ausgestalteten Falls nicht gänzlich. Wenn der Autor am Ende durch Straners „Hilfe“ auch noch zugeben muss, das einigen Szenen aus der eingeschränkten Perspektive des Lesers die „Vorgeschichte“ fehlt und er absichtlich auf falsche Spuren –siehe die Ermordung des Anführers der Rebellen – gelockt worden ist, dann wirkt der Abschluss zu stark konstruiert. Vielleicht wäre weniger hier mehr gewesen. Falke hätte nicht noch ein Motiv über das nächste stülpen müssen, um den Leser ausreichend und gut zu unterhalten.

Ohne Frage störend ist weniger die Idee einer Zeitreise, als deren Entwicklung durch eine Firma von Senator Brighton. Das der Senator diese im Grunde ultimative Waffe nicht persönlich einsetzt, um einen „Feind“ zu eliminieren, seinem Planeten wichtige Handelsrechte auf Jahrzehnte zu sichern, sowie in einer der Realitäten einen Krieg zu verhindern, ist klar. Aber einen unkontrollierbaren, schwierigen, aber auch impliziert sehr erfolgreichen Ermittler mit einer derartigen Aufgabe zu betreuen, ist ein gewaltiges Risiko, das in keinem Verhältnis zum angestrebten Ergebnis steht. Falke arbeitet auch nicht sauber genug heraus, warum Brighton wirklich von Richards Verschwinden überrascht sein sollte und warum der Senator aktiv an einer entscheidenden Stelle in Zhids Vergangenheit eingreifen möchte, ohne das die Auswirkungen auf die Gegenwart – sie halten sich in dieser fiktiven Realität in phantastisch engen und damit „geplanten“ grenzen – spürbarer werden. In diesem Punkt bleibt Matthias Falke vielleicht ein wenig zu sehr an der Oberfläche und konzentriert sich darauf, den ungeschriebenen Gesetzen des Zeitreisegenres keine neuen Aspekte hinzuzufügen. Im Gegensatz zur plottechnisch fehlenden Harmonie zwischen dem ersten, deutlich stärkeren Teil des Romans und dem zweiten, sehr verspielten, aber politisch ein unnötiges Konstrukt aufblasenden Abschluss überzeugt der futuristisch exotische Hintergrund sehr viel mehr. Zhid präsentiert sich als lebensfeindliche Wüstenwelt. Die Kultur ist politisch eher an die Strukturen des Nahen Osten mit einem Schuss „Geschichten aus 1001 Nacht“ angelehnt. Obwohl die Geschichte in einer ferneren Zukunft spielt, integriert der Autor Elemente aus der Vergangenheit. Auch die enge Verbindung zu Mythen/ Sagen, die niemals Plot entscheidend sind, lässt dem Leser diese Welt vertraut werden. Die Technik wird mehrmals zum Damoklesschwert. Da die Politiker/ Diktatoren eher eine Isolation ihrer Welt bevorzugen, verrottet in den Großstädten lebensnotwendige Technik. Besteht kein Interesse an der Ausbeutung der anscheinend vorhandenen Bodenschätze. Auf der anderen Seite ist die diesen Sektor dominierende Macht Rangkor an einer aggressiven Ausweitung der Handelsbeziehungen ggfs. auch unter Einsatz militärischer Gewalt interessiert. Matthias Falke sucht die Winkelzüge der Politiker zu beschreiben, wobei sich in Anlehnung an die amerikanische Außenpolitik der sechziger bis achtziger Jahre keine wenige Überraschungen auftun.

Die Charaktere sind eher ambivalent gezeichnet. Straner ist ein eigenwilliger Held. Anfänglich ein angeheuertes Werkzeug des Senators. Er gilt als Spezialist für schwierige Ermittlungen, kann diesen Ruf aber an keiner Stelle seiner Ermittlungen wirklich untermauern. Gleich bei seinem Anflug auf Zhid fällt ihm die Tochter des örtlichen Herrschers in Auge. Danach sind seine Erkundigungen so auffällig, dass der Herrscher ihn quasi zu einem persönlich vertraulichen Gespräch einladen muss. Strange versucht mehr über

Richards ersten Besuch auf dem Planeten herauszufinden, der mit dessen politischen Aufstieg in den Folgejahren gleichzusetzen ist. Die Informationen sind genauso schwammig wie Straners Vorgehensweise, der unter anderem von einer örtlichen Prostituierten aufgenommen wird, als er ein Obdach sucht. Straner bleibt dem Leser über weite Strecken fremd. Auch wenn er auf eine eigene Initiative handelt, bewegt er sich über Zhid eher wie in einem Fiebertraum. Diese Unbestimmbarkeit des Charakters, seine fast willkürlich erscheinenden Handlungen wird mit einer auf den ersten Blick auf einer perversen „Note“ abgeschlossen, die Matthias Falke allerdings zwingt, kontinuierlich Informationen nachzuschieben. Natürlich ist es interessant, keinen klassischen Ermittler in einem Kriminalfall zu sehen, ob Straner wirkt zu künstlich überzeichnet und es springt kein Funke über. Der Senator Brighton als Auftraggeber und schließlich auch interessierte „Täterpartei“ ist ein eindimensionaler, hinter den Kulissen agierender Agitator, dessen Motiv wahrscheinlich das kontinuierliche Schattendasein ist, obwohl er zu Beginn der Ermittlungen Straner und damit dem Leser einen anderen Eindruck vermittelt.

Das Frauenbild des Romans ist so einzigartig. Selten hat man ersten so viele attraktive „Begleiterinnen“ auf einmal oder besser gesagt nacheinander mit dem Helden freiwillig und teilweise gegen seinen Willen schlafen sehen. Diese anscheinend auf Frauen anziehend wirkende Abweisung dominiert die erste Hälfte des Romans, während Straner in der zweiten Hälfte durchaus aktiv und Ziel fördernd mit schönen Frauen schläft, von denen in doppelter Hinsicht eine seine Tochter sein konnte. Matthias Falke versucht Straner eine besondere Beziehung zu einer Frau auf den anscheinend attraktiven Leib zu schreiben, der Funke will aber nicht überspringen und die Beziehung konzentriert sich neben einzigartigen Sex auf einige bedeutungsschwangere Dialoge. Die Tochter wahrscheinlich nicht nur des Herrschers präsentiert sich anfänglich als kokettes junges Mädchen, das seine sozialen Pflichten eher widerwillig trotz der Begeisterung des Volkes erledigt. Später zeigt sich eine vermutlich andere Inkarnation des Mädchens deutlich dreidimensionaler, agiert nuancierter und verfügt über einige wenige wichtige Szenen, in denen sie als Person agieren kann und nicht durch Straners Neugierde zu einer attraktiven Ikone stilisiert wird. 

Zusammengefasst ist „Bran“ kein gänzlich zufriedenstellendes Buch. Atmosphärisch starke Szenen und eine interessante Ausgangsposition stehen manchem Klischee in der zweiten Hälfte des Romans gegenüber, in der es Falke nicht gelingt, mit der Zeitreisethematik etwas wirklich Neues oder Originelles anzustellen. Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeiten treibt er allerdings mit Enthusiasmus und nötigem Ernst den Plot zu der finalen Konfrontation, die zu viele Fragen letzt endlich offen lässt. Das die für den Leser relevante Identifikationsfigur  Strange noch Erklärungen seiner Gespielin/ Kameradin in der Gegenwart nachreichen muss, ist erzähltechnisch nachvollziehbar, unterstreicht aber die mehrfach angesprochenen Schwächen. Positiv verzichtet Matthias Falke auf übertriebene Actionszenen und setzt eher auf bedrohliche Atmosphäre und gut geschriebene teilweise spitzfindige Dialoge. „Bran“ ist stellt trotz der angesprochenen Schwächen über weite Strecken eine unterhaltsame Lektüre, die Neugierde des Lesers reizende Lektüre dar. Am Ende wird zu vieles zu „schnell“ simplifiziert, so dass Falke gleichzeitig über das Ziel hinausschießt und die potentielle Originalität der Ausgangsprämisse negiert.     

 

  • Broschiert: 252 Seiten
  • Verlag: Atlantis Verlag Guido Latz (28. Februar 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 386402062X
  • ISBN-13: 978-3864020629
  • Größe und/oder Gewicht: 21 x 14,8 x 1,8 cm