Casino Moon

Casino Moon, Peter Blauner, Titelbild, Rezension
Peter Blauner

Zu Beginn der achtziger Jahre inszenierte der Franzose Louis Malle mit „Atlantic City“ einen Außenseiterblick auf die inzwischen heruntergekommene Metropole an der Atlantikküste, die zeitweise Las Vegas in der Wüste als Spielerparadies und gleichzeitig auch Treffpunkt der Mafia den Ruf streitet machte. Die Liebesgeschichte zwischen Burt Lancaster und Susan Sarandon zeichnete sich durch eine intensive Milieustudie und vor allem dreidimensionale Portrait von klassischen Verlierern im Wandel der Zeit aus. Peter Blauners zweiter Roman, 1983 nach intensiven Recherchen entstanden, könnte eine Variation dieses Themas sein. Auf verschiedenen Ebenen zeichnet der Autor nicht nur ein nachdenklich stimmendes Bild dieser von seinen am Meer gelegenen Casinos nach, sondern interessiert sich für eine Handvoll von Charakteren, die alle von einer besseren Zukunft träumen und niemals ihrer Vergangenheit wirklich entkommen können.

Meisterlich konstruiert und melancholisch geschrieben beschwört der Autor nicht nur den Geist der achtziger Jahre mit ihren immer stärker werdenden Generationskonflikten herauf, sondern zeigt, das die alten ehrenhaften Mafiafamilien zu Gunsten oder zu Lasten einer von außen eindringenden Generation von brutalen Gangs an Macht verloren haben. Wie ein komplexes Puzzle fügen sich abschließend die einzelnen Handlungsebenen ineinander und Blauner ist sich nicht zu schade, nicht unbedingt sympathische, aber wichtige Charaktere sterben zu lassen. Wenn am Ende einer der Protagonisten in Handschellen wegen des Verkehrs von der Polizei über die Prachtstraße am Strand gefahren werden muss, ist die Ironie komplett. Mit einer wenig mehr Weitsicht, vielleicht ein wenig Phantasie hätten die Gangster alle Millionäre sein können, während ein kleiner Rechtsanwalt ihnen vor einigen Jahren die Grundstücke zu einem Bruchteil des Preises abgenommen und die gigantischen Casinos gebaut hat. Diese Doppeldeutigkeit, diese Hilflosigkeit spiegelt sich in allen Figuren wieder, die auf unterschiedlichen Wegen ein besseres Leben suchen. Am Ende besteht der Roman im Grunde nur aus Verlierern.

Im Mittelpunkt steht Anthony Russo. Sein Stiefvater ist ein Gangster, ein Mafio. Er ist der Handlanger Tonys, des ehemaligen Herrschers dieser Stadt und im Hintergrund Lenkers der Gewerkschaften, die sein Geld waschen. Anthony Russos Vater ist vor vielen Jahren unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen und dessen bester Freund Vin hat sich dem Jungen angenommen. Wie Teddy, Vin und Anthonys Vater zusammenhängen, ist dem Leser vielleicht früher klar als den eigentlichen Charakteren. Es fehlen die Details, aber wenn das Bild komplettiert wird, überrascht es weniger den Leser als das es eine konsequente Fortführung eines Handlungsbogen ist. Es ist ein notwendiges, aber schwaches Element. Anthony Russo hat sich viel Geld von Teddy für sein Geschäft geborgt, das aber nicht sehr gut läuft. Zusätzlich ist er mit Teddys Tochter verheiratet, was das Familienverhältnis nicht unbedingt besser laufen lässt. Anthony Russo glaubt, mit einem einzigen Boxkampf alle Schulden loszuwerden und frei zu sein. Der Bruder eines Bekannten ist ein ehemaliger Boxchampion und er glaubt, das dieser noch einmal sein großes Comeback feiern kann. Anthony will ihn managen. Er ahnt aber nicht, dass das Boxgeschäft im Gegensatz zur Mafia noch mehr ein Haifischbecken ist. Er muss viel Geld investieren, das er sich wiederum leihen muss. Sein Vater und Teddy dürfen genau wie seine Frau nichts davon wissen. Bei seinem Engagement im Boxgeschäft lernt er eine Stripperin und Mutter einer Tochter kennen, in die er sich zumindest kurzzeitig mit schlechtem Gewissen verliebt. Sie kann ihm mit körperlichen Einsatz helfen, dass zumindest der Kampf stattfindet.

Neben den windigen Geschäften der Boxpromoter geht Peter Blauner auf die Halbweg jenseits des Rings ist, wo sich die ehemalige ehrenwerte Gesellschaft sammelt und sich vor allem selbst feiert. Geschäftlich überfordert und zu weich betrügen ihn alle. Es ist interessant, dass sich ausgerechnet Anthony Russo als selbstopfernder ehrenwerter Verlierer erweist, der seine Erlösung nicht in den eigenen Familie oder Gesellschaft findet, sondern wo anders. Es ist tragisch, dass er schließlich der rote Faden ist, an den sich die Polizei hängt. Er hat sich immer wieder dagegen gewehrt, Mitglied der Familie zu sein. Als ihm die Hinrichtung eines Konkurrenten in die Schuhe geschoben wird, versucht dessen Sohn, Rache zu üben. Blauner geht dabei ohne Kitsch oder gar eine Position zu beziehen auf die Faszination wie die Abscheu des Mafialebens ein. Ein Vorreiter von Filmen wie „Casino“, „Goodfellas“ oder „Millers Crossing“ geht er auf die kleinen Intimitäten einer im Grunde verlorenen Gesellschaft ein.

Teddy ist der ehemalige Pate der Stadt. Von einem Rechtsanwalt ausgehebelt hält er sich an das Geldwäschegeschäft, die kleinen Betrügereien und die Kontrolle der Gewerkschaften. Aus New York wird er als ein Auslaufmodell angesehen, das sich auf die sizilianischen Wurzeln bezieht. Aber seine Kinder sind Amerikaner, in den USA aufgewachsen und haben kein Interesse mehr an der Heimat. Er versucht dank seiner Schläger und einiger gezielter Hinrichtungen an der Macht zu bleiben. Als bei ihm Krebs entdeckt wird, zerbricht die raue Schale und wie ein in die Ecke getriebener Mann versucht er sich verzweifelt zu verteidigen und Schatten zu attackieren. Es ist erstaunlich, wie schnell abschließend seine Macht zerbricht. Je mehr alte goldene Regeln er ignoriert, um so schneller geht sein Fall einhergehend mit seinem körperlichen Verfall. Dazwischen steht mit Vin ein Mittler, der seinen Ziehsohn vielleicht auch aufgrund des schlechten eigenen Gewissens schützen, aber auch seinem Boss nicht in den Rücken fallen will. Auch wenn Vin auf den ersten Blick vielleicht die eindimensionalste Figur dieses Buches ist, zeigt sich an ihn am Besten der Wandel der Zeiten. Jede seiner Aktionen hat einen negativen Effekt und führt zur nächsten kleinen Katastrophe.

Bei den Frauengestalten greift Peter Blauner auf Anthony Russos schwangere Frau zurück. Sie erwartet ihr drittes Kind. Sie träumt von einem besseren Leben, ist aber im Vergleich zu einem Mann der realistischere Part in der Ehe, der vor allem Sicherheit haben möchte. Rosemary ist die inzwischen 38 Jahre alte ehemalige Prostituierte, Stripperin, Mutter einer vierjährigen Tochter. Sie ist vom Leben gezeichnet. Sie wohnt in einer heruntergekommenen Gegend, ihr Job ekelt sie an. Ihre Mutter passt mehr schlecht als recht auf die Tochter auf. Sie hat nichts gelernt, sie weiß, dass irgendwann ihr Körper nicht mehr mitmachen wird. Anthony und seine großen Pläne wären ihr Ticket in eine bessere Zukunft. Blaunerzeichnet sie als opportunistische Optimistin, bei welcher der Leser nicht ganz klar entscheiden kann, ob sie einen Moment Anthony wirklich liebt oder ihn nur antreibt. Sie ist noch einmal bereit, sich für die höheren Ziele zu prostituieren. Sie verschweigt, dass sie einmal mit Teddy zusammen gewesen ist. Wie bei Anthony wünscht man ihr eine bessere Zukunft. Kantig, aber nicht unsympathisch, hartherzig und doch hilfsbereit gehört sie vielleicht zu den ein wenig idealisierten Männern und Frauen in einem auf den ersten Blick so wohlmeinenden Moloch mit seinen extremen Kontrasten zwischen der Flaniermeile am Meer und den Slums nur wenige Blocks weiter.

Die Polizei spielt in diesem Buch keine große Rolle. Wie bei einem Dominospiel sorgen sie dafür, dass indirekt ein Stein nach dem anderen fällt. Sie sind immer einen Schritt zu spät und begleiten das Geschehen doch mit einer fast poetischen, irrealen Gerechtigkeit. Sie dienen aber auch für den Leser als Fundgrube für wichtige Informationen, so dass sie eine Art Korsett in dem zutiefst menschlichen Geschehen spielen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist allerdings Atlantic City. Ohne in die Details zu gehen malt Peter Blauner ein Portrait dieser Stadt, deren Glamour noch mehr als in Las Vegas Fassade ist. Eine Stadt, die kurzzeitig aufgeblüht ist und dann verloren an der rauen Meeresküste wieder in eine Art Dämmerzustand zurück gefallen ist. Ein Tummelplatz von gebrochenen Menschen, von Träumern und schließlich auch ein Ziel von immer brutaler werdenden Gangs. Vor allem in Kombination mit der rauen Lebensgeschichte in Louis Malles „Atlantic City“ entsteht das Bild einer Stadt, die im Schatten von Las Vegas und New York wie diese einfachen, in einem Strudel langsam sterbenden Menschen um ihre Identität und ihr Überleben kämpft. Wie die meisten der Protagonisten wird sie ihrem zweifelhaften Ruf nicht mehr entkommen können. „Casino Moon“ ist viel mehr als eine Gangster Rocky Ballade. Dazu ist der Boxkampf zu brutal beschrieben. Wie im Leben geht es ums Überleben. Möglichst viele Schläge einstecken und trotzdem auf den Beinen stehen bleiben. Zumindest für den Moment. Nicht nur in dieser Hinsicht ist „Casino Moon“ ein eindrucksvoller, ein zutiefst ergreifender Roman voller Tragik und Tragödie mit dreidimensional gezeichneten Charakteren in einem Labyrinth.

Hard Case Crime, Taschenbuch, 320 Seiten

May 2009
ISBN: 978-0857683113
Cover art by Ricky Mujica

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