„Die Kristallzwillinge“ ist die erste professionelle Veröffentlichung im Perry Rhodan Universum aus der Feder Ben Calvin Harys. Davor hat er einen empfehlenswerten, sehr emotionalen Perry Rhodan Fanroman verfasst. Betrachtet der Leser „Die Kristallzwillinge“ vom Ende an, dann könnte diese Doppeldeutigkeit darauf hinweisen, dass Perry Rhodan, Gucky und Sahira Seadelaere von arkonidischen Truppen erschossen werden. Natürlich sind die Strahler auf Paralyse gestellt. Es ist ein wenig überraschendes Ende eines schwierig zu beurteilenden Romans. Viele Fakten sind schon von Susan Schwartz angedeutet worden, der vorliegende Band extrapoliert sie nur. Anscheinend hat der Impuls die Extrasinne der Arkoniden oder vieler Arkoniden übernommen, so dass in ihnen entweder alte Triebe und Machtgelüste erwachen oder sie wie Marionetten von langer Hang für ein bislang unbekanntes Ziel manipuliert werden. Die Idee ist nicht unbedingt neu, aber die Ausführung ist solide. Es bleiben aber zu viele Fragen offen. Sind alle Extrasinnträger gleichzeitig betroffen und agieren sie wie der Plot des vorliegenden Heftes impliziert nicht auf ein gemeinsames Ziel hin, sondern versuchen wie das Töten des eigenen Kristallzwillings eigene unterdrückte Wünsche zu erfüllen? Für das erste Ziel sind die Aktionen zu unkoordiniert, beim zweiten Aspekt müsste das Chaos angesichts der Vielzahl der Extrasinnträger viel größer sein und vor allem Perry Rhodan und Gucky mehr gewarnt sein. Wie bei einigen anderen gegenwärtig laufenden Handlungssträngen agieren Perry Rhodan und Gucky zu eigensinnig.
Sie wissen, dass wahrscheinlich Bostich schon von dem Impuls und damit den dunklen Befehlen gesteuert wird. Die Wahrscheinlichkeit ist extrem groß, dass Atlan auch betroffen ist. Trotzdem will sich Perry Rhodan mit ihm treffen. Die Idee einer persönlichen Begegnung ist noch nachvollziehbar, aber es wäre sinnvoll, woher die entsprechenden Stellen beginnend mit seinem Freund Reginald Bull zu warnen und sich vor allem auf weitere unkoordinierte militärische Auseinandersetzungen vorzubereiten. So eilen Rhodan, Gucky und auch noch Sahira quasi zu Atlan, was zu dem frustrierenden Ende führt.
Viel interessanter sind im Gegensatz zu sehr hölzernen Rhodan und dem zurückhaltenden Gucky die beiden Kristallzwillinge Kassian und Kerlon da Orbanaschol. Kassin als Kommandant der ATLANTIS ist übernommen worden und hat im Vorgängerband vor allem seinen Zwillingsbruder zu eliminieren gesucht. Wobei Kerlon ja über keinen aktivierten Extrasinn verfügt und ihm als Adliger der zweiten Klasse nicht wirklich gefährlich werden kann. Aber ihre Aktionen und Reaktionen sind gut beschrieben worden. Vor allem zeigt Ben Calvin Harry die Frustration dieser „minderwertigen“ Arkoniden auf, die alleine durch doppelten und dreifachen Fleiß nicht so weit in die Spitze klettern können wie die mit einem Extrasinn ausgestatten Konkurrenten, die nicht selten alleine über ihren Status hierarchisch über ihnen stehen. Um die beiden Zwillingsbrüder herum haben Marc A. Herren und seine Autoren einiger interessante, teilweise ohne Frage ausbaufähige Charaktere wie den Chef der Rechentechnik Marv Minkmeister und sein konträr angelegter Assistent M´Barkin sowie die Wissenschaftlerin Tella Eg positioniert. Es sind die Nebenfiguren, mit denen sich der Autor anscheinend deutlich wohler fühlt. Hier hat er den charakterlichen Raum, um die einzelnen Figuren nicht nur dreidimensional zu beschreiben, sondern von „unten“ herauf die teilweise kontraproduktiven sozialen Strukturen selbst in einer funktionierenden Arkonidenmannschaft zu beschreiben. Im Vergleich vor allem zur „Neo“ Handlung wirken die Aktionen der einzelnen Charaktere sehr viel nachvollziehbarer und beinhalten weniger „Deus Ex Machina“ Lösungen als ausreichend interessantes und vielschichtiges Konfliktpotential.
Leider löst Ben Calvin Hary diese konfliktreiche Situation zwischen der MANCHESTER mit Perry Rhodan, Gucky und Sahira an Bord sowie der ATLANTIS mit dem Befehl, die Yacht zu vernichten, auf die übliche klischeehafte Art und Weise. Das die MANCHESTER überhaupt so lange gegen den Beschuss eines deutlich überlegenen Raumschiffs durchgehalten hat, ist schon ein Wunder. Die abschließenden teilweise tragischen Ereignisse rollen mit einer ordentlichen Geschwindigkeit ab, wobei in diesen Szenen plötzlich Ben Calvin Hary eher auf Zufälligkeiten setzt. Ein passender Hacker, eine Ernennung zu Kommandanten und die tanzenden Katsugos erscheinen ein wenig zu viel der Glaubwürdigkeit. Die Balance des Romans wird durch diese zu passenden Versatzstücke gestört und selbst Guckys dramatische, nicht gänzlich effektive Einsätze erinnern an die frühen Romane der Erstauflage, in denen die Mutanten zu sehr die unmöglichen Situationen retten mussten. Das Geschehen wird aber effektiv und zumindest gut lesbar beschrieben.
Zusammengefasst konzentriert sich Ben Calvin Hary auf den Konflikt zwischen den beiden Kristallzwillingen und fügt einige weitere, nicht unbedingt relevante und schon impliziert bekannte Hintergrundinformationen zu der Bedrohung durch den Impuls hinzu. Während die Dialoge vor allem der bekannten Hauptpersonen ein wenig sperrig erscheinen, sind die zahlreichen Actionszenen solide beschrieben. Allerdings wirkt die erste Hälfte des Romans deutlich vielschichtiger und dynamischer, während die zweite Hälfte zu sehr auf den Faktor Zufall und richtige Person am richtigen Ort im richtigen Moment setzt, so dass die anfängliche Tiefe und Glaubwürdigkeit bis zum typischen Cliffhangerende kontinuierlich unterminiert wird.
Pabel Verlag, Heftroman 64 Seiten