Das abenteuerliche Leben des Deadwood Dick

Das abenteuerliche Leben des Deadwood Dick, Titelbild, Rezension
Joe R. Lansdale

Mit „Das abenteuerliche Leben des Deadwood Dick“ erscheint nach „Das Dickicht“ ein zweiter Western aus der Feder Joe R. Lansdales im Tropen Verlag. Der Verlag hat dem im Original 2015 unter dem Titel „Paradise Sky“ publizierten Werk mit dem schönen Titelbild Herburg Weilands einen opulenten Rahmen geschenkt. Auf der Rückseite wird wie auch in dem kurzen Nachwort darauf hingewiesen, dass die Geschichte auf den Abenteuern des berühmtesten schwarzen Cowboys basiert. Da nicht nur Hollywood, sondern vor allem auch der Wilde Westen seine eigene Art der Legendenbildung hat, ist diese Bemerkung nur bedingt richtig. Denn Lansdale weißt dank der Pulpromane Bronco Bills darauf hin, dass das Leben von Nat Love alias Deadwood Dick vor allem die Geschichte eines angeblichen weißen Cowboys gewesen ist. Selbst nach dem Bürgerkrieg, dessen Narben sich durch den ganzen Roman ziehen, lebte der Rassismus weiter. Hefte über einen schwarzen Cowboy hätten sich nicht verkauft. Wie Hollywood mit einem Serial in den vierziger Jahren färbte Bronco Bill einfach seinen Cowboy um. Keine Einmaligkeit, denn auch eine Gruppe von Indianern hat Nat Love eingenäht in Kuhfell weiß gefärbt, weil sie nicht glauben wollten, dass es schwarze Männer gibt. Immer wieder muss Nat Love seine Geschichte eher indirekt durch Taten als aktiv durch Worte gerade rücken. Es ist vielleicht einer der unterschwelligen Aspekte, die dieses Buch so aktuell machen. Mit der sich verändernden Zeit haben die aktiven schwarzen Männer natürlich gegen den Willen der Weißen neue Position an der Frontier gefunden. Auch einer der bekanntesten schwarzen Marshalls spielt eine kleine, aber gewichtige Rolle. Vor allem ist der vorliegende Roman wie fast alle Arbeiten Lansdales eine Suche, eine Quest. Nicht nur nach der Position im Leben, sondern vor allem getrieben von einem äußeren Katalysator. In „Das Dickicht“ muss zum Beispiel der jugendliche Held nach den Entführern seiner Schwester suchen und will sie finden sowie den Tod seines Großvaters rächen. Auch Nat Love wird durch eine kleine Unachtsamkeit aus seinem armen, aber soliden Leben gerissen. Er wollte in dem bis dahin noch kleinen Nest Jackson einige Sachen für seinen Vater besorgen. Dabei geht er eine Abkürzung und schaut kurz auf die Unterwäsche und den Hintern einer weißen Frau. Der brutale Mann nimmt die Sache persönlich und beginnt Nat Love zu verfolgen. Dabei wird sein Vater getötet, dessen Farm verbrannt. Nat Love wird von einem Mann aufgenommen und die nächsten Jahre nicht nur geistig, sondern auch an der Waffe erzogen. Lansdale macht immer wieder klar, dass diese Ruhephasen im Leben eines Mannes kurz sind und meistens abrupt enden. Nat Love wird erkannt und muss wieder fliehen. Im Laufe seiner Odyssee begegnet er unter anderem auch Will Bill Hickock – Rainer Eisfelds lesenswerte Biographie findet zwar keinen Deadwood Dick unter Hickocks Begleitern, aber der  Charakter dieses umstrittenen Banditen/ Westmanns ist gut getroffen - , bei dem er seine Ausbildung vollenden kann.  Nat Love findet in Deadwood, einer armseligen Siedlung im Outland, ein Zuhause. Er verliebt sich in eine junge Chinesin, die er zusammen mit einigen anderen Frauen gerettet hat. Nur taucht sein Verfolger inzwischen von den Indianern übel zugerichtet wieder auf. Auf bestialische Weise will er Nat Love töten. Dabei ahnt er nicht, dass er die Aufgabe nicht nur nicht erledigt, sondern sich seinen eigenen Todfeind heran gezogen hat. Nat Love macht sich die auf die Suche nach den Mitgliedern der Bande und schließlich deren Kopf, um sich zu rächen.

Auch wenn die zugrunde liegende Geschichte auf den ersten Blick einfach ist, muss sich der Leser vorstellen, dass diese Verfolgungsjagd – erst wird Nat Love gnadenlos gejagt, schließlich wird er zum Rächer und Henker in einer Person – sich durch ein halbes Leben zieht. Es scheint manchmal unglaublich, dass sich die beiden Männer immer wieder angesichts der unendlich erscheinenden, aber von der Zivilisation des weißen Mannes mit einem fast atemberaubenden Tempo gefressenen Weiten immer wieder begegnen. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es eben nur wenige kleinere Städte, in denen Menschen längere Zeit verweilen konnten. Die Rachegeschichte ist auch nur eine Art Katalysator. Sie dominiert nicht nur in diesem Roman Lansdale gebrochene, aber sich stetig schneller als die sie umgebende Zeit entwickelnde Charaktere nicht. Es gibt Phasen, in denen Nat Love diese Rache als Zweckübung sieht. Es gibt Abschnitte im Laufe seines Lebens, in denen er sich zurück auf die von seinem Lehrmeister und Ziehvater vererbte Farm sehnt. Auf der anderen Seite weiß er sich mit seinen Waffen zu verteidigen. Obwohl er viele Menschen tötet und dabei manchmal pragmatisch auch weniger Schuldige ins Jenseits befördert, ist Nat Love eine sympathische, eine sich dynamisch entwickelnde, konträr zur Zeit verlaufende Figur. Wenn er in der zweiten Romanhälfte durch die Weiten der Prärie reitet und hungernden Indianern begegnet, die Abholzung der Wälder und das Abschlachten der Büffel kommentiert, dann greift Lansdale weit in die Zukunft und zeigt, wie schnell der Western seine Unschuld, seine Identität durch die heranstürmenden Massen und der Suche nach schnellem Reichtum verloren hat. Auch wenn Nat Love in dieser Zeit seines Lebens immer nur zwischen zwei Punkten – Deadwood und Dodge City – hin und her pendelt, sind es vielleicht die weitesten Reisen. Er wird nachdenklicher, sehnt sich auch nach einer Familie und sträubt sich auf der anderen Seite, die Liebe vorbehaltlos anzunehmen, die ihm entgegen gebracht wird. Auch wenn die Narben niemals ganz heilen werden, zeigt Lansdale seinen schwarzen Antihelden als einen Menschen, der viele Jahre nur reagieren, aber niemals im Großen wirklich agieren konnte. Um Nat Love herum platziert der Autor unter anderem mit dem Weiberhelden und Romancier Bronco Billy faszinierende, mit wenigen Zügen dreidimensional entwickelte Figuren, die buchstäblich einen interessanten Rahmen bilden. Bronco Billy ist ein angeberischer Kunstschütze, der Pulpgeschichten schreibt und bis zu einer Auseinandersetzung mit einem Mitglied der Bande, die Nat Love überfallen hat, niemals eine Waffe auf einen Menschen gerichtet hat. Er lebt von seinem Ruhm, den er sich in den anonym veröffentlichten Heften selbst auf die Brust geschrieben hat. Wild Bill Hockock entpuppt sich als harter Mann, der aber Menschen gegenüber eine ehrliche Freundschaft empfinden kann, die konträr zu seinem ansonsten aufschäumenden brutalen Erscheinungsbild ist. Kit Reed ist eine weitere, in erster Linie im Abseits liegende, aber interessante Figur. Ein Junge, den Bronco Bill und Nat Love mitnehmen, weil ihn niemand haben will. Er dient als deren Helfer. Bronco Bill bringt ihm nicht nur das Schießen bei, sondern auch das Trinken. Innerhalb kurzer Zeit wird er zum berüchtigten Banditen und Bronco Bill macht sich Vorwürfe, während Nat Love die Situation pragmatisch anzupacken sucht. Der Wilde Westen in seiner verführerischen Kraft vom kurzen Ruhm und brutalen Sterben. Nat Loves Ziehvater ist Mr. Loving, ebenfalls ein Mann mit Vergangenheit, der schließlich unter Krebs leidend seinem Leben ein Ende macht. Es sind diese vielen kleinen Episoden, in denen sich Joe Lansdale auf eine wenig respektvolle, aber wahrscheinlich realistisch notwendige Art und Weise den Legenden des Western nähert und sie ohne Pathos demontiert. Der Autor errichtet dafür keine andere glorreiche Welt, sondern beschreibt das Leben und Überleben. Es sind die unendlich vielen kleinen Episoden, aus denen sich dieser stringente Roman am Ende wie ein Puzzle zusammensetzt und ein Spektrum offenbart, das diese von Nat Love dem Leser mit einer notwendigen Distanz erzählte Lebensgeschichte so glorreich und doch unaufdringlich erscheinen lässt.

Immer wieder spricht der Autor direkt oder indirekt das Thema Verantwortung fürs eigene Leben und vor allem auch für die eigene Moral an. Kit Reed und Nat Love haben einen ähnlich schwere Start, doch während Reed irgendwo falsch abgebogen ist, konnte sich Nat Love auf einem rechten Pfad nur mit wenigen Umleitungen bewegen. Im moralisch notwendigen, vielleicht sogar ein wenig aufgesetzten sehr langen Epilog werden die einzelnen Punkte bis zum Tod diskutiert. Dabei verzichtet Lansdale auf Zeigefinger oder Belehrungen. Wie Nat Love lässt er keine billigen Ausreden zu und für einige seiner Protagonisten kommt die Erkenntnis zu spät. Andere Rassisten werden es weder in diesem noch im nächsten Leben lernen. 

Ohne Frage ist „Das abenteuerliche Leben des Deadwood Dick“ aber auch ein brutaler Roman. Lansdale scheut sich nicht, das Sterben der Menschen in vielen Details darzustellen und angesichts der hinterhältigen Lynchjustiz und dem fast alltäglichen Umgang mit dem gewaltsamen Tod fragt sich der Leser, ob diese Protagonisten nicht schon gebrochen, abgestumpft sind. Eine Frage, die sich auch bei einer kritischen Betrachtung Nat >Loves nicht beantworten lässt. Aber Lansdale folgt dem Trend neuerer Fernsehserien wie „Hell on Wheels“,  die den Western nicht glorifizieren, sondern als eine Mischung aus Blut, Schweiß und Tränen demontieren. Sie bauen ihn auf eine gänzlich andere Art und Weise, basierend auf den Wurzeln Sam Peckinpahs wieder auf. Aber es ist nicht der Westen, den Hollywood über Jahrzehnte immer wieder inszeniert hat. Leser mit zarteren Gemütern könnten von den Brutalitäten abgeschreckt werden. Sie dienen aber nicht als Selbstzweck, sondern werden meistens aus den jeweils persönlichen Perspektiven emotionslos beschrieben. Hinzu kommt, dass Lansdale immer wieder beschreibt, wie Rechte los die Farbigen selbst nach dem Ende des Bürgerkriegs gewesen sind. Wie sich zu viele mit ihren Rolle abgefunden haben, während nur wenige andere nicht selten durch Umstände, die sie selbst nicht vertreten konnten, auszubrechen suchten.

Joe Lansdale souveräner Erzählstil, seine geschickten Tempowechsel und vor allem seine Fähigkeit, den Leser immer wieder vorzuwarnen und dann doch aus einer anderen Richtung zu überraschen/ zu schockieren in Kombination mit dem dreidimensionalen Hintergrund des vielleicht wahren dreckigen Wilden Westen sowie den vielen so minutiös überzeugend aufgebauten Charakteren machen aus „Das abenteuerliche Leben des Deadwood Dick“ eine klassische, vielleicht manchmal auch ein wenig zu typische „Coming of Age“ Geschichte, die angetrieben vom Motiv der Rache dem Western in dem Augenblick huldigt, in dem dessen Mythen gleichzeitig demontiert werden.  Das Ende mit einigen Vorgriffen auf nicht erzählte ohne Frage interessante Geschichten impliziert eine Fortsetzung.  Es wirkt ein wenig aufgesetzt, als wenn nicht nur Nat Love, sondern auch Lansdale müde geworden sind.

Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch (Orig.: Paradise Sky)
1. Aufl. 2016, 477 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-608-50140-7

Verlag Tropen/ Klett Cotta

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