Die Schwerter von Dara: Seidenkrieger

Ken Liu

Ken Liu ist ein profilierter sehr guter Kurzgeschichtenautor und vor allem ein unermüdlich die Science Fiction seiner Heimat durch Übersetzungen fördernder “Exilchinese”. Es ist vielleicht keine Überraschung, dass er für sein Romandebüt mit dem ersten Band der „Löwenzahn“ Trilogie sich nicht futuristischen Themen zugewandt, sondern basierend auf dem epochalen Gedicht „The Romance of the three Kingdoms“ mit einigen eingestreuten Hinweisen auf die Odyssee auf einen klassischen Stoff aus seiner Heimat zurück gegriffen hat. Damit soll nicht angedeutet werden, dass „The Grace of Kings“ nicht über originelles und vor allem auch originales Material verfügt. Wie T.H. Whites “König Arthur” Bücher nutzt Ken Liu den bekannten und markanten, nur leicht in eine Fantasywelt versetzten Hintergrund, um eine im Grunde zeitlose Parabel über Macht und Machtmissbrauch zu konzipieren. Es beginnt schon beim Titel des ersten Bandes, denn die Gnade/ Gunst der Könige kann durchaus ironisch interpretiert werden. Sein Epos ist die Geschichte nicht nur einer Revolution, eines Aufstandes gegen ein erdrückendes Regime. Es ist vielmehr der nicht ganz gelungene Versuch, den schmalen politischen Grat zwischen weiser Regierung – egal ob als Monarchie, Oligarchie oder gar Demokratie – und Unterdrückung des Volkes auszuloten.  Es ist ein schmaler Grat, insbesondere einer so langen wie auch heroisch überzogenen chinesischen Geschichte mit ihren Grausamkeiten, ihren Schlachten, ihre Helden/ Heldinnen und Schurken/ Verrätern zu huldigen, ohne sie distanziert oder emotional zu verklären. Damit „The Grace of Kings“ überhaupt funktionieren kann, muss Ken Liu förmlich in die reale Geschichte eintauchen, den Leser mit möglichst vielen eher unauffällig eingestreuten Informationen aufklären, den Hintergrund aber nicht zu sehr extrapolieren, um die Allgemeingültigkeit seiner kraftvollen Parabel nicht zu verlieren.   

Um seine beiden Helden zu etablieren, wählt der Autor einen fast klassischen einige Klischees enthaltenden Weg. Der Kaiser marschiert mit seiner Leibgarde durch die besetzten Gebiete, um seine Macht zu demonstrieren. Nur in einem Nebensatz sehr viel später macht Ken Liu deutlich, dass diese Machtdemonstrationen den Kaiser langweilen und er am liebsten zu Hause sich um seine Tiere kümmert. Ein Mann mit einem gigantischen Drachen – mechanische Flügel ermöglichen es ihm, das Gefährt zu steuern – greift die Pagode des Kaisers an. Er kann den Tyrannen nicht töten und muss fliehen. Das Geschehen beeindruckt aber den jungen Kuni Garu, der extra aus der Schule abgehauen ist, um den Kaiser zu sehen. Er ist ein Kind der Mittelklasse, dieser im Grunde gesichtslosen Masse, die im Verlaufe der vielen kriegerischen Auseinandersetzungen immer Mittel zum Zweck ist und immer nur verlieren kann. Der Anschlag beeindruckt ihn schwer.  Auf der anderen Seite des Reiches wächst Mata Zyndu heran. Er ist der Sohn eines Herzogs, dessen Reich zerschlagen worden ist. Sein Bruder hat ihn vor dem sicheren Tod gerettet. Er sieht seine Lebensaufgabe darin, nicht nur eine Armee anzuführen, sondern den Kaiser zu stürzen und den Namen seiner Familie wieder herzustellen. Während im Laufe ihrer Abenteuer Kuni nicht nur der Kopf, sondern sinnbildlich den Namen der Trilogie auf die Charaktere übertragend der Löwenzahn ist, der im Schatten wächst, kräftige Wurzeln hat und sich eher durchsetzt als manche Zierpflanze, ist Mata Zyndu eher eine wilde Rose, die unglaublich kraftvoll ist, aber im Verlaufe ihres Wachstums auch stark im Mittelpunkt stehen muss.  

Kaum sind diese beiden wichtigen Protagonisten eingeführt, nimmt sich Ken Liu mit seiner fragmentarischen, viele Personen umfassenden Handlung Zeit, um vor allem erst einmal Dara, sein fiktives China einzuführen und die Unterschiede zwischen der langen Geschichte des Kaiserreichs und dieser Fantasywelt herauszuarbeiten. Neben einigen eher klischeehaften Fantasy- Ideen baut der Autor auch noch aktiv eingreifende lokale Götter und seltsame mechanische Erfindungen ein. Einige Kritiker haben für King Liu Epos den Begriff des Silkpunks erfunden und er ist bedingt richtig. Die mechanischen Dinge greifen nicht aktiv in die Handlung ein, sie helfen manchmal den einzelnen Protagonisten bei ihren im Grunde unmöglichen Aufgaben. Es sind die „Götter“, die in dieser ansonsten historisch realistischen Welt eher stören.  Sie manipulieren die einzelnen Protagonisten in Abschnitten des Buches, in denen es sinnvoller gewesen wäre, die menschlichen Schwächen wie Neid und Missgunst, Machtgier und Verrat in den Vordergrund zu stellen und daran die in rascher Folge aufsteigenden und fallenden Regierungen zu prüfen. An mehr als einer Stelle bleibt der Verdacht bestehen, dass Ken Liu Götter absichtlich als Ausreden genutzt und benutzt hat, um seine Personen spannungstechnisch in Schwierigkeiten zu bringen.

Der Umfang alleine des ersten Buches verlangt ein sehr dogmatisches Konzept, das aus vielen kleinen, sich wie bei einem Puzzle zusammensetzenden Szenen besteht. Dabei ist die Zeit relativ. Entweder vergehen zwischen den einzelnen Handlungsbögen nur wenige Minuten, an einer anderen Stelle umschließt der letzte Satz eines Absatzes fast drei Jahre und gleich zu Beginn wird im Zeitraffer die Erziehung von mehreren relevanten Figuren zusammengefasst. Ken Liu sucht das große Ganze. Er versucht die verschiedenen Ideen nicht nur von Macht und Machtmissbrauch durch zu spielen, sondern zeigt an seinen beiden wichtigen Protagonisten nachdrücklich auf, dass ein gemeinsames Ziel als Freunde erreicht werden kann, aber es stabilisiert diese aus der Not geborene Freundschaft nicht. Den chinesischen Fabel mit ihrem distanzierten teilweise belehrenden Unterton folgend besteht „The Grace of Kings“ in erster Linie aus einer Reihe von kriegerischen Auseinandersetzungen, wechselnden Besetzungen der sieben Königreiche und schließlich militärisch immer moderner werdenden Taktiken, die von dem Graben von gigantischen Tunneln unter dem Meer mittels moderner Sandstrahltechnik über den Bau von leichten Segelflugzeugen als Angriffswaffen bis zur Entwicklung von U- Booten reichen, die auf den ersten Blick von den Schiffen betrachtet wie die gigantischen walähnlichen Kreaturen Daras aussehen. Ken Liu findet grundsätzlich wie das menschliche Leben keine starre Linie. Es ist die Reaktion auf Veränderung, die seine Figuren auszeichnen sollte. Während der kräftige Mata Zeit seines Lebens ein klassischer mutiger Krieger und ein schlechter König ist, agiert und vor allem reagiert der deutlich flexiblere, aber auch körperlich schwächere Kuni besser auf die unterschiedlichen Situatonen im Kampf um ein Reich, das Mata in seinen Grundfesten wiederherstellen möchte, während Kuni davon träumt, eine idealisierte Kopie zu erschaffen, die nur in ihren Grenzen mit dem Imperium des Kaisers übereinstimmt.  Kuni akzeptiert am Ende Frauen als Ratgeber, als Anführer seiner Armee und schließlich auch als Erfinder, während Mata sie immer als niedere Geschöpfe betrachtet. Während Kuni ein entsprechendes Potential hebt, verachtet Mata diese. Kuni versucht sich trotzdem lange im Schatten von Mata zu halten. Nur einmal bricht er aus und wird entsprechend bestraft. Aus Trotz erschafft er sich in seinem isolierten Exil die Idylle, die Mata mit seinen inkonsequenten Entscheidungen in seinen Reichen niemals „herstellen“ kann.

Die Handlung ist fast zu umfangreich und Ken Liu muss sich zwischen der "menschlichen" Ebene und den vor allem durch Kriege vorangetriebenen Entwicklung Daras entscheiden. Dadurch wirken nur wenige Nebenfiguren ausreichend genug skizziert, um dem Leser über ihre einzelnen Auftritte hinaus im Gedächtnis zu bleiben. In dieser Hinsicht würde eine ausführlichere Beschreibung den Rahmen des Buches sprengen. Auf der anderen Seite bleibt nichts anderes übrig, als immer wieder zum Namensverzeichnis am Anfang des Buches zurückzukehren, um sie voneinander zu unterscheiden.     

Es ist eine brutale Welt, die Ken Liu entworfen hat. Da werden tausende Soldaten aus Rache lebendig begraben, andere Kleinfürsten zu Sklaven gemacht; es wird gepeitscht und gefoltert und sogar der Vater eines der Protagonisten soll gekocht und verspeist werden. Der Autor beschreibt diese Szenen ohne Emotionen, ohne Wertung distanziert und erstaunlich sachlich. Vielleicht sind sie deswegen so gut zu ertragen. Interessant und eher der asiatischen Kultur folgend charakterisieren sich die Protagonisten in erster Linie aus ihren Handlungen. Der Erzähler dient nur dazu, die einzelnen Momente miteinander zu verbinden. Der Stil ist distanziert, gleichmütig, vielleicht sogar stoisch. Diese Erzähltechnik lässt den umfangreichen Roman auf den ersten Blick sehr karg erscheinen. Keine opulenten Beschreibungen dieser fiktiven Welt, keine Exkursionen außerhalb der konsequent entwickelten Handlung und vor allem keine märchenhafte Atmosphäre. Stattdessen sehr viele politisch ohne Frage wichtige Diskussionen und Gespräche.

Auch wenn die Vergangenheit allgegenwärtig ist, macht Ken Liu im Verlaufe der Handlung immer deutlicher, dass keiner der Protagonisten zur ihr zurückkehren kann. Die Vergangenheit zu analysieren bedeutet nicht gleichzeitig die Wahrheit zu finden und eine bessere Zukunft zu schmieden. Ken Liu hat sich bemüht, den Protagonisten wie den Lesern Wege aufzuzeigen, die sie gehen können, manchmal auch gehen müssen. Aber auch hier sind die Ziele verschwommen. Die Schwierigkeit, nach der Revolution eine ideale Staatsform zu finden und anders zu sein als der gestürzte Herrscher, ist in dieser Parabel genauso modern und zeitkritisch wie irgendwie möglich angelegt. Das Verlassen der ausgetretenen Wege  mit einem Blick in die lange chinesische Geschichte und einem Ausblick über die momentan in einigen Ländern erfolgreich oder weniger erfolgreich ablaufenden politischen Veränderungen heben „The Grace of Kings“ aus der Masse der Fantasy Produkte heraus. Auch wenn Ken Liu sich das Gerüst seines umfangreichen Romans „geliehen“ und nicht gänzlich selbst entwickelt hat.     

 

 

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