Michael Marcus Thurner hat mit „Der König von Chittagong“ nicht nur das Mutantenthema auf eine ungewöhnliche Art und Weise angegriffen, sondern mit Andre Noir im Vergleich zur Originalserie einen der interessantesten Charaktere der in dieser Hinsicht blass gebliebenen „Neo“ Serie eingeführt. Sein österreichischer Landsmann Leo Lukas nimmt mit „Mutanten in Not“ den Handlungsfaden wieder auf. Es bleibt zu hoffen, dass das Ende dieser nicht von der Suche nach Noir dominierten Romans eine falsche Spur ist. Eine derartig interessante Figur mit allerdings allmächtigen Fähigkeiten einzuführen, um sie dann dank eines tragischen „Missverständnisses“ wieder zu eliminieren, wäre tragisch und inhaltlich auch töricht. Besteht dagegen ein deutlich engerer Zusammenhang mit den früh gestorbenen Bekannten Noirs, dann bietet diese Handlungsebene zukünftig noch viel Potential, wobei Frank Borsch aufpassen muss, sich nicht zu sehr zu verzweigen. Auf Gucky und Thoras Wiederkehr wartet der Leser bislang schon sehr lange und selbst Ernst Ellert als Charakter mit Potential konnte nur noch einen kleinen, aber inhaltsgewichtigen Auftritt für sich verbuchen. Auch fällt auf, dass es in der „Neo“ ambivalent positiv wie negativ besetzt keine Einmaligkeit mehr zu geben scheint. Wie die Santor soll Andre Noir über die Fähigkeiten verfügen, Materie in ein Paralleluniversum abzuschieben. In der ursprünglichen Serie spielten Paralleluniversen keine Rolle, während man ansonsten mehrfach auf die Idee einer Zeitreise zurückgegriffen hat. Ob es in einem noch ungeordneten „Universum“ wie der „Neo“ Serie sinnvoll ist, die Extrapolation in den Parallelraum voranzutreiben, sei dahingestellt. Schon jetzt wirken die Handlungsbögen ausgesprochen gedehnt und in Hinblick auf den übergeordneten Zyklus „Das große Imperium“ kommen Frank Borsch und seine Autoren nicht einen einzigen Schritt voran. Vielleicht wäre es sinnvoll, das Konzept der Minizyklen innerhalb der Rhodan Neo Serie gänzlich aufzugeben und statt dessen die Handlung weiterhin locker, zwischen verschiedenen Handlungsebenen zwanghaft alternierend hin und her springend zu erzählen. Warum kann ein interner Handlungsstrang nicht kontinuierlich über mehr als ein Taschenheft erzählt werden? In der laufenden Heftromanserie verschwinden einzelne Teile der Handlung manchmal über Monate, bevor sie plötzlich aus dem Nichts kommend wieder aufgegriffen werden. Unabhängig davon präsentiert Leo Lukas eine Mischung aus Sportroman – Rugby spielende Naat gegen eine Weltauswahl der Menschen – und Reisebericht, wobei sein Exkurs in die Zeit des jugoslawischen Bürgerkriegs und dessen Spätfolgen ergreifend und informativ zu gleich beschrieben worden ist, ohne die Leser zu belehren.
Der rote Faden dieser Handlungsebene ist Noirs Vergangenheit. Leo Lukas orientiert sich an einer „klassischen“ Detektivgeschichte, in welcher die „Helden“ in der Vergangenheit des „Verbrecher“ suchen, während dieser aktiv seine potentiellen Spuren beseitigt. Lukas manipuliert seine Leser geschickt. Er erweckt lange Zeit den Eindruck, als habe Noir, der die Menschen kurze Zeit vor ihrem unzeitigen Ableben besucht hat, mit ihrem Tod zu tun. Bei der finalen Konfrontation wird klar, dass Noirs Aufgabe sehr viel differenzierter ist. Wie schon angedeutet kann Leo Lukas das Potential dieser Figur nicht wie Michael Marcus Thurner weiter heben. Er etabliert dagegen dessen schwergewichtige Aufgabe, an welcher der Mutant beinahe zu zerbrechen scheint. Diese Kombination aus positiven Aspekten und einer negativen Wahrnehmung durch Abgesandte Terranias ermöglicht es den Autoren unter Führung von Frank Borsch, Andre Noir dreidimensionaler und interessanter zu beschreiben als viele der anderen Protagonisten der Terraniaebene zusammen. Ohne Frage die lesenswerteste Handlungsebene des vorliegenden Romans, zumal als Einschub einige Mutanten vom Verlust ihrer Gaben träumen.
Für „Comic Relief“ soll wahrscheinlich die im Hintergrund ablaufende Handlungsebene um den ehemaligen “Chefkoch” der TOSOMA Rhinat Ugoljew sein, der aufgrund seiner Vergangenheit als U-Bootfahrer und sein beherztes Eingreifen die TOSOMA und ihre Crew vor der Vernichtung gerettet hat. Er will – im Grunde die Quadratur des Kreises – im STARDUST Tower ein Spitzenrestaurant ohne Voranmeldung und mit normalen Speisen zusätzlich einrichten. Er würzt die Speisen mit ferronischen Zutaten. Als ein Konkurrenz im Fernsehen ein mehrgängiges Menü aus außerirdischen Lebensmittel ankündigt, entbrennt ein Kampf am Herd. Leo Lukas lässt sich mit einigen satirischen Seitenhieben über die Eitelkeit dieser elitären Gruppe von kleinen Herrschern in ihrem Kachelreich aus. Handlungstechnisch ermöglichen Lukas und Borsch dem bei seinem ersten Auftritt solide entwickelten Ugoljew ein Heimspiel, aber angesichts des plottechnischen Phlegmas, mit dem sich der ganze Zyklus bislang entwickelt hat, stellt sich die Frage, ob dieser Exkurs notwendig ist.
Während sich „Perry Rhodan“ Jahrzehntelang vom Sport ferngehalten hat, verfügt die Erstauflage inzwischen über eine eigene Franz Beckenbauer nachempfundene Lichtgestalt und an einigen anderen Stellen ist auf die Bedeutung des Fußballs in der Zukunft verwiesen worden. Jetzt also Rugby als Rassen verbindenden Sport. Dr. Frank Haggard hat sich einer kurzen Karriere als Rugbyspieler nach seiner Versetzung nach Terrania eine Hobbymannschaft aufgezogen. Unter den Zuschauern befinden sich zwei Naats, welche die Sportart interessant finden. Sie schlagen vor, dass eine Naatmannschaft gegen Haggards Team antreten kann. Bull und Adams erhoffen sich eine Imageaufwertung der Fremden. Ganz trauen sie dem Frieden allerdings nicht. Wie in „Spiel des Lebens“ – der allerdings auf Tatsachen beruht – stellen sie in „Rock“ Manier – man hört förmlich die Hymne im Hintergrund – eine Allstar Mannschaft zusammen, die von der Trainerlegende Alistair McGrady trainiert wird. Leo Lukas beschreibt das Trainung und das anschließende Spiel ohne Frage anschaulich. Die Naats können ihre Unerfahrenheit durch körperliche Überlegenheit teilweise ausgleichen. Trotzdem erscheint dieser Handlungsarm bizarr und pathetisch zu gleich. Lukas gelingt es nicht nachhaltig, die Faszination des Sportes rüberzubringen. Daran scheitern schon ganze andere Autoren als er. Dafür ist dieses Finale gut in die Andre Noir Handlung integriert, so dass die einzelnen Spannungsbögen solide zusammenfließen. Mit dem teilweise staunenden Haggard, der plötzlich seinen Idolen als Initiator des Freundschaftsspiel begegnet, hat Leo Lukas einen sympathischen Durchschnittsmenschen erschaffen, der an „Feld der Träume“ erinnernd, etwas erschafft, das bleibenden Wert behalten soll.
Leo Lukas übernimmt keine einfache Aufgabe. Er bündelt unter der Federführung der Noir Handlung viele der sich bisher über verschiedene verstreuten Informationen zu Terra Handlungsebene und führt indirekt damit Neuleser an das laufende Geschehen heran. Leo Lukas in dank seiner Dialogstärke und der Fähigkeit, aus dem Nichts interessante Nebenfiguren zu erschaffen und an einem guten Tag auch sehr gut zu führen sowie seiner Erfahrung als Stammautor der Erstauflage dazu in der Lage. Um „Mutanten in Not“ nicht zu einem Atemholenroman – angesichts des fehlenden Tempos der ganzen Serie eine theoretische Ansicht – verkommen zu lassen, hat man zwei Handlungsebenen – das Kochduell und der Sportabstecher – hinzugefügt, die oberflächlich unterhalten, aber zu viel Platz von interessanten Handlungspunkten – immerhin heißt der Roman „Mutanten in Not“ !!! – wegnehmen. Andre Noirs einzigartige Fähigkeiten, die viel zu viele Fragen aufwerfen und Befürchtungen in Richtung Abrams „Star Trek“ untermauern, kommen zu kurz. Um den Gedanken vom Beginn der Besprechung aufzunehmen, das Konzept von Minizyklen kann inzwischen fallen gelassen werden. Sie dienen nur noch dazu, mittels Hinweisen Neuleser anzulocken. Weder der „Vorstoss nach Arkon“ hat stattgefunden, noch wird „Perry Rhodan“ – die jetzige Kontinuität vorausgesetzt – in seinem letzten „Abenteuer“ dieser Miniserie „Das große Imperium“ infiltrieren. Er hat zwar pflichtschuldig eine Reihe von Hilfsmittel gesammelt und wird die Tarnseide ohne Frage nutzen können, aber das Tempo ist zu weniger professionell dosiert worden, als das „Neo“ in dieser Phase nachhaltig und vor allem kontinuierlich befriedigen kann. Die Aufgabe der Minizyklen beinhaltet aber auch eine deutliche Straffung der Handlung. Natürlich kann sich frank Borsch bei interessanten Themen so mehr Zeit/ Raum nehmen, um diesen Block zu erzählen. Dazu müssten aber erst einmal interessante Themen vorliegen. Wie in der Erstauflage krank Perry Rhodan momentan auch bei „Neo“ daran, dass die Autorenteams unter der Führung des Expokraten nicht in der Lage sind, einen abgeschlossenen Zyklus zufrieden stellend, stringent und packend zu konzipieren und dann schriftstellerisch zumindest solide umzusetzen. „Mutanten in Not“ unterstreicht diese Schwäche trotz einiger positiver Aspekte – europäische Geschichte und Andre Noir als tragisch zwielichtige Figur – eindrucksvoll.
Pabel Verlag
Taschenheft, 160 Seiten
ERschienen Juni 2013