The Translator

John Crowley

„The Translator“ ist nur einer und von zwei serienunabhängigen alleinstehenden Romanen - wenige Jahre später veröffentlichte John Crowley „Lord Byrons Novel: The Evening Land“ - , welche der Amerikaner während der fast fünfundzwanzigjährigen Arbeit an seiner „Ägypten“- Trilogie fertig gestellt hat. Während „Lord Byrons Novel“ in erster Linie eine interessante „Was wäre wenn“ Geschichte ist, in welcher sich Vater und Tochter wieder aufeinander zu bewegen und schließlich auf sehr unterschiedliche Art im 18. Jahrhundert wie auch in der Gegenwart für einen Augenblick finden, handelt es sich bei „The Translator“ um eine zeitlose Geschichte von Liebe, Vertrauen, Poesie und schließlich auch Politik. Wie zeitlos der Text wirklich ist, zeigt sich am Ende des 2002 veröffentlichten Buches. Die Erzählerin Christa Kit Malone wird von ihrem Vater gefragt, ob sie sich an den Herbsttag 1963 erinnern kann, als unter den Kugel des Attentäters John F. Kennedy gestorben ist. Ein Augenblick, der sich in das Gedächtnis gebrannt hat wie das Attentat am 11. September 2001. Beide Kainsmerkmale ihrer Generation. Beides Scheidepunkte der Weltpolitik. Und in beiden Situationen reagieren die Geheimdienste - wie Crowley nicht ohne beißenden Spot in die Handlung einfügt - ganz anders als erwartet. Während sie 1962 - ein Jahr vor dem Attentat während der Kuba- Krise - das falsche Signal des Meisterspions in Moskau ignorieren und damit einen dritten Weltkrieg verhindern, reagieren sie auf die Planungen eines möglicherweise niemals da gewesenen Terroranschlags mit Unglauben. In diesen Szenen zeigt sich, wie viel Zeit zwischen dem eigentlichen Handlungsrahmen in Jahren 1961 und 1962 und der Gegenwart vergangen ist, und wie wenig sich trotzdem wirklich verändert hat.

John Crowley spielt in seinem Roman mit den Zeitebenen. Der übergeordnete allwissende Erzähler wird erst in dem Augenblick in den Hintergrund gedrängt, als Kit Malone mehr als zwanzig Jahre später ihre persönliche Geschichte der Beziehung zu dem im amerikanischen Exil lebenden russischen Dichter Fallin zu erzählen beginnt. Bis dato weiß der Leser schon, dass Kit Malone von John F. Kennedy für ein Gedicht ausgezeichnet worden ist, dass sie versucht hat, zusammen mit Fallin dessen Gedichte aus dem Russischen zu übersetzen und das sie die wenigen vorhandenen Fragmente dieser übersetzten Texte in einem eigenen Buch als eigene Schöpfungen ausgegeben hat. Aber bevor irgendjemand etwas von Plagiat schreiben oder gar sagen kann, macht John Crowley dank seines literarischen Alter Egos Fallin überdeutlich klar, dass Poesie in erster Linie im Auge des Betrachters erscheint. Er nimmt mit Kit Malone Geständnis während ihres ersten Besuches in einem inzwischen „demokratisierten“ Russland ihr die Unschuld in einer Geschichte, in welcher es fast in der Tradition eines melancholisch- romantischen John le Carre Romans keine unschuldigen Menschen gibt. In den Rückblicken lernt der Leser die junge Kit Malone kennen, die ihren geliebten Bruder wahrscheinlich während einer der ersten Kampfaktionen in Vietnam verloren hat. Die sich schwerlich in das Universitätsleben einfügen kann und sich bald in den gerade in Exil geschickten Fallin verliebt. Fallin selbst stammt als Waise aus einem der vielen sowjetischen Umerziehungslager. Seine Stellung als Dichter hat ihn in den Augen des Kreml diskreditiert und führte schließlich zu seiner Ausweisung. Dabei bleibt Crowley erstaunlich vage hinsichtlich Fallins literarischer Erfolge. Er scheint eher ein Bertold Brecht des intellektuellen russischen Untergrunds gewesen zu sein. Wie gut der Roman im Grunde von der ersten bis zur letzten Zeile durchkomponiert worden ist, zeigt sich rückblickend im lange Epilog. Hier wird Fallins Exil genauso in Zweifel gezogen wie sein plötzliches Verschwinden auf dem Höhepunkt der Kuba Krise nur wenige Stunden vor dem Abschluss der Mittelstreckenraketen. „The Translator“ ist ein Buch voller Dualitäten. Fallin hat seine Frau und sein Kind verloren, Kit Malone seine Tochter. In beiden Fällen ist der jeweilige Staat zumindest mitschuldig. Kit Malone hat ihre literarische Stimme kurz nach der Auszeichnung durch den amerikanischen Präsidenten eingebüßt, Fallin mit dem Exil. Beide sehr gut gezeichneten Figuren sind emotionale Wüsten, die sich in dem sehr ruhigen, fast phlegmatischen, aber stilistisch ungewöhnlich kompakten und vor allem vielschichtig geschriebenen Roman wie zwei Schiffe auf einem schier endlosen Meer aufeinander zu bewegen. Auch wenn sie diese Stimme nicht mehr benutzen, ihre Verständigungsbasis ist der Versuch, Fallins Lyrik ins Amerikanische zu übersetzen, ohne seinen Texten die russische Seele zu nehmen. Auch diese Versuche, etwas Unmögliches zu schaffen, haben einen Widerklang in der Weltpolitik. Die Kuba- Krise lässt sich nur lösen, wenn eine der Großmächte sich zurückzieht, ihr Gesicht verliert. Dazu muss der Nachgebende seinem Antagonisten vertrauen. Vertrauen bedingt eine Verständigung. Und die letzte Dualität ist das Verschwinden des russischen Schattens sowohl auf der persönlichen Ebene - Fallin setzt sich fluchtartig in der Nacht ab, in welcher das Ultimatum der Amerikaner gegenüber den Russen ausläuft - als auch der politischen Großwetterlandschaft. Trotz der ungewöhnlich faszinierenden Verbindung von persönlicher Liebesgeschichte und politischem Höhepunkt des Kalten Krieges ist „The Translator“ kein Thriller, sondern eine ruhige Liebesgeschichte von zwei sehr unterschiedlichen Menschen, die sich in ihrer Einsamkeit finden, aber nicht halten können. Ohne ins Kitschige abzudriften, drücken seine Figuren niemals wirklich offen ihre Empfindungen und Emotionen aus. Etwas künstlich wirkt allerdings die Auflösung dieser dramatischen Liebesgeschichte, in dem John Crowley in einer Art aufgesetztem Epilog nicht nur davon schreibt, das Kit Malone ihre literarische Stimme wieder gefunden hat, sondern vor allem in der Zwischenzeit geheiratet und Mütter zweier Kinder geworden ist. Kräftiger, passender wäre es gewesen, Kit Malone als Dichterin wieder auferstehen, als Mensch aber einsam und alleine bleiben zu lassen. So verliert diese Liebesgeschichte im Epilog an Kraft. Sie klingt im Leser weniger stark nach, während Crowley den Bogen von der Kuba- Krise zur Ermordung John F. Kennedys schlägt und quasi impliziert, das ein Opfer eine Art Gegenopfer bedingt. Diese Folgerichtigkeit wird nur suggeriert, leider nicht weiter extrapoliert und negiert den magischen Realismus dieser weltpolitisch so wichtigen Nacht bzw. der ersten Morgenstunden.

Während der Besuch im gegenwärtigen Russland voller Ironie mit einem Hauch von für das Land so typischer vaterländischen Melancholie und ewiger Hoffnung auf bessere Zeiten gut beschrieben werden kann, gelingt es John Crowley mit unglaublich einfachen Mitteln, ein authentisches dreidimensionales Bild des Lebens in einer kleinstädtischen Universität in den politisch wie gesellschaftlich so Bahnbrechenden sechziger Jahren zu zeichnen. Insbesondere die Beziehung zwischen Kit und ihrem älteren Bruder ist mit sehr viel Wärme und Liebe gezeichnet. Der Leser ahnt leider das Ende dieser ungewöhnlich herzigen Bruder- Schwester Beziehung in dem Augenblick, in welchem sich der Bruder - wie offensichtlich auch der Vater, der für die Regierung bzw. das Militär als Ingenieur gearbeitet haben muss - zu den Waffen meldet. Unabhängig von dieser eintretenden Vorhersehbarkeit der Ereignisse überzeugt die Bruder- Schwester Beziehung noch mehr als die vorsichtige, bis auf eine Nacht platonische Beziehung zwischen dem deutlich älteren und vorm Leben gezeichneten Fallin und der jungen, plötzlich etwas naiv und unsicher gezeichneten Kit Malone. Der in Amerika unterrichtende Russe Fallin definiert sich mehr über seine schwere, an eine Charles Dickens erinnernde Kindheit - aus seinen Dankesworten klingt deutlich heraus, dass John Crowley das Schicksal der so genannten besprizornye in Russland intensiv studiert hat - als sein Leben/ Lehren in einem ihm fremden Land. Nicht selten hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als habe ihn die kapitalistische amerikanische Gesellschaft viel schneller assimiliert als es Fallin wirklich Recht gewesen ist. Unabhängig von dieser Schwäche überzeugt die Liebesgeschichte durch ihre zurückhaltende, melancholische, romantische und doch vielschichtige Art und Weise. Wie kaum ein anderer gegenwärtiger Autor gelingt es John Crowley, im Leser Verständnis wie auch Verstehen für gegenwärtige politische Lyrik zu wecken. Ohne belehrend zu agieren vermittelt der Autor seinen Lesern dank der verschiedenen Übersetzungsansätze Mallones und Fallins immer ungnädiger werdenden Reaktionen auf die Entweihung seiner sorgfältig komponierten Texte in einer anderen, vielleicht sogar aus seiner Sicht barbarischen Sprache von der Kraft und Wucht, die in wenigen Gedichtzeilen stecken kann.

Für John Crowley ist „The Translator“ ein ungewöhnliches Buch. Es bildet die eine Seite seines viel zu kleinen Werkes genauso gut aus wie die mit dem World Fantasy Award ausgezeichnete Fantasy „Little Big“ eine andere sowie der melancholische Science Fiction Roman „Maschinensommer“ das genaue Gegenteil von beiden angesprochenen Romanen oder schließlich auch sein vielschichtiges und schwierigstes Werk „Ägypten“. Vielleicht ist „The Translator“ aufgrund des realistisch historischen Hintergrundes sein zugänglichstes Werk. Vielleicht steckt viel mehr in der stringenten Geschichte, als ein Leser herausarbeiten kann. Auf keinen Fall ist es eine einfache Liebesgeschichte oder ein spannender Spionagethriller. John Crowley fordert seine Leser kontinuierlich heraus, zwischen den Zeilen zu lesen und erst in der sorgfältigen Betrachtung der Details kristallisiert sich eine wunderschöne, dreidimensionale Geschichte heraus, welche die enge Verbundenheit zwischen den großen und den kleinen Ereignissen meisterlich herausarbeitet.

John Crowley: "The Translator"
Roman, Softcover, 320 Seiten
Harper Perennial 2002

ISBN 9-7803-8081-5371

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