Hau den Nazi - Kritik zu Sisu

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Manchmal braucht es für einen unterhaltsamen Kinoabend nicht besonders viel. Bei Sisu ist die Formel denkbar einfach: Ein Mann, ein absolut eiserner Wille und ein paar Bösewichte, auf die sich alle einigen können. Und das funktioniert? Tut es. Besser als gedacht.

Wir befinden uns in Lappland, am Ende des Zweiten Weltkrieges. Aatami Korpi (Jorma Tomilla) besitzt nicht viel, aber vor allem eines: einen eisernen Willen. Und mit diesem kann er Berge versetzen, oder vielmehr: Berge abtragen, um Gold zu finden. Der narbenversehene, dreckige, schwitzende und muskelbepackte Mann hat bereits einiges hinter sich. Ohne viele Worte gräbt er sich in malerischer Kulisse der rauen Wildnis durch den Boden, bis er schließlich die ersehnte Hauptader freilegt. Dabei scheint er die Welt um sich herum so lange wie möglich zu ignorieren. Nichtmal als Kriegsflugzeuge in die Stille der Wildnis einbrechen, zeigt er sich merklich beeindruckt.

Als er schließlich auf eine Patrouilleeinheit unter der Führung von SS-Obersturmführer Bruno Helldorf (Aksel Hennie) stößt, wird klar, dass die Nazis Aatamis Entschlossenheit gewaltig unterschätzt haben: In klarer John Rambo-Manier kämpft sich das Ein-Mann-Geschwader durch die Reihen und macht dabei  wortwörtlich  keine Gefangenen. Doch die Nazis wissen, dass sie den Krieg bald verlieren werden. So ist nun jeder auf sich gestellt. Als sie Aatamis Gold sehen, wird ihnen klar, dass sie sich nach dem Krieg vielleicht etwas Reichtum erhalten können. Als wäre das noch nicht genug, halten die Nazis eine Gruppe Frauen gefangen, die es zu befreien gilt.

Überleben mit Wut und Köpfchen

Zu Beginn von Sisu erfahren wir, dass sich der Titel auf ein finnisches Wort bezieht, das auf eine Art "verwegene Form von Mut und unvorstellbarer Entschlossenheit" hindeutet, und dass sich "Sisu manifestiert, wenn alle Hoffnung verloren ist". Mit diesem leichten Mysterium um den (möglicherweise?) quasi untötbaren Aatami spielt Sisu in den kommenden eineinhalb Stunden massiv. Regisseur Helander zeigt auf blutige und teilweise bemerkenswert kreative Art nicht nur, wie man effektiv haufenweise Nazis töten kann (den Leistungskurs 'Kreatives Töten' haben wir in der Final-Destination-Reihe ja schon zur Genüge kennengelernt), sondern beweist auch Freude am konsequenten Erzählen von absurden, aber dennoch nicht weniger spaßigen Szenarien.

Tatsächlich hat Sisu eher was von einem Egoshooter, zeigt er doch mit einer geradezu computerspielhaften Durchkämpf-Mentalität: Die Gewalt, die ebenso schockierend und brutal sein könnte, wird mit dem allgegenwärtigen Bösen als Gegner relativiert. Selbst, als der SS-Führer seine eigenen Leute zwingt, durch ein Minenfeld zu laufen, um zu sehen, wo sich der findige Einsiedler versteckt hält, hat der Zuschauer kaum Mitleid mit den Soldaten - zu pappkameradig sind diese aufgestellt. Und das ist okay so.

Auch kann sich Sisu - vor allem zu Kriegszeiten wie diesen - geradezu als politischer Film übers wütende Überleben verstehen: Selbstverständlich ist alles schwarz-weiß, natürlich sind die Nazis dankbare Gegner, und fraglos ist man als Zuschauer von der ersten Sekunde an auf der Seite dieses merkwürdig stillen Mannes mit der Entschlossenheit und Robustheit eines Bulldozers.
Von Szene zu Szene steigert sich sein Einfallsreichtum, bis man als Zuschauer überzeugt ist, dass er bis zum Ende weitermacht, solange er die ihm innewohnende Wut als Antrieb hat. Bloß nicht einschüchtern lassen, keine Sekunde nachgeben. Denn eigentlich will dieser Mann ja nur eines: Seine gottverdammte Ruhe und dass ihm niemand an den sprichwörtlichen Pelz will. Die Hauptfigur ist dabei kein Terminator, sondern eher ein neuer Hugh Glass aus The Revenant: Selbst wenn Aatami streckenweise als unaufhaltsame Tötungsmaschine gezeichnet wird, spielt Tommila in anderen Szenen die Figur als einen Mann, der nur versucht, zu überleben, egal zu welchem Preis.

Die Kameraarbeit von Kjell Lagerroos kann sich hierbei auf jeden Fall ebenso sehen lassen - er lässt die dürftige Kulisse mit grauem Horizont wie eine westernartige Szenerie wirken, wo fast jede Einstellung in die Werksmappe eines Portraitfotografen oder in eine Graphic Novel gehören könnte, so schön sind die Bilder komponiert. Dass der Film nahezu keine Dialoge hat, stört hier weniger, als man zu Beginn vermutet - so hat man mehr Gelegenheit, die Optik zu bewundern.

Spaghetti-Western trifft Mad Max

Wer bis hierhin gelesen hat, den sollte folgendes Fazit wenig überraschen: Sisu ist weder ein sonderlich hintergründiger noch subtiler Film. Ganz im Gegenteil. Von Charakterzeichnung und komplexen Dialogen will Autor und Regisseur Jalmari Helander (Rare Exports: A Christmas Tale, Big Game) in dieser simplen Story genauso wenig wissen wie von Logik oder einem differenzierten Geschlechterbild. Die entführte Frauengruppe, die sich, so viel sei verraten, später ebenso verbittert an den Nazis rächen wird, setzt der ganzen Gewaltorgie die Krone auf. Nicht ohne Grund werden für Sisu stellenweise Mad Max-Vergleiche herangezogen - die Anführerin der Frauengruppe (Mimosa Villamo) erinnert recht deutlich an eine der Schlüsselfiguren aus der Adaption.

Aber selbst wenn Sisu die absurde Natur dieser Geschichte auf die Spitze treibt, ist es Tommila, der die Geschichte auf dem Boden der Tatsachen hält (soweit das möglich ist). Wie ein finnischer John Rambo kämpft er sich durch die Steppe, und der Zuschauer erfährt nur stückweise, was er durchmachen musste, welche Vergangenheit er hinter sich lassen wollte und welche verständliche Wut er gegenüber denjenigen empfindet, die sich für überlegen halten.

Fazit

Helander macht aus Sisu zugleich einen Spaghetti-Western, einen schmutzigen Kriegsfilm und eine Art Superhelden-Abenteuer mit übermenschlichen Kräften. Historische Bezüge gibt es bis auf ein paar Rahmendaten so gut wie keine - stattdessen vermischt der Regisseur geradezu tarantinoesk die Geschichte mit schierem Wahnsinn und purer Unterhaltung. Popcorneimer schnappen und los geht's!
 

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