Midnight Tales: Kritik zur düsteren Hörspielserie von Christoph Piasecki

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Midnight Tales

Midnight Tales ist eine Anthologieserie, in der unterschiedliche Geschichten aus den Bereichen Horror, Thriller, Dystopie, und Science-Fiction erzählt werden. Verantwortlich für die Reihe ist der Produzent und Regisseur Christoph Piasecki, der im vergangenen November die Hörspielserie The Lovecraft 5 inszenierte.

Bei seiner neuen Serie arbeitet er unter anderem erneut mit der Autorin Julie Hoverson zusammen. Zum Auftakt haben die beiden sich wieder eine Geschichte von H.P. Lovecraft herausgesucht. "Eiskalt" basiert auf der Kurzgeschichte Kühle Luft, welche Hoverson in die Moderne versetzt.

Im Mittelpunkt ihrer Hörspielversion steht eine junge Frau, welche von zwei Polizisten zum seltsamen Verschwinden des exzentrischen Rockstars Simon Strong verhört wird. Amber ist die letzte, welche Strong in seiner stets eisgekühlten Wohnung begegnet ist. Trotz der Verhörsituation mangelt es dieser Adaption an der Originalität, welche Piasecki und Hoverson mit ihrer Serie The Lovecraft 5 erreichten.

Aber die Reihe ist, wie die weiteren Folgen zeigen, komplett anders ausgerichtet und sehr weit von der doch gemütlichen Grundstimmung der Erzählrunde der fünf Freunde in der Lovecraft-Serie entfernt. "Eiskalt" lebt von der Sprecherin Rieke Werner (Synchronstimme von Kiernan Shipka), die als Amber scheinbar mühelos zwischen Witz, Aufsässigkeit, Trauer und Angst hin und her wechselt.

"Doch in Wirklichkeit wissen Sie nichts!"

Auch die Inhaltsangaben der zweiten und vierten Folgen lesen sich wie typische Horrorgeschichten. "Das Loch in den Dielen" spielt 1912 in England. Der Wissenschaftler James Wallace besucht zusammen mit seiner Frau Anna seinen alten Professor. Doch die beiden finden das Haus des Gelehrten verlassen vor. In einer Nachricht, welche er dem Ehepaar hinterlassen hat, lädt er die beiden ein, in seinem Haus zu warten, warnt sie aber vor einem seltsamen Loch in den Dielen. Handel es sich bei der Öffnung wirklich um eine Verbindung in eine andere bedrohliche Welt?

Auch "Spurlos" schildert zunächst eine klassische Ausgangslage. 1953 verschwindet in einer Kleinstadt in Utah ein Junge. Die Eltern, die sich mit einem Nachbarn auf die Suche nach ihrem Kind begeben, stoßen während ihrer Erkundungen auf weitere seltsame Vorfälle. Wie schon in "Das Loch in den Dielen" entwickelt sich auch in "Spurlos" nicht alles so, wie es der erfahrene Hörer zu Beginn vermutet. Beide Geschichten enthalten noch interessante Wendungen, welche das Geschehen rückwirkend anders darstellen.

Anders verhält es sich in der dritten Folge. Einen kleinen Twist gibt es auch am Ende von "Futterneid". Dieser ist aber nicht so entscheidend für die Handlung, denn es handelt sich bei dem Hörspiel um eine geradlinig erzählte Dystopie. Nach einem Atomkrieg gibt es in den verbliebenen Großstädten zu wenig zu essen. Wer nicht arbeitet, erhält keine Nahrung und das größte Verbrechen in dieser kaputten Welt ist der Diebstahl von Essensrationen. Dieses Hörspiel braucht keine extravagante Erzählweise, es vermittelt auch so gut, zu welchen Grausamkeiten eine Gesellschaft fähig ist, die Hunger leidet – das recht brutale Ende, wäre dazu gar nicht nötig gewesen.

Genau wie "Futterneid" ist auch die fünfte Episode von Midnight Tales nichts für zart besaitet Hörer. In "Die Box" geht es um eine unmenschliche Game-Show, in welcher die vom Publikum erwählten Kandidaten in einer Kiste immer stärkeren Stromstößen ausgesetzt werden. "Die Box" ist die beste der bisherigen Folgen der Reihe, was nicht so sehr an der Geschichte liegt, sondern daran, wie sie erzählt wird.

Im Mittelpunkt des Hörspiels stehen nicht die Teilnehmer oder die Macher der Reality-TV-Sendung, sondern die Zuschauer. Wie sie verfolgt auch der Hörer in verschiedenen Ausschnitten die Show über mehrere Wochen bis zum Finale. Dabei springt man zwischen verschiedenen Gruppen hin und her, welche die Show kommentieren oder rechtfertigen, warum sie sich die Folter der Kandidaten anschauen. So wird "Die Box" zu einer grausamen Medienkritik – welche auch den Hörer der Geschichte indirekt mit einbezieht.

"Das klingt so fantastisch, wie in einem Science-Fiction-Roman."

Nicht nur Rieke Werner liefert als Sprecherin eine exzellente Vorstellung ab. Insgesamt haben die Macher der Reihe bei der Wahl der Sprecher ein gutes Gespür bewiesen. Als eine Art Gastgeber führt Peter Flechtner (Synchronstimme von Matthew Fox) durch die unterschiedlichen Folgen.

In den fünf Hörspielen wirken des Weiteren Martin Keßler (Synchronstimme von Vin Diesel), Sandra Schwittau (Synchronstimme von Hilary Swank), Konrad Bösher (Synchronstimme von Jesse Eisenberg), Gabrielle Pietermann (Synchronstimme von Emma Watson), Dirk Hardegen (Der letzte Tag der Schöpfung), Michael Pan (Synchronstimme von Brent Spiner) und Joachim Tennstedt (Synchronstimme von Michael Keaton) mit. Auch kleinere Nebenrollen wurden mit sehr bekannten Sprechern wie Dietmar Wunder (Synchronsprecher von Adam Sandler sowie aktueller Sprecher von John Sinclair) und Santiago Ziesmer (Synchronstimme von Steve Buscemi und Sponge Bob) besetzt.

Die Vorbilder der Serie sind klar zu erkennen: "Die Box" hätte vom Konzept und Umsetzung auch gut eine Episode von Black Mirror sein können. Andere Folgen passen eher zu Twilight Zone oder Geschichten aus der Gruft. Den Hörer wird ein wilder Mix geboten. So weiß man nie, in welchem Genre man im nächsten Hörspiel landet und ob sich dieses bis zum noch Ende nicht doch noch einmal ändert.

Die einzelnen Folgen besitzen eine Länge zwischen 35 und 42 Minuten. Lang genug, um alles Wesentliche zu erzählen und kurz genug, um keine Langweile aufkommen lassen. Der Hörer wird, nach kurzen einleitenden Worten des Erzählers, mitten ins Geschehen geworfen. Mal befindet man sich bereits mitten im Polizeiverhör, mal auf einer Farm in den USA der 50er Jahre oder es erklingt Werbung für eine merkwürdige Reality-Show.

"Ich bekomme allmählich Angst."

Auch wenn die neuen Reihe Midnight Tales heißt, sind die Hörspiele nur bedingt dafür geeignet, sie abends vor dem Einschlafen zu hören. Einige Folgen schildern brutale und verstörende Weltentwürfe und ein wirklich fröhliches Ende besitzt keine der Geschichten. Die Reihe bietet also keine gemütlichen Horrorhörspiele, in denen das Unheimliche seinen Auftritt hat, am Ende die Welt aber gerettet wird. Midnight Tales zerstörte die bekannte Ordnung und lässt den Hörer dann allein im Chaos zurück.

Wer die Radiohörspiele von Bodo Traber oder Martin Heindel mag, sollte der Reihe eine Chance geben. Wer bei allem Grauen und Schrecken nicht auf ein gewisses Maß an Optimismus verzichten will, ist bei den Reihen Geister-Schocker, Dreamland-Grusel oder Der Gruselserie besser aufgehoben.

Ab dem 6. März sind die ersten fünf Midnight-Tales-Folgen digital in allen gängigen Download-Shops und Portalen verfügbar. Knapp einen Monat später, am 3. April, sind dort die Episoden "Die endlose Nacht", "Morbide Rosen" und "Mehr Sein als Schein" zu finden. Weitere Hörspiele werden anschließend jeweils am 1. Freitag eines Monats um Mitternacht veröffentlicht.

Fazit

Midnight Tales ist unkonventionell, stellenweise brutal und sicher nicht jedermanns Sache. Wer sich auf die Hörspiele einlässt, bekommt aber sehr gute und abwechslungsreiche Unterhaltung geboten – welche man sicher nicht nach fünf Minuten schon wieder vergessen hat. Die Bandbreite reicht von modernen Lovecraft-Adaptionen bis zu experimenteller Medienkritik. Viele der Sprecher kennt man als Synchronstimme verschiedener Hollywood-Stars. Ihnen gelingt es mühelos, den düsteren Geschichten Leben einzuhauchen.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Contendo Media

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