Atalanta Band 5

Robert Kraft

Mit dem fünften Band schließt der Kleinverlag Dieter von Reeken Robert Krafts Lieferungsroman „Atalanta“ ab. Im Anhang finden sich dieses Mal keine Anmerkungen von Heinz Galle, sondern eine Kurzgeschichte, die Robert Kraft zuerst geschrieben hat und deren Motive vor allem in die ersten Lieferungen eingearbeitet worden sind. Dieter von Reeken weißt in seinen Anmerkungen darauf hin, dass Robert Kraft die grundlegende Idee nicht nur in der lesenswerten, sehr stark viele wichtige Ereignisse zusammenfassenden Kurzgeschichte, sondern auch in wenigen weiteren die Prämisse eher verzerrenden Texten verwandt hat.

Schon im vierten Band zerfaserte die Handlung. Aus heutiger Sicht ist vor allem die Begegnung mit den Lemuriern inklusiv der langen einzigartigen Schachpartie interessant.  Paul Alfred Müller hat nicht nur hier Ideen für die „Sun Koh“ und die „Jan Mayen“ Serie übernommen. Erst in der zweiten Hälfte des Buches mit der Geheimgesellschaft, dem zukünftigen Herrn der Welt und den Maharadschas, die vor allem in den vorliegenden letzten Auslieferungen immer wieder Aufträge für Atalanta und ihre Familie/ Freunde haben etablierte sich wieder ein fortlaufender roter Faden, der es vor allem dem Autoren ermöglichen, immer wieder exotische Plätze aufzusuchen.

Die vorliegenden Abenteuer führen auf der einen Seite zurück und dann auch wieder voran. Zurück bedeutet eine Reise zum Sklavensee. Es ist auf der einen Seite faszinierend, diese ursprünglich dank der Funde auch technologisch einzigartige, von Atalanta zwangsweise aufgegebene Oase wieder zu besuchen. Robert Kraft nimmt sich ausreichend Zeit, um die verschiedenen Orte noch einmal Revue passieren zu lassen. Allerdings dauert es auch eine entsprechende Zeit, denn die verschiedenen Exkurse – meistens als Rückblicke angelegt oder wie die Frau ohne Gedächtnis als alleinstehendes Füllmaterial konzipiert – sind von unterschiedlicher Qualität und vor allem auch unterschiedlicher Dynamik. Die Idee einer Frau/ eines Mannes ohne Gedächtnis, hervorgerufen durch eine effektive Art der Hypnose hat auch Paul Alfred Müller übernommen und in einigen seiner Romane extrapoliert. Für Robert Kraft vor allem auch im direkten Vergleich mit Karl May spricht, dass er in diese Ausschweifungen nicht selten perfekte Liebesgeschichten eingebaut hat. Das könnte teilweise antiquiert und kitschig erscheinen, aber zumindest zeichnet er seine Protagonisten auch auf verhältnismäßig wenigen Seiten im Vergleich zum Gesamtumfang dieses Lieferungsromans überzeugend. Vielleicht dienten diese Exkurse auch immer wieder dazu, um neue Leserinnen anzulocken.

Eine weitere Reise führt sie nach Mexiko, wo ein Schwabe eine aus seiner Sicht perfekte Gesellschaft in einem abgeschiedenen Tal aufgebaut hat. Dem Prinzip des Sozialismus folgend werden alle Überschüsse an Bedürftige abgegeben. Verfolgte und Ausgesetzte finden Schutz. Es ist nicht das erste Mal, dass Robert Kraft mit diesen Ideen spielte. In seinem Roman „Die neue Erde“ wird ebenfalls eine deutlich gerechtere Gesellschaft nach dem Einschlag eines Kometen auf der Erde natürlich ebenfalls von einem Deutschen aufgebaut.  Während dort allerdings noch die Ideen des wahren Rittertums propagiert worden sind, ähnelt die hier beschriebene Form des menschlichen Zusammenlebens auch dem Tal der Frauen, das der Autor in einer anderen Lieferung andachte.  Auf den ersten Blick scheint diese Gesellschaft in Kleinen auch zu funktionieren. Während sich Paul Alfred Müller vor allem auf historische Fakten konzentrieren und seine Protagonisten nicht seltene verschollene Stämme eher finden ließ als neue Regierungsformen, ist sich Robert Kraft der Verantwortung als Schriftsteller durchaus bewusst. Absichtlich provoziert er vor allem seine den unteren Klassen zugehörigen Leser, in denen er ihnen ein ertragreicheres Leben suggeriert, das aber wie es sich für derartige in erster Linie abenteuerliche Unterhaltungsromane gehört von außen vom Establishment in Form der Miss Morgan und natürlich dem wieder auftauchenden Mephistopheles bedroht wird.

Insbesondere Mephistopheles entwickelt sich endlich wieder zu einer interessanten Figur.  Im Hintergrund versucht er beide Seiten zu manipulieren. Der ist sich nicht zu schade, eine ganze Luftschiffcrew in den Tod zu schicken und seine Interessen sind deutlich aggressiver und opportunistischer als während dessen ersten Auftritte. Interessant ist zusätzlich, dass mit dem Auftreten dieser übernatürlichen verführerischen und verführenden Gestalt der Plot weiter in Richtung Mystik abdriftet und die technisch bodenständigen Passagen teilweise abrupt abgeschlossen werden. Auch Miss Marwood Morgan, die ja immer nach Atalantas Ehemann gegriffen hat, ist bis zu ihrem traurigen, aber auch konsequenten Schicksal deutlich aktiver in das Geschehen involviert. Robert Kraft gibt sich Mühe, nach den angesprochenen Exkursen den Plot vor allem in den letzten Lieferungen deutlich stärker zu fokussieren und neben den bekannten Versatzelementen mit Verwechselungen,  Verfolgungsjagden, der Belagerung der Menschen im Tal und schließlich  die finale Auseinandersetzung.  

Natürlich ermöglicht die Veröffentlichung von „Atalanta“ in dieser gelungenen Ausgabe auch den Vergleich mit Paul Alfred Müllers Heftromanserien. Neben einigen direkten übernommenen Passagen hat Paul Alfred Müller allerdings im Vergleich zu Robert Krafts und auch Karl Mays fünf Kolportageromanen abseits seiner bekannten Western und Orientgeschichten diese Idee des Pulpabenteuers deutlich perfektioniert. Technisch gut beschriebene Erfindungen in Kombination mit einer immer rasanten, manchmal zu abrupt endenden Handlung. Karl May hat immer wieder auf Missverständnisse, verschiedene Familienzweige und schließlich auch Verfolgungsjagden mit einem Happy End gesetzt. Robert Krafts „Atalanta“ ist als Ganzes betrachtet deutlich vielschichtiger.  Anfänglich neben der Wunderfrau Atalanta und ihrer modernen Einstellung sowie den Irrungen/ Wirrungen und Entführungen der Liebe driftet der Text bis zum vorliegenden Finale mehr und mehr eine Art semimystischen Bereich ab, in dem Robert Kraft insbesondere im Gegensatz zu Karl May und Paul Alfred Müller über die Naturwissenschaften oder die unterkühlte Logik der Deutschen hinweg durchaus die Möglichkeit, eines Reiches jenseits der menschlichen Vorstellung mit Geistererscheinungen und Wiedererweckungen, mit Prophezeiungen oder gar den dekadenten Lemuriern sogar Fabelgestalten in seine Abenteuerhandlung einbaut. Interessant ist das nicht optimistische Ende, in dem Atalanta ihre Bestimmung auf eine gänzlich andere Art und Weise als absehbar findet. Diese letzte Wendung der Handlung nach einigen gut geschriebenen Actionszenen hebt den ganzen Lieferungsroman aus der Masse heraus. Kritisch gesehen ist „Das Geheimnis des Sklavensees“ nicht gehoben worden, aber auf der anderen Seite versagt Robert Kraft seiner Heldin vor allem nach den ganzen Entbehrungen die notwendige Absolution und stellt den ersten Teil auf den Kopf. Ob Atalanta wirklich ihre Bestimmung gefunden hat oder sie die Ereignisse der ganzen Jahre, in denen die einzelnen Lieferungen spielen, um einen Teil ihres großartigen Verstandes gebracht haben, muss jeder Leser alleine herausfinden. Alleine den Bogenschlag von der Wunderfrau des 20. Jahrhunderts bis zur Schlussszene ist gewaltig und hervorragend aufgebaut. 

erfolgreich abgeschlossen. Natürlich erscheinen manche Szenen wie Klischees und die Auflösung vor allem der kleinen nicht negativ gemeint Nebenkriegsschauplätze wie Kapitän Hansens wahre Liebe sind ein wenig kitschig geraten. Das große Epos zerfällt nicht zum ersten Mal in Robert Krafts Werk unter dem Druck in sehr kurzer Zeit immer wieder Höhepunkte setzen zu müssen immer wieder in zu kleine, zu wenig die Grundhandlung vorantragende Abschnitte. Dieses Manko scheint dem Erzähler auch aufgefallen zu sein, denn mehrfach wendet er sich sogar an seine Leser und scheint sie zu beruhigen. Im Vergleich zu „Kampf um die indische Kaiserkrone“ ist „Atalanta“ nicht nur wegen der phantastischen Elemente, sondern auch den besser beschriebenen exotischen Handlungsplätzen deutlich interessanter, während sich Robert Kraft in diesem vergleichbaren Familienepos sehr viel mehr auf deutlich weniger Charaktere konzentrieren konnte.

Die Hardcoverausgabe im Verlag Dieter von Reeken mit allen Innenillustrationen, den sehr guten Essays von Heinz Galle und schließlich abschließend der frühen Kurzform „Atalantas“ ist uneingeschränkt empfehlenswert und reiht sich in die Robert Kraft Edition im Verlag Braatz & Mayrhofer nahtlos ein. 

Dieter von Reeken Verlag

Band 5 (Lieferungen 49–60), 497 Seiten, 50 Abbildungen 

ISBN 978-3-940679-98-7