Earl Dumarest 6 - Im Netz der Sterne

E.C. Tubb

Das sechste Earl Dumarest Abenteuer "Im Netz der Sterne" vermischt bekannte Elemente - eine Liebesgeschichte, nur ein tödliches Duell, übernatürliche Fähigkeiten, eine Tragödie am Ende - mit neuen Ideen - Dumarest besucht in der "Netz der Sterne" benannten Region mehrere Planeten mit durchgehend archaisch primitiven menschlichen Zivilisationen. Hinzu kommt, dass Dumarest am Ende des Vorgängerbandes "Kalin- die Hexe" erhalten hat, hinter dem die Cyber im Besonderen her sind. Bis begegnen sich der Weltraumtramp und die einzelnen Maschinenmenschen eher zufällig an den Brandstädten anderer Konflikte. Jetzt verfügt der Tramp über Informationen, die er selbst nicht nutzen und deren Wichtigkeit er kaum einschätzen kann, und wird dadurch zu einem Objekt der Begierde für die machtgierigen Cyber, für welche die kaum bewohnte und schwer zu durchdringende Region des Netzes der Sterne eher ein Ärgernis denn einen Ansporn darstellt. Im Gegensatz zu den teilweise doch stark mechanisch nach bekannten/ markanten Schemen entwickelten ersten Bänden der Serie, geht Tubb in diesem vom Grundtenor unglaublich melancholischen Buch anders vor. Die Ermordung eines Lademeisters zu Beginn des Plots ist der Faktor Zufall, der die nachfolgenden Ereignisse nicht in Gang setzt, aber die Planungen der Cyber durcheinander bringt und sie zur Improvisation zwingt. Eine Vorgehensweise, die ihnen verhasst ist. In der finalen Konfrontation schlägt Tubb den Bogen zur Auftaktszene zurück und lässt Dumarest erkennen, dass er zum ersten Mal seit seiner leichtfertigen Flucht von der Erde nicht reagieren muss, sondern zumindest in der Theorie agieren kann.

Das Netz der Sterne ist eine Region im All,  in welcher die dichte Positionierung unterschiedlicher Sterne nicht selten mit für Menschen bewohnbaren Planeten für Gravitationsstürme, Strahlenschauer und schwer zu passierende Routen sorgt. Die Beschreibungen erinnern eher an mystische Regionen auf den irdischen Meeren, in denen die Naturgesetze sich den Legenden beugen als anders herum. Interstellare Raumfahrt im "klassischen Sinne" ist nicht möglich. Die gigantischen Frachter laden ihre menschliche Fracht an den Randwelten ab, wo diese sich ins Innere des Netzes "kämpfen" müssen. In dieser Region extrem eisenarmer Welten kann der Leser verstehen, warum die menschlichen Kolonien auf ein primitives Niveau zurückgefallen sind, während Tubb bei den anderen Planeten, die Dumarest besucht, keine Erklärungen für die an die mittelalterlichen Stände erinnernden Kulturen anbietet.

In Earl Dumarests Zukunft ist Raumfahrt immer harte Arbeit. Nur wenige Reiche können sich die exklusiven Reisen bei vollem Bewusstsein und voller Verpflegung leisten. Die meisten Menschen werden eingefroren, wobei die Sterblichkeitsrate hoch ist. Andere verdienen sich die Passagen zwischen den Sternen- opportunistisch nimmt Dumarest die Stelle als Lagermeister des gerade in seiner Gegenwart Ermordeten ein. Die MORAY ist ein Seelenverkäufer, wie sie Joseph Conrad oder Jack London in ihren Büchern beschrieben haben. Der Handel zwischen den Welten geht schlecht und die Margen sind gering. Der Maschinen Maat ist ein aggressiver Alkoholiker, was Tubb in einer der eindrucksvollsten Szenen des ganzen Romans seinen Lesern schockierend vor Augen führt und der Kapitän ein zurückgezogener Opportunist. Der Steward träumt von heroischen Abenteuern zwischen den Sternen, wird aber von Dumarest an die pragmatische Wahrheit herangeführt. Der einzige Passagier an Bord ist ein Edelsteinhändler, der sich für Dumarest Ring interessiert. In der ersten Hälfte des Buches kann Tubb Dumarest Position als stoischer pragmatischer Einzelgänger sehr gut ausbauen, dessen Lebensweisheitenund Erfahrungen radikal dem jungen Steward konsequent alle Träume nehmen. Auf der anderen Seite wirkt sein Protagonist auch ein wenig zu arrogant und zu selbstsicher. Ohne Frage ist sein Umfeld ihm intellektuell unterlegen, aber die stoische Borniertheit, mit der sich Dumarest durchzusetzen sucht, ist in der ersten Hälfte des Buches kontraproduktiv.

Das ändert sich, als er auf einer Wasserwelt nicht nur dem Kapitän ein fast einzigartiges Geschäft vermittelt, bei dem über Nacht die Ware erst hergestellt werden muss, sondern er auch Lallia - Tubb hat die Angewohnheit, die Dumarestromane im Original überwiegend nach den Frauen zu benennen, die einen wichtigen Einfluss auf Dumarest haben - begegnet. Im Vergleich zu den eher behütet aufgewachsen Frauen musste sich die ebenfalls übernatürlich begabte Lallia mit körperlichen Einsatz durch ihr Leben schlagen. Ihre Fähigkeit, von toten Gegenständen deren Geschichte förmlich aufzusaugen, ist nur rudimentär entwickelt. Sie selbst ist wie viele Frauentypen in Tubbs Romanen zierlich, ängstlich und auf der Suche nach einem Mann fürs Leben, mit dem sie Kinder bekommen kann. Die Liebesgeschichte verläuft in den Earl Dumarestbänden nach einem bekannten Schema. Aus dem Beschützer - Dumarest musste einen Zweikampf auf Leben und Tod ausfechten - wird schließlich der Liebhaber, wobei der Autor sich auf einem ambivalenten Grad zwischen körperlicher Liebe und väterlicher Schutzbedürftigkeit bewegt. Da Dumarest einer Frau wegen seine Suche nach abbrechen kann und bislang kein weibliches Wesen bereit gewesen ist, ihm von Stern zu Stern zu folgen, muss das Ende der Geschichte tragisch sein. Im vorliegenden Roman ist Dumarest im Grunde Auslöser der Tragödie, was seine Persönlichkeit nachhaltig erschüttert. Das Ende ist trotz der schon angesprochenen Melancholie des Plots sorgfältig geplant und bürgt ausreichend Ansätze für die folgenden Bücher.

Noch auffälliger als in den voran gegangenen fünf Abenteuern trotz einer Reihe exotischer Kreaturen sowie verschiedener, primitiver und teilweise unwirtlicher Welten mit spärlicher menschlicher Zivilisation sind die direkten Bezüge auf das irdische Mittelalter. In "Kalin- die Hexe" probierten sich Tubbs Fremdwelter schon am typischen irdischen Aberglauben. Im vorliegenden Buch wird Lallia in der Siedlung, in die sie geflohen ist, für alle kleinen und großen Katastrophen verantwortlich gemacht. Auch die örtlichen Männer dürfen sie nicht anschauen- ihre Ehefrauen haben Angst, dass sie sie verführen könnte, obwohl Lallia nicht unbedingt auf Fisch und dementsprechend Fischer steht. Die Wahrheit über ihre Hexenfähigkeiten soll die obligatorische Probe herausfinden, wobei die Dörfler sich die Raumfahrer um Dumarest als Sündenböcke und Zeugen aussuchen. Nur der für die Serie obligatorische Zweikampf ersetzt die auf jeden Fall tödliche Herausforderung für Lallia. Auch andere Stellen weisen eher auf einen mittelalterlichen Hintergrund mit der Sklavenhaltung, dem Tauschhandel und schließlich auch den primitiven Lebensumständen hin, während die Hochzivilisation in erster Linie von den Cyclan und ihren Helfern gebildet wird. Dumarest erhält aber weitere Hinweise auf die Position der Erde, wobei Tubb in dieser fernen wie archaisch wilden Zukunft Auszüge aus der Bibel als heiliges Buch auftauchen lässt. In tragischer Weise bildet sich während des befriedigend beschriebenen Showdowns eine Art Schicksalskreis, der Dumarest neue Türen öffnet, während Lallia an ihrer Gabe zu Grunde zu gehen droht. Diese Ambivalenz, das Aufeinandertreffen von Extremen durchzieht diesen auch in Hinblick auf Dumarests charakterliche Entwicklung extrem melancholischen Roman wie ein roter, sehr zufriedenstellender Faden.

Neben der neuen, exotischen Region, die "Im Netz der Sterne" den Lesern aufzeigt, wirkt die sich an den klassischen Abenteuergeschichten insbesondere Joseph Conrads orientierende Handlung frischer und einfallsreicher als in den letzten Dumarestabenteuern. Die Zeichnung der Nebenfiguren - dabei spielt es keine Rolle, ob es die wenigen Unterstützer des Weltraumtramps sind oder die rückblickend erstaunlich vielen Antagonisten - ist deutlich ambitionierter und dreidimensionaler. Tubb nimmt sich sehr viel Zeit, diese aus unterschiedlichen Gründen entweder verträumten oder desillusionierten, aber verlorenen Seelen ausführlich zu skizzieren. Im Vergleich zu den anderen Dumarestromanen und aufgrund der fehlenden kriegerischen Auseinandersetzungen eher überraschend sterben viele von ihnen unter mehr oder minder tragischen Umständen.

Wer E.C. Tubb als reinen Handwerker an der Schreibmaschine einschätzt, wird dank dieses stimmungsvollen intensiven und dichten Romans eines Besseren belehrt. Er gehört - wenn auch inhaltlich nur auf das letzte Drittel beschränkt - zu den frühen Schlüsselromanen der Earl Dumarestreihe, auch wenn sich letzt endlich manches Versatzstück der Serie sich doch durch die Hintertür in den Plotverlauf schleicht.  

 

Pabel Verlag

Taschenbuch, 160 Seiten

1984 erschienen