Das Ufer

Richard Laymon

“Das Ufer” ist eines von drei Manuskripten, die nach Richard Laymons Tod posthum veröffentlicht worden sind. Ob der Autor die Arbeiten an den Büchern schon abgeschlossen hatte, lässt sich nicht mehr eruieren.  Im direkten Vergleich mit „The Glory Bus“ und „Amara“ ist „The Lake“ ohne Frage das schwächste Buch dieser drei.

Richard Laymon nutzt eine Reihe von Klischees aus seinen bisherigen Romanen. Da wären die Ereignisse aus der Vergangenheit, die allerdings in einem direkten Vergleich zur vorliegenden Beschreibung eher auf den Kopf gestellt werden.  1969 verabredet sich Leigh West frisch verliebt am Lake Wahconda mit ihrem gleichaltrigen Freund. Während des Rendezvous stürzt Charlie durch die morschen Holzbalken des Hauses und verunglückt dabei tödlich. Auf der Beerdigung spielen sich vor allem von Seiten der Mutter des gestorbenen Jungen hässliche Szenen ab.  Obwohl zwischen der Gegenwartshandlung und dem Jahr 1969 mehr als zwanzig Jahre liegen – diese Tatsache ist erstaunlich und deutet auf einen älteren Roman hin, da Richard Laymon gerne die Vergangenheitsebene mit der Zeit verbindet, in welcher er das Buch geschrieben hat und es nur selten aus dem 21. Jahrhundert gute zehn Jahre zurück verlegt hat – hat der Unfall immer noch drastische Auswirkungen auf die Gegenwart. Leighs Tochter ist inzwischen im gleichen Alter wie ihre Mutter, als ihr Freund Allan bei einem Ausflug an einer Lichtung von einem  Auto erfasst und getötet wird. Der Polizist Mace Harrison übernimmt den Fall. Und die Art des Fahrzeuges deutet auf einen gerade von Leigh entlassenen Koch hin, der Rache als Motiv haben könnte.

Relativ schnell, aber durch die hektischen Sprünge zwischen den Ebenen wird das Szenario etabliert.  Die Mutter- Tochter Beziehung ist wahrscheinlich nach einigen hektischen und für Laymon so typischen Szenen das wichtigste Element des Romans und sie funktioniert insbesondere für den Amerikaner Laymon auch ausgesprochen gut. Auch wenn Gewalt und eher grober, ein wenig sadistischer Sex eine wichtige Rolle spielen, scheint sich Laymon ausgesprochen gute in die Psyche der immer noch sehr attraktiven wie sexuell aktiven Mutter besser einzuarbeiten als zum Beispiel der Teenagertochter, die in zu viele Klischeeschubladen passt.  Das ist desto erstaunlicher, als das er selbst Vater einer Tochter ist.  Während die emotionalen Szenen erstaunlich gut gelungen ist, greift der Autor beim Spannungsaufbau wieder auf einige stereotype Handlungsmuster des Slasherfilms – duschen ist immer wichtig – zurück und unterminiert dabei nicht nur den Plotaufbau des vorliegenden Buches, sondern viel schlimmer auch die solide Zeichnung seiner Frauencharaktere. In seiner langen Historie als Horrorautor hat Richard Laymon immer wieder Frauen in Hauptrollen als Opfer gezeichnet, die sich aber positiv den Herausforderungen stellten und im Gegensatz zu den männlichen „Kollegen“ oder Opfern sogar aktiv wie geschickt die meistens psychopathischen Massenmörder bekämpften und den Sieg errungen haben.  In diesem Buch kommen andere Faktoren hinzu, so dass insbesondere der Mittelteil zu den besten Arbeiten Richard Laymons in dieser Spätphase zählen muss.

Nur muss Richard Laymon um die Lesererwartung auch zu befriedigen, einige Kompromisse anbieten. Es wirkt unwahrscheinlich, dass die Tochter direkt nach ihrem Verlust sich einen neuen Partner sucht.  Laymon braucht diese Nebenfiguren, um weitere Kriegsschauplätze zu etablieren. Aber diese Vorgehensweise ist den ganzen Roman betrachtend sinnlos.

Ohne Frage leidet „Das Ufer“ auch unter einer weiteren Schwäche Laymons. Positiv gesprochen sollte der Leser „Das Ufer“ als eine posthume Veröffentlichung ansehen, deren Überarbeitung noch nicht abgeschlossen worden ist. Negativ muss allerdings auch festgehalten werden, dass diese Schwächen auch in einigen seiner anderen Romane festzustellen sind. Laymon führt eine Reihe von skurrilen, natürlich sofort verdächtigen Personen ein, um nicht nur die Protagonisten, sondern viel mehr die Leser abzulenken. Als Täter kommen sie im Grunde nicht in Frage. Hinzu kommt, dass einige rote Fäden wie in vielen seiner Bücher tatsächlich ins Nichts führen. Das dritte Argument für einen nicht vollständigen, aber auch so typischen Spät Richard Laymon Roman liegt in der Tatsache begründet, dass der Handlungsbogen auf der einen Seite zu einem kompletten Ende geführt wird, das auf der anderen Seite absichtlich viel zu kompliziert und vor allem auch einige der Fakten ignorierend angelegt worden ist.  Der Spannungsaufbau kommt auf den letzten Seiten zum Erliegen. Mit einigen brutalen Szenen kann der Autor diese Schwäche nur teilweise überspielen, da er im gut geschriebenen, aber für einen Slasher auch nicht immer geeigneten Mittelteil vergessen hat, das Tempo aufzunehmen.  Der Epilog hinsichtlich der Überlebenden wirkt aufgesetzt und dient eher als Füllmaterial, um das Buch auf die notwendigen 400 Seiten im Original Flughafen oder Bahnkiosk Umfang zu bringen.

Schade ist, dass neben der angesprochenen zwischenmenschlich überzeugenden, aber in ihren Handlungen zu klischeehaften Mutter- Tochter Beziehung vor allem der Rückblick ins Jahr 1969 sehr ansprechend und emotional gut beschrieben worden ist. Mit ein wenig mehr Mühe hätten andere Teile dieses Buches das gleiche Niveau erreichen können.  Schon teilweise mit einer sehr heißen Nadel gestrickt fehlt dem Buch vor allem im direkten Vergleich zu anderen, nicht unbedingt besseren, aber deutlich phantasievolleren Laymon Romanen das besondere Momentum.  Vor allem weil Richard Laymon zum ersten Mal seit vielen Jahren die Möglichkeit und die Chance hat, wirklich auf allen Ebenen fragwürdige Charaktere zu etablieren und damit die Frauen in mehrfacher Hinsicht ohne konstruierte Gründe in Bedrängnis zu bringen. Es ist erstaunlich, dass Laymon diese große Chance vielleicht durch fehlenden Mut nicht nutzt, um mit seinen vorhandenen Stärken bei Akzeptanz der sich wie eine Blutlinie durch sein Werk ziehenden Schwächen auch etwas Neues zu probieren.

In der vorliegenden Form wird „Das Ufer“ in erster Linie nur Richard Laymon Fans ansprechen, die alles von ihm lesen.   Das Potential für mehr ist ohne Frage vorhanden gewesen, es ist nur schade, dass es an so vielen Stellen buchstäblich verschenkt wird.            

  • Taschenbuch: 592 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (12. September 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453676475
  • ISBN-13: 978-3453676473
  • Originaltitel: The Lake
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