
Der zweite „Loke Klingsor“ umfasst die Lieferungen 16 bis 30 auf über 600 Seiten mit 64 Abbildungen. Es handelt sich ja grundsätzlich um ein Werk aus dem Nachlass Robert Krafts, das posthum und fast zwanzig Jahre später beginnend im Jahre 1927 von Johannes Jühling abgeschlossen worden ist. Recherchen haben ergeben, dass Jühling ein Viertel des Buches vor allem basierend auf Arthur Conan Doyles „Die vergessene Welt“ geschrieben worden ist. Die vorliegende Zusammenfassung des zweiten Buches lässt aber auch eine weitere Interpretation übrig. Diese hier vorliegende ambivalente Verbindung zwischen klassischen Abenteuerstoffen – es geht ja in die Wüste und unter die Erde, die Lemuren aus der „Atalanta“ Saga werden ebenfalls erwähnt – und göttergleichen Figuren/ dem Mephistopheles aus dem angesprochenen „Faust“ könnten auch darauf hindeuten, dass Jühling vor allem diese spiritistischen Passagen dem Zeitgeist der zwanziger Jahre folgend entworfen hat, während die Anlehnungen an Doyles populären Abenteuerstoff eher den Texten entspricht, die Robert Kraft in seinem umfangreichen Werk immer wieder mit utopischen Ideen wie der Camera Obscura unterlegt verwandt hat.
Die hier vorliegenden Lieferungen zerfallen im Grunde in zwei sehr unterschiedliche Teile. Zum einen schiebt Robert Kraft immer wieder ganze Lieferungen umfassende Nebenhandlungen ein, die aber besser als im ersten Buch der laufenden Handlung angepasst sind, aber den ganzen Stoff umfassend doch wie zeilenschindende Exkursionen erscheinen. Dabei springen Robert Kraft und Jühling in der Zeit. Es wird von der Jugend Loke Klingsors genauso berichtet wie in den letzten Lieferungen plötzlich von einer Figur, die mit ihrem Drang nach Abenteuern fast an eine Parodie auf Karl May erinnert. Der Wechsel der Perspektive zum Ich- Erzähler wirkt befremdlich, aber die hier zusammengefassten Lieferungen ergeben zumindest einen vorläufigen Schluss. Loke Klingsor rekrutiert einen weiteren Handlanger und überlässt ihm wie nicht selten bei Paul Alfred Müller das schnöde Gold, während er sich mit einem geheimnisvollen Fund zufrieden gibt. Loke Klingsor spielt auch zu Beginn des Buches allerdings in der Rolle des genialen Manipulators eine wichtige Rolle. Er lädt die „Königin von Thule“ genauso wie einen geheimnisvollen Alten – beides Erzfeinde – zu einer Bärenjagd nach Montana ein. Daraus entwickelt sich eine Zweckgemeinschaft, wobei diese übernatürlichen Wesen ihre Kräfte vor allem gegen den angreifenden Bärenvater bündeln, sich aber in der Tradition des Abenteuerromans auf Intelligenz, Mut und Kraft verlassen. Dieser sehr lange Handlungsbogen gipfelt schließlich in einer Expedition ins Innere der Erde, die Robert Kraft ausgesprochen spannend und vor allem vielschichtig erzählt. Immer wieder begegnen seine „Helden“ nicht nur einem kleinen Hund, der sie wieder zu der Räuberhöhle zurückführt, sondern sogar Spuren der Lemurer, die vor vielen Jahrtausenden ihr Reich errichtet haben. Auch Atalanta ist in ihrem Lieferungsroman den Erben von Atlantis – körperlich degeneriert, aber sehr verschlagen – begegnet. Es spricht einiges dafür, dass Jühling und Kraft diese Idee nicht nur recycelt haben, sondern das auch Paul Alfred Müller sie aufgenommen hat. Der lange, den Konflikt zwischen den Nachkommen der Skalden deutlich mehr manifestierend als in den ersten Lieferungen, Handlungsbogen läuft eher unauffällig aus. Es bleibt das Gefühl zurück, als wenn Robert Kraft kurzzeitig das Interesse an diesem Abschnitt seines Romans verloren hat.
Die Skalden sind eine Elite, die über besondere Kräfte verfügt. Markant daran ist, dass Klingsor die alte Welt der Wikinger und ihrer Nachfolger sowie die indischen Weisen in sich vereinigt. Hinzu kommt, dass er in einem tibetanischen Kloster erzogen worden ist. Wie „Sun Koh“ oder „Doc Savage“ müssen diese Supermänner hinsichtlich ihrer Herkunft geheimnisvoll bleiben. Im Gegensatz dazu eilt Robert Kraft dem Superheldenmythos vorweg, in dem diese Skalden sich unter „normalen“ Menschen aber ausschließlich der höheren Gesellschaften weltweit bewegen können. Nicht selten sind ihre Kräfte aber wie bei der „Camera Obscura“ und den französischen Antihelden wie „Fantomas“ / „Arsene Lupin“ folgend auch an utopisch wirkende technische Entwicklungen gebunden. Loke Klingsor gibt sich genauso geheimnisvoll wie in der angesprochenen Jagdepisode in den ersten Lieferungen auch verspielt. Die exzentrische und extreme Charakterisierung Loke Klingsor wird noch deutlicher, wenn er den egoistischen Gigolo genauso zu verkörpern sucht wie den bedrohlich erscheinenden „Teufel“ oder den bestimmt intelligente Menschen antreibenden Mentor. Nicht selten wechselt Loke Klingsor sein Erscheinen/ seine Intention innerhalb eines Kapitals. Die Figur wird in dieser Hinsicht zu einem Extrem getrieben, das den Erscheinung mit der schwarzen Katze auf der Schulter und ihrer geisterhaften Erscheinung im dreidimensionalen Spiegel aus dem ersten Lieferungsband widerspricht. Mehr und mehr entzieht Robert Kraft seinem Titelhelden die bedrohliche Aura und macht ihn tatsächlich zu dem Opfer, als das er sich anfänglich ein wenig kindisch kindlich sieht. Obwohl ihm die Menschen im Grunde nicht zu Leibe rücken können. Im Gegenzug werden seine Gegner immer rücksichtsloser, wobei er auch wie bei „Atalanta“ sowie „Um die indische Kaiserkrone“ nicht davor zurückschreckt, eine wirtschaftlich unabhängige Femme Fatale in Plot einzubauen, die aggressiv auf Männerjagd geht und dabei der einfachen männlichen Leserschicht sicherlich Schweißperlen auf die Stirn treibt.
Auf der anderen Seite ist es vor allem angesichts des ambitionierten Konzepts erstaunlich, wie routiniert und gekonnt Robert Kraft zusammen mit seinem Nachfolger/ Co Autoren diese wirklich umfangreiche Handlung im Griff hat und einige der Nebenhandlungsbögen immer rechtzeitig, stellenweise auch ein wenig selbstironisch zusammenführt. Bedenkt man zusätzlich, dass diese Lieferungen ja nicht wie hier gesammelt vorgelegen haben, sondern teilweise die Veröffentlichung inklusiv des Verfassens sich über ein Jahr hingezogen haben, dann ist „Loke Klingsor“ Robert Krafts ehrgeizigstes Projekt.
Es gibt aber auch die zugänglichere Handlungsebene. In den ersten Lieferungsromanen hat Robert Kraft nicht nur beschrieben, wie die langjährige opportunistische Freundschaft zwischen Loke Klingsor und dem Milliardärssohn Phillips zerbrochen ist. Dieser hat quasi eine Art Hautgeld ausgesetzt. Er möchte gerne, dass die Tätowierung auf Klingsors Rücken – auch eine Idee, die Kraft schon in „Atalanta angesprochen hat – entweder abgeschrieben oder Klingors buchstäblich die Haut abgezogen wird. Diese Zeichnung soll zum Geheimnis des Mannes mit den Teufelsaugen führen. Diese Jagd führt über mehrere Kontinente bis zu einem Verweis auf den letzten Überlebenden der „leichten Brigade“ aus den Kriegen Großbritanniens gegenüber den Inder. Robert Kraft zeichnet ein märchenhaftes Portrait der fremden Kulturen, während er die Herausforderung der Wüste dreidimensional und insbesondere wie Karl May für den Leser auf der Straße greifbar beschreibt. Es reihen sich neben einigen Aktionenszenen vor allem die zwischenmenschlichen Dramen mit einem sich mehr und mehr zum Schurken entwickelnden Hintermann aneinander. Auch hier erinnert manches an „Atalanta“, selbst wenn diese Nebenhandlung wie mehrfach erwähnt sehr viel mehr in den Plot um den ohne Frage charismatischen und alle Figuren aus vielen anderen Lieferungsromanen Robert Krafts in den Hintergrund drängenden Loke Klingsor herum gestaltet worden ist. Nicht selten überdeckt Loke Klingsor die Längen des Romans, die Robert Kraft durch seine nicht immer ziel gerichteten Dialoge erschaffen hat.
Zusammengefasst in dieser wie immer sammelswerten, liebevolle mit zahlreichen Illustrationen zusammengestellten Hardcover Ausgabe lesen sich die einzelnen Lieferungsromane immer noch sehr rasant und teilweise erstaunlich zeitlos mit ihren sich aneinander reihenden Wundern. Der Inhalt des Buches ist ungewöhnlich komplex und Robert Kraft entwickelt den Spannungsbogen nicht nur in Richtung familiärer Dramen weiter, sondern erschafft ein phantastisches Niemandsland voller Mythen und Legenden, immer nur einen kleinen Schritt neben der gut beschriebenen Realität.
Verlag Dieter von Reeken
Hardcover Band 2 (Kapitel 31- 61)
625 Seiten, 64 Abbildungen
ISBN 978-3-945807-03-3