Clarkesworld 122

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke spricht in seinem Vorwort über die Zeit des Erntedanks und das die Leser sich über bestimmte Organisation daran machen sollten, die Idee von Science Fiction Literatur weiter zu verbreiten.  Sarah Pinsker erarbeitet in ihrem Essay „On Saying No“ den Wert des höflichen Ablehnens und des genauen Sortieren von relevanten Aufgaben und der Ignoranz dem Mühl gegenüber aus. Die zehn aufgeführten Punkte sind alle sehr bemerkenswert. Wie nicht selten muss sich der Mensch nur gegenüber den zeitraubenden Haien zum ersten Schritt motivieren, der einfach aus dem Satz „Nein danke, ich habe keine Zeit“ besteht.  Ihre Thesen lassen sich sehr leicht in alle Bereiche des Lebens übertragen. Chris Urie spricht mit der Kurzgeschichtenautorin Lauren Beukes, wobei das Interview zu komprimiert erscheint. Als wenn ein einführender Rahmen vor allem in ihre verschiedenen thematisch sehr unterschiedliche Romane förmlich abgeschnitten worden ist.  Mark Coles Essay „Kubrick to Scott: Relevancy and Realism in Cinematic Science Fiction“ baut auf seinen bisherigen Artikeln auf.  Wahrscheinlich erschließt sich dem Leser die Komplexität seiner Arbeiten eher in einer gesonderten Veröffentlichung. Wieder finden sich ausreichend Filmbeispiele, um seine Thesen zu untermauern. Mark Coles Essay ist der inhaltlich am meisten zufriedenstellende sekundärliterarische Beitrag dieser Ausgabe, während Sarah Pinskers flott geschriebene Kolumne zum Nachdenken anregt.

Der Schwächere der beiden längeren Nachdrucke ist eine Geschichte aus dem Stillen Krieg, die Paul McAuley in einer Anthologie gesammelt hat. „Reef“  beschreibt die Übernahme eines Kometen artigen Objektes im Kuiper Gürtel durch eine im Vakuum lebende fremde Intelligenz. Eine Gruppe von Wissenschaftlern möchte sie untersuchen, da sie an eine kontinuierliche und sehr schnelle verlaufende Evolution glauben, während die anderen Explorer eher weiter die Gesteinsbrocken ausbeuten und die entsprechenden Prämien kassieren wollen.  Es werden die einzelnen Argumente eher oberflächlich und teilweise klischeehaft ausgetauscht, bis schließlich mit einer gegen alle Regeln durchgeführten Eine-Frau-Mission zumindest die Öffentlichkeit auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht wird. Zusammengefasst eine über weite Strecken eine eher durchschnittliche Geschichte, deren Ambitionen nicht erfüllt werden.

Der zweite Nachdruck „An Eligible Boy“ von Ian MacDonald ist deutlich stärker.  Neben seinem Roman „River of Gods“ hat der Ire mehrere Geschichte verfasst, die in einem futuristischen Indien spielen.  Auch die vorliegende Novelle ist in „Cyberadad Days“ nachgedruckt worden.  Hervorragend arbeitet der Autor die Widersprüche zwischen einem futuristischen Indien und den langen Schatten der Traditionen heraus. Der Protagonist Jasbir versucht ein Mädchen mit einem Reload der alten Traditionen zu erobern, in dem er den Ratschlägen einer künstlichen Intelligenz vertraut und nicht mehr der Erfahrung der Eltern. Mit einem subtilen Hauch von Humor und einigen Querverweisen auf das allgegenwärtige Bollywood erzählt der Autor im Grunde eine Cyber Variation von „Cyrano de Bargerac“. Aus der Gegenwart ist extrapoliert, das die indische Besessenheit mit Söhnen zu einem Verhältnis von vier Jungen auf ein Mädchen führt. Das Werben  um die wenigen Frauen muss auf einer anderen Ebene stattfinden. Im Epilog hält der Autor dem Leser buchstäblich den Spiegel ins Gesicht und dreht noch einmal die Erwartungshaltung in dieser zeitlosen, atmosphärisch stimmigen und vor allem so unterhaltsamen Geschichte um einhundertachtzig Grad.  

Die zweitkürzeste der neuen Geschichten ist Nelly Geraldine Garcia- Rosas „Where Water Joins“.  Es ist eine seltsame Story über Computer in Interaktion mit dem menschlichen Geist.  Ganz bewusst verzichtet die Autorin auf klassische Erzählmuster und versucht den Leser von Beginn an in den Maschinengeist zu ziehen.  Die Idee, dass die Menschen durch Operationen zu „menschlichen Computern“ werden, wirkt allerdings zu wenig angesichts der Kürze der Geschichte extrapoliert, um gänzlich zufrieden zu stellen.  Im Grunde beschreibt die Autorin eine Art Schöpfungsprozess, wobei sie die Erschaffung eines Individuums mit dem Bau eines Computers fast auf eine Stufe stellt. Stilistisch herausfordernd, ein wenig zu verspielt, aber eine gut zu lesende Story.  Noch kürzer und deutlich besser ist „Afrofuturist 419“ von Nnedi Okorafor. Was wie einer dieser typischen Spambriefe mit der Erbschaft, für die im Vorwege Geld gesammelt werden muss, beginnt, entwickelt sich zu einer melancholisch traurigen, aber sehr stimmigen Geschichte.  Der einzige nigerianische Astronaut befindet sich seit 14 Jahren im Orbit um die Erde auf einer Raumstation.  Während der rührselige Kettenbrief eine gänzlich andere Geschichte erzählt, kommentiert der verzweifelte Mann aus dem Orbit die aus seiner Sicht gierige Aktion seines Bruders. Sie macht jede Rettung zu Nichte. Trotz der Kürze des Plots eine wirklich lesenswerte Geschichte, in welcher  die afrikanische Kultur eine farbenprächtige Rolle spielt.

Samantha Murray präsentiert mit „Of Sight, of Mind, of Heart“ eine emotional überzeugende, vor allem nicht kitschige Geschichte einer Leihmutter, deren Kind zu einer schnell wachsenden Generation von genetisch erzeugten Kindern gehört. Dadurch verläuft alles im Zeitraffer. Die Autoren fasst diese Variation einer bekannten Idee durch das Setzen einiger Schlaglichter sehr gut zusammen, so dass der Leser auch mit den teilweise aber auch ein wenig eindimensional gezeichneten erwachsenen Figuren mitfiebern kann.  Gegen Ende kann die Autorin nicht nur die Hintergründe dieses Experiments erläutern, sondern eine emotionale Brücke zwischen Mutter und Kind schlagen, welche die Bedeutung des „menschlich“ seins ausgezeichnet unterstreicht.    

Bo Balders „Follow the White Line“ ist die schwächste Story dieser Ausgabe.  Eine gute Mechanikerin auf einem Raumschiff beginnt weiße Linie zu sehen.  Die Geschichte ist nicht nur stilistisch viel zu umständlich erzählt und eine der Prämissen macht logisch betrachtet keinen Sinn, der Plot wirkt zu wenig nachgearbeitet und die Charaktere sind eher dürftig gezeichnet worden.   Ein wenig besser ist Nin Harris “What the Stories steal”. Auch wenn die Idee des Hausgastes eher an eine Horror Story erinnert und eine der Protagonisten unbedingt ihren Mann wieder haben möchte, ohne dass der Leser ihren wahrscheinlich auch imaginären Handlungen wirklich folgen kann oder die Beziehung wirklich noch auf Liebe und nicht Gewohnheit aufgebaut erscheint.  Stilistisch sehr schwerfällig versucht die Autorin zu viele Informationen in dem Plot einzubauen und verzichtet auf auflockernde Dialoge.  Vielleicht hätte man mit ein wenig mehr Raum und einer besseren Charakterisierung den Plot interessanter gestalten können.

Chen Hongys “Western Heaven“ ist eine weitere der Geschichten, die auf chinesischen Legenden und Mythen aufbauen. In diesem Fall „Journey to the West“. Die Roboter werden auf einer von Menschen verlassenen Ende zurück gelassen.  Die Menschen haben das bekannte Universum besiedelt und ihre Heimat vergessen. Die Roboter verrichten weiter stoisch ihre Aufgaben. Nur ein Roboter hinterfragt diese sinnlosen Tätigkeiten und beginnt mit einer Handvoll Begleiter nach den von ihm immer noch in Ehren gehaltenen Menschen zu suchen. Eine stimmungsvolle, sehr ruhig erzählte Geschichte, in welcher Hongyu es schafft, den „Maschinen“ Persönlichkeiten zu geben und ihre Interaktion immer in Abhängigkeit zu ihren alten Herren so dreidimensional und nachvollziehbar zu beschreiben. Stilistisch gut geschrieben, ansprechend übersetzt eine der Höhepunkte dieser Ausgabe.

Die „Clarkesworld“ 122 ist eine sehr gemischte Ausgabe. Während die beiden Nachdrucke auch durch ihre Seltenheit überzeugen,  sind zwei der sechs neuen Stories schwach. Nur zwei Texte können in dieser Rubrik ohne Einschränkungen überzeugen. Dabei handelt es sich um die kürzeste und die längste Geschichte der Ausgabe. Ein schönes Titelbild rundet diese unauffällige Nummer zumindest optisch zufriedenstellend ab.

 

 

www.clarkesworldmagazine.com

E- Book,

Buch 112 Seiten