Loke Klingsor

Robert Krat

Im dritten Sammelband sind die Lieferungen 62 bis 82 gesammelt. Da das Werk posthum erschienen und von Johannes Jühling bearbeitet worden ist, sind einige typische Schwächen in Robert Krafts Werk nicht so stark spürbar. Immer unter dem Druck der Abgabetermine arbeitend hat sich Robert Kraft zu seinen Lebzeiten vor allem in den nicht in Episoden erzählten Lieferungsromanen, sondern den großen Epen wie „Atalanta“ oder „Kampf um die indische Kaiserkrone“ teilweise in bekannte Schemata geflüchtet. Nicht selten musste eine tragische Trennung der Charaktere oder öfter eine Entführung möglichst an exotische Orte hinhalten, um Stoff für die nächsten Kapitel zu bilden. Auffällig ist auch, dass Robert Kraft teilweise ohne einen Zusammenhang auf den ersten Blick zu erkennen, „fremdes“ Material mit neuen Protagonisten eingeschoben hat, das er anderweitig später noch einmal recyclen konnte. Die einzelnen Episoden waren in sich gut geschrieben und zeigten die Dynamik, die ihm übergeordneten Handlungsbogen teilweise nachgelassen hat, aber den Stoff als Ganzes in der konzentrierten Form der Sammelausgaben lesend, unterstrichen sie die Notwendigkeit, sich gut verkaufende Stoffe möglichst über viele Ausgaben zu strecken, auch wenn der zugrunde liegende Plot schneller hätte abgeschlossen werden können.

 „Loke Klingsor“ unterscheidet sich in dieser Hinsicht stark von den bisherigen Lieferungsromanen Krafts. Das liegt vor allem an der ambivalenten Figur des allgegenwärtigen und doch nur peripher auftauchenden Protagonisten. Der Leser erfährt quasi in jedem dieser vier Sammelbände mehr über den Protagonisten, ohne ihn in Wirklichkeit zu kennen. Die Mischung als Wikinger Nachfahre und Sohn indischer Weiser – eine Idee, die Robert Kraft in „Kampf um die indische Kaiserkrone“ schon positiv gesprochen weidlich und minutiös vorbereitet hat – ist schon interessant genug. Da er zu der kleinen Gruppe von Skalden gehört, die über abgeschieden gelegene Reiche herrschen, wird dem Plot eine weitere Ebene zugestanden. Bei den Skalden geht Robert Kraft allerdings ambivalent vor. Als eine Art moderne Nibelungensaga führen die Skalden untereinander Krieg. Diese Idee wird teilweise auch spielerisch vorgetragen. Im zweiten Sammelband stand anfänglich der Konflikt im Vordergrund. Fast gegen ihren Willen musste sich eine kleine Gruppe verbünden, um gemeinsam einige extreme Situationen zu überstehen. Die direkten Auseinandersetzungen werden nicht selten mit primitiven, aber auch mystischen Waffen ausgefochten. Dabei verfügen die Skalden nicht nur über ein umfangreiches, phantastisch utopisches Wissen, sondern nutzen diese Errungenschaften zum Wohle ihrer ihnen Anvertrauten Bürger. Im ersten Sammelband hat Robert Kraft für den Leser nachvollziehbar die einzelnen Positionen herausgearbeitet. Loke Klingsor erscheint als Verführer, als übermächtiger Schurke, der dank einer Tätowierung auf dem Rücken Zugang zu einem unglaublich wertvollen „Schatz“ hat. Mit dem zweiten Sammelband und vielen Informationen über den Mann mit den Teufelsaugen hat sich der Fokus gedreht. Loke Klingsor ist mehr der Gejagte, das Opfer. Dabei wehrt er sich aktiv. Immer wieder stellt er seinen Häschern Fallen. Er verführt sie nicht nur mit seiner Macht, sondern vor allem seinen Herausforderungen. Diese kontinuierlichen Prüfungen erinnern an eine Variation der ersten Lieferungsromane Karl Mays. Auch in diesen Kolportagearbeiten müssen sich die Protagonisten – Karl May entwickelt aber nur positive Heldenfiguren und zeichnet die Schurken von Beginn an signifikant als brutal/hinterhältig – verschiedenen Herausforderungen stellen, um durch ihren Kampf das Glück zu finden. Robert Kraft zeichnet eine deutlich mehr heraus stechende Signifikanz bei der Zeichnung der Protagonisten aus. Für den Leser ist es nicht erkennbar, welche Ziele Loke Klingsor verfolgt. Die Prüfungen sind Charaktertests. Anscheinend will Klingsor wie später auch „Sun Koh“ oder „Jan Mayen“ eine Gruppe von Menschen um sich scharren, welche seinen außerordentlichen Versuchungen moralisch stand gehalten hat. Sie kommen in die nicht selten künstlich geschaffenen Paradiese unter der Erde, während die „Weichen“, die Habgierigen und schließlich die durch und durch Verdorbenen bestraft werden. Eine nachträgliche moralische Belehrung fehlt in Robert Krafts Romanen im Allgemeinen und durch die Ambivalenz Loke Klingsors, der als Teufel und Gott zu gleich agiert, entwickeln die einzelnen Tests eine ungewöhnliche innere Spannung. Für den Leser ist nicht klar zu erkennen, wer wirklich bestehen wird. Robert Kraft ist sich in dieser Hinsicht auch nicht zu schade, „gute“ oder „sympathische“ Figuren zu vernichten. Nur wer anscheinend auch von ganzem Herzen lieben kann, hat überhaupt eine Chance, den nächsten Schritt zu gehen.

 Wer sich im Vorwege mit Freder van Holks bzw. Paul Alfred Müllers Werk beschäftigt hat, der wird nicht nur einige Ideen aus seinen vor allem „Sun Koh“ Geschichten kennen, sondern kann auch „Loke Klingsor“ als Mittler zwischen dem bekannteren Lieferungsroman „Atalanta“ und Müllers lang laufenden Zyklen  ansehen. Gleich zu Beginn  der sechziger Lieferungen kommt diese Kontraste zur Geltung. Aus dem Sandmeer ins Ewige Eis. Durch eine Art Schleuse und mit der richtigen Ausrüstung wechselt der gestrandete Protagonist im Rahmen seiner Herausforderung von dem einen Extrem ins Andere. Dabei ist sich nicht der Leser wie auch sein „Held“ nicht sicher, ob er tatsächlich plötzlich im ewigen Eis ist oder ob es sich um eine Halluzination, eine Projektion der in den hier gesammelten Lieferungen nicht mehr verwandten „Laterna Magica“ handelt. Wie schon erwähnt hat die Konzentration der Folgen auch einen Nachteil. Der Leser kann in einigen schnell herunter geschriebenen Passagen die bekannten wie markanten Handlungsmuster erkennen. Dieser extreme Wechsel ist nicht neu, wobei Robert Kraft mit sehr viel Freude die Protagonisten austauscht. In den vierziger und fünfziger Lieferungen mussten sich drei Skalden diesen Herausforderungen stellen, in den sechziger Heften ist es einer der Männer, die Loke Klingsor herausfordern. Die Abläufe sind vergleichbar, aber die Auswirkungen natürlich gänzlich anderer Natur. 

 Loke Klingsors Arsenal ist dabei ambivalent. Zu Beginn nutzte er teilweise den Okkultismus in Form simulierter Geistererscheinungen oder dreidimensionaler, mystifizierter Spiegel. Später greift er durchaus auf moderne Waffen zurück, die aber mehr und mehr von seinen rekrutierten Adjutanten akquiriert worden sind. Teilweise agiert Robert Kraft in dieser Hinsicht auch überhastet. Er findet immer wieder „Deus Ex Machina“ Lösungen unabhängig von den Rettungen in letzter Sekunde. Wie bei Karl May ist die Erde auf der einen Seite ein fremdartiger Körper, auf dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an den verschiedenen Punkten treffen. Auch wenn nicht selten Eiswüsten und Sandmeere in einem direkten Vergleich zum Dschungel bei anderen Kolportageautoren eine wichtige, vielleicht sogar eine zu gewichtige Rolle spielen, verbindet der Autor evolutionstechnisch die Vergangenheit mit der Zukunft in Form seiner „Zwischenvölker“. Die Lemuren als Nachkommen der vom untergehenden Atlantis geflohenen Menschen hat der Leser sowohl in „Loke Klingsor“ als auch „Atalanta“ kennen gelernt. Dieses Mal sind es vor allem körperlich verkümmerte Menschenwesen, die lange Zeit unter der Erde in Städten gelebt haben, welche von Loke Klingsor „beschützt“, aber nicht als Gott regiert werden. In diesem Punkt ist Robert Kraft sehr stringent. Jede Art von göttlicher Kraft wird negiert. Natürlich verfügen die Skalden über stärkere Fähigkeiten als die Menschen, aber sie sind keine „echten“ Götter. In diese Kategorie reiht Robert Kraft selbst die Gottheiten der nordischen Sagenwelt nur bedingt ein. Aufgrund ihrer Schwächen, ihrer Arroganz und schließlich auch ihren ambivalenten Fähigkeiten sind sie auf eine andere Art und Weise ebenfalls Zwitterwesen. Es ist erstaunlich, wie viele weiße Flecken es noch auf Robert Krafts Landkarte gibt.

Ein wenig in Vergessenheit gerät dabei die Jagd nach der Tätowierung. Sie war der rote Faden der ersten Lieferungen. Das Bild ist deutlich ambivalenter dargestellt, aber zerfasert weiterhin sehr stark. Es bleibt abzuwarten, in wie weit Robert Kraft mit den letzten Lieferungen den Plot wieder zusammenführt und vor allem sich positiv entscheidet, welche Rolle Loke Klingsor als Mann mit dem Teufelsaugen, aber auch einem erstaunlichen Gerechtigkeitssinn wirklich spielt.         

Verlag Dieter von Reeken

Band 3 (Kapitel 62–82),

613 Seiten, 63 Abbildungen, Hardcover

ISBN 978-3-945807-04-0