Herr des Lichts

Herr des Lichts, Titelbild
Roger Zelazny

Für “Lord of Light” erhielt Roger Zelazny nach seinem Debüt “Fluch der Unsterblichkeit” zum zweiten Mal in seiner Karriere einen HUGO für ein Langwerk. 1967 erschienen zwei Kapitel des Buches in “The Magazine of Fantasy and Science Fiction“, ein Jahr später ist der Amerikaner dann für die NEBULA Award nominiert und wie erwähnt 1968 mit dem HUGO ausgezeichnet worden.

Es handelt sich um eines der ersten Science Fantasy Werke Zelaznys, wobei insbesondere die Technik Affinität erstaunlich ambivalent gehandhabt wird. Aus heutiger Sicht ist das Buch aber auch in einer anderen Hinsicht bemerkenswert.  Vier Jahre vorher veröffentlichten die Brüder Strugatzki mit dem zweifach verfilmten Roman „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ eine Geschichte, die als Inspiration zu Zelaznys Buch dienen könnte. Während im russischen Buch die Beobachter / Menschen die Entwicklung einer menschenähnlichen Zivilisation auf einer fremden Welt systematisch sabotieren und den Fortschritt als Ironie nicht vorankommen lassen wollen, sind in Roger Zelaznys Buch die Besatzungsmitglieder eines Raumschiffs durch den Absturz vor tausenden von Jahren auf dieser Welt gestrandet und fühlen sich tatsächlich als Götter.  Beiden Gruppen geht es in erster Linie um Macht und daraus resultierend auch um Machtmissbrauch. Während die Menschen in „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ dogmatisch handeln und die geschichtlichen Fehlentwicklungen der Erdgeschichte auf dieser fremden Welt im Keim ersticken wollen, ohne dabei irgendwie/ irgendwo ihre Beobachterrolle nachhaltig zu verletzen, hat sich in „Herr des Lichts“ eine kleine Elite aufgrund ihrer noch vorhandenen Technik einen Hort der Macht erschaffen, von dem aus sie die Entwicklung dieser Welt steuern, aber nicht grundsätzlich behindern. Dabei ist nicht ihr Ziel, die Zivilisation nach vorne zu bringen und vielleicht irgendwann diesen Planeten zu verlassen, sondern es geht darum, die Mitmenschen im Grunde in religiöser devoter Dummheit zu halten, während sie selbst ihren Geist immer wieder durch technische Reinkarnation in neue Körper versetzen und dadurch wieder beleben lassen können. Bei den Strugatzkis kommt der Glaube der Planetenbewohner an diese Götter durch Zufälligkeiten zustande, im "Herr des Licht" ist es ein integraler Bestandteil der Machtausübung dieser kleinen elitären Kaste.

In beiden Büchern wird der Status Quo durch einen Außenseiter aus den eigenen Reihen in Frage gestellt.  In „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ dient der seit 5 Jahren auf der Welt lebende Beobachter Anton alias Don Rumata als Identifikationsfigur, der sich schließlich gegen seine passiven Vorgesetzten durchzusetzen sucht.  In „Herr des Licht“ stellt Roger Zelazny ironisch seinen Protagonisten Sam alias Mahasamamatman als Gott im Augenwinkel seiner Anhänger vor, während Sam selbst niemals behauptet hat, ein Gott zu sein. Zelazny fügt in seinem legendären Auftakt hinzu, dass Sam auch niemals geleugnet hat, ein Gott zu sein.

In beiden Büchern geht es um diese Außenseiter, die wie in „Herr des Lichts“ absichtlich, in „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ unabsichtlich und durch eigene Fehler den Status eines Gotts erhalten haben.  Ihre zwischenmenschlichen Konflikte strahlen in die Welt aus und beeinflussen mehr und mehr das „normale“ alltägliche Leben auf diesen archaischen Planeten.

Allerdings enden hier auch die Ähnlichkeiten dieser beiden Romane. Während die Strugatzkis vor dem interessanten Hintergrund zwar eine Geschichte um Schuld und Sühne verfasst haben, konzentrierten sich die Brüder auf einen zugänglichen Plot. Roger Zelazny hat sich damit nicht zufrieden gegeben. Vielmehr haben seine Astronauten aus dem All allerdings ohne weitergehende Erklärungen den Hinduismus mit allen Variationen “neu“ erfunden und auf dieser Welt extrapoliert. Der Leser kann davon ausgehen, dass das Raumschiff ursprünglich mal von der Erde gekommen ist. Aber wie bei vielen von Zelaznys Texten ist die Vergangenheit im Grunde Schall und Rauch. Der Amerikaner verzichtet boshaft auf weitere Erklärungen und macht sich einen Spaß daraus, die Erwartungen der Leser auf den Kopf zu stellen. Auch wenn die Charaktere beginnend mit dem schlauen Sam den indischen Göttern nach empfunden worden sind, agieren sie teilweise anders. Im Verlaufe des aus einzelnen Episoden mehr und mehr zusammenwachsenden Romans lernt der Leser durch Sams Odyssee unter anderem Yama, Brahma oder Kali kennen. Dabei definiert der Autor sie nicht unbedingt alleine durch ihre Handlungen oder gar Namen, sondern macht sich gleich auf den Weg, ihren potentiellen Gottstatus wieder zu relativieren. Weniger in der deutschen Übersetzung als dem amerikanischen Original hat Zelazny stilistisch absichtlich eine getragene, schwermütige Geschichte entwickelt, in welcher es fast unglaublich erscheint, wenn die „Götter“ plötzlich dialogtechnisch eine Art amerikanischen Slang aufweisen und vor allem inzwischen wohl selbstgezüchtete Zigaretten rauchen. 

Zelazny fordert seine Leser kontinuierlich heraus. Viele der anfänglichen Episoden werden erst in den Schlusskapiteln zu einem zufriedenstellenden Roman zusammengeführt. Den roten Faden bildet der mögliche Revolutionär im Grunde wider Willen Sam. Immer wieder wird auf eine Art erste Reise hingewiesen, die sich aber anscheinend im Off abgespielt hat. Da nicht nur der Plot rudimentär chronologisch erzählt wird, sondern die einzelnen Protagonisten teilweise durch diverse Inkarnationen „laufen“, wirkt der Handlungsfaden insbesondere im Mittelteil des Romans unübersichtlich. Anscheinend wollte Zelazny auch grundlegend von den Strukturen des Genres abweichen, konnte sich aber in seinem symbolisch überfrachteten Roman nicht dafür entscheiden, diese Art der Revolution von unten – Sam muss das „Volk“ mobilisieren, um die Götter in ihre Schranken zu weisen, während bei den Strugatzkis der Umsturz alleine von den unterdrückten Menschen ausgeht und Anton nur als eine Art Leitplanke zum Erfolg dient – ganz ernsthaft zu erzählen. Einige der als moralisierende Fabeln zu bezeichnenden Kapitel wirken unfreiwillig komisch. So findet sich Sam im Körper eines Epileptikers wieder, den seine „Feinde“ extra für ihn ausgesucht haben. Bevor er sich „befreien“ kann, muss er einiges an Spot über sich ergehen lassen. An einer anderen Stelle besiegt er einen der anderen Götter, indem er ihn erst eine Reihe von Feinden grausam ermorden lässt, um ihn dann im Treibsand zu stoppen. Mit doppelter Ironie endet die Szene mit der Rettung des Gottes durch die willigen Mönche erst in dem Moment, in dem er als Gott selbst um Hilfe gebeten hat.

Es ist eine in mehrfacher Hinsicht fremde Kultur, welche dem Betrachter begegnet.  Vielen Lesern ist der Buddhismus in seinen Feinheiten nicht vertraut. Es ist, als wenn er sich auf einer fremden Welt bewegt. Je weiter er glaubt, hinter die Kulissen schauen zu können, je weiter treibt ihn Zelazny wieder in die andere Richtung. Es werden bis zum offenen Ende nur Fragen aufgeworfen und höchstens spärliche Antworten präsentiert.  Auf der anderen Seite entwickelt der Autor aus dem Stand durch Andeutungen, Stimmungen und manchmal nur Anekdoten eine interessante wie vielschichtige Kultur, in welcher Amerikanismen selbstironisch extrapoliert werden. „Herr des Lichts“ ist kein perfekter Roman. Im Grunde ist es nicht einmal ein Roman, sondern eine lose Abfolge von ineinander verzahnten, sich fast gegenseitig festkrallenden Episoden, die nur ein „Ganzes“ ausbilden, wenn der Leser gedanklich auf der Höhe mithilft. „Herr des Lichts“ in Ehren gealtert, verdient aber eine Wiederentdeckung in Zelaznys Werk. Es ist nicht sein bester Roman und ihm fehlt auch teilweise die Verspieltheit seiner späteren, in den siebziger Jahren entstandenen Arbeiten. Moralisierend, kritisierend und nicht bedingt den Zeitgeist der sechziger Jahre treffend zeigt Zelazny eine fast proletarisch kommunistische Idee auf: das Volk kann nicht einmal von falschen Göttern unterdrückt werden und der Gedanke des Umsturzes muss von innen heraus kommen.

Zehn Jahre später – cineastisch im 21. Jahrhundert umgesetzt – sollte sein Roman noch einmal für Aufsehen sorgen. Nachdem eine Verfilmung des Stoffes geplatzt ist, nutzt im Rahmen der Operation „Argo“ der amerikanische Geheimdienst die Filmcrew, um in einer spektakulären Aktion einige der Botschaftsmitarbeiter in Teheran außer Landes zu bringen, während die meisten ihrer Kollegen ja als Geiseln in der Botschaft über ein Jahr gefangen gehalten worden sind.

            

  

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 919 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 343 Seiten
  • Übersetzung: Frank Clemeur
  • Verlag: Heyne Verlag (25. August 2014)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B00MUPWO6G