Die Insel der Toten

Roger Zelazny, Insel der Toten, Titelbild
Roger Zelazny

Roger Zelaznys Werk durchziehen Anspielungen auf vor allem die griechische Mythologie und den Buddhismus. Dabei spielt der Amerikaner immer sehr gerne und vor allem originell mit Versatzstücken der Science Fiction. Aus seinem Romanwerk ragt „Die Insel der Toten“ (1969) in mehrfacher Hinsicht heraus.

Das Grundgerüst ist alleine schon faszinierend. Es gibt eine außerirdische Rasse, die ihr Geld mit dem Erschaffen von Welten verdient. Es ist selten, dass sie Schüler annehmen. Es ist noch seltener, dass es sich dabei um Menschen handelt. Der Protagonist Francis Sandow ist der erste Mensch, der diese Jahrzehnte dauernde Ausbildung überstanden und die abschließende Prüfung erfolgen bestanden hat.

Inzwischen lebt er seit mehr als zwölf Jahrhunderten, da der Tod inzwischen relativ ist. Er ist einer der ältesten Menschen und einer der reichsten. In der intergalaktischen Hierarchie der reichsten Wesen steht er auf Platz 87. Diese Stellung hat er sich mit seinem kompromisslosen geschäftlichen Vorgehen, spektakulären Übernahmen und schließlich auch Siegen über ehemalige Freunde sowie jetzige Feinde errungen. Zu Beginn des Romans schweifen seine Gedanken immer wieder ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Später wird der Leser erst diese Versatzstücke, diesen Moment in der verdeckten Tokio Bay als ein Schlüsselereignis einordnen können. Francis Sandom lebt auf einem von ihm wunderschön gestalteten Planeten, den er zu einer Festung ausgebaut hat. Ihn erreichen als kriminalistisches Element dieses Buches immer wieder verschlüsselte Nachrichten, in denen ihm Fotos von ehemaligen Feinden, Freunden und schließlich Geliebten zugeschickt werden. Diese Menschen sind alle tot. Als er einen Hinweis auf eine noch lebende Freundin erhält, bricht er schließlich auf und beginnt sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Anscheinend hat einer der noch lebenden Feinde eine weitere Rechnung mit ihm zu begleiten. Die Reise führt ihn schließlich zu der Insel der Toten. Dieser unwirtliche Ort liegt auf einem Planeten, den er selbst geschaffen hat.

 Der stringente und sehr kompakt geschriebene Romane zerfällt im Grunde positiv in zwei sehr interessante wie unterschiedliche Teile. Die zugrunde liegende Geschichte ist eine klassische Schnitzeljagd. Francis Sandow werden immer wieder kleine Hinweise gegeben, die ihn schließlich zur Insel der Toten führen. Der Lockvogel ist in mehrfacher Hinsicht unwiderstehlich. Auf der einen Seite die seltsamen kryptischen Nachrichten, auf der anderen Seite die Tatsache, dass jemand die Bewusstseinsmatrix seiner Feinde und seiner Ehefrau gestohlen hat. Mit Hilfe dieser Matrix können sie wieder belebt werden. Die Reise durch die irgendwie vertraute und doch verfremdete Galaxis dient auch als Reflektion seines eigenen Lebens. Den Plot treibt der Autor sehr rasant vor allem durch lakonische Beschreibungen und pointierte Dialoge voran. Sandow nutzt an einigen Stellen seinen Reichtum und seine Macht aus. An anderen Orten muss er immer wieder Gefallen einfordern. So initiiert er die rituelle Beerdigung seines Lehrmeisters gegen einen finalen Hinweis. Der Planet mit der Insel der Toten könnte aus der griechischen Mythologie stammen. Es ist der allerdings künstlich geschaffene Übergang zu einem bizarren Reich, in dem sein Feind Sandows Schöpfung verändert, aber nicht perfektioniert hat. Wer jetzt eine finale gewalttätige Auseinandersetzung erwartet, wird er negativ überrascht. Zelaznys Figuren greifen nur selten zu Gewalt. Es sind in erster Linie intellektuelle Duelle, welche seine gebrochenen Figuren in der Hoffnung auf geistige Reinigung ausfechten. Sie bleiben am Ende aber immer Verlierer. Zelazny verleiht seinen Protagonisten immer einen sehr langen Schatten.

Während Sam aus „Herr des Lichts“ oder der Retter Spartas in „Straße nach Überallhin“ von ihren Missionen beseelt, aber nicht unbedingt besessen sind, bleibt Francis Sandow widerwillig nur die Reaktion übrig.   

Er wird aus seinem Versteck gelockt. Aber diese Reise ist – der zweite Aspekt des ganzen Romans – auch zu einer Art Selbstfindung. Immer wieder wird Francis Sandows mit ihr konfrontiert. Aus dem eiskalten Geschäftsmann, der reichen Self Made Milliardär wird irgendwie wieder ein Mensch.

Alleine der Abschied – er beschenkt seinen Koch vom Planeten Rigel wie auch seine Kurtisane – von seinem Planeten zeigt, dass er inzwischen gelernt hat, Verantwortung zu übernehmen.

Die Aspekte seiner Ausbildung über mindestens dreißig Jahre werden eher gestreift. Sie böten ausreichend Stoff für einen eigenen Roman. Zelazny geht nicht in die Details. Er zeigt die Ergebnisse dieser Schöpfungsprozesse. Dazwischen mischt er grundsätzliche Auseinandersetzungen, wie sie zwischen Oligarchen alltäglich sind. In der Vergangenheit erweist sich Sandow als harter, aber auch nicht unfairer Geschäftsmann. Natürlich sieht er immer seinen Vorteil. Inzwischen ist er müde geworden. Zu den humorvollen Szenen gehört das Feilschen mit einem anderen Megareichen. Während Sandow ihm nur zufällig begegnet und mit ihm sprechen möchte, denkt dieser, dass der Weltenbauer ihm ein lukratives Geschäft kaputt machen möchte. Er beginnt um dessen Anteil zu feilschen.  Anfänglich angewidert nimmt Sandow diese Herausforderung nur an, um die Erwartung des Anderen zu befriedigen.

Zelazny beschreibt seinen Protagonisten nicht nur als altersmüde, sondern einsam. Er hatte geschäftlichen Erfolg, eine kurze Liebe und sehr viele Feinde. Auch wenn die Matrixschablonen es ermöglichen, einen „Menschen“ wieder zu erwecken, sind diese Aufzeichnungen nicht vollständig. Es entstehen so unter Umständen große Gedächtnislücken. Erst Ende des 20. Jahrunderts/ Beginn des 21. Jahrhunderts wird diese von Roger Zelazny entwickelte Idee von Autoren wie David Brin oder Charles Stross konsequent fortgeführt und auf das jetzt vorhandene, kontinuierliche Aufzeichnungsniveau extrapoliert.

Auf der persönlichen Ebene nutzt Zelazny die Möglichkeit des Ich- Erzählers konsequent bis zum Ende. Der Plot wird ausschließlich aus der Perspektive des Weltenbauers erzählt. Hintergrundinformationen wird eine kompakte Einführung in diese futuristische Welt präsentiert alleine Francis Sandow. Diese ausschließlich subjektive Erzählebene eignet sich ja auch sehr gut zur Manipulation der Leser.

Während des finalen Showdowns auf der Insel der Toten erkennt Sandow, dass sein Werk entfremdet, manipuliert worden ist. So ist einer seiner wiedererweckten Feind in einen Baum gegossen worden. Gezwungen, der Ewigkeit zu trotzen. Eine andere Frau versteckt sich vor dem Feind auf der Insel, ohne die Möglichkeit, diesen unwirtlichen, kalten und fremdartigen Platz wirklich verlassen zu können. Ihre vorletzte Begegnung ist das letzte Spiel, das Zelazny mit seinen Lesern treibt. Es ist der finale Schritt zu seiner wieder erwachenden Menschlichkeit.

Auf der anderen Seite ist sein „Feind“ kein klassischer Schurke. Sandow setzt seine Persönlichkeit aus einzelnen Fragmenten zusammen, ohne das der Leser weiß, ob diese Fakten wirklich stimmen. Am Ende bleibt ein Gescheiterter über, der sich alleine über den Eulenspiegel zu definieren sucht, den er dem Weltenbauer ins Gesicht hält.

 An einigen Stellen erinnert der Roman auch an die frühen „Dämonenprinzen“ Romane von Jack Vance. Technik wird von beiden Autoren ambivalent gehandhabt. Die Spannung wird durch den unbekannten Angreifer im Hintergrund erzeugt. Er zwingt sowohl in der fünfbändigen Serie Jack Vances als auch im vorliegenden Roman Roger Zelaznys die Protagonisten, über die „Fehler“ ihrer Vergangenheit nachzudenken und möglicherweise natürlich aus Sicht des Antagonisten viel zu spät aus ihnen zu „lernen“. 

Es ist eine Science Fantasy Welt, die Zelazny und Vance präsentieren. Ohne in die technischen Details zu gehen, ohne sich von einem logisch entwickelten Universum irritieren zu lassen, präsentieren beide Autoren klassische „Rachestorys“ vor einem intellektuellen, mit dem Leser und dessen Erwartungen auch spielenden phantastischen und fantasievollen Hintergrund.

„Die Insel der Toten“ ist ein intellektuell stimulierendes aber deutlich zugänglicheres Werk als zum Beispiel der mit mehreren Preisen ausgezeichnete „Herr des Lichts“. Es ist vor allem aber ein Roman, der eine Wiederentdeckung verdient hätte.  Vier Jahre später folgte mit „Der Tod in Italbar“ eine Fortsetzung, die ebenfalls in Deutschland beim Heyne Verlag veröffentlicht worden ist.

  

Originalausgabe erschienen 1969

Originaltitel „Isle of the Dead“,

deutsche Ausgabe 1973, Heyne Verlag

128 Seiten.

ISBN 3-453-30243-5

Übersetzung ins Deutsche von Birgit Ress-Bohusch