Vektor

Jo Koren, Vektor, Titelbild, Rezension
Jo Koren

"Vektor“ ist Jo Korens erster Roman. Ein geradliniges Science Fiction Abenteuer, das typisch für die Arbeiter Science Fiction – gegenwärtige alltägliche Arbeitsabläufe werden in die nähere Zukunft extrapoliert, aber noch deutlich erkennbar übertragen – lange Strecken sehr gut unterhält, bevor der Plot irgendwie kraftlos zu Ende geht.
Betrachtet der Leser „Vektor“ vom Ende her rückwärts, dann hat Jo Koren positiv auf alle Klischees verzichtet. Keine komplette Verschwörung finsterer vor allem industrieller Mächte. Keine „Rettung“ in letzter Sekunde und vor allem keine Klischees. Die Gegenwartshandlung durchzieht in dieser Hinsicht ein fast medizinischer Faden. Kein Arzt heile Dich selbst, aber eine konkrete Bedrohung, die Michael Crichton alle Ehre macht und anschließend eine in erster Linie auf medizinischen Fakten basierende Lösung des Problems.
Interessant wird der Roman durch den ebenfalls zu Beginn sehr freien, ein wenig positiv gesprochen frechen Erzählstil der Ich- Erzählerin. Ihr Leben lernt der Leser auf der zweiten Handlungsebene vor allem in Rückblenden kennen. Hinsichtlich der Rückblenden nimmt sich Jo Koren aber zurück. Auch wenn zuerst impliziert wird, dass Alpha Novak auch dunkle Flecken in ihrer bislang kurzen, auch nicht geradlinigen Karriere hat und sie rechtskräftig sogar verurteilt worden ist, wird dieser Aspekt schnell relativiert und indirekt ihr Handeln als selbstlos dargestellt. Vielleicht wäre es sogar schöner gewesen, einen echten Charakter mit einer nicht makellosen Weste abgeschoben in den Orbit um den Mars als Protagonistin zu haben, der niemand wirklich glauben will.
Alpha Novak ist Ärztin. Im Grunde Spezialistin für alles mit dem Randgebiet der Kybernetik, da ihr hier offiziell einige Scheine fehlen. Ihr Assistent ist ein Menschenaffe. Wie es zu dieser ungewöhnliche Arbeits- und Freundschaftsbeziehung gekommen ist, zeigen die Rückblenden. Mit ihrem zynischen, ein wenig an die Hardboiled Romane erinnernden Sprachstil zeigt sie dem Leser überdeutlich auf, dass die Raumstation um den Mars eher ein Karriereende als ein Ausgangspunkt ist. Schlechte Bezahlung, lange Verträge und ein harter Arbeitsalltag. Mars als Station der Menschen, die keine beruflichen Alternativen auf der von Konglomeraten beherrschten Erde mehr haben. Trotzdem ist Alpha Novak eine gute Ärztin, die sich in ihren Beruf stürzt und den Menschen auch helfen will. Das macht Jo Koren gleich auf den ersten Seiten überdeutlich, aber auch pointiert klar. Durch die intime Ich- Erzählerperspektive schwindet ganz schnell die Barriere zwischen Leser und Erzähler. Natürlich hat diese subjektive Art des Romanaufbaus auch Nachteile. Die Erzählerin muss wie in diesem Fall an allen Brandpunkten anwesend sein oder sich die wichtigsten Fakten erzählen lassen. Hinsichtlich des „Vektor“ Ambiente mit seinem eng begrenzten Raum an Bord der Station hilft aber diese Vorgehensweise. Mit pointierten, überdurchschnittlich gut geschriebenen Dialogen macht die Autorin die Atmosphäre stimmig und hält den Fluss an Informationen sehr gut hoch.
Der medizinische Bereich wird sorgfältig erläutert. Der Leser hat das Gefühl, das er sowohl bei der Protagonistin als auch der Erzählerin in guten Händen ist. Wenn Mullbinden für die Schnapsherstellung im Maschinenraum entliehen werden, wirkt das eher konsequent, auch wenn in diesem Punkt fast schon ein Klischee der Abenteuerliteratur bedient wird.
Eine weitere, in diesem Fall die Rückblenden berücksichtigend dritte Handlungsebene ist nicht notwendig.
Ausgangspunkt beider Spannungsbögen ist die Behandlung eines Patienten. Er hat einen Herzschrittmacher und ein Implantat. Er arbeitet draußen bei den Asteroiden. Mit dem Implantat will der die Arbeiten leitende Konzern der Natur ein Schnippchen schlagen und den Tag/ Nacht Rhythmus der Arbeiter künstlich simulieren. Auf den Herzschrittmacher ist vom Quacksalber draußen das falsche Programm gespielt worden, so dass die Maschine nicht mehr richtig funktioniert. Als sie sich um das Implantat kümmern will, stellt Alpha Novak fest, dass etwas mit dem zugrundeliegenden Programm nicht mehr stimmt. Es scheint sich beim resetten aufzuhängen. Anscheinend ist es von einem unbekannten Virus befallen worden.
Wie es sich gehört, droht sich das Virus schnell auf der Station auszubreiten. In einer Zukunft und auf einem sehr beengten Raum, in der vieles davon abhängt, dass die Implantat Träger funktionieren und ihre Arbeit sorgfältig machen. An der Spitze steht die Kommandantin der Station, die ebenfalls ein Implantat trägt.
Während die erste Hälfte des Romans vor allem in medizinisch zwischenmenschlicher Sicht ausgesprochen gut entwickelt worden ist und die einzelnen Protagonisten überzeugen, wirkt die zweite Hälfte ein wenig so, als wenn die Autorin nach der Entwicklung und Extrapolation der Gefahr keine neuen Ideen nachschieben kann. Die plötzlich schwankende Raumstation; das Leugnen der Kommandantin sowie der Tote im Maschinenraum sind alles interessante, aber nicht wirklich neue Ideen. Sie bauen folgerichtig auf der möglichen Entdeckung, aber noch fehlenden Isolation des Computervirus auf. Wie bei einem Wissenschaftsthriller glaubt man Alpha Novak anfänglich nicht. Das Handeln der anderen Verantwortlich bedroht eher die ganze Station als das sie Unterstützung findet.
Auch wenn Jo Koren den ganzen Roman durch das Tempo hochhält und immer wieder versucht, Spannung zu erzeugen, droht diese futuristische Arbeiterwelt mit festen Wurzeln im Ruhrgebiet ihr zu entgleiten.
Aus den Rückblenden erfahren wir, dass Alpha Novak eine besondere Beziehung zum Menschenaffen Kit aufgebaut haben. Auch hier sind Implantate wichtig. Jo Koren geht auf die wenigen Vorteile und großen Schrecknisse der Tierversuche ausführlich, aber nicht schockierend detailliert genug ein. Sie baut eine Beziehung zwischen Kit und der Ich- Erzählerin auf. Was auf der einen Seite ihr ihre Karriere kostet und sie vor allem in die Tiefen des Alls bringt, wird plötzlich in einer weiteren Rückblende ein wenig relativiert. In diesem Punkt nimmt sich die Autorin zu viel vor.
Während aus der Ich- Erzählerebene wie erwähnt der Hauptplot solide und zügig packend vorangetrieben wird, bleibt vieles Hintergrund technische ausschließlich impliziert und angedeutet. Wahrscheinlich ist es insbesondere für einen Erstling schwer, die richtige Balance zwischen eigentlichem Plot und den angesprochenen, mehr und mehr in die Gegenwart zulaufenden Nebenkriegsschauplätzen zu finden, aber in einigen Punkten macht es sich die Autorin zu einfach. Da werden die harten Arbeitsbedingungen inklusiv der brutalen an moderne Sklavenarbeit erinnernde Lohnpolitik ausführlich vorgestellt, während dann plötzlich ein kleines Hinweis reicht, um Novak und Kit wieder zusammenzuführen. Natürlich sind sie als Team interessant, aber positiv gesprochen auch nicht unschlagbar. Nur kommt alles zu ruckartig und entspricht dem eher seichten, nicht unbedingt überraschenden Ende.
Stilistisch ist „Vektor“ ein unterhaltsamer Roman mit einigen vergnüglichen inneren Monologen. Alpha Novak ist so etwas wie die „Raumstationdoktorin“ aus einer früher in den Bergen spielenden Fernsehserie. Sie entspricht nicht allen Klischees, aber vom Leben ein wenig geschlagen hat sie nicht nur ein Herz aus Gold, sie ist pflichtbewusst, enthusiastisch, genau, menschlich angenehm als Arzt um sich zu haben und vor allem kann sie improvisieren. Manchmal hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn sie mit einer Zange auch noch die Raumstation reparieren könnte. Hinzu kommt der wie erwähnt gut vorgetragene überzeugend extrapolierte ärztliche Hintergrund und wie bei einem guten Medizinthriller eine einfache Idee, die außer Kontrolle gerät, aber gegenwärtige nicht medizinische Bereiche geschickt extrapoliert.
Zusammengefasst ist „Vektor“ ein kurzweilig zu lesendes, gutes Debüt mit einigen kleineren Schwächen, aber vor allem in der ersten Hälfte einer sehr guten Geschichtseröffnung mit überzeugenden Charakteren.

Atlantis Verlag

Titelbild: Mark Freier
Paperback.
190 Seiten,
ISBN 978-3-86402-429-0.