Neil Clarke schaut auf seine zukünftigen Projekte, während Alvaro Zinos- Amaro ausführlich mit Robert Reed nicht nur über seine Anthologie mit Geschichten um das große Schiff spricht, sondern durchaus Publikationsvariationen von Amazon direkt ohne Lektor bis zu den Kleinverlagen streift. Robert Reed gibt ausführliche Antworten und präsentiert einige Ansätze, um mit den nächsten Fragen ein wenig tiefer in die Materie einzusteigen. Selbstironisch räumt Daniel Abraham in seinem Essay mit dem Klischee auf, dass Autoren nur über das schreiben sollten, was sie wirklich erlebt haben. In der Science Fiction ist das grundlegend unmöglich, denn wie Abraham richtig schreibt, hat zum Beispiel Frank Herbert niemals auf Arakis gelebt. Brian Francis Slattery geht in "I sang the Body Elwectric" wieder auf den Science Fiction Einfluss im musikalischen Werk dieses Mal der Künstlerin Janelle Manoes ein. Dabei verschweigt er nicht die kritischen Stimmen, welche der in erster Linie attraktiven Künstlerin entgegen geschlagen sind.
Ungewöhnlich ich die Zusammenstellung dieser „Clarkesworld“ Ausgabe. Es findet sich nur eine reine Science Fiction Geschichte, mehrere Texte können dem Genre des humorvoll subtilen Horrors zugeordnet werden und auch die klassische Fantasy spielt eine sehr wichtige Rolle.
„A Rich Full Week“ von K.J. Parker ist auch für sein Werk eine ungewöhnliche Arbeit, die im Kern in zwei unterschiedliche Missionen zerfällt. Der nicht namentlich erwähnte Erzähler ist eine Art übernatürlicher Detektiv, ein Mann für das Praktische, der von seinem anonymen Orden und seinem Chef Pater Prior ausgeschickt wird, um unruhige Tote quasi endgültig ins Jenseits zu überführen. In beiden Missionen wird immer wieder betont, wie gefährlich diese zwischen den Ebenen gefangenen Geister sein Können. Es gibt natürlich strenge Anweisungen, wie regulär vorgegangen werden muss, wobei sich ebenso natürlich der Protagonist vor allem begleitet von der Skepsis der einfachen Dorfbewohner sich nicht an diese Regeln hält. Der erste Teil der Geschichte ist überzeugender. Der wandernde Tote ist der Lehrer Anthemius, der viel mehr dem Helden intellektuell ähnelt als es sein eigener Chef macht. Die Dialoge sind pointiert, intelligent und vor allem auch voller Sehnsucht nach einem erfüllten Leben in einer zu barbarischen Welt. Es ist schade, dass die zweite Mission viel routinierter erscheint und der zu überführende Geist auf den ersten Blick nicht so interessant erscheint. Allerdings ist die Pointe deutlich stärker, denn der Protagonist findet beim Eindringen nicht die Essenz des Kindes, sondern wird quasi auf dem falschen Fuß erwischt. Eine intelligent angelegte Geschichte, die wie einige andere Arbeiten dieser Sammlung mit der Ideen der Seele, des Weiterlebens irgendwo zwischen Himmel und Hölle spielt, aber dank der Länge der Novelle die reifsten Charaktere präsentiert und dabei trotzdem nicht den zugrundeliegenden Plot ignoriert.
Alex Irvines „Wizard´s Six“ ist eine dunkle Fantasy Geschichte. Ein Subgenre, das vor allem Stephen King mit seinen Geschichten um den Gunslinger und den dunklen Turm so populär gemacht hat. Ein Soldat, aber kein Söldner wird auf eine im Grunde unmögliche Mission geschickt. Er soll einen Zauberlehrling stoppen, der nach einer nicht mehr zu kontrollierenden Kraft greift. Diese Macht muss er sechs Kindern entziehen. Um den Zauberer zu stoppen, muss der Soldat diese sechs Kinder vorher töten. Der Autor stellt die Gewissenskonflikte des Protagonisten ausgesprochen gut dar. Um Gutes zu tun muss er selbst zum Verbrechen werden und gegen die Eide verstoßen, an die er sich ein bisheriges Leben lang gehalten hat. Lange Zeit schenkt der Autor seinem Protagonisten auch keinen Ausweg und der droht an dieser Last zu zerbrechen. Effektiv, stringent, rasant geschrieben mit soliden Charakteren fühlt sich Alex Irvine auf den Spuren Stephen Kings sehr wohl und die Wiederentdeckung dieser im Jahre 2007 in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ veröffentlichten Novelle ist ein weiterer Höhepunkt dieser wie eingangs erwähnt ungewöhnlich zusammengestellten Ausgabe „Clarkesworlds“.
Neben den beiden Nachdrucken präsentiert Neil Clarke vier neue Geschichten. "TAxidermist in the Underworld" von Maria Dahvana Headley fasst den Inhalt sehr gut zusammen. Der homosexuelle Protagonist - diese Liebesgeschichte spielt auch eine untergeordnete Rolle - arbeitet als Präparator in einem Museum. Der Teufel möchte, dass er seine Geister präpariert. Kein leichtes Unterfangen, die die Tagebuchaufzeichnungen anschließend beweisen. Das Ende ist zu früh erkennbar und der intelligente Protagonist hätte viel früher darauf kommen können, dass er mehr als einen Auftrag erfüllt. Nur der Auftakt ist originell und lustig, wobei die surrealistischen Vorstellungen des Teufels auf die pragmatische Arbeitseinstellung des Erzählers treffen. Das Ende wirkt überambitioniert und macht leider keinen wirklichen Sinn.
Helena Bells „Lovecraft“ fordert die Leser mit einer sehr schwierigen Prämisse heraus. Es geht um einen Haustier Cthulhu. Unabhängig davon, dass Lovecraft auf eine tiefergehende Charakterisierung dieser Wesen verzichtet hat, besteht der Plot eher aus distanzierten Beschreibungen denn einer fortlaufenden Handlung. Die Autorin erzeugt auch keine innere Spannung, so dass die Grundidee in erster Linie in der Theorie funktioniert.
Sehr viel besser überzeugt „"Seeking boarder for rm w/ attached bathroom, must be willing to live with ghosts ($500 / Berkeley)” von Rahul Kanakia. In Form von insgesamt fünf immer länger werdenden und verzweifelter klingenden Anzeigen geschrieben sucht der homosexuelle ältere Mann auch aus Einsamkeit einen Mitbewohner. Nur agiert er als „Ghostbusters“, der seine eingefangenen Geister im Keller aufbewahrt. Seine Auftraggeber müssen für die Verwahrung der Wesen zahlen und von dem Geld lebt er. In seinen Anzeigetexten beschreibt er die Vorzüge seines wirklich schönen Hauses, eine platonische Liebesgeschichte zwischen dem letzten Mieter Chris und einem jungen Mädchen, dessen Geist buchstäblich im Glas gehalten worden ist. Humorvoll, aber warmherzig mit einem Hang zur Skurrilität und von der Struktur her sehr überzeugend aufgebaut gehört die Story mit dem längsten Titel zu den besten Arbeiten dieser Ausgabe.
Catherine Toblers „Pithing Needle“ ist die einzige Science Fiction Geschichte dieser Ausgabe. Es handelt sich um eine Military und Alien Invasion Geschichte, die ausgesprochen kompakt ist, Hier liegt vielleicht auch die größte Schwäche des Textes, denn trotz der intimen Ich- Erzählerperspektive nähert sich der Leser den einzelnen Figuren nicht an. Der Text ist sprunghaft, versucht zu viele Ideen in die kompakte Handlung zu packen, ignoriert einen notwendigen Hintergrund und schafft es vor allem nicht, eine Brücke zwischen den Lesern und den handelnden Protagonisten aufzubauen, so dass die ganze Story ausgesprochen distanziert und hektisch erscheint.
Wenig Science Fiction, aber sehr viel „Grusel“ – auch die Fantasy Geschichten nehmen sich der Zwischenwelt mehr an als den klassischen Elementen dieses Genres – zeichnet die 97. Ausgabe des Magazins aus. Die Nachdrucke sind überzeugend gut. Sie passen sich thematisch den beiden besten Erstveröffentlichungen dieser Ausgabe sehr gut an, so dass im Grunde nur die Science Fiction Geschichte und die Faust Variation gleich zu Beginn der mit einem etwas unglücklichen, auch nicht passenden Titelbild ausgestatten „Clarkesworld“ Ausgabe das sehr hohe Niveau herunterziehen.