Perry Rhodan Planetenromane 71/ 72 "Eine Sonne entartet" und "Weltraumfalle Sternenland"

Perry Rhodan Planetenroman 71/ 72, Titelbild, Rezension
W. K. Giesa

Der neue Doppelband mit zwei Romanen des in erster Linie durch seine prägende Arbeit an der „Professor Zamorra“ Serie bekannten und geschätzten W.K. Giesa zeigt die Schwäche des bisherigen Konzepts auf. Rainer Nagel hat in einem seiner letzten Vorworte betont, dass echte Trilogien nicht veröffentlicht werden können. Damit fallen die Romane zum Beispiel von Rainer Castor unter dem Tisch. Es ist aber erstaunlich, wie viele der Perry Rhodan Autoren drei Planetenromane um vor allem interessante Nebenfiguren oder bestimmte Welten/ Systeme veröffentlicht haben. Die fortlaufenden Serien um Michael Rhodan oder Guy Nelson oder die frühen Tekener Abenteuer vollkommen außer Acht gelassen. Im nächsten Doppelabenteuer mit zwei Romanen H.G. Ewers kündigt Rainer Nagel momentan zumindest eine Aufweichung des bisher starren Konzepts an.

Auch in diesem Band werden nur zwei der drei Abenteuer um das phlegmatische Genie Tyll Leyden veröffentlicht. Der abschließende dritte Roman wird nur kurz erwähnt. Es ist schade, dass dadurch diese Neuveröffentlichung unvollständig bleibt.

Es ist auch zum ersten Mal für selbst Stammleser wichtig, neben dem ersten Vorwort über W. K. Giesa und sein umfangreiches Schaffen das zweite Nachwort vor Beginn der Lektüre zu goutieren. Rainer Nagel geht auf den Hintergrund Tyll Leydens ein. Eine Figur, die Kurt Brand in mehreren Perry Rhodan Romanen während des Blues Zyklus entwickelt hat. W.K. Giesa präsentiert zwar am Anfang von „Eine Sonne entartet“ ebenfalls eine sehr kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse aus der Erstauflage, deren Staffel hier wieder aufgenommen wird, aber vor allem Rainer Nagels Anmerkungen zu den einzelnen Romanen sind für Leser ohne ein photographisches Gedächtnis wichtig, um sich nicht nur in diese Ära zurück zu versetzen, sondern die einzelnen Zusammenhänge zu verstehen. Der größte Unterschied zwischen Kurt Brand und W.K. Giesa lässt sich aber an einer anderen Stelle des Romans „Eine Sonne entartet“ erkennen. Während diese frühe Ära noch von Waffengängen dominiert worden ist und man eher auch mal auf einen unbekannten Feind schießen lässt, bevor man nach seiner Herkunft fragt, gibt der Kommandant des Explorer Raumschiffs im Roman des Kriegsdienstverweigerers die explizierte Anweisung, den waffentechnisch anscheinend unterlegenen Feind nicht gleich in seine Atome zu zerlegen.

 W. K. Giesa hat wie Rainer Nagel feststellt, nicht nur die Figur Kurt Brand entliehen, sondern hat die exzentrischen Eigenschaften Tyll Leydens – er braucht ein ausgiebiges Frühstück von in den Heftromanen fünfundsiebzig, in den Planetenromanen teilweise nur noch vierzig Minuten  - mit seiner auf den ersten Blick phlegmatischen und doch hochintelligenten Persönlichkeit wunderbar humorvoll extrapoliert.  Die beiden Probleme, mit denen sich Leyden in diesen hier zusammengefassten Planetenromanen befassen muss, sind positiv auf Kurt Brands Geschichten aufgesetzt, so dass man teilweise mit ein wenig Verzögerung von einer weiteren inhaltlichen Lücke sprechen kann, die vor allem durch die Perry Rhodan Taschenbücher immer wieder geschlossen worden sind. 

 Ausgangspunkt in beiden Romanen sind im Grunde fast klischeehafte Themen. In der zweiten Geschichte verschwindet erst ein Passagierschiff auf dem Flug von Arkon zur Erde. In „Eine Sonne entartet“ stellt Leyden fest, dass eine Sonne sich verändert. Auf der zweiten Handlungsebene erzählt W.K. Giesa aus der Perspektive eines Volkes, das gerade teilweise als Beutestücke die Raumfahrt entwickelt hat und der Meinung ist, dass jemand ihre Sonne verwandelt und damit ihren Lebensraum vernichtet. "Weltraumfalle Sternenland" dagegen ist fast ausschließlich aus der menschlichen Perspektive verfasst worden

 In beiden Geschichten ist es abschließend eine Kooperation von Hirn – in erster Linie Leyden – und Hand – er geht pragmatische wie praktische Wege, um schließlich die Situation dank fast immer unfreiwilligen Helfer aufzulösen -, welche die Gefahren für den Kosmos bändigen. Interessant ist allerdings bei „Eine Sonne entartet“, dass die Gefahr mittelbar auch durch die Menschen ausgelöst worden ist. Damit schlägt W.K. Giesa einen Bogen zu den Lemmy Danger Abenteuern des Siganesen und den Zellaktivatoren, welche ES in der Galaxis  vor seiner zeitweiligen Flucht ausgestreut hat. Dieser abschließende erklärende Wendepunkt ist einer der Höhepunkte des vorliegenden ersten Planetenromans, da W.K. Giesa ansonsten den Handlungsbogen ausgesprochen stringent erzählt und nur auf wenige, in erster Linie intellektuelle Überraschungen setzt.

 Die zwei Handlungsperspektiven sind dabei geschickt gewählt und sollen verdeutlichen, wie leicht Missverständnisse bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen vor allem in Extremsituationen entstehen können. Aktion und Reaktion werden aber gut gegeneinander abgewogen. Bis auf die zu „menschlichen“ Fremden kann der Autor aber zu wenig Spannung erzeugen.

 Im zweiten Band „Weltraumfalle Sternenland“ entwickelt Giesa früh die Idee einer virtuellen Realität, die Filme wie „Matrix“ oder auch aus der Zeit stammend Galoyes Vorlage zu „Welt am Draht“ inzwischen auf die jeweiligen Spitzen getrieben haben. Auch Hugh Walker hat in seinen ersten, zeitgleich mit diesem Planetenroman veröffentlichten Science Fiction Abenteuern mit dieser Idee gespielt, so dass sie für die Perry Rhodan Serie selbst innovativ erscheint, im  Science Fiction Genre aber mehrfach inzwischen verwandt worden ist.

 Tyll Leyden bewegt sich wie in den Heften der Erstauflage als auch den „Planetenromanen“ in einem intellektuellen Vakuum. Seine Theorien leitet er eher widerwillig an seine Kollegen, seinen frustrierten Vorgesetzten Huan und schließlich Reginald Bull weiter. Wenn er sie erläutert, dann nutzt Giesa sehr geschickt überzeugende sprachliche Bilder. Leyden agiert neben seinem nur aufgesetzten Phlegma immer ausgesprochen pragmatisch. Theoretische Warnungen in erster Linie aus Handbüchern von seiner Umwelt kommend ignoriert er mit pointierten schlagfertigen Antworten.  Die Theorien bilden den Kern dieses Romans. Es ist unglaublich, wie der so originelle und dreidimensional gestaltete Wissenschaftler aus dem Nichts heraus auf alte Formeln zurückgreift, diese neu durchrechnet und sogar auf die Idee eines negativen Lebens kommt. Hintergrund einiger Thesen sind die Techniken der OLDTIMER, eines der vielen legendären Völker, das in den Äonen und Handlungskomplexen der Serie nach Abschluss des „Blues“ Zyklus bis auf eine Erwähnung durch Clark Darlton sehr viel später förmlich untergegangen ist. Die Wechselwirkungen im Epilog erklärt bilden das Herz dieses Romans, der über Tyll Leyden dem Leser eher ans Herz wächst als hinsichtlich der dramaturgisch nicht unbedingt neuen, aber zügig erzählten Grundhandlung.

 Wie bei einigen anderen „Planetenromanen“ ist das Ende fast überstürzt. Die finale „Rettung“ findet fast im Off statt und greift auf einige Hinterlassenschaften aus den wilden Zeiten zurück. Diese fehlende Balance wirkt sich in „Eine Sonne entartet“ sehr viel stärker als auch im zweiten Buch, da Giesa von Beginn an die kriminaltechnischen Aspekte pointiert setzt und Leyden durch die Begegnung mit seiner Jugendliebe – seine zweiten Liebe nach der Wissenschaft – von Beginn an sehr viel direkter in das Geschehen eingebunden ist.

 Die Handlung beider Planetenromane weist eine Reihe von Parallelen auf. Eine Katastrophe- dieses Mal von Leyden aufgrund einer Fehleinschätzung eingeleitet, von seinen Kollegen aber natürlich verschlimmert – müsste grundsätzlich zur Evakuierung des Sonnensystems führen. In „Eine Sonne entartet“ handelte es sich ja um ein fremdes Sternensystem. Gegen Ende wird eher durch einen Zufall dank der ambivalenten, von Leyden wieder entdeckten besonderen Strahlung eine finale Katastrophe sogar in doppelter Hinsicht abgewandt und das Rauschiff im ersten Roman/ die Raumer in diesem Band können sich mittels waghalsiger Aktionen retten.

Während Leyden seinen Dickkopf im ersten Buch alleine durchsetzen kann, ist er in dem zweiten Roman auf das Vertrauen der Kollegen im Allgemeinen und Reginald Bull im Besonderen angewiesen. Giesa verzichtet auf eine finale direkte Beschreibung des Showdowns, sondern geht einen anderen Weg. Gucky fasst als Teilnehmer das Geschehen ein wenig abrupt für die Leser Bull gegenüber zusammen. Auch wenn sich Leyden hinsichtlich einer der Ausgangsthesen- sie ist waghalsig und vielleicht wäre es interessant, wenn Giesa sie bis zum positiven Ende durchgezogen hätte – irrt, ist er tragische Figur und Held zugleich.

Positiv an beiden Romanen ist, dass der Intellekt schließlich die Gefahr verhindern kann, wobei es in erster Linie auf den entweder phlegmatisch agierenden oder plötzlich unglaublich schnell agierenden Leyden ankommt. Als Schreck seiner Vorgesetzten steht er im Mittelpunkt der Handlung, wobei in der zweiten Geschichte Giesa ihm den Retter des Universums Gucky an die Seite stellt.

Der zweite Roman wirkt auch inhaltlich vielschichtiger. Die Dialoge sind pointierter und teilweise doppeldeutiger, wobei das Vertrauen in Leyden schon unglaublich, wirklich unbeschreibbar groß ist. Vielleicht wird der Bogen der Glaubwürdigkeit überspannt, wenn Leyden plötzlich um sein exzentrisches wie gefährliches Experiment umzusetzen einen Raumer selbst fliegt. Da rückt ihn W.K. Giesa zu sehr in den Mittelpunkt des Geschehens und unterminiert die laufende Handlung. Vor allem, weil er mit seinem Dickkopf nicht nur den Besatzungen des Explorers gegenüber durchkommt, sondern ihre allgegenwärtige Verteidigungsmanie als vor allem im Sonnensystem lächerlich darstellt.

 Durch den humorvollen Unterton sowie den seltsamen, aber natürlich überdurchschnittlich begabten Wissenschaftler im Mittelpunkt der Handlung sowie der Idee, das Forschung doch mächtiger als das Schwert ist ragen diese beiden Planetenromane genau wie Leydens Auftritte im „Blues“ Zyklus mit Entdeckungen/ Entwicklungen in Fließbandgeschwindigkeit aus der zu erst gestellten Masse der frühen „Planetenromane“ positiv heraus. Giesa beweist, dass er wie Leden auf Reglements und vor allem exposetechnische Korsettstangen nur so weit Rücksicht nimmt wie unbedingt notwendig. Stattdessen hat er zwei exzentrische, immer am Rande der Unglaubwürdigkeit konzipierte Raumabenteuer verfasst, die auch heute noch solide unterhalten.

www.zaubermond.de

Taschenbuch, 355 Seiten

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