Clarkesworld 129

Clarkesworld 129, Titelbild, Rezension
Neil Clarke (Hrsg.)

Herausgeber Neil Clarke spricht nicht nur von seinen jährlichen Urlauben, sondern auch sich einem etablierenden Rhythmus. Viel interessanter ist das Interview von Chris Urie mit Gregory Benford, der über seinen neuen Alternativweltroman nicht nur ausführlich spricht, sondern vor allem auch über die Herausforderung, eine Alternativwelt auf einer wissenschaftlich überzeugenden Basis zu entwickeln. E.E. Jones hat mit „How to Injure Characters Without Killing Them“ einen unterhaltsamen Leitfaden für Autoren geschrieben, wie man am besten die eigenen Figuren sinnvoll und medizinisch überzeugend ausschaltet.

„The Depth of Sci-Fi Funk in the 70s“ aus der Feder Jason Hellers setzt seine Exkursionen in den Bereich der Science Fiction Musik mit einer Reihe von sehr kurz beschriebenen Beispielen aus dem Bereich der Funk Musik fort. Nicht so faszinierend wie seine Portraits einzelner Künstler zeigt dieser Artikel trotzdem den Umfang und die Detailversessenheit, die seine im Jahre 2018 zu publizierende Arbeit annehmen wird.

 Zwei Nachdrucke prägen die Ausgabe 129 von „Clarkesworld“. Jay Lake präsentiert mit „Human Error“ eine eher klassisch geprägte Science Fiction Geschichte. Der früh verstorbene Jay Lake ist eher für seine Fantasy Storys bekannt, aber auch als SF Autor hat er sich einen Namen im Bereich der Kurzgeschichte gemacht. Eine Gruppe von Mienenarbeitern im Asteroidengürtel finden ein Artefakt, das nicht menschlichen Ursprungs auf. Auf solche Funde ist eine unglaublich hohe Belohnung ausgesetzt. Die weibliche Protagonistin leidet aber noch unter dem Trauma eines Unfalls, der vor kurzem einem aus ihrem Team das Leben gekostet hat. Solide geschrieben baut Jay Lake vor allem die zwischenmenschlichen Spannungen geschickt auf, um dann mit der Idee eines möglicherweise metaphorischen Endes die guten Ansätze zu relativieren und vor allem leider dem Leser keine abschließende Antwort hinsichtlich des zugrunde liegenden Fundes anzubieten. 

 Der zweite Nachdruck ist deutlich länger und inhaltlich herausfordernder, ohne nachhaltig überzeugen zu können. Aliette de Bodards „The Waiting Stars” ist anscheinend nicht in der Muttersprache der Autorin geschrieben worden. Der Schreibstil ist ein wenig schwerfällig, die Beschreibungen erdrücken den Handlungsfluss. Es ist eine Story voller Bilder, weniger einer kontinuierlichen Handlung. Es geht um intelligente Raumschiffe, denen statt künstlicher Bewusstseins als Kommandozentrale menschliche Gehirne eingepflanzt werden. Diese Menschen werden sehr früh teilweise gegen ihren Willen oder besseres Wissen auf diese Aufgabe vorbereitet. Die Einleitung überzeugt am meisten. Die Kontaktaufnahme zwischen Menschen und Bewusstsein, bis endgültig die Mission beginnt. Die Beschreibungen der Raumschiffe sind gigantisch, die Bilder dreidimensional und wenn abschließend die eigentliche Reise beginnen könnte, dann ist der Leser auch von diesem Konzept nachhaltig genug überzeugt. Es ist eine solide Story, deren Ideen das Sprungbrett für einen ganzen Roman bilden könnten. In der vorliegenden Form wirken die Ecken und Kanten leider zu lange nach, als das der Text als Ganzes zufrieden stellen kann. 

 Von den Neuerscheinungen können nicht alle überzeugen. Andy Dudaks „Fool´s Cap“  baut sehr spät zusätzlich noch die Idee der Zeitschleife ein. Dadurch wird der bis dahin solide, teilweise sogar innovative Plot in eine gänzlich andere Richtung gedreht. Bis dahin handelt es sich um eine Art Rachegeschichte. Beadith will nicht nur von einer besonderen Insel entkommen, sie will Kiniod im Namen der Gerechtigkeit hinrichten. Wie in der „Twillight Zone“ wird gegen Ende aufgezeigt, dass Rache/ Gerechtigkeit komplizierte Gerichte sind und das viele Protagonisten ihre Handlungen abschließend in einem anderen Licht betrachten müssen. Zu den Schwächen der Story gehört vor allem, dass Baedith eine sehr unsympathische, wenig zugängliche Persönlichkeit ist, während Kiniod in seiner weinerlichen Art im Grunde eine eindimensionale Figur ist.

 Die Story mit dem längsten Titel gehört Julia K. Patt. „My, Dear, like The Sky and Stars and Sun“ hat wie „Fools´Cap” seine größte Schwäche während des Endes. Der Handlungsverlauf widerspricht der Prämisse, das Angestellte einer Firma selbst Patente ihrer Arbeit erwerben können. Es ist die letzte Schwäche einer eher ambivalenten Geschichte, die vor allem dank der solide gezeichneten Figuren überzeugen kann. Es geht um die platonische Freundschaft zweier „Menschen“, wobei auch das Thema des Missbrauchs eine Rolle spielt. Hier zeigt der zugrunde liegende Krimiplot ebenfalls Schwächen, da es unwahrscheinlich erscheint, dass die Polizei ohne zumindest latente Beweise und nicht nur künstlich erstellten „Bildern“ einen Menschen umgehend verhaften würde.  

 Sam J. Miller versucht eine geradlinige Handlung ausgesprochen experimentell zu erzählen. Hector – anscheinend „liebt“ jeder der Protagonisten dieses jungen Mann – ist hilfsbereit. Er sammelt selbst Aluminium Dosen, damit eine kleine Gruppe von Jungen ausreichend zu essen hat. Zwischen ihnen steckt aber eine feindliche und vor allem feindselige Partner. Die Aufdeckung dessen Identität ist eine Überraschung. Vor allem versucht Sam J. Miller mit „The Ways Out“ – der Titel ist in mehrfacher Hinsicht symbolisch -  auf verschiedene Perspektiven zurückzugreifen, um schließlich vor dem Auge des Lesers ein Gesamtbild entstehen zu lassen.

 Neben „The Waiting Stars“ als Nachdruck präsentiert diese umfangreich „dickere“ Ausgabe von „Clarkesworld“ noch zwei weitere Novellen dieses Mal aber nicht zu Lasten einer fünften neuen Kurzgeschichte.

Nina Allans “Neptune´Trident” erinnert nicht nur indirekt, sondern auch durch eine namentliche Erwähnung an den Stanley Kramer Klassiker „On the Beach“.  Die Welt wird durch eine Seuche/ ein Virus langsam zerstört. Erst fällt das Internet aus, dann sterben die Menschen.  Die Protagonistin Caitlin lebt in der Nähe eines der schottischen Lochs, das gleichzeitig als U Boot Basis dient.  Die Grundidee ist interessant, wobei die Autorin nicht Parallelen zwischen den beiden möglichen Attacken zieht, sondern sich in erster Linie von Stimmungen tragen lässt.  Caitlin kümmert sich um ihren im Sterben liegenden Freund, einen der Männer, der mit den U Booten hinausgefahren ist. Als er verstorben ist, hat sie keinen wirklichen Plan. Sie verlässt ihr Dorf. Auf dieser Reise spielt die Autorin mit der Idee, dass es eventuell zu einer Überlappung mit einer Alternativwelt gekommen sein könnte, wobei auch hier tiefergehende Erläuterungen fehlen.

In dieser Novelle werden verschiedene Ideen und Stimmungen angesprochen, aber keine wird nachhaltig extrapoliert oder/ und vor allem weiterentwickelt.  Die Protagonisten sind solide entwickelt worden, da der Plot aber so langsam, so schwerfällig verläuft, zerfällt diese Novelle am Idee in eine Reihe von Szenen, die wahrscheinlich umfangreich in einem Roman besser und effektiver abgehandelt worden wären.

„An Account oft he Sky Whales“ von A Que ist eine dieser Novellen, die in der Theorie sehr gut funktionieren,  auch wenn jeder einzelne Handlungsteil bis auf die Ausgangslage vorhersehbar und ein wenig kitschig ist.  Der Protagonist Azuki reist zum Planeten Goliath, auf dem seine Freundin beim Beobachten die gigantischen Sky Whales ums Leben gekommen ist. Er möchte ihre Urne nach Hause bringen, obwohl das eigentlich verboten ist. Die Gründe dafür sind eher vage. Wie in „Neptune´s Trident“ spielen Rückblicke hinsichtlich der Beziehung der einzelnen Protagonisten jeweils wichtige Rolle, wobei sie nur indirekt die Gegenwartshandlung beeinflussen. Auf der Reise zurück strandet Azuki in der Nähe eines Wales, muss kurzzeitig eine Art Jonas spielen und wird später aktiv eingreifen, um die Chancen der Himmelswale gegen die gnadenlosen natürlich menschlicher Jäger zu erhöhen.

Viele Teile der Novelle wirken wie Versatzstücke. Auch die Rückholaktion der Urne wirkt angesichts des Exportverbots eher aufgesetzt.  Das abschließende Finale ist natürlich rührselig, ergreifend und ein wenig kitschig, aber auch effektiv. A Que drückt die richtigen Tasten im Leser und der gestelzte Ton wahrscheinlich auch durch die Übersetzung hebt den Text auf eine andere, distanzierte, fast wie ein Märchen erscheinende Dimension.  Zusammengefasst handelt es sich um einen herausfordernden, nicht gänzlich befriedigenden, aber als Popcornunterhaltung gut lesenswerten Text.

 „Clarkesworld“ 129 ist eine eher durchschnittliche Ausgabe mit vielen Ideengeschichten, die aber alle nicht unbedingt abschließend zufriedenstellend umgesetzt worden sind.  Das Titelbild mit dem kleinen Roboter – auch hierzu gibt es eine Geschichte – ist süß, auch wenn der kleine Kerl keinen Bezug zu einem der Texte hat.    

 

  • Paperback: 182 pages
  • Publisher: Wyrm Publishing (June 17, 2017)
  • Language: English
  • ISBN-10: 1890464864
  • ISBN-13: 978-1890464868