Das Universum der Düfte

Das Universum der Düfte, Titelbild
Thomas Le Blanc

In der insgesamt sechsten Ausgabe der Miniaturen stellt Herausgeber Thomas Le Blanc seinen vierundzwanzig Autoren mit insgesamt fünfunddreißig literarischen Arbeiten ein auf den ersten Blick schweres Thema vor. Es ging um die Entwicklung von  Szenarien, in denen Gerüchte in jeglicher Form eine gewichtige Rolle spielen. Die Bandbreite reicht von der Idee der Kommunikation über das andere Erfahren von Freud/ Leid bis zu neuen gesellschaftlichen Modellen, in denen diese Nase die anderen Sinnesorgane ersetzen konnte. 

 Fabian Dombrowskis „Der Duft der Sterne“ hätte am ehesten als Einleitung oder Eröffnungsgeschichte gepasst. Sprachgewaltig, aber auch ohne die phantastischen Elemente funktionierend zeigt er die Sehnsucht nach der Fremde, dem Weltall als Synonym für die Reisen zu exotischen Plätzen egal auf welcher Welt. 

 Vor allem die Düfte fremder Wesen bestimmen einen markanten Teil der Texte. Karl- Ulrich Burgdorfs „Der Duft der Frauen“ als Auftakt steuert sehr geradlinig auf die vorhersehbare Pointe zu, wobei die Idee der von Dufthormonen gesteuerten perfekten pflanzlichen Tötungsmaschinen sehr gut vorbereitet wird. „Metamorphose“ von Hans- Dieter Furrer zielt in eine ähnliche Richtung, wobei die Pointe deutlich weniger doppeldeutig als bei Burgdorf ist.

 Andre Fock zeigt in „Dironische Delikatessen“, dass auch der Ort genauso wichtig ist wie Geschmack oder Duft. In eine vergleichbare Richtung zielt „Der Traum vom Riechen“, den Jacqueline Montemurri verfasst hat.

 Viele gut geschriebene Geschichten wie „Weihrauch“ ( Paul Felber) , „Ihr letzter Kunde“ (Sabine Frambach)  oder Marc Andre Pahls „Der Proust Effekt“ steuern sehr direkt auf die nicht unbedingt originellen, aber zumindest folgerichtigen Pointen zu. Natürlich bieten die umfangtechnischen Begrenzungen der Miniaturen nicht genau Raum, um die Plots ausführlicher zu entwickeln, deswegen sollte der Schlusssatz kraftvoll sein. Bei Sabine Frambach ist das der Fall, wobei der Weg dahin nicht gänzlich überraschend kommt. Auch „Deja Vu“ von Katja Göddemeyer reiht sich in diese Phalanx ein. Bei anderen Texten wirkt die grundlegende Konstruktion doch bemüht und da keine Erklärungen angeboten werden, auch ein wenig aus der Luft gegriffen.   

 Nicht immer sind es nur die Düfte, auf welche es ankommt. In „Die Feenköniginnentorte“ von Iris Leonhard ist der Titel Programm. Das Ende hat der Leser vor allem in dieser Sammlung zu oft gelesen, als das es ihn wirklich noch überraschen kann.

 Jan Osterloh spielt in „Kein Krieg der Welten“ auf eine Variation des H.G. Wells Romans an. Bei der Konzeption sollte sich der Autor dann an der Vorlage orientieren und nicht versuchen, einen eigenen Hintergrund zu entwickeln. Der Text ist ohne diese Prämisse auch lesenswert, wobei die Miniatur zu den Arbeiten gehört, die über weite Strecken einen Handlungsbogen entwickeln, den/ die Protagonisten in der Luft hängen lassen, um anschließend aus einer anderen Perspektive die notwendige Erläuterungen nach zu schieben.

 Rainer Schorm fügt eine Trilogie von Science Fiction Miniaturen hinzu. Beginnend mit dem Ersatz des Astronauten durch eine gänzlich andere Berufsgruppe aufgrund neuer Herausforderungen beim Flug im All über die unglückliche, anfänglich perfekte Begegnung zwischen Außerirdischen sowie dem besten Freund des Menschen und endend mit einer besonders perfiden Art der chemischen Kriegsführung, welche bei den Menschen eher Verblüffung hervorruft. Die Pointen sind zufrieden stellend, auch wenn die mittlere Geschichte „2045 Hundeschnauze“ am ehesten auf ein vorhersehbares Ende zusteuert.

 Viele Texte sind aber ausgesprochen gut zu lesen. „Old Nose“ von Friedhelm Schneidewind passt auch zu der Anthologie mit phantastischen Karl May Geschichten. Der Detektiv geht wie Sherlock Holmes vor, auch wenn er an der „Karl May“ Akademie ausgebildet worden ist. Michael Rapps „Der süße Duft des Konsums“ ist eine Realsatire auf die Welt der Konsumentenmanipulation, während die bittersüße Kurzgeschichte „Die Cucina Olfactoria des Master Li“ von Tim Piepenburg beschreibt, wie die Menschen bzw. Wesen der Galaxis auf eine Art ambivalenten Virus, der entweder den Geschmacksnerv, den Geruchssinn oder die Sehkraft außer Gefecht setzt, reagieren. Das anfänglich Rezept kann wahrscheinlich gerne nach gekocht werden. Tim Piepenburg ist einer der Autoren, der die mittelbaren Folgen einer Veränderung des Geschmackssinnes bzw. auch Geruchssinnes beschreibt, während sich viele andere Arbeiten mit den unmittelbaren meistens bedrohlichen Auswirkungen von Flora und Fauna auseinander setzen.

 Thomas Le Blanc ist als Herausgeber mit einigen Texten vertreten. „Interduft 3017 – ein Kongressreport“ ist eine satirische Betrachtung von Abläufen auf großen internationalen Kongressen, die ambivalent auf alle Veranstaltungen übertragen werden kann. Dabei schmeißt der Autor nicht nur stilistisch souverän mit den entsprechenden Fachbegriffen um sich, sondern wie bei „Ihr letzter Kunde“ überzeugt die ironische Doppeldeutigkeit. Auch auf Monika Niehaus ist mit ihren inzwischen beliebten Storys aus Donnas Bar Verlass. “Weiber!“ ist die perfekte Mischung aus Habgier und nicht Geschäftsinn, sowie einem verbalen Missverständnis. Es sind kurzweilig zu lesende Texte, die zwar auch stringent auf ihre Pointe zusteuern, aber wie bei den Ferrengi aus „Deep Space Nine“ ist es die Schadensfreude, welche die Leser antreibt. Auch Jörg Weigand zeigt die Folgen von übertriebener Neugierde in „Der M-Effekt“. Kongresse vor allem von und mit Parfümherstellern scheinen ein gefährliches Pflaster zu sein.  

 Das Oliver Sacks sogar helfen kann und muss, zeigt Michael Winks „Houston, wir haben ein Problem!“. Eine vielleicht nicht unbedingt lustige, aber belustigende Ausgangslage mit eine originellen Lösung, die der Autor auf die Spitze treibt. Auch Karl- Ulrich Burgdorf in der zweiten von insgesamt drei Miniaturen „Zeitmaschine“ zeigt mit seinem in der phantastischen Bibliothek von Wetzlar spielenden Text auf, dass nicht nur das Thema der Düfte, sondern auch die Verbindung zur phantastischen Literatur auf eine semiredaktionelle Art und Weise abgehandelt werden kann. Auf den ersten Blick passt der Text nicht in die redaktionelle Vorgabe, liest sich aber trotzdem humorvoll unterhaltsam.

 Nicht nur durch den historischen Kontext ragt Alexander Roeders „Menschen!Tiere! Sensationen!“ aus der Masse der Miniautoren heraus. Die Pointe ist ironisch, passend und nicht vorhersehbar. Vielleicht hätte dieser Geschichte eine längere Form am Besten gepasst, zumal Roeder in seinem Romanwerk immer wieder bewiesen hat, das er die Balance zwischen Phantastik und Historie sehr gut treffen kann.  In seinem zweiten Text „Nasenschmaus“ verpufft allerdings vor einem vergleichbaren semihistorischen Hintergrund die angestrebte Wirkung durch einen zu komplizierten Aufbau der Handlung.

 Es finden sich nur wenige „Horror“ Geschichten in dieser Ausgabe. Der Titel von „Hammerzeh-Polka in Werwolfsfell- Schuhen“ von Ansgar Schwarzkopf versucht die Idee des Werwolf mit der modernen wie zynischen Welt der Unternehmensberatung zu verbinden. Mit knapp drei Textseiten gehört die Arbeit zu den längeren Geschichten, auch wenn sie sich vom inhaltlichen Wendepunkt in der Mitte nicht mehr richtig erholt.

 Karla Weigand spielt in „Der Weg der Glückseligkeit“ mit den Ansichten verschiedener Religionen und treibt sie pointiert genau auf die literarische Spitze, welche die Leitfäden zum Paradies so nicht vorgesehen haben. Es sind diese Arbeiten, welche immer wieder die Bandbreite unterstreichen und vor allem aufzeigen, das der literarische Teufel im Detail sitzen kann. Katja Göddemeyers „Der Duft der Helden“ ist eine der wenigen Geschichten, in denen die positiven heroisierenden Auswirkungen von Parfüms beschrieben werden. Es ist zusätzlich der einzige Text mit einem Fantasy Motiv.

 Während Karl- Ulrich Burgdorf in einer der beiden mit den überlegenen Riechnerven der Hunde spielenden Texte eine zu geradlinige Geschichte erzählt, beendet Thomas le Blanc mit „Der Geruch des Teufels“ diese Sammlung auf einer politischen Note.

 Zusammengefasst präsentiert sich die sechste Sammlung der Phantastischen Kürzestgeschichten vor allem durch das exquisit ausgesuchte ungewöhnlich überzeugende wie exotische Thema als eine der besten Ausgaben bisher und zeigt, wie Autoren mit derartig weiten Leitlanken ihre Phantasie in viele Richtungen spielen lassen können.

 Rainer Schorms Titelseite ist zusätzlich ein Blickfang.  

 

Herausgeber Phantastische Bibliothek Wetzlar

Format Din A 5, Umfang 84 Seiten