Aurora

Aurora, Titelbild, Rezension
Kim Stanley Robinson

Mit seiner umfangreichen ”Mars” Trilogie hat Kim Stanley Robinson vor fast zwanzig Jahren Maßstäbe gesetzt. Die detaillierte Beschreibung der Besiedelung des roten Planeten deutet an, welches Potential der Amerikaner im Grunde aus bekannten Handlungsmustern heben kann. Unabhängig von seinen thematisch eigenständigen Arbeiten.

Mit „Aurora“ hat er sich dem Thema Generationenraumschiff zu gewandt.   Im Gegensatz zu „The Ark“ – der Roman ist bei Knaur publiziert worden – mit einem Verbrechen in einer absolut kontrollierten und isolierten Umgebung eben an Bord eines ebenfalls kurz vor seinem Ziel stehenden Generationenraumschiffs konzentriert sich Kim Stanley  Robinson in der ersten Hälfte des Buch auf den letzten Abschnitt der immerhin fast einhundert Jahre dauernden Reise, während die zweite Hälfte des Buches mit den verschiedenen, im Grunde immer nihilistischer werdenden Alternativen .

Obwohl es ein Generationenraumschiff mit mehr als zweitausend Menschen an Bord ist, fügt der Autor eine Familiengeschichte hinzu. Frey ist in mehrfacher Hinsicht eine interessante Identifikationsfigur. Sie ist während des Fluges als Tochter der Chefingenieurin geboren worden.  Das Raumschiff ist eines von zwei Schiffen von der Erde aus in Richtung Tau Ceti und dem einen der Planeten umkreisenden Mond Aurora unterwegs. Das Raumschiff selbst lernt der Leser vor allem durch die Wanderjahre Freyas kennen. Sie besucht die zwei riesigen Räder mit insgesamt zwölf in sich geschlossenen Ökosystemen. Das Spektrum reicht von der Tundra bis zu den Tropen, wobei diese Mannigfaltigkeit auf der einen Seite interessant ist, sich aber auf der anderen Seite dem Leser nicht gänzlich erschließt. Im Verlaufe der Handlung macht Kim Stanley Robinson aus diesem Ansatz relativ wenig.  Freya besucht die einzelnen Systeme, wobei sie schließlich sogar mit dem älteren Mann schläft, der früher mit ihrer Mutter zusammen gewesen ist. Unwissentlich.  Wer aber jetzt an einen erotischen Roman denkt, wird enttäuscht. Mit dieser letzten Begegnung endet im Grunde der Reifeprozess der jungen Frau. Ihre Mutter erkrankt schwer und ebenfalls ein wenig zu einfach konstruiert lernt Freya während der letzten Monate ihrer Mutter und vor allem im relevanten Anflug auf den Zielmond im Grunde alles, was sie zu einem Teilerhalt der technischen Anlagen an Bord des Raumschiffs wissen muss. 

Es ist nicht das einzige Mal, dass einzelne Menschen im Grunde nicht aus dem Wissensfundus der Erde Problemlösungen beziehen, sondern in erster Linie durch Improvisation „überleben.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Romanen mit einer vergleichbaren Thematik ist das überraschende Element, das nichts schief geht. Die Menschen finden den Mond bewohnbar, schicken Expeditionen aus und bereiten die Landung vor, bis sie durch einen tragischen Zufall herausfinden, dass ein Kleinstlebewesen für sie tödlich ist. Ab diesem Moment muss die ganze Mission hinterfragt und nach Alternativen oder gar einer Rückkehr geschaut werden.

In dieser Hinsicht ähnelt „Aurora“ hinsichtlich der Grundstruktur, aber weder stilistisch noch in Bezug auf eine innere Dynamik Andy Weirs verfilmten Buch „Der Marsianer“.  Während der letztgenannte Roman durch den Robinson Crusoe Hintergrund viele der bei Kim Stanley Robinson wichtigen sozialpolitischen Themen nicht ansprechen braucht, nutzt der Amerikaner diese weiterführende Idee, um verschiedene Strukturen durchzuspielen. Dabei reicht das Spektrum von einer klassischen Mehrheitsdemokratie über die Oligarchie der Führungsebene allerdings ohne Machtmissbrauch zur kurzzeitigen Anarchie und schließlich in einer überraschenden, aber nicht immer wirklich nachvollziehbaren Wendung zu einer kurzzeitigen Diktatur.   Diese totalitäre Herrschaft hat Kim Stanley Robinson in den ersten Kapiteln sogar intelligent vorbereitet, in dem Freyas Mutter mit ihrer fortlaufenden Kommunikation mit den künstlichen Intelligenzen diese dem Leser sogar die Geschichte der Reise und einige Menschen an Bord erzählen lässt.

Im zweiten Handlungsabschnitt baut  Kim Stanley Robinson mit dem Auftreten der künstlichen Schiffsintelligenz als Ich- Erzähler sowie einer überraschenden Wendung im Grunde einen gänzlich anderen Handlungsbogen auf. Der Plot erinnert ein wenig an einige Bücher Poul Andersons  wie „Die lange Reise“ mit den Diskussionen an Bord dessen Generationenschiffes, wie man auf politisch Änderungen innerhalb der irdischen Regierungen reagieren soll, während sich der „Point of no Return“ der Reise dramatisch schnell nähert sowie „Tau Ceti“, in dessen Verlauf physikalische Phänomene wichtige Rollen spielen.

„Aurora“ tritt mehr und mehr in den Hintergrund. In dieser Hinsicht ist der Titel sogar irreführend, da die Mitglieder an Bord des Generationenschiffes die grundlegende Idee einer Besiedelung inklusiv entsprechender Immunisierung selbst zu Gunsten einer noch deutlich schwierigeren Herausforderung  fallen lassen. Hier wird einiges an Potential verschenkt, zumal Kim Stanley Robinson sogar im Plotverlauf darauf hinweist, dass eine umfangreiche Besiedelung des Mars mit fundiertem wissenschaftlichen Vorgehen wie in der angesprochenen Trilogie beschrieben im „Aurora“  Universum gescheitert ist.

IM Grunde besteht der ganze Roman aus einer einzigen Reise, deren Ziele ambivalent verschoben werden. Freya dient dabei als Identifikationsfigur. Während der Hinflug fast langweilig erschienen ist, besteht der Weiterflug ohne zu viel vom Plot zu verraten aus einer Reihe von Katastrophen, Herausforderungen und einem kontinuierlich grimmiger werdenden Kampf ums Überleben.  Kim Stanley Robinson wirft eine fast biblisch zu nennende Seuche nach der Anderen oder technische Probleme mit den inzwischen in die Jahre gekommenen Anlagen seiner schwindenden Anzahl von Protagonisten entgegen. Mit ausführlichen wissenschaftlichen Exkursen sowie Intuition und einer Portion Glück wird jede „Krise“ entweder gemeistert oder eine finale Lösung aufgeschoben. Da vieles aus der Perspektive der auf der Quantentechnik basierenden künstlichen Intelligenz des Raumschiffs beschrieben worden ist,  wirkt der Plotverlauf eher wie ein gut geplanter Bericht als das die Aufregung des Weltraumflugs sich in einer dynamischeren Stiländerung niederschlägt.    

In einigen Punkten ist „Aurora“ aber ein Novum in diesem Subgenre und deswegen in doppelter Hinsicht empfehlenswert. Mit einer fast besessenen Akribie versucht Kim Stanley Robinson möglichst viele Herausforderungen und Probleme über die auf der Erde erfolgten Planungen hinweg darzustellen und Lösungen anzubieten.

In sozialer Hinsicht beschreibt er eine Gesellschaft, die sich nicht unbedingt immer mit den Zielen der ersten Generation an Bord identifizieren kann. Die Spannungen und Kämpfe zwischen den einzelnen Gruppen werden entwickelt, aber nicht selten hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als versuche der Autor ein möglichst breites Spektrum nur anzureißen als die verschiedenen Konflikte wirklich zu beenden. Um die vielen Probleme im Rahmen eines immer noch als Unterhaltung auf einem gehobenen Niveau anzusehenden Buches abhandeln zu können, greift Kim Stanley Robinson vielleicht einmal zu oft zum Rettungsanker der neutralen, aber stetig lernenden künstlichen Intelligenz.

Es sind unglaubliche viele Ansätze, die der Autor nicht nur anspricht, sondern soweit extrapoliert, dass der Leser den roten Faden wieder aufnehmen und weiter entwickeln kann. Wie im richtigen Leben werden keine vorgefertigten Antworten präsentiert und es bleibt positiv das Gefühl zurück, eine sich wirklich sich aus den immer neu auftretenden Problemen heraus „Lebensgeschichte“ zu verfolgen, welche der Idee des Generationenraumschiffes nicht nur neue Impulse, sondern vor allem neue Perspektiven verleiht.

Stilistisch ist Kim Stanley Robinsons Roman herausfordernd. Der sachlich, nüchtern fast unterkühlte Erzählstil ist nicht jedermanns Sache und an einigen Stellen wünscht sich der Leser weniger eine Datenflut als einen kräftigen Handlungstechnischen Sprung, aber als intellektuelle Extrapolation einer im Genre verankerten Idee überzeugt „Aurora“ ohne Frage und gehört zu den interessantesten Science Fiction Epen der letzten Jahre. 

 

 

  • Taschenbuch: 560 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (14. November 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317246
  • ISBN-13: 978-3453317246
  • Originaltitel: Aurora