Phantastische Miniaturen 20 "Weiße Höhle"

Weisse Höhle, Titelbild, Rezension
Friedehelm Schneidewind

Die insgesamt schon 20. phantastischen Miniaturen unterscheiden sich deutlich von ihren Vorgängern und auch Nachfolgern. Nicht Thomas le Blanc, sondern der immer wieder mit Beiträgen vertretene Friedhelm Schneidewind ist Herausgeber dieser Ausgabe. In seinem Vorwort erläutert er die Idee, basierend auf der von Keith Laumer gestalteten und vor vielen Jahren im Heyne Verlag veröffentlichten Anthologie " Der Zwischenbereich". Den einzelnen Autoren wird künstlerisch bis auf einen Eingangsabsatz absolute literarische Freiheit gegeben. Die ersten Zeilen sind immer gleich, wobei zumindest im dritten Beitrag "Erwachen" von Hans Jürgen Kugler die ersten Zeilen gekürzt worden sind.

Friedhelm Schneidewind spricht davon, dass für diese Miniatur die Beiträge einem mehrstufigen Auswahlprozess unterworfen worden sind, wobei einer der sieben Texte aus der Feder des Herausgebers selbst stammt.  Aber das hat sich Keith Laumer in der im Original sehr treffend betitelten Sammlung "Five Fates" auch zugestanden.

 Auch wenn die Themen absichtlich durch die Einführung bereit angedacht worden sind, behandeln einige der Kurzgeschichten vor allem die Idee der virtuellen Realität. Hinsichtlich eines möglichen technischen Hintergrunds geht die Auftaktstory Maike Brauns "Angst" am Weitesten. Mittels einer virtuellen Simulation sollen die "Spieler" mit ihren Ängsten wie in einem dreidimensionalen Horrorfilm konfrontiert werden. Da auch die Investoren gerade auf eine überzeugende Vorführung drängen, steht das junge Team unter doppelten Druck. Die Geschichte ist beginnend mit der interessanten Variation sehr stringent erzählt. Sie leidet aber unter dem zu offenen Ende, in dem sich die Autorin aber im direkten Vergleich mit ihren Kollegen zumindest bemüht hat, den Plot auch direkter, wenn auch verklausulierter abzuschließen.  

 Sowohl Ju Honisch "Schrödigers Katze" als auch " Hans Jürgen Kuglers "Erwachen" verzichten auf die übliche Story Struktur. Beide Autoren werfen ihre jeweiligen Protagonisten in fremdartige, möglicherweise virtuelle Welten.  Ju Honisch geht ambivalenter vor. Der Protagonist findet sich in der im Auftaktabsatz angesprochenen weißen Hölle wieder. Jede seiner Vorstellungen, seiner Ideen scheint sich zu manifestieren, was teilweise auch ein wenig selbstironisch mit einigen Anspielungen auf verschiedene Filmkreaturen erzählt wird. Der Autor treibt sein Spiel mit diesen Monstren, wobei sich keine wirklich nachhaltige Spannung aufbaut.

 Am Ende von "Erwachen" scheint es zu einem seltsamen Kontakt zu kommen.  Während Honisch die subjektive Perspektive bis zum Ende durchhält, präsentiert Kugler mit dem Ding auf dem Bett ein auf den ersten Blick für die Außenstehenden griffiges Phänomen, das aber nicht weiter erläutert wird.  Dafür präsentiert Kugler einen zugänglicheren Protagonisten, wobei insbesondere die Charakterisierung bei allen im Vergleich zu den bisherigen Miniaturen deutlich längeren Texten eher zweckmäßig als nachhaltig überzeugend ist. 

 Die Desorientierung in den Scheinwelten zieht sich wie ein roter Faden durch diese drei Texte. In der vorliegenden Konzentration wirken sie als Ganzes betrachtet im Detail zu ähnlich, während der Rahmen nur in "Angst" technologisch nachvollziehbar aufgebaut worden ist.

 Im Grunde könnte sich Jacqueline Montemurris "DSHSH" auch in diese Gattung einreihen. Es ist der letzte Satz, der die kurzweilig zu lesende, atmosphärisch lange Zeit gut aufgebaute Geschichte basierend auf einer leider schon von Robert Sheckley verwandten, leicht abgewandelten Idee vor der Enttäuschung rettet.  Die Autorin geht auf Nummer sicher und macht im Gegensatz zu den ersten Texten zu wenig auf der natürlich nicht einfachen Vorlage. Ein wenig mehr Überraschendes hätte sich der Leser durchaus wünschen können. 

 Einer der Höhepunkte dieser Ausgabe ist Alexander Röders "Polarnachtstück". Beginnend mit dem Ende von Shelleys "Frankenstein" wird die Odyssee durch das ewige Eis für das Monster zu einem Neubeginn. Sprachlich ambitioniert und sehr viel Wert auf die Atmosphäre legend dreht der Autor schließlich den Plot und baut im Grunde eine Hommage an John W. Campbells "The Thing" inklusiv des entsprechenden Hinweis, den Himmel zu betrachten mit ein. Diese Wendung ist überraschend vor dem viktorianischen Hintergrund. Die ganze Geschichte ist plottechnisch ausgesprochen kompakt angelegt und wirkt dank der literarischen Hinweise und Spielereien  ausgesprochen dreidimensional. 

 Herausgeber Friedhelm Schneidewind präsentiert mit „Zauber im Eis“ die einzige Heroic Fantasy Geschichte dieser Sammlung. Die Versetzung in die unwirtliche Eiswelt erfolgt nicht durch moderne Technik als virtuelle Realität, sondern klassisch mit einem Zauberer, der den Helden und seine Freundin/ zukünftige Frau in dieser Parallelwelt als Geisel halten möchte. Mit eisernem Willen und vor allem einer überdurchschnittlichen Kondition basierend auf der herausfordernden Gegend, in welcher der Protagonist aufgewachsen ist, kann der Zauber nicht seine volle Wirkung entfalten und die Protagonisten sind noch handlungsfähig.

 Der Storyablauf ist solide, die fremde Welt bizarr und interessant beschrieben. Nur wie bei einigen anderen Kurzgeschichten dieser Sammlung scheint die vorgegebene Prämisse vor allem in einem direkten Vergleich zu den teilweise köstlich improvisierenden Miniaturen der gleichen Autoren in anderen Anthologien auch zu hemmen.

 Ein wenig mehr Experimentierfreude, ein wenig mehr Provokation und vor allem überdurchschnittliche Ideen hätten „Weiße Hölle“ unabhängig vom etwas simplen Titelbild Ulrike Grimms zu einer der interessantesten Sammlungen dieser kleinen, empfehlenswerten Reihe machen können. Viele Ansätze bleiben stecken und nur zwei Texte – Alexander Röders und Ansgar Schwarzkopfs Geschichten – ragen aus der kleinen Masse wirklich heraus. Vor allem die Ähnlichkeit der ersten drei Storys nimmt dieser Anthologie die notwendige Vielfalt.  

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Din A 5 Format, 76 Seiten