Welt der Türme

Hugh Walker & Hans Feller

In seinem Vorwort geht Peter Emmerich ein wenig geheimnisvoll sogar mit der Unterstützung einer Augenzeugin auf die Entstehung des „Welt der Türme“ Zyklus ein, den Hugh Walker unter Pseudonym vor allem in der „Terra Fantasy“ Reihe in Zusammenarbeit mit seinem Freund und Vorbild einiger Geistergeschichten Hans Feller entwickelt hat. Alle Texte erschienen unter dem extra für diese Serie erschaffenen Pseudonym Ray Cardwell. 

 „Jaramans Traum“ – ursprünglich in der Anthologie „Der verzauberte Kreuzzug“ erschienen – beschreibt die „Welt der Türme“ relativ gut. Während die erste Hälfte mit der Suche des Zauberers Jaramans und seines Gehilfen nach den Türmen klassische Fantasy ist, relativiert Hugh Walker diese Ideen während des finalen Abschnitts nicht nur mit einem langen Rückblick, sondern auch vordergründigen, aber auch in den achtziger Jahren nicht zuletzt dank der Bekanntheit von Strugatzkis „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ nicht immer nachhaltig originellen Erklärungen. Interessant ist trotzdem, wie Hugh Walker anfänglich eine Heroic Fantasy Welt auf, um die einzelnen Erwartungen der Leser minutiös, vielleicht in Hinblick auf den alten Zauberer sogar sadistisch zu unterminieren.  

 “Mordins Kraft“ ist der einzige Text, der im Heyne Verlag und nicht bei Pabel im Rahmen der „Terra Fantasy“ publiziert worden ist. Schon in „Jaramans Traum“ hat Hugh Walker in der zweiten Hälfte die Idee einer untergegangenen, technokratischen Vision angesprochen. In „Mordins Kraft“ erweitert er den Hintergrund. Es ist unnötig, die Geschichten ursprünglich alle in der chronologischen Reihenfolge zu lesen. Aber dieser Sammelband ermöglicht einen besseren Überblick über die ganze Welt, wobei erstaunlicherweise Hugh Walker in diesem Epos sowohl Ideen wie „Mordins Kraft“ aus der ersten Kurzgeschichte als auch Aspekte der beiden „Welt der Türme“ Romane effektiv und prägnant zusammenfasst. In „Jaramans Traum“ wechselte der Autor abschließend die Perspektive und fügte die Idee einer höher stehenden, der Dekadenz an Heim fallenden Wächterzivilisation hinzu. Diese Grundlage ist in der vorliegenden Geschichte nicht mehr vorhanden. Die Wächter/ Lichtritter töten alle Andersgläubigen, wobei der typische Konflikt zwischen Exekutive in Form eines Adligen und der Suche nach reinem, wenn auch ketzerischen Wissen in Form eines jungen intelligenten Arztes sich schließlich während einer Katastrophe zuspitzt, welche für die von Hugh Walker beschriebene leicht erkennbare Gegend typisch ist. Im Anhang wird angemerkt, dass die Position des Turms aus der ersten Geschichte für diesen zweiten kürzeren Text extra verschoben werden musste. Noch mehr als „Jaramans Traum“ handelt es sich um eine Heroic Fantasy mit viel Blut und Gewalt, wobei die Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation erst mit dem Zusammenbruch des Alten erfolgen kann.

 Kritisch gesprochen versucht Hugh Walker vielleicht in der Kürze der Geschichte zu viele Informationen ein wenig zu ungeordnet und hinsichtlich des ganzen Kurzzyklus zu sehr in die relative Zukunft, aber auch stark aus der Vergangenheit schöpfend zu präsentieren. Die Figuren sind aber dreidimensionaler gezeichnet und während der Autor in „Jaramans Traum“ vor allem auf eine besondere Atmosphäre eines inzwischen wieder unwirtlichen herausfordernden Welt Wert legte, konzentriert er sich nicht negativ in „Mordins Kraft“ eher auf die Hintergründe und politischen Ränkespiele.   

 Auch die beiden längeren „Romantexte“ sind keine stringenten Abenteuer, sondern weisen eine episodenartige Struktur aus. Peter Emmerich weißt darauf hin, dass es Ähnlichkeiten zwischen dem nicht verwandten „Mythor“ Manuskript und Teilen dieser Serie gibt. Das ist bedingt richtig. Aber genauso könnte nicht unbedingt negativ der zugrunde liegende Plot aus verschiedenen Epochen der Science Fantasy des 20. Jahrhunderts stammen.

 Zu Beginn von „Als die Hexer starben“ fasst der Autor viele Geschehnisse aus „Mordins Kraft“ prägnant zusammen. Im Anhang spricht der Herausgeber davon, dass zeitlich ungefähr neun Jahre zwischen den Kurzgeschichten und den Romanen liegen. Die Zusammenfassung wirkt in dieser Sammelausgabe natürlich überflüssig, aber der Leser hat die Möglichkeit, die vielschichtigen Ereignisse noch einmal vor dem geistigen Auge Revue passieren zu lassen.

 Mit dem Überfall durch die schwarzhäutigen, anscheinend aus Afrika stammenden Schattenkrieger erweitert der Autor das Spektrum seines Plots beträchtlich. Während bislang die Türme und ihre Hüter, aber nicht mehr technokratisch ausgerichteten Besatzungen den primitiven Völkern gegenüber gestanden hat, ignoriert Hugh Walker die Herkunft der Türme und konzentriert sich auf einen fast klassischen Verdrängungskampf in deren weitreichenden Schatten.

 Die Zwillinge Erviana und Gothan tragen mit Almordins Kraft – in der zweiten Geschichte hat Hugh Walker noch von „Mordins Kraft“ geschrieben – ein geistiges Potential in sich, das sich zur „Zauberei“ befähigt. Im ersten Text hat der Autor schon darauf hingewiesen, dass Magie im Allgemeinen und diese Art der Zauberer im Besonderen nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern durch die besondere Stimulation besonderer Menschen entsteht. Diese Fähigkeit kann ihnen zumindest in den Türmen auch wieder weggenommen, weggebrannt werden.

 Obwohl die Zwillinge die Kinder des Herren der Stadt Elaye an der Westküste des Reiches Kalifore sind, beginnt die Priesterschaft sie als Andersgläubige, als Ketzer zu verfolgen. Angeblich stehlen diese Hexer den anderen Menschen ihre Lebenskraft, wobei dieser Vorwurf nach der Lektüre von „Jaramans Traum“ nicht einmal von der Hand zu weisen ist.

 Die Zwillinge trennen sich. Erviania wendet sich der dunklen Seite zu und will die Länder auch aus Rache für den Überfall auf die eigene Heimat mit Feuer und Blut überziehen, während ihr Bruder den mystischen Turm Tenecs erreicht und dort dem technischen Erbe seiner Vorfahren begegnet.

 Die beiden Romane erschienen in den Jahre 1980/ 1981 in der Reihe der Terra Fantasy. In den Kinos begann die Fantasy nach der „Star Wars“ Welle ihren Siegeszug anzutreten. Science Fantasy ist eher ein Stiefkind der vierziger Jahre, in denen nicht selten Pulp Geschichten in der Tradition Borroughs vor einem deutlich exotischeren Hintergrund nicht selten mit Überhelden ihre Abenteuer zu erzählen begannen. Hugh Walker und wahrscheinlich irgendwie Hans Feller müssen diese Ideen schon deutlich vorher gehabt haben, denn ihre Serie atmet auch den Geist der sechziger Jahre, in denen Technik generell als schlecht angesehen worden ist. Es ist interessant, dass zwischen „Mordins Kraft“ und „Als die Hexer starben“ immerhin fast zwanzig inhaltliche Jahre liegen, in denen sich die primitive Kultur friedlich und vielleicht zu selbstzufrieden entsprechend entwickelt hat.

 Wie bei John Milius „Conan“ ist es die Angst der Sektierer vor dem Unbekannten, welche das friedliche Gleichgewicht zum Einstürzen bringt. Dabei ist „Als die Hexer starben“ als eine sehr lange Exposition zu sehen, während der Abschlussband „Herrin der Welt“  durchaus als Actionabschluss eines im Grunde langen Doppelromans bestehend aus sechs Episoden zu sehen ist. Die meisten hintergrundtechnischen Erklärungen inklusive der Science Fiction Verweise findet der Leser in der ersten und dadurch auch besten Geschichte dieser Serie. Viele der angesprochenen Ideen geraten anschließend in den Hintergrund, während die klassische Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, Bruder und Schwester, Aberglaube und Fortschritt mehr und mehr zu dominieren beginnt. Dabei vertraut der Autor nicht nur auf brutale Szenen. In dieser Hinsicht ragt „Mordins Kraft“ unabhängig von der Kompaktheit des Textes aus der Masse heraus.

 Mit dem aggressiven Vorgehens Ervianias hat der Autor ein Zeitelement eingeführt. Anfänglich eher unbewusst, anschließend aber effektiv muss ihr Bruder mit seiner Expedition die Züge seiner Schwester kontern. Durch die Zweiteilung der Handlung können Walker und Feller aber auch andere Schwerpunkte setzen. Die Heroic Fantasy der Haupthandlungsebene steht der melancholischen Stimmung einer im Grunde an sich selbst gescheiterten Superzivilisation gegenüber. Einige dieser Ideen hat der Österreicher auch in seinen wenigen echten Science Fiction Romanen schon angesprochen, die ebenfalls im Emmerich Verlag als Sammelband vor einigen Jahren veröffentlicht worden sind.

 Zurück bleibt in dieser teilweise auch zu starken Komprimierung wichtiger Szenen zu Lasten einiger Längen vor allem bei den beiden Romanen im Mittelteil eine immer noch interessante Science Fantasy Serie, die immer sich am Rande des erwarteten Klischees bewegend den Bogen zur Science Fantasy und damit auch der Science Fiction vor allem den goldenen Ages schafft. Manche Handlungszüge werden dem Leser bekannt vorkommen und Hugh Walker orientiert sich positiv wie negativ stark an den Versatzstücken, die viele Romane in der „Terra Fantasy“ Reihe ebenfalls aufweisen. Barbarei, Brutalität, ein zu gestelzter manchmal auch ein wenig zu verschnörkelter Stil und schließlich ein teilweise ein wenig eindimensionale Zeichnung der pragmatischen Protagonisten mit den überschweren Lasten, welche auf ihre fiktiven Leben gepackt werden. Auf der anderen Seite ist die „Welt der Türme“ mit ihrem semifuturistischen Hintergrund interessant und dreidimensional genug, um diese ungewöhnlichen Fantasy Geschichten vor allem aus deutscher Feder zu einer Zeit, als das eine absolute Seltenheit gewesen ist, noch einmal oder erstmalig zu besuchen.

 Die liebevoll zusammengestellte Ausgabe mit Vorwort, kurzen Anmerkungen, den Originaltitelbildern und schließlich der Vorstellung des Teams entspricht dem inzwischen gewohnten Standard Peter Emmerichs und fügt einen weiteren fundamentalen Baustein in die „Hugh Walker“ Werksausgabe ein.  

  • Taschenbuch: 384 Seiten
  • Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform (26. März 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 1542473454
  • ISBN-13: 978-1542473453