Zeitkurier

Zeitkurier, Titelbild, Rezension
Wesley Chu

Wesley Chus “Zeitkurier”  ist eine kleine Mogelpackung in einem sehr modernen Gewand. Beginnend mit dem unglücklichen, den inhaltlichen Tenor des Buches verfehlenden Klappentextes und dem nicht passenden Titel – es handelt sich nicht um Zeitkuriere, sondern im Grunde Plünderer der Geschichte – und endend mit dem zu offenen Epilog  und dem überdeutlichen Hinweis auf mögliche Fortsetzungen ist „Zeitkurier“ eine perfekte Synthese von so vielen unterschiedlichen bekannten Science Fiction Werken, das es dem Leser fast die Sprache verschlägt. Der Autor versucht aus diesen Ideen ein eigenständiges Werk zu basteln, das so ambitioniert und inhaltlich teilweise übertrieben erscheint, das man auf die Idee kommen könnte, eine literarische Umsetzung von Terry Gilliams Satiren vor sich zu haben. Nur meint es Chu leider ernst und verschenkt das offensichtlich vorhandene Potential fahrlässig.

Das Buch eröffnet mit einer fast klischeehaften Szene. Ein Raumschiff ist in tödlicher Gefahr, die Besatzung versucht die “Herrin der Zeit“ – sie hat einige der wichtigsten Gesetze entwickelt- zu schützen, aber die Gefahr in Form eines perfekten Eindringlings ist schon da. Während die Dialoge an die Grenze des Erträglichen bekannte Verhaltensmuster imitieren, hat der Leser durch das Auftauchen des Fremden, seine freche Art und sein Verschwinden ohne jemanden zu retten ein Überraschungselemente vor sich, das für einen originellen Roman spricht.

 Ab diesem Moment folgt Chu bekannten Mustern. James Griffin- Mars ist eine der Chrononauten, der sich nach einer harten Ausbildung in  einer dystopischen Zukunft verpflichtet hat, für einen anscheinend unabhängigen Konzern die Vergangenheit im Auftrag reicher Menschen zu plündern. Ein letzter Auftrag soll ihm nicht nur Reichtum, sondern auch die Freiheit schenken. Ein Angebot, das er nicht abschlagen kann, das aber jedem Leser signalisiert, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.  Die Mission ist in mehrfacher Hinsicht gefährlicher als der Diebstahl des Bernsteinzimmers unmittelbar vor dessen Zerstörung. Eine der wenigen Szenen, in denen der Autor die inneren Konflikte der Zeitdiebe expliziert manifestiert und damit James Griffin- Mars immer stärker brechende Loyalität gegenüber den Auftraggebern symbolisieren soll.

In der Vergangenheit – er muss zwischen dem Beginn einer Katastrophe auf einer gigantischen Forschungsplattform und deren anschließenden Untergang zugreifen – lernt er eine junge, attraktive, intelligente Frau kennen, die er schließlich in die Zukunft mitnimmt. Damit hat er nicht nur das erste Zeitgesetz gebrochen, sondern auch unbewusst bewiesen, dass diese Gesetze auf falschen Prämissen aufgebaut worden sind und Menschen außerhalb der ausgebildeten Zeitreisenden in die Zukunft gebracht werden können. Auch diese Idee ist nicht unbedingt neu.

Nur ist die Zukunft nach verschiedenen Kriegen und Umweltkatastrophen nicht sonderlich rosig. Die Zukunft stinkt, wie die weibliche Protagonistin schnell feststellt. Auf der einen Seite muss James Griffin- Mars seine spätere Geliebte schützen, damit sie nicht von den herrschenden Kräften getötet wird, auf der anderen wieder ein Klischee bedienenden Seite hat diese Forscherin die Ideen, den Mut und vor allem abschließend neben einer interessanten Helferin auch die Werkzeuge, um quasi im Alleingang die Welt zu retten und einige der Umweltschäden zu beseitigen. Es stellt sich dem Leser unwillkürlich die Frage, ob die Konzernbosse nicht absichtlich die Erde ruiniert gelassen haben, um die Massen besser zu unterdrücken.    

Es ist ein ausgesprochen ambitioniertes Konzept, das Wesley Chu rückblickend deutlich überfordert entwickelt hat.  Anstatt zumindest auf einzelne Komponenten Antworten zu suchen und damit indirekt neben den Figuren auch den Hintergrund dieser Zukunft weiter zu entwickeln, konfrontiert er den Leser immer wieder mit absolutistischen Fakten; aus dem Stehgreif improvisierten Lösungen und vor allem einem Plot Verlauf, welcher  angesichts der Naivität und Blindheit der Konzernchefs im Allgemeinen und Griffin Mars Vorgesetzten im Besonderen leider unglaubwürdig und stark konstruiert erscheint.

Viele dieser Schwächen versucht der Autor konsequent mit einem hohen  Tempo zu überdecken. Beginnend mit der obligatorischen Szene  im All – bei einer Rückreise  wird der Zeitreisende  das Schiff erst einmal verfehlen, um dann wie ein Gummiball auf und durch die Hülle zu schlagen – über die Reise in die Zeit des Zweiten Weltkrieges wieder in dieser verzweifelten Zukunft zu landen. Angeblich sind die Zeitdiebe die einzige Hoffnung, der Menschheit Resorucen, Energie, Lebensmittel und vielleicht ein wenig Optimismus auf eine bessere Zukunft  zu schenken, obwohl in der Vergangenheit sie mit Raumschiffen zu den Sternen gereist sind; der Mond Europa zu einem Paradies umgebaut worden ist und immer wieder betont wird, das neben den unzähligen opportunistisch eingesetzten Gesetzen der Zeitreise es auch sehr viel Energie kostet, Menschen in die Vergangenheit zu bringen. Auch der Transport von Waren durch Energietransmitter in die Zukunft scheint nicht umsonst zu  sein. Aber ökonomisch bleibt Chu bei seinen Andeutungen.       

Interessant ist, dass es auf einer derartig ökologisch heruntergekommenen Erde noch möglich ist, in den  verseuchten  Wäldern zu leben, sich zu verstecken und am Lagerfeuer Tiere zu grillen, um nicht zu sehr zu hungern. Die armen Wilden als willige Helfer und Hoffnungsträger auf eine bessere Zukunft inklusive. Ohne Frage ist es auf dem Papier eine interessante Idee, die Zukunft als dunkle, dystopisch zu zeigen. Sie ist nicht neu, aber herausfordernd. Vor allem weil Wesley Chu nicht dem Drang des einfachen Wegs folgt und impliziert, dass die Umweltzerstörungen der Gegenwart ihre langen Schatten in die Zukunft werfen. Aus heutiger Sicht haben die Menschen der Zukunft es selbst in der Hand gehabt, Paradiese zu schaffen. Stattdessen haben sie sich in atomaren Kriegen und Katastrophen fast selbst ausgerottet.

Dadurch entwickelt sich zumindest in Ansätzen eine soziale Gesellschaft, deren Kontraste nicht größer sein könnten. Nur bleibt vieles im ersten Band einer möglichen Trilogie unausgesprochen und der Leser sich angesichts des eher implizierten Hintergrundes die Mühe machen, zwischen den Zeilen zu lesen. Bei einer interessanteren Welt eine reizvolle Aufgabe, bei „Zeitkurier“ allerdings eher eine vergebliche Liebesmüh, da die Vergangenheit plötzlich unbeschränkte Resourcen bietet, welche James auch immer wieder bei seinem inzwischen nicht mehr autorisierten, den Status Quo der Obrigkeit gefährdenden Touren zu Gunsten der neuen ökologischen Revolution birgt. Solange anscheinend die Zeitlinien es hergeben – eine weitere Einschränkung, mit welcher Chu ausgesprochen ambivalent und je nach Situation fördernd oder hindernd umgeht - , ist die Zukunft des sympathischen Teils der Menschheit zu Lasten ihrer eigenen Vergangenheit gesichert. Eine interessante Vorgehensweise, deren Folgen aber höchstens spärlich im Handlungsverlauf gestreift werden. Das Ende wirkt das abrupt und zu stark komprimiert. Ohne Frage hat der Autor eine Actionlastige Achterbahnfahrt hinter sich, aber ohne alle offenen Punkte anzusprechen oder ggfs. Inhalte der potentiellen Fortsetzungen vorwegzunehmen ist es zu wenig, was angeboten wird.

Ein weiteres Manko sind die eindimensionalen Protagonisten, wobei die Begründerin der Zeitformeln/ Gesetze mit ihrer herrischen, selbstherrlichen, koketten wie arroganten Art aus der Masse noch positiv herausragt. Im Gegensatz zum tragischen Helden James, der sich mehr und mehr vom System entfernt und seine Wege mit lebensgefährlichen Missionen zu gehen sucht, verschießt der Autor bei Elise aus der Vergangenheit sein Pulver. Sie ist lebendig, intelligent und entschlossen. Die Erde der Zukunft ist für sie ein Schock, trotzdem macht sie sich gleich daran, die Menschen zu retten und ein entsprechendes Virus zu bekämpfen. Es ist vielleicht nachvollziehbar, das elementares Wissen im Laufe der Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte verloren gehen kann, aber das ohne richtige Anpassung an die Zukunft gleich munter „gerettet“ wird, erscheint wie aus einem feuchten Traum eines Märchenerzählers. Wie andere Punkte dieses Romans wird alles sehr einfach, sehr stringent und dadurch viel zu eintönig langweilig beschrieben, anstatt das Potential auch über eine bessere strukturierte inhaltliche Schiene zu heben. 

Im Grunde folgt Wesley Chu seinen Protagonisten. Diese plündern die Vergangenheit, um ihre Gegenwart zu retten. Der Autor wühlt in der langen erfolgreichen Geschichte der Science Fiction Bücher und Filme, um daraus sich eine leider nicht unbedingt originelle und vor allem eindimensionale Geschichte von dem überdimensionalen selbstaufopfernden Helden bis zu den langen Armen der dunklen, gierigen Konglomerate zu zimmern. Oberflächlich unterhaltend ohne wirklich in die Tiefe zu gehen.

  • Taschenbuch: 496 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (14. August 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317335
  • ISBN-13: 978-3453317338
  • Originaltitel: Time Salvager