The Magazine of Fantasy and Science Fiction January/February 2018

The Magazine of Fantasy and Science Fiction 01/02 2018, Titelbild, Rezension
C.C. Finlay

Das Jahr 2018 startet bei „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ ausgesprochen überzeugend. Eine breite Mischung mit Science Fiction, durchaus viktorianischem Horror und eher klassischer Fantasy erwartet den Leser.

 Tandana Singh eröffnet mit "Widdam" das Jahr 2018.  Durch den Klimawandelt sind weite Teile der Erde unbewohnbar geworden und selbst ein lauer Winter in Indien nur noch Teil der Geschichten, die sich die Elterngeneration erzählen.  Zu den beeindruckenden sprachlichen Bildern der Geschichte gehören die künstlichen Intelligenzen, die in von "Bestien" nach den verbliebenen Bodenschätzen der Erde suchen und sie dann wie Asgeier ausbeuten. Der eigentliche Plot handelt  vom Schöpfer dieser archaischen und doch futuristischen Monster, wobei der Handlungsbogen nicht nur hin und her springt, vor allem wirklich er hektisch.  Als Ausgangsbasis für eine Novelle oder besser einen Roman bietet der Stoff unheimlich viel  Potential und stilistisch ansprechend irgendwo zwischen Melancholie, Fatalismus und doch dem Optimismus der Jugend angesiedelt bildet "Widdam"  das Herz von etwas Größeren, das  die Autorin allerdings noch heben muss. 

 In den Bereich der dunklen Phantastik gehört "Aurelia" von Lisa Mason.  Die Autorin erwähnt nicht nur  in der Einführung, sondern auch dem Text, dass  E.T.A. Hoffmann sie in dessen "Aurelia" Geschichte  inspiriert hat.  Vom Konzept her ähneln sich die Texte. Ein sexuell fast besessener Anwalt verfällt  einer seltsamen, wie reichen Klienten, welche ihn bittet, sich um eine Grundstücksangelegenheit zu kümmern. Er verfällt ihr und heiratet sie. Anscheinend hat er außerhalb des Anwesens mehr Freiheiten und zu bestimmten Zeiten -  symbolisiert durch eine aufgehängt Fahne - darf er das Haus nicht betreten. Wie der Leser ahnt er, dass  mit Aurelia etwas nicht stimmt und der Plot folgt den engen Leitplanken dieses phantastischen Subgenres sehr sklavisch. Sprachlich überzeugend mit einem konsequenten, nicht überraschenden, aber  visuell gut gestalteten Ende ragt "Aurelia" aus der Masse vergleichbarer Texte durch die sympathische Zeichnung vor allem Aurelias im direkten Vergleich mit dem arroganten, selbstverliebten Anwalt heraus.  

 Gardner Dozois hat in den letzten Jahren wieder mit dem Schreiben von Kurzgeschichten begonnen. Von den drei in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ veröffentlichten Texten ist „Neanderthals“ die beste, aber auch gleichzeitig absurdeste Story. Zwei Gruppen kämpfen um die Kontrolle der Zukunft, sie beherrschen die Zeitreise. In der Gegenwart werden Neandertaler als Leibwächter eingesetzt, wobei sie eher opportunistisch vorgehen. Kurzweilig zu lesen, sehr fokussiert und konzentriert mit einer doppeldeutigen wie zynischen Komponente.

Kurze Texte gehören zu den Höhepunkten dieser Ausgabe. „A List of Forty-Ninve Lies“ vom Debütanten Stephen Fisher versucht sich ein Saboteur vor der Entdeckung zu schützen, in dem er die Tatsachen als eine Art innere Monolog ignoriert. Politisch relevant und erstaunlich passend für die vor allem amerikanische Gegenwart. Interessant ist, dass Paul Di Fillipo in seinen „Plumage from Pegasus: Toy Story“ eine literarische Variation dieser Idee präsentiert. In der fernen Zukunft ermöglicht eine neue Art von Mutlmediabuch die Reinkarnation bekannter Persönlichkeiten, die eine Art von interaktiven Eigenleben in den kleinen Readers führen können. Bis sie irgendwann in der Datenlandschaft vergessen werden. 

 Robert Reed versucht mit „An Equation of State“ eine alte Idee der Science Fiction wieder zu beleben. Das Sonnensystem könnte der Schauplatz eines interplanetaren Konflikts sein. Als einer der außerirdischen Kontrahenten nicht erscheint, wird ein Diplomat auf die unterentwickelte Erde geschickt. Durch seinen Besuch beeinflusst er die Evolution der Menschen. Solide geschrieben in der bekannten sehr kompakten Robert Reed Art konzentriert sich der Autor vor allem auf Implikationen und weniger ausführliche Beschreibungen, so dass die Schlusspointe das Tor für eine umfassendere, längere Story offen lässt.

 „The Eqationist“ von J.D. Moyer ist eine faszinierende Weiterentwicklung einer Idee, die Poul Anderson in seinem Roman „Brain Waves“ angedeutet hat. Der Protagonist sieht seine Mitmenschen im Grunde eher als mathematische Gleichzungen. Er durchschreitet sein Leben auf der Basis von mathematischen Formeln. Ohne in die Details zu gehen beschreibt der Autor dieses fremdartige und doch zugängliche Leben eines besonderen Autisten. Spätestens wenn der Protagonist versucht, das Leben seiner Mitmenschen durch Veränderungen in den von ihn gesehenen Gleichungen zu ändern, erhält diese lesenswerte emotionale Geschichte eine fast tragische Wendung.

 Die Titelbildgeschichte „Galatea in Utopia“ von Nick Wolven ragt aus einer überdurchschnittlichen Ausgabe auch zusätzlich positiv heraus. Die Menschen können ihre Körper komplett verändern und obwohl dieser Prozess manchmal einige Stunden einnimmt, hat sich eine multiplexe Gesellschaft gebildet, die von den Extravaganzen und Exzessen lebt. Der Protagonist nimmt die Form einer sexuell aktiven, sehr attraktiven Frau an und trifft in einer Szenekneipe einen unscheinbaren Mann, der angeblich aufgrund von Allergien und genetischen Anlagen sich nicht „verändern“ kann. Es entspinnt sich eine seltsame Liebesgeschichte, in deren Mittelpunkt für den Leser vertraute Aspekte stehen. Eifersucht; das sich Anpassen, vielleicht auch ein wenig Dominanz gegen „Unterdrückung“ der eigenen Persönlichkeit. Das Ende ist bittersüß und zeigt, dass äußerlich wie innerlich in dieser Welt zwar viel Schein und Sein ist, aber die grundlegenden Gefühle wie Liebe und Hass zeitlos wie gefährlich sind. Eine herausragende Geschichte, die auf der emotionale Ebene ohne Kitsch funktioniert und durch die dreidimensionalen Protagonisten eine überzeugende Zeitlosigkeit gewinnt. 

 Im Bereich der ehe klassischen Fantasy führt Matthews Hughes dieses Mal sehr direkt mit „Jewel of the Heart“ die Geschichte um den Assistenten eines Zauberers fort. Aus dem letzten Abenteuer ist bekannt, dass er unter schwierigen Umständen einen besonderen Helm für seinen Herrn geborgen hat, der sich in dieser Story als intelligent erweist. Der Helm bietet den Lehrling um Hilfe, da ein bestimmtes Teil wieder eingefügt werden muss, um machtvoll zu sein. Der Lehrling macht sich nicht unbedingt gegen den Willen seines Herrn, aber auch ohne dessen direkte Unterstützung auf die Suche nach dem Teil. Dabei müssen wie bei einem Computerspiel verschiedene Herausforderungen umschifft werden, bevor die Story süßsauer endet. Positiv gesprochen altbekannte unterhaltsame Fantasy, wobei diesem Matthew Hughes Zyklus der subversive sehr unterhaltsame Humor seiner Diebesgeschichten abgeht.

 Wie „Aurelia“ sind „A Feather in Her Cap“ von Mary Robinette Kowal und „The Donner Party“ von Dale Bailey dunkle gotische Geschichte mit zynischen Plots, implizierter Brutalität und vor allem dunklen Enden. Moderne Grusel, vielleicht sogar Horrorstorys. In der ersten Geschichte arbeitet die Hutmacherin nebenbei als professionelle Killerin. Als ihr nach dem letzten Auftrag die Bezahlung verweigert wird, beauftragt sie einen Meisterdieb, um Rache zu nehmen und ihre Identität zu schützen. Plottechnisch nicht unbedingt bis auf die Vorgehensweise originell besticht die Story vor allem durch den ansprechenden Stil, die gute Zeichnung der Figuren und das subversive Ende.  

Deutlich zynischer und damit auch ansprechender ist die letzte Geschichte dieser Ausgabe. Das phantastische Element ist im Grunde nicht vorhanden. Sie spielt im viktorianischen Zeitalter, die Differenzierung der Klassen ist extrem stark und zumindest eine einflussreiche Familie lädt Standesgemäß einmal im Jahr zu einem besonderen Dinner ein. Dort wird Menschenfleisch gereicht. Das ist allgemein bekannt. Dale Bailey zeigt auf, wie pervers manche zweitklassige Adlige vorgehen, um zu diesem besonderen Anlass nicht nur eingeladen zu werden, sondern am richtigen von mehreren Tagen tafeln zu dürfen. Vielleicht fällt dieser dunklen morbiden Geschichte ein Paukenschlag zum Ende und der Leser könnte sich eine brutale Wendung vorstellen, aber in diesem Punkt zuckt Dale Bailey vor dem letzten entscheidenden Schritt förmlich zurück. Unabhängig von diesem Kompromiss handelt es sich um eine unwahrscheinlich gut geschriebene und dunkel entwickelnde Story, welche dem Science Fiction Höhepunkt der Ausgabe „Galatea in Utopia“ in Nichts nachsteht.

 Im sekundärliterarischen Teil ragen die Rezensionen Elizabeth Hands aus der Masse heraus. Sie stellt keine angloamerikanischen Autoren vor, sondern schaut mit empfehlenswerten Werken über den klassischen Tellerrand. Charles de Lint operiert in dem ihm vertrauten Terrain, während in der Filmsparte mit „Mother“ ein provokanter und damit perfekt in diese lesenswerte Ausgabe passender Film vorgestellt wird. 

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The Magazine of Fantasy and Science Fiction

256 Seiten