Unter dem Mondstern

Unter dem Mondstern, David Gerrold, Cover, Rezension
David Gerrold

In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Experimente David Gerrold in einer Reihe von Kurzgeschichten und dem vorliegenden Roman „Moonstar Odyssey“ mit der ambivalenten Sexualität seiner Charaktere. Er folgte ohne Frage sowohl den soziologisch sehr komplexen Gesellschaften einer Ursula k. LeGuin wie auch den Ideen Theodore Sturgeon, dem er diesen Roman gewidmet hat. Im Gegensatz zum deutlich provokativeren und radikaleren Philip Jose Farmer versucht David Gerrold in der von ihm entwickelten sehr exotischen Gesellschaft der Idee der Familie, des Erhalts des Status Quo inklusiv der  Sorge für die nächste Generation voranzutragen. Wer sich intensiver mit dem Gesamtwerk David Gerrolds auskennt, wird in diesem Roman Aspekte erkennen, die er in dem verfilmten autobiographischen Roman „A Martian Child“ noch einmal aufgegriffen und am eigenen Leib verfeinert hat.

Durch die Neuauflage des 1978 im Rahmen der KNAUR Science Fiction veröffentlichten Romans lässt sich „Moonstar Odyssey“ aber auch als Erweiterung des in dem wenige Jahre vorher veröffentlichten „Space Skimmer“ sehen.  Beide Geschichten spielen in einer fernen Zukunft, wobei David Gerrold vor allem in „Space Skimmer“ durch die Suche nach dem untergegangenen Imperium auch stetig eine Rückschau hält.  Die Menschen haben fremde Welten besiedelt und sich über das angesprochene Terraforming hinaus den Planeten angepasst. 

In „Space Skimmer“ stand eine Welt fast der nordischen Sage mit einer weiterhin extremen Schwerkraft im Mittelpunkt der Geschichte. Der Protagonist Mass hätte auch eine überschwere  Inkarnation der Wikinger sein können.  „Moonstar Odyssey“ spielt auf einem Planeten, den die Menschen quasi aus dem Nichts heraus erschaffen haben.  In  technischer Hinsicht bleibt der Autor in den beiden Büchern ausgesprochen ambivalent und konzentriert sich ausschließlich auf die Ergebnisse.

Die Welt ist inzwischen von flachen Meeren überzogen worden.  Überall gibt es kleine Inseln, die aus dem Wasser ragenden Krater der ursprünglichen und unwirtlichen Landschaft.  Um den Planeten ziehen sich gigantische „Schutzschilde“ aus einer Art opalen Plasmalegierung, welche nicht nur kühlenden Schatten werfen, sondern das Sonnenlicht konzentriert reflektieren und umleiten. Aber diese Beschreibungen stehen nicht im Vordergrund der Geschichte.  Nicht selten handelt es sich um Hintergrundinformationen,  welche dem Leser das Gefühl geben sollen, einen Science Fiction Roman und keine Science Fantasy Story zu lesen. 

Negativ ist, dass David Gerrold wie in „Space Skimmer“ impliziert, dass die Menschheit ihren Höhepunkt überschritten und degeneriert ist.  Es gibt keine weitergehende Erklärung und nicht selten wirken die politisch sozialen Hintergründe eher aufgesetzt.

Während die Protagonisten im mehrfach angesprochenen Roman „Space Skimmer“ nicht nur als  Menschen und deren Abkömmlinge zu erkennen sind, sondern auch wie Terraner aus der Vergangenheit handeln, haben sich die Bewohner dieser Welt ebenfalls ohne weitergehende Informationen in eine gänzlich andere Richtung entwickelt. Alle  Kinder werden ohne Geschlecht geboren. Im Laufe ihrer Jugend bis in die Pubertät lernen sie sowohl die männliche als auch die weibliche Seite nicht nur in sich, sondern der ganzen Gesellschaft kennen.  Erst wenn die Erwachsen werden, müssen sie sich entscheiden und ein Geschlecht auswählen.

David Gerrold folgt über weite Strecken diesem Heranwachsen eines Protagonisten.  Anstatt sich gänzlich auf die emotionale Ebene zu konzentrieren und den Roman ausschließlich stimmungsvoll zu entwickeln, versucht der Autor dem Leser über eine lokal begrenzte Katastrophe – einer der Schilde ist beschädigt worden und erhitzt einen Teil des  Planeten durch die fehlende Ablenkung des  Sonnenlichts, was schließlich katastrophale Stürme zur Folge hat -  auch einen actiontechnischen Zugang zu der Geschichte zu geben. Keine leichte Aufgabe.     

Dabei verzichtet der Autor fast ausschließlich auf direkte Beschreibungen und versucht eine emotionale Verbindung zwischen dem innerlichen Reifeprozess seiner Protagonisten und den Gefahren von außen herzustellen. Das wirkt vor allem in der ein wenig zu distanzierten ursprünglichen Übersetzung gekünstelt und unterminiert die Grundidee, dass jede Form von menschlichen Zusammenleben immer wieder Prüfungen unterworfen wird und sich den Umständen anpassen muss, um nicht unterzugehen. Eine These, die David Gerrold  in „Space Skimmer“ mit den ultimativen Raumschiffen ironisch untermauert hat. Diese sind zu spät gekommen, um den Zerfall des gigantischen Reichs noch zu stoppen. In „Moonstar Odyssee“ stellt der Amerikaner diese Art der Fragen nicht.

Am Rande des Klischees beschreibt er mit einer anfänglich verwirrenden Mischung aus Passagen in der ersten Person und wechselt dann in die dritte Person. In diesem Rahmen findet sich eine im Grunde dritte Geschichte  abseits vom Katastrophenszenario und dem Aufwachsen des Protagonisten.  Es geht um zwei sich wirklich liebende Menschen, die von ihren jeweiligen Familien wie bei „Romeo und Julia“ gezwungen worden sind, das falsche Geschlecht anzunehmen.  Auf der Basis extrapoliert David Gerrold eine Art dritten Zweig von Außenseitern, die keine echte Geschlechtswahl haben.  Ein wenig verklausuliert bis zu einer fast mystischen Allegorie spricht David Gerrold für diese Außenseiter auch das Thema Homosexualität ein.  Anstatt bei einfachen Parabeln zu bleiben, versucht sich David Gerrold in diesem Aspekt seiner Gesellschaft zu verstecken. Erst später wird er in anderen Texten offen über die eigene  Homosexualität schreiben. Mit der Idee einer Gruppe von Menschen, die keine Geschlechtswahl treffen können, unterminiert der Amerikaner aber auch das Konzept seiner Gesellschaft und negiert viele interessante Ideen, die er mühevoll in der ersten und zweiten Handlungsebene aufgebaut hat.

Inhaltlich fast ein Stillleben fordert David Gerrold in diesem experimentellen, lyrischen Text die Geduld seiner Leser heraus. Wie in anderen Arbeiten -  siehe auch „The Martian  Child“ – setzt er sich mit der gegenseitigen Anziehungskraft von Menschen unabhängig ihres Geschlechts auseinander und folgt  damit Theodore Sturgeon. Wie Sturgeon kann er aber im Gegensatz zum Dramatiker Philip Jose Farmer die ohne Frage vorhandenen provokanten Thesen nicht abschließend und zufriedenstellend  extrapoliert zu Papier bringen,  so dass wichtige Aspekte in der eher ambivalenten Vorgehensweise quasi verloren gehen.

Diese emotionalen Abschnitte wirken wie ein zu starker, zu wenig verbundener Kontrast zu den wenigen Szenen, in den David Gerrold der Hard Science Fiction eines  Larry Niven oder Hal Clements  zu folgen suchte und den komplexen Terraforming Prozess dieser interessanten Welt zu stark zusammenfasste.   

„Moonstar Odyssee“ könnte man als erstes „Coming Out“ Buch David Gerrolds auffassen, in dessen verspielter,  lyrischer und herausfordernder Handlung der Amerikaner einige Hinweise auf die eigene Suche nach einem sexuellen Hafen beschrieben hat. Für den Versuch ist er für den NEBULA Award 1977 nominiert worden. Eines der größten Probleme des ganzen Romans liegt in der Tatsache, dass David Gerrold als Schriftsteller noch nicht altersweise genug gewesen ist, um die komplexen Strukturen zwischen Geschlecht und Sexualität,  zwischen Verantwortung und Erwartung vor allem im Rahmen einer sehr kleinen, eng begrenzten Gesellschaft schriftstellerisch reif aus der inneren Perspektive seiner Figuren zufriedenstellend und unterhaltsam zu gleich zu beschreiben. In allen Punkten sind Ursula K.  LeGuins vergleichbare Themen streifende Arbeiten leider diesem ohne Frage innovativen, experimentellen und teilweise zu fragmentarisch wirkenden Roman überlegen.  

 

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 895 KB
  • Verlag: Heyne Verlag (26. März 2018)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B07BFWDHLN