Nach “Hammerhead” schicken Autor Andy Diggle und sein Zeichner Luca Casalanguida ihren James Bond auf eine weitere zumindest vorläufig den Weltfrieden rettende Mission. Diggle und Casalanguida beherrschen die Klaviatur des James Bond Subgenres: Action, exotische Schauplätze, schöne Frauen auf beiden Seiten und schließlich eine Verschwörung, deren Ziel das Misstrauen zwischen den europäischen Nationen ist. Hinzu kommt, die politische Landschaft soll im paranoiden Klima der antiglobalen Bewegungen neu zu Gunsten des erstarkenden Osten geschrieben werden. „Kill Chain“ ist ein klassischer James Bond Stoff und damit auch immer wieder am Rande des Klischees. Dabei stehen sich die beiden Macher auch ein wenig selbst im Wege.
Prolog und Epilog zeigen den Planer, den Mann im Hintergrund. James Bond erringt unter zahllosen Opfern nur einen Pyrrhussieg. Das unausweichliche Finale wird verschoben. Der Epilog impliziert, dass es ab diesem Moment persönlich wird. Selbst der Klappentext macht deutlich, dass nach „Spectre“ im letzten James Bond Film jetzt „Smersh“ aus der Frühzeit der Serie auferstanden ist.
Durch dieses relativ offene Ende wirkt „Kill Chain“ unvollständig. Zu viele Fragen bleiben offen. Beginnend mit „Smersh“ Motiven. Es geht nicht mehr darum, Spione anderer Nationen zu töten und Informationswege auszuschalten. Dieses Motiv wird zu Beginn der Geschichte angedeutet. Viel mehr will „Smersh“ mit oder ohne verantwortliche Militärs die politische Karte Europas neu zeichnen und das im wahrsten Sinne des Wortes. Während die NATO der Meinung ist, dass die Machthaber im Kreml die alte UdSSR unter neuem Namen aber mit zahlreichen Vasallenstaaten wieder herstellen möchten, ist der Plan ein anderer. Es geht um eine gänzliche Verschiebung der Macht. Diggle und Casalanguida spinnen ein leider nur zwischen den Zeilen erkennbares Garn. Der Einfluss Russland im Syrienkonflikt ist nur eine Art Basis, um einen lange gehegten, aber unerfüllbaren Traum zu realisieren.
Interessant ist, dass die Autoren sich als Gegner auf Europa konzentrieren und versuchen, die NATO mit nur wenigen amerikanischen Agenten zu spalten, während am Ende dieser Aktion ein direkter Konflikt mit Amerika stehen müsste, die indirekt relevante Interessen in dem Land haben. Vor allem, weil in einem wichtigen Bereich der Welt ihre Basen gefährdet und ein Standbein ihrer provokanten Außenpolitik unterminiert wird. Daher ist der ambitionierte Plan zwar nett, aber die Zielrichtung wirkt nicht gänzlich zufrieden stellend definiert.
Bis dahin haben sich Diggle und sein Zeichner am gegenwärtigen kalten politischen Klima zwischen den USA und den europäischen Verbündeten orientiert. So gibt es ein Treffen zwischen einem der militärischen Hardliner unter den Generälen der USA und dem Chef des britischen Geheimdienstes, das in einer der originellsten Actionszenen nicht nur der Serie, sondern auch den Kinos endet. Bis dahin werden politische Plattitüden im monotonen Gleichklang der Trump Regierung ausgetauscht, wobei der aufmerksame Leser zwischen dem verbalen Geplänkel und tatsächlichen Bedrohungen im Gegensatz zu den ambitionierten „SMERSH“ Planern unterscheiden muss. Amerika scheint nicht mehr Weltpolizei spielen zu wollen, aber ist ohne Frage bereit, egoistisch die ureigenen Interessen auch weit jenseits der eigenen Grenze rücksichtslos und notwendig auch opportunistisch zu verteidigen.
Das spielt bei James Bond Filmen und Büchern ja nicht immer die wichtigste Rolle. Es geht um das Auseinanderdividieren von Bündnispartnern, die sich sowieso eher misstrauisch beäugen sowie nach der „Spaltung“ um das schnelle und brutale Zuschlagen, um einen Status Quo zu ermitteln, aus dem die wahrscheinlich im Hintergrund die Fäden ziehende Organisation als Sieger hervorgeht. Ein altes James Bond Thema, dem Diggle im Grunde bis auf außergewöhnliche, aber im Angesichts von „Mission Impossible“ oder „Die Hard“ Filmen auch nicht mehr ungewöhnliche Actionszenen setzt, welche das Tempo hochhalten sollen. Spätestens während des Showdowns zeigt sich, wie sehr das gegenwärtige Actionkino die James Bond Filme eingeholt hat. Am ehesten kann ein Leser diese isoliert betrachtet guten Szenen genießen, wenn er sich in die Roger Moore oder späte Sean Connery Ära mit Filmen wie „Der Spion, der mich liebte“ oder „Man lebt nur zweimal“ zurückträumt und die Geschichte im Grunde in einer Art Spionagethrillervakuum betrachtet.
Für Puristen also eine perfekte Unterhaltung. Unter dieser Prämisse machen Diggle und Casalanguida alles richtig.
Eine Spionageaktion mit der Mission, potentielle Verräter in den eigenen Reihen zu entlarven und die Übergabe von brisantem Material an die CIA zu verhindern, geht schief. James Bond ist gezwungen, seine attraktive ehemalige Kollegin zu erschießen. Auf beiden Seiten des Atlantiks branden Vorwürfe auf und selbst Felix Leiter beginnt James Bond zu Misstrauen.
Diggle nutzt dann allerdings ein Element aus „Skyfall“, um für den Leser, aber noch nicht die Charaktere die Fronten zu begradigen. Die Idee einer Art Liste, die mit Namen von Agenten verschiedener Nationen in verschiedenen Hauptstädten abgearbeitet wird, ist vor allem im Genre nicht neu. Selbst „Atomic Blonde“ hat eine vergleichbare Idee genutzt. Auch die Möglichkeit, dass die Agentin nicht ein doppeltes, sondern ein dreifaches Spiel angeht, könnte eher aus der literarischen Vorlage „The Cold City“ denn der eigentliche Adaption stammen. Schon angesprochen ist, dass eine der besten Actionszenen schließlich inklusiv der entsprechenden Beweisbeschaffung in einer Falle gipfelt. James Bond droht den Amerikanern ausgeliefert zu werden. Ohne Haftbefehl oder gar offizielle Anfrage.
Auch hier greift Diggle zum einzigen opportunen Mittel. Felix Leiter darf ein zweites Mal in die Geschicke eingreifen. Felix Leiter scheint im „Dynamite“ Universum eine eher ambivalente Figur zu sein. Im Oneshot vom CIA entlassen und höchstens als freier Berater tätig scheint er spätestens in „Kill Chain“ wieder an einer wichtigen Stelle in der Organisation platziert worden zu sein. Auch hier stellt sich der Leser unwillkürlich die Frage, ob die paranoiden Militärs James Bond besten Freund wirklich mit dieser Mission betraut hätten. Natürlich schickt man am liebsten seinen besten Mann, aber im Gegensatz zu James Bond scheint das auf den auffälligen Invaliden Felix Leiter im Außeneinsatz nicht mehr zuzutreffen.
Spannung bezieht die Geschichte aus der Frage, wer auf welcher Seite steht. Bei einigen Figuren macht es Diggle relativ schnell deutlich und verzichtet auf die Möglichkeit, ein doppeltes Spiel aufzuziehen. Dadurch wird zwischen den einzelnen Actionszenen aber auch sehr viel Potential verschenkt, so dass die Erwartung des Lesers an vielen Stellen nicht unbedingt befriedigt wird. In anderen Abschnitten folgt der Autor eher den Klischees des Genres und lässt intelligente Frauen den Macho ein wenig auflaufen. Körperlich ist der Agent mit der Lizenz zu Töten ihnen weiterhin überlegen, im Geiste haben sie ihn teilweise schon überholt. Dabei verzichtet „Kill Chain“ im direkten Vergleich zu den letzten Miniserien auf eine auch vordergründig dominante Begleiterin James Bond und konzentriert sich auf eine Doppelagentin. Das spielt mit den Rosen ist amüsant, wird aber zu rudimentär entwickelt.
Während Diggle wie mehrfach erwähnt einen geradlinigen James Bond mit wenigen Plot bedingten Wendungen, aber zahlreichen Actionszenen verfasst hat, wirkt sein Zeichner Luca Casalanguida teilweise zu unentschlossen. Vor allem die Bilder seiner zahllosen Schurken wirken teilweise wie Karikaturen und geben ihnen dadurch etwas Irreales, das er in den relevanten Schlüsselszenen zu wenig umsetzen kann. James Bond wird der Kontinuität der Comicserie folgend gut getroffen. Vor allem sind es aber wieder die technischen Spielzeuge und die Zeichnungen der militärischen Gagdets, an denen der Blick der Leser hängen bleibt.
„Kill Chain“ ist eine kurzweilige Unterhaltung, über welche der James Bond am besten nicht lange nachdenkt. Die richtigen Tasten werden gedrückt und für die Zeit, welche man sich in diesem tödlichen die Welt zu rettenden Universum aufhält, wird man gut unterhalten. Aber es bleibt der Eindruck zurück, keine neue originelle Geschichte goutiert zu haben, sondern etwas, das elegant aus zu vielen Versatzstück zusammengesetzt worden ist. Der Epilog verspricht aber, dass die Geschichte eine interessantere Wendung erhalten könnte.
- SBN:
- 978-3-96219-063-7
- Erschienen am:
- 23.04.2018
- Autor
- Ian Fleming, Andy Diggle
- Zeichner
- Luca Casalanguida
- Einband
- Hardcover, Bookformat
- Seitenzahl
- 136