Der „Apex“ Verlag hat die Storysammlung „Inmitten der großen Leere“ von Ronald M. Hahn aus dem Ullstein Verlag aus dem Jahr 1984 nachgedruckt. Zu dieser Zeit ist Hahn Herausgeber einer durchaus interessanten, progressiven Science Fiction Reihe in diesem Verlag gewesen. Den Weg dahin zeichnet sein langjähriger Freund Horst Pukallus zwar nicht bis zu dieser Aufgabe nach, aber fast. Bedenkt man zusätzlich, dass Hahn als Mittzwanziger beim Fischer Verlag die „Fischer Orbit“ Reihe mit betreut und dann keine zehn Jahre später bei Ullstein angesichts der bisherigen Qualität der SF Reihe heute noch Lesenswertes herausbrachte, stellt sich eher die Frage, wo ist der so satirische bis zur Grenze der allerdings nicht immer gut zu verkraftenden Provokation übertreibende Hahn geblieben?
In den drei Kurzgeschichten und dem aus dem GEMINI Verlag nachgedruckten Heftroman „Operation Vergangenheit“ präsentiert Ronald M. Hahn eine besondere Fähigkeit in seinem langjährigen Schaffen. Aus bekannten und nicht selten abgenutzten Genreideen etwas Neues zu schaffen. Eine Generationenraumschiffgeschichte, eine Art First Contact Story und schließlich eine Robinsonade mit „Lost in Space“ Aspekten und doch gelingt es dem Autoren immer wichtige, die Perspektiven zu verschieben und dadurch gut zu unterhalten.
Die Titelgeschichte „Inmitten der großen Leere“ berichtet von der Reise eines Raumschiffs seit mehr als 7000 Jahren in Richtung des Andromeda Nebels. Das Schiff wird von einer Art Cyborg- Pilot gesteuert, heute könnte man von einer künstlichen Intelligenz sprechen. Die Menschen/ Wesen an Bord haben bis auf die Kommandantin die Fähigkeit verloren, das Schiff zu steuern. Manche wissen nicht einmal, dass sie an Bord eines Raumschiffs leben. Die finale Konfrontation zwischen dem Lenker in Form der künstlichen Intelligenz und der bauernschlauen Kommandantin ist gespickt mit pointierten Dialogen. Am Ende steht eine finale wie überraschende Entscheidung, die zynisch wie pragmatisch zu gleich ist. Die letzten Seiten entschädigen für die aufgesetzte Experimentierfreunde Hahns zu Beginn der Geschichte, die nicht unbedingt notwendig gewesen ist.
Bei der inhaltlich eher nur bedingt als First Contact Geschichte einzuordnenden „Drei Menschen im Schnee“ ist der Titel nur eingeschränkt Programm. Eine unwirtliche Welt; ein Jäger, der lange Zeit aus seiner Heimat weg gewesen ist; eine unglücklich in hohen Stand verheiratete Frau und schließlich der Terraner, der außerhalb des Stützpunkts eigentlich nichts zu suchen hat und gegen eine Reihe von Gesetzen ohne Frage verstößt. Es entwickelt sich ein Kammerspiel. Die Dramatik erhält die Geschichte nicht nur durch die zufällige Begegnung zwischen dem Jäger und der Frau nach mehr als dreizehn Jahren, sondern den brutalen Verfolgern, die aus gekränkter Eitelkeit, aber nicht überzeugend agieren. Das Ende ist tragisch wie konsequent. Sowohl „Inmitten der großen Leere“ als auch „Drei Menschen im Schnee“ – der Titel ist nicht gänzlich richtig, denn im Schnee befinden sich mehr als nur die drei Humanoiden, von denen einer nur ein Mensch ist – sind dunkle Geschichten, fatalistisch zu Ende erzählt. Der Terraner spricht nur englisch, was aus der Sicht des Jägers, der ersten Identifikationsfigur des Lesers die Fremdartigkeit/ die Exotik noch unterstreichen soll.
Die Sammlung wird abgeschlossen durch die Robinsonade „Auf unbekannten Stern“. Vor sechzehn Jahre ist eines der Siedlerraumschiffe der überfüllten Erde auf einem paradiesischen Planeten abgestürzt. Als die Menschen auf der Welt gerettet werden sollen, stellt sich heraus, dass sie im Grunde aus ihrem Paradies vertrieben und wieder in die Hölle sollen. Die überfüllte Erde nimmt sie nicht wieder auf, zwischen den Sternen herrscht Krieg und alle jungen Männer sollen rekrutiert werden. Irgendwann kommt die abschließende Zwangsumsiedelung. Während die älteren Menschen sehnsüchtig den Planeten verlassen wollen, stellt sich für die auf dieser Welt Geborenen die Frage nach ihrer Heimat. Auch hier spielt Hahn absichtlich mit den Klischees. Die Retter sind brutale Soldaten; der neugierige Offizier zeigt abschließend ein anderes Gesicht und die ganze Rettungsaktion ist im Grunde eine Farce. Sie wurde improvisiert „aufgezogen“, um sich Frischfleisch zu sichern. Vielleicht logisch betrachtet angesichts von 30 Milliarden Menschen auf der Erde ein wenig zu viel Aufwand, aber Ronald M. Hahn bleibt sich zumindest konsequent. „Auf unbekannten Stern“ hat dementsprechend als Robinsonade das am ehesten optimistisch zu nennende Ende.
Unter dem Pseudonym Ronald M. Harris erschien „Operation Vergangenheit“ 1976 als Nummer 24 in der „Gemini Science Fiction Reihe“. Ronald M. Hahn hat von den insgesamt siebenundvierzig „Gemini Science Fiction“ Romanen mehr als eine Handvoll unter diversen Pseudonymen geschrieben. Aus heutiger Sicht ist die Geschichte unter anderem aufgrund eines kleinen Hinweises interessant, den Wolfgang Jeschke später in „Der achte Tag der Schöpfung“ zu einem ganzen Roman ausbauen sollte. Ronald M. Hahn wirft den Leser mitten in die Handlung, hält das Tempo über den ganzen Spannungsform sehr hoch und präsentiert abschließend sogar eine kleine romantische Liebesgeschichte, vielleicht als Kompromiss für eine als Heftroman ausgesprochen dunkle, teilweise brutale Geschichte um einen Diktator, der in der Gegenwart gescheitert einen zweiten Versuch in der Vergangenheit des Quartär versucht. Das es sich dabei auch noch um den amerikanischen Präsidenten inklusiv einer sehr hübschen Tochter handelt, lässt die Geschichte in Zeiten Trumps aktueller erscheinen als es Ronald M. Hahn wahrscheinlich in den siebziger Jahren vorherahnen konnte.
Die Wissenschaftler im Quartär sollen in ihrer mit einem Elektrozaun abgesicherten Basis vor allem die ersten Menschen erforschen. Aus dem Nichts heraus landet der gegenwärtige amerikanische Präsident mit seiner hübschen Tochter, einigen Generälen und Offizieren, sowie einer Handvoll Soldaten in der Vergangenheit und berichtet von einem Bürgerkrieg. Anscheinend haben sozialistische, wenn nicht sogar kommunistische Kräfte gegen den gewählten Präsidenten opponiert und ihn in die Flucht geschlagen. In der Vergangenheit ohne Aussicht auf eine Rückkehr in die Gegenwart versucht er die Wissenschaftler und Forscher unter seine Knute zu bringen und ein diktatorisches Reich innerhalb des Energiezauns, später den errichteten Palisaden zu etablieren. Mit drakonischen Maßnahmen versucht er die Männer unter seiner Macht zu halten, bis eine kleine Gruppe um den allen Zwängen kritisch gegenüberstehenden Steiner in den Dschungel außerhalb des Camps flieht und sogar bei den Steinzeitmenschen lebt.
Vor allem die ersten Hälfte ist ausgesprochen stringent erzählt. Immer wieder konfrontiert Ronald M. Hahn die Leser mit neuen Fakten, auf Augenhöhe der Charaktere. Die Hintergründe werden erst im letzten Viertel des Romans aus einer neutralen Position heraus erläutert. Absichtlich scheint der Autor vor allem die wichtigen Charaktere zu desorientieren, wie sie alle vom charismatischen, am Rande des Wahnsinns agierenden amerikanischen Präsidenten an der langen Leine geführt werden. Dabei bewegt sich Hahn auch ein wenig am Rande des Klischees mit dem Wasser predigen und heimlich Wein konsumieren. Auch die Präsidententochter als verwähnte Zivilisationszicke mit einem späteren Herzen zumindest aus Silber, wenn nicht Gold wirkt eindimensional und dem Plot untergeordnet gezeichnet. Erstaunlich ist die kontinuierliche Steigerung von Gewaltszenen, die schließlich in der brutalen Ermordung fast der letzten im Lager befindlichen Opposition gipfelt. Selbst Seiner als wichtigste Identifikationsfigur des Lesers ist nicht unbedingt sympathisch gezeichnet.
Die zweite Hälfte des Romans mit dem Leben bei den freundlichen Steinzeitmenschen, dem Austauschen von Erfahrungen und schließlich dem heraufdämmernden Winter ist ruhiger, aber nicht weniger interessant oder spannend geschrieben worden. Fast ein wenig bedauernd wird das Tempo notwendigerweise um den Plot abzuschließen umgehend wieder angezogen und einige in dieser Phase angesprochenen Ideen wie das tatsächliche Überleben in der Urzeit durch Anpassung an das Leben der Steinzeitmenschen fallen abschließend wieder unter den Tisch.
Wie bei vielen Zeitreisegeschichten schwingt zwar in einigen Passagen die Furcht vor dem Flügelschlag des Schmetterlings, der Veränderung der Zukunft mit, aber es bleibt nicht selten bei Lippenbekenntnissen, wie die abschließenden Ereignisse im Dorf der Steinzeitmenschen zeigen. Sie spielen auch angesichts des Actionplots einer untergeordnete Rolle.
Ronald M. Hahn verzichtet auf seinen nicht selten in dieser Art von Geschichten satirischen Unterton bis zur Karikatur einzelner Protagonisten, sondern erzählt das Garn mit einigen unter die Haut gehenden Actionszenen ernsthaft, dynamisch und angesichts der verschiedenen Möglichkeiten im Mittelteil auch sehr spannend. Es wäre nicht die erste Story, in deren Verlauf die Figuren erkennen müssen, das es tatsächlich keinen Weg zurück gibt.
Auch heute über vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung liest sich „Operation Vergangenheit“ unabhängig von den Hinweisen auf eine „rote“ Bedrohung innerhalb der absolutistischen USA kurzweilig und ist wie einige andere Romane der heute fast in Vergessenheit geratenen „Gemini Science Fiction“ Reihe eine Wiederentdeckung entweder als Einzelveröffentlichung oder als Beimischung zu einer Anthologie wert.
„Inmitten der großen Leere“ zeigt weniger den Satiriker Ronald M. Hahn, sondern den Ideenautoren, der wie eingangs erwähnt aus den Versatzstücken des Genres nicht selten mindestens etwas Originelles, wenn nicht teilweise sogar etwas gänzlich Neues gebaut hat. Vor allem die Titelstory ist dabei am wenigsten gealtert und könnte heute genauso neu publiziert werden wie in den frühen achtziger Jahren, als bösartige künstliche Intelligenzen bzw. Schiffscomputer noch am Anfang ihrer literarischen Evolution gestanden sind.