Wake up and Dream

Ian R. Macleod

In Deutschland ist der Brite Ian MacLeod in erster Linie durch seinen Steampunkroman „Aether“ bekannt geworden. Die Fortsetzung hat Klett Cotta nicht mehr veröffentlicht. Dabei hat sich MacLeod seit seiner ersten ausgezeichneten Novelle „The Summer Isles“ – später zu einem Roman erweitert – als exzellenter Erzähler von Alternativweltgeschichten erwiesen. Für den vorliegenden Roman hat er neben dem John W. Campbell Award auch den Sidewise erhalten.

Das Faszinierende an dieser Parallelweltgeschichte ist, dass MacLeod im Grunde nur ein einziges Element hinzugefügt hat, das die Welt veränderte. In den dreißiger Jahren begann in seinem Universum nicht der Tonfilm den Stummfilm zu verdrängen, sondern die „Feelies“ entstanden. Anfänglich als Schmuddelzeug verspottet ermöglichten sie es den Zuschauern, am Geschehen auch emotional teilzunehmen. Das aufkeimende Tonfilmgeschäft brach ebenso zusammen wie alle etablierten Filmstudios, die sich dieser dramatischen Entwicklung verweigerten. Um die mittels einer Kombination als Glasfasern und Hauben während der Filmdrehs aufgezeichneten Emotionen zu spüren, mussten neuartige Kinos gebaut werden.

Zu Beginn der anschließend sich an den Gesetzen des Hardboiled Detektiv Romans, aber nicht des Film Noir orientierenden Handlung lernt der Leser Clark Gable kennen, der inzwischen als Privatdetektiv arbeitet und nur noch einigen älteren Damen wegen seines charmanten Aussehens in Erinnerung ist. Er hat wie viele bekannte Stars und aufkommende Sternchen den Übergang zu den Feelies nicht geschafft.  

Er wundert sich, als eines Tages April Lamotte – die typische Femme Fatale, allerdings nur auf den ersten Blick – ihn zu sich bittet. Ihr Mann und gleichzeitig Klient ist Daniel Lamotte, einer der bekanntesten „Feelie“ Drehbuchautoren der Gegenwart. Gable hat eine oberflächliche Ähnlichkeit mit ihrem Mann, der an einem mentalen Zusammenbruch leidet. MacLeod impliziert, dass Daniel Lamotte nicht nur ein Alkoholiker ist, sondern sich verausgabt hat. Früher hat er für die Pulps geschrieben und durch die langen Arbeiten an den Drehbüchern seine kreative Ader verloren. Er hat sich in eine schäbige Wohnung zurückgezogen, um dort in Ruhe wieder zu sich zu finden. Da am nächsten Tag die Unterzeichnung eines auch finanziell für das sich übernommene Ehepaar wichtigen Vertrages anstatt, soll Gable einen Tag ihren Mann spielen. Finanziell am Ende nimmt Gable den Auftrag an und beginnt sich in seine Auftraggeberin zu verlieben. Nur ahnt er nicht, welche Probleme, welche Hollywood bis ins Innere erschüttern könnten, in dem Drehbuch verborgen sind und das einige Parteien gänzlich andere Interessen haben. 

Von der Struktur her erinnert einiges positiv an Rzoszaks „Flicker“. An eine Science Fiction Variation dieses Themas, dieser subversiven Auseinandersetzung mit dem Medium Film in jeglicher Variation. Wie schon angedeutet ist es die Grundidee der Feelies, die MacLeods Welt so verändert. Anfänglich ein Schmuddelthema, eine primitive Unterhaltung der Massen wird es zu einem Phänomen, dem sich die Reichen auch nicht widersetzen können. Gable folgt Daniel Lamottes Spuren während der Recherche des Drehbuchs und findet als schwächsten Punkt des Romans, der auch nicht abschließend zufrieden stellend erklärt wird, heraus, dass die Feelies aus einem Forschungsprojekt heraus entstanden sind. Dabei wurden die ersten Versuche in einem abgeschiedenen Laborkomplex unter anderem von den Mächtigen der Wall Street finanziert und politische Verbindungen etabliert. Gable/ Lamotte gehen aber noch einen Schritt weiter. Vielen Menschen der Erstaufführung ist anscheinend etwas Schreckliches widerfahren. Es ist dieser eine Punkt, der „Wake up and dream“ allerdings ambivalent erscheinen lässt. Zum einen impliziert der Autor tatsächlich eine Verbindung zu Arbeiten wie „Flicker“ oder Campbells „Grin of the Dark“, zum anderen versucht er einen Brückenschlag zu seinen politisch sehr interessanten „The Summer Isles“ zu schlagen. Hier tanzt der Autor auf einer Hochzeit zu viel, zumal das implizierte politische Element – Amerika droht ebenfalls dem Faschismus zu verfallen und seine eigenen Judengesetze zu etablieren – zu ambivalent, zu oberflächlich und zu weit streuend aufgebaut worden ist. Es steht vor allem auch in einem starken Kontrast zu den ursprünglich ausschließlich militärisch monetären Interessen zweier unterschiedlicher Gruppen, welche die Forschungen eines fast an Frankenstein erinnernden Wissenschaftlers gefördert haben. Aber diese Enthüllungen kommen auf den letzten Seiten mit entsprechender cineastischer Übertreibung und reduzieren den sehr guten Eindruck des ganzen Romans nur wenig.

„Wake up and dream“ lebt in erster Linie von seinen Protagonisten und der Stimmung. Dank MacLeods stilistischer Brillanz entsteht vor den Augen des Lesers insbesondere in der ersten Hälfte ein Hollywood der späten dreißiger/ vierziger Jahre, das es wegen der Feelies in dieser Form nicht gegeben hat, das aber jederzeit möglich gewesen wäre. Die Identifikationsfigur des Lesers ist Clark Gable. Noch nicht so zynisch wie ein Sam Space erscheint er eher als ein Mann, der sich mit seiner Situation abgefunden hat. Er hat es als Schauspieler niemals ganz geschafft. Das er jetzt mit diesem Fall ins dunkle Herz Hollywoods wieder zurückkehren muss oder besser darf, verschafft ihm auf der einen Seite Befriedigung, auf der anderen Seite werden die Sehnsüchte einer verschenkten Karriere, der Chance auf Reichtum, schnelle Wagen, heute Mädchen und Partys ohne Ende wieder erweckt. Was Gable damals am Schauspielerberuf gereizt hat, spielt keine Rolle. Wie ein Alkoholiker saugt Gable die Atmosphäre wieder auf, wie ein geheilter inzwischen älter gewordener Mann kann er aber zwischen Verführung und Sucht unterscheiden. So wird Gable mehr und mehr zu einer Stimme des Gewissens, die eine Verschwörung des notgedrungenen Schweigens genauso aufdeckt wie sich sein Traum von einem Leben in falschem Luxus erledigt. MacLeod macht nicht den Fehler, Gable zu einem klassischen Heroen zu machen. Viele seiner Funde basieren eher auf dem Faktor des erwünschten Zufalls und mehr/ minder gezielten Hinweisen. Er muss sich nicht mit Gewalt durchsetzen und wenn er mit Geschick an Menschen herankommt, die eigentlich nicht mehr Leben sollten, dann sind diese raffinierten Winkelzüge sorgfältig geplant. Auch wenn sich vor dem Leser das ganze Bild der Verschwörung sehr viel schneller erschließt als vor den Augen des ungläubigen Clark, so ist die Suche der interessanteste Teil dieses Romans.      

Lange wird dem Leser über die Handlung hinaus die Atmosphäre im Gedächtnis bleiben, die MacLeod mit einer Mischung aus minutiöser Recherche und Phantasie zu einem packenden Handlungsstrang verbunden hat. Es ist ein schmaler Grad, den MacLeod erfolgreich beschreitet. Auf der einen Seite verfügt er über einen gebrochenen Protagonisten, der die Fakten kennt und unter dem Wandel vom normalen Kino zum Feelie gelitten hat. Auf der anderen Seite muss der Autor seinen Lesern diese zahlreichen ihm unbekannten Informationen kompakt, aber nicht den Fluss der Handlung lähmend präsentieren. MacLeods Trick ist einfach wie effektiv: die Geschichte, die Clark Gable kennt, ist nur bedingt richtig und erst durch das zwischen den Zeilen lesen, dass Lamotte getan hat und für das er mit seiner Freiheit, wenn nicht lange Zeit auch anscheinend mit seinem Leben bezahlt hat, ergibt sich ein zynisches Bild, das beginnend mit den Auswirkungen der Premiere des ersten Feelie viel weiterreicht als es Gable überhaupt ahnen kann. Gable und der Leser gehen auf eine gemeinsame Suche, wobei durch den Besuch auf dem reichen Anwesen der Lamottes der Leser relativ schnell und unauffällig auf Augenhöhe des Protagonisten geholt wird.

Neben den authentischen Beschreibungen überträgt MacLeod aus unserer Gegenwart die Scheinheiligkeit Hollywoods mit seinen rassistischen Grabenkämpfen, seinen Eitelkeiten und der Geltungssucht. Andere Autoren wie Max Allan Collins in seinen Heller Romanen oder Ron Goulart in seiner „Groucho Marx“ Serie sowie schließlich für eine Ära früher Campbell und Roszak haben ähnlich zynische Bilder der Traumfabrik entstehen lassen, die „Nestbeschmutzer“ wie Kenneth Anger in seiner empfehlenswerten Abrechnung „Hollywood Babylon“ vervollkommnet haben.

Neben den authentischen und interessant dreidimensionalen Hintergründen und MacLeods melancholischem Grunderzählton sind es aber die einzelnen Figuren, die „Wake up and dream“ in mehrfacher Hinsicht Leben einhauchen. Während Gable vielleicht nicht ganz dem Original entspricht, sind es die attraktive wie ehrgeizige Nachbarin/ Reporterin für ein Undergroundblatt Barbara, die sich in der Stunde des Erfolges ohne das sie es merkt, kaufen lässt oder die Lamottes, welche überzeugend gestaltet worden sind. Die Lamottes kommen aus einfachen Verhältnissen. Er ist ein klassischer Pulpautor, der sich nur hinter der Schreibmaschine in einem armseligen Zuhause und mit entsprechendem Alkohol im Blut/ Gehirn wirklich wohl fühlt und schreiben kann. Sie dagegen hat in ihrem Mann die Chance gesehen, ganz nach oben zu steigen, auch wenn sie eher durch einen Zufall von den über zehn Jahre geheim gehaltenen Folgen der ersten Feelies Aufführung weiß. Sie wird das Opfer ihrer eigenen Paranoia, Spuren zu verwischen, die aufgedeckt langfristige Folgen haben könnten. Obwohl der Leser Daniel Lamotte an keiner Stelle des Romans „persönlich“ begegnet, fühlt man sich an Chandler oder Cain oder Hammett erinnert. Nur das sie es selbst in Hollywood niemals ganz nach oben in die Scheinwelt geschafft haben. Daneben fügt MacLeod dem Buch noch eine zweite Karriere hinzu. Roger ist ein Straßenkind, das einen Instinkt fürs Überleben in einem der Slumvirtel Los Angeles hat. Roger besitzt eine Bauernschläue, die ihn mehrmals zu rechten Zeit an den rechten Ort führt, ohne das der dem Handelsverlauf unglaubwürdige Veränderungen zufügen kann. Am Ende scheint ihm die Glitzerwelt offen zu stehen, auch wenn ihn in diesem Moment sein Instinkt verlässt. Mit Timmy Townsend – Seniorproduzent der Feelies – fügt MacLeod dem Roman einen klassisch schmierigen Agenten hinzu, der eher durch Dummheit ganz nach oben gestiegen ist. Von den historischen Persönlichkeiten lernt der Leser in erster Linie den Exzentriker Howard Hughes kennen, der von den ersten Feelies Produzenten benutzt und schließlich in eine Irrenanstalt abgeschoben worden ist, wo er im Heizungsraum sein eigenes kleine Reich eingerichtet hat.  Viele dieser Nebenfiguren haben nur kurze Auftritte im Rahmen von Gables Untersuchungen, aber ihre drei bis fünf Zeilen des Ruhms nutzen sie, um dem Leser sehr viel länger im Gedächtnis zu bleiben.

Bis auf ein oder zwei Punkte während des Showdowns, die MacLeod um die manchmal ein wenig zu brüchige Glaubwürdigkeit seines Plots nicht einstürzen zu lassen nicht beantwortet, ist „Wake up and dream“ eine weitere auf phantastischem Grund aufgebaute Abrechnung mit dem Mythos Hollywood, der in diesem Roman im Grunde in einer kleinen Hütte in der Wüste aus ausschließlich politisch monetären Interessen aufgebauscht worden ist. Die Charaktere sind dreidimensional und MacLeods Stil zieht den Leser von der ersten Seite her in eine faszinierende Paralleltraumwelt.    

 

PUBLICATION DATE: September 2011, PS Publishing

EDITION: Jacketed Hardcover, 338 Seiten

COVER ART: Ben Baldwin

PRINT RUN: Unsigned

ISBN: 978-1-848631-94-6